Rudolf Ritter Lodgman von Auen wurde am 21. Dezember 1877 in Königgrätz geboren, aufgewachsen ist er nach dem frühen Tod des Vaters in Prag, wo ihn die späte Blüte der Deutsch-Prager Kultur nachhaltig geprägt haben dürfte. Die Herkunft des Vaters mag für die Weltweite Lodgmans einOmen gewesen sein: Er entstammte dem im 16. Jahrhundert von Spanien nach Österreich gekommenen altenglischen Adelsgeschlecht der Lodgman of Owen. Nicht zu Unrecht ist Lodgman als letzter Vertreter des Josephinismus im 19. und 20. Jahrhundert bezeichnet worden.
Diese Bezeichnung wird durch seine übernationale Generosität und Urbanität ebenso wie die Orientierung nach Großbritannien und Westeuropa und schließlich durch den Umstand gerechtfertigt, daß ihm Deutsch und Tschechisch zwei annähernd gleichgewichtige Muttersprachen waren: beide Kulturen waren ihm so vertraut, daß er Differenzen und Affinitäten beider Kulturen klar zu beurteilen und abzuwägen wußte. Er wählte nicht den Weg in die österreichische Beamtenlaufbahn, die ihm als Adeligem offengestanden hätte, sondern war zu Beginn seiner Karriere an der Zentralstelle der deutschen Verwaltungsbehörde in Böhmen als Kanzleivorstand tätig. Als Parteiloser wurde er erstmals 1912 im Wahlbezirk Aussig mit den Stimmen aller Parteien in das Österreichische Abgeordnetenhaus gewählt. Bemerkenswert im Zusammenhang des Zerfalls der Österreichischen Monarchie und des Beginns von Lodgmans politischer Lebensleistung im Labyrinth der sudetendeutschen Frage ist seine 1917, noch im Feld entworfene Denkschrift, in der er die Transformation Österreichs in einen Nationalitätenbundesstaat fordert – mit klar umrissener europäischer Perspektive. Dem sollte nach seinen Worten „auch eine Staatsverfassung entsprechen, die weder eine slawische noch eine deutsche Herrschaft verträgt, sondern die im Reiche vertretenen Nationen am Bestande des Staates wirtschaftlich und politisch interessieren muß, so daß sie ohne äußeren Zwang und aus freien Stücken den Staat als die Grundlage ihres Bestandes anerkennen“. Lodgmans Umbauprogramm fand wenig Gegenliebe; zudem beruhte es auf der Erwartung, daß sich Rußland eine föderal-republikanische Regierungsform geben werde. In Grundzügen berührt sich die Konzeption mit tschechischen Plänen, allerdings mit dem Unterschied, daß Lodgman eine Zweiteilung der böhmischen Länder vorsah, woran Beneš und Massaryk nach 1917 nicht mehr festhalten sollten. Als Landeshauptmann von Deutschböhmen und Führer der Sudetendeutschen führte Lodgman 1918/19 eingehende Verhandlungen mit dem Ziel, Deutschböhmen als eigenständigen Bundesstaat im Deutschen Reich zu etablieren.
Von diesem Zeitpunkt an mehren sich die Stimmen, die ihm entgegenhalten, das Sudetenland nicht entschieden genug verteidigt zu haben. Aus der Wahlniederlage im November 1925 zieht er die Konsequenz und ist nicht mehr unmittelbar politisch tätig.
Daß die Einheitsfront, die Lodgmans Absichten nahe kam, 1937 durch Konrad Henlein zustande gebracht wurde, gab ihm kaum Befriedigung; dem Henleinschen Aktivismus stand er reserviert gegenüber. Seine Politik folgte einem skeptischen Zug.
Ihm lag ausschließlich am Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen, das mittels internationaler Garantien am ehesten einzulösen sei. Die Revision von Versailles begriff er als eine Sache der Siegermächte.
Schon im Jahr 1939 urteilte Lodgman, daß ein weiterer Krieg für das Deutsche Reich wohl die endgültige Niederlage bedeuten würde. Er zog sich in den folgenden Jahren gänzlich aus der Politik zurück und lebte zurückgezogen in Teplitz-Schönau. Daß er sowohl in den Plänen Wenzel Jackschs als auch des deutschen Widerstandes aus dem Kreis um Jacob Kaiser eine Rolle spielte, war ihm seinerzeit nicht bekannt.
Die Vertreibung führte Lodgman über Lützen nach Süddeutschland, in das Flüchtlingslager Winkl bei Berchtesgaden, von wo aus seine Wirkung als gewählter Sprecher der sudetendeutschen Landsmannschaft, gleichsam ein zweites politisches Leben, begann. Lodgman unterstrich schon in seinen erstenStatements 1945/46, daß die politische Lage der Sudetendeutschen, generell anders als die der Schlesier, nicht mit der Frage der Ostgrenzen Deutschlands identisch sei. Sie verweise vielmehr auf die Grundfragen der europäischen Ordnung, namentlich im Donauraum. In seinem 1948 in Heppenheim gehaltenen Referat über die „Die völkerrechtlichen Grundlagen des Sudetenproblems“ konstatiert er, vor dem Hintergrund, daß Deutschland kein Staat mehr sei, sondern nur eine Kolonie, lasse sich das Sudetenproblem – und mit ihm die Flüchtlingsproblematik überhaupt – nur lösen, wenn „man die Vertriebenen wieder in ihrer Heimat ansässig macht oder aber, man muß abwarten, bis die ältere Generation, die die Heimat noch (…) gekannt hat, ausstirbt, was 20 bis 30 Jahre dauern dürfte“. Es ist kennzeichnend für Lodgmans transatlantischen Patriotismus, der ihn, mit Unterstützung des Kaiserenkels Otto von Habsburg, enge Kontakte nach Westeuropa und Amerika knüpfen ließ, daß er schon 1948 mit dem Wilsonschen Programm für das Selbstbestimmungsrecht der Völker von 1919 argumentierte.
In den Auseinandersetzungen um Struktur und Anlage der Vertriebenenverbände während der fünfziger Jahre plädierte Lodgman entschieden für das landsmannschaftliche Prinzip, während Linus Kather, sein großer Kontrahent in jenen Jahren, einen Vertriebenen-Einheitsverband anstrebte.
Bemerkenswert ist auch das „Wiesbadener Abkommen“, das er mit Lev Prchala, dem Vorsitzenden des Tschechischen Nationalausschusses in London, bereits 1950 schloß. In jenem Dokument, in dem sich seine Lebenserfahrung sedimentiert, wird Revanchismus und Kollektivschuldthese eine eindeutige Absage erteilt. Die Verfassung wird einem späteren freien konstitutionellen Akt beider Völkerschaften anheimgestellt.
Bereits Anfang der fünfziger Jahre forderte und praktizierte Lodgman eine europäisch fundierte deutsche Ostpolitik und hielt fest, daß die Sudeten weder zum kapitalistischen Westen noch zum kommunistisch bolschewistischen Osten gehörten. In dem von ihm federführend inaugurierten „Forschungsinstitut für Fragen des Donauraumes“ wurden historische und staatsrechtliche Grundlagen für eine Ordnung des Donauraums entwickelt auf der Grundlage freier Selbstbestimmung der Völker und als Gegengewicht sowohl gegen die Zementierungen der bipolaren Welt als auch eine Wiederkehr des Versailler Systems, die Lodgman fürchtete. Lodgman täuschte sich nicht darüber, daß seinen politischen Anstrengungen enge Grenzen gesetzt und daß sein Bewegungsspielraum von der jeweiligen Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Bipolarität der Weltpolitik abhing.
Gerade in Bayern, wo er während der letzten fünfzehn Jahre seines Lebens vor allem wirkte, erfuhr Lodgman hohe und höchste Anerkennungen (darunter die Ehrendoktorwürde der Münchener Universität und den Bayrischen Verdienstorden); daß die Sudetendeutschen zum „Vierten Stamm“ Bayerns wurden, ist ihm sehr zu Recht maßgeblich mit zugute geschrieben worden.
Im Jahrvor seinem Tod gestand er ein, daß er letztlich in seinem Leben keinen großen politischen Erfolg zuwege gebracht habe. Weniger in der Machtpolitik als vielmehr als Staatsdenker und Sachwalter Alteuropas wird Lodgman in die Annalen eingehen. Er ist ein später Repräsentant der Tradition des nationalen Liberalismus und Konservatismus, die ihn nach dem Niedergang von 1945, als bald Siebzigjährigen, noch zu einer Neudefinition der Lage und einer behutsamen Politik der Sorge befähigte.
Lit.:Albert K. Simon (Hg.): Festschrift zum 75. Geburtstag des Sprechers der Sudetendeutschen Rudolf Lodgman von Auen, München 1953. – Alois Harasko: Rudolf Logman von Auen. Ein Leben für Recht und Freiheit und die Selbstbestimmung der Sudetendeutschen, Nürnberg 1984.
Bild: Archiv des Verfassers.
Harald Seubert