Biographie

Löns, Hermann

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Schriftsteller
* 29. August 1866 in Kulm/Westpr.
† 26. September 1914 in Reims

Das Werk von Hermann Löns ist zeitweise außerordentlich populär gewesen und auch heute noch in Einzel- und Sammeleditionen weit verbreitet. Sein Leben indessen stand unter keinem guten Stern: Er wuchs – mit einem jähzornigen Vater und dreizehn Geschwistern – in sehr problematischen Familienverhältnissen auf und entwickelte sich zu einer unausgeglichenen, teilweise unberechenbaren Persönlichkeit, bei der Freundlichkeiten und tyrannisches Gebaren ständig wechselten. Löns studierte in Münster, Greifswald und Göttingen Naturwissenschaften und Medizin, brachte es aber nicht zu einem erfolgreichen Abschluß. Zwischen 1891 und 1911 war er als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen in der Pfalz, in Hannover und Bückeburg tätig. Zwei Ehen scheiterten. Zu Beginn des Weltkriegs meldete sich Löns als Freiwilliger, doch fiel er bereits am 26. September 1914 bei Reims. Seine literarischen Arbeiten umfassen volksliedartige Lyrik (Mein blaues Buch, 1909; Der kleine Rosengarten, 1911), Tier- und Jagderzählungen (Mein grünes Buch,1901; Mümmelmann, 1909; Auf der Wildbahn, 1912), Humoresken (Der zweckmäßige Meyer, 1911), Romane (Der letzte Hansbur, 1909; Der Wehrwolf, 1910; Das zweite Gesicht, 1911;Die Häuser von Ohlenhof, postum 1917 veröffentlicht) und ein Kriegstagebuch, das erst vor wenigen Jahren publiziert wurde. Der größte Teil des Löns’schen Werkes lebt aus der „Verbundenheit mit Wald und Tier, Sumpf und Heide“, aus der „abenteuernden und lyrischen Liebe zum naturhaften Sein“ (Fritz Martini). Das Leben in der stadtfernen Landschaft, insbesondere in der Lüneburger Heide, wird für Löns immer wieder zum Modell des Lebens schlechthin, zum Orientierungspunkt seines Weltverständnisses: sei es, daß er liebevolle Betrachtungen zum ungestörten Idyll anstellt, sei es, daß er Gefährdungen und Zerstörungen schildert. Im Wehrwolf, seinem wohl berühmtesten Roman, geht es beispielsweise um das Schicksal eines Haidbauern während des Dreißigjährigen Krieges: Lange ist er von den Schrecken der Zeit verschont geblieben, aber dann brechen sie auch in sein Leben machtvoll und schmerzhaft ein; der fast schon gebrochen erscheinende Mann rafft sich jedoch wieder auf und betätigt sich bis zum Ende des Krieges als Anführer einer gewalttätigen Schar mutiger Kämpfer, der „Wehrwölfe“. Daß Löns in solchen Geschichten nicht allein Wert auf den begrenzten historischen Ausschnitt legt, sondern auch auf Grundbefindlichkeiten des menschlichen Lebens und der Welt, deutet schon der an die Schöpfungsgeschichte erinnernde erste Satz des Romans an: „Im Anfange war es wüst und leer in der Haide."

Es liegt geradezu auf der Hand, daß ein solches Werk später von der Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus vereinnahmt und seine Verbreitung auf vielerlei Weise gefördert wurde; man tut ihm wohl auch nicht Unrecht mit der Feststellung, es habe diesem Vorgang weniger Widerstand entgegengesetzt als die Schriften mancher anderen Autoren. Aber man wird heute noch eine weitere Seite würdigen müssen: indem Löns ein naturverbundenes, in gewissem Sinne zivilisationsfernes Leben zum Ideal erkoren hat, widersetzt er sich indirekt auch jenen Zügen der Zivilisation und des „Fortschritts“, dessen Schattenseiten uns mittlerweile zunehmend deutlicher werden, handele es sich nun um die Bedrohung der natürlichen Umwelt oder um Fragwürdigkeiten unseres politisch-gesellschaftlichen Alltagslebens. Unter diesen Vorzeichen wäre dann etwa der Wehrwolf-Führer nicht nur als vorwegnehmende Bestätigung einer düsteren realgeschichtlichen Führergestalt zu sehen, sondern auch als entfernter Verwandter des anarchischen Selbsthelfers Götz von Berlichingen, der gegen allen Zwang der Umstände auf die Rechte des Individuums pocht. Die Literaturwissenschaft und -kritik hat zu Hermann Löns nicht viel zu sagen gewußt; man hat ihn in der Regel kaum beachtet und dem Bereich der minderwertigen Unterhaltungs- und Trivialliteratur zugeschlagen. Diese Kategorisierung mag, den ihr zugrunde liegenden Maßstäben zufolge, vertretbar sein. Sie sollte aber nicht dauerhaft den Blick trüben für die vielseitigen und – im besten Sinne – herausfordernden Aspekte seines Werkes: für die erwähnten Zwiespältigkeiten und für die da damit verbundenen denkwürdigen Bewegungen eines Erzählers, der gerade noch nüchtern Fakten zusammenstellt, dabei die Sorgfalt eines Naturforschers anwendet und im nächsten Augenblick hemmungslos fabuliert, stilisiert, schwärmt, das Wesen des Menschen im Spiegel der Heidelandschaft zu erfassen versucht. Wie groß die Diskrepanzen sind, mit denen Löns arbeitet, macht exemplarisch noch einmal der Wehrwolf sichtbar; hat er mit einer unmißverständlichen Anspielung auf das Alte Testament eingesetzt, so endet er, im letzten Satz, mit einem völlig andersartigen Hinweis auf das Treiben seines Helden: „(…) und als er nach Hause ging, flötete er das Brummelbeerlied.“

Werkausgaben: Sämtliche Werke in acht Bänden. Hg. v. Friedrich Castelle. Leipzig 1923f. – Ausgewählte Werke. 5 Bde. Hg. v. Hans A. Neunzig. München 1986. – Leben ist Sterben, Werden, Verderben. Das verschollene Kriegstagebuch. Hg. v. Karl-Heinz Janßen und Georg Stein. Frankfurt a.M, Berlin 1988.

Lit.: Martin Anger: H.L. Schicksal und Werk aus heutiger Sicht. St. Augustin, Bonn 1978. – Erwin Breitwieser: Der volkskundliche Ertrag der Schriften von H.L. Gießen 1937. – Wilhelm Deimann: Der andere L. Biographie. Münster, Hameln/Hannover 1965. – Johannes Klein: H.L. – heute und einst. Versuch einer kritischen Einordnung. Hameln/Hannover 1966. – Uwe Kothenschulte: H. L. als Journalist. Dargestellt am Beispiel seiner Tätigkeit bei der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und bei der „Schaumburg-Lippischen Landes-Zeitung“. Dortmund 1968. – Karl Erich Loderhose: Die Landschaftsgestaltung in H. L.‘ Prosawerken. Diss. Frankfurt a.M. 1930. – Marianne Weil: Der Wehrwolf. In: M.W. (Hg.): Wehrwolf und Biene Maja. Der deutsche Bücherschrank zwischen den Kriegen, Berlin 1986, 203-226.

Bild: Gemälde von Wilhelm Kriechendorff. Historisches Museum Hannover.