Biographie

Lorinser, Karl Ignaz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien), Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Arzt, Regierungs- und Medizinalrat
* 24. Juli 1796 in Niemes/Böhmen
† 2. Oktober 1853 in Patschkau/Schlesien

Lorinsers Vater war herrschaftlicher Wundarzt, die Mutter, Magdalena Schorss, stammte aus Reichstadt. Der Sohn besuchte die Grundschule in Niemes, dann in Rzepin bei Melnik, schließlich –  in den Jahren 1806 bis 1808 – in Neu-Reichstadt. Vom Pfarrvikar Lehmann in Hennersdorf bei Wartenberg wurde er in den Anfangsgründen der lateinischen Sprache unterrichtet und für das Gymnasium vorbereitet. Das Gymnasium besuchte er in Prag. Im Herbst 1813 wurde er bei der Philosophischen Fakultät an der Universität zu Prag immatrikuliert, um sich schließlich aber für das medizinische Studium an der Universität in Berlin zu entscheiden. Hier erwarb er aufgrund seiner DissertationDe functione hepatis sana et laesa am 30. August 1817 sein Doktordiplom. Nach dem Studium bemühte er sich vergebens um eine Anstellung im österreichischen Gesundheitswesen. Am 2. Juli 1813 hatte er die Stelle eines Pensionärs und Repetenten bei der Königlichen Tierarzneischule in Berlin angenommen. 1820 veröffentlichte er in Berlin den Entwurf einer Encyklopädie und Methodologie der Tierheilkunde. Seine Heiratsabsichten verhinderten jedoch eine vorgesehene wissenschaftliche Reise an die vorzüglichsten Tierarzneischulen Europas. Der Geheime Ober-Medizinal-Rat Langermann akzeptierte junge verheiratete Lehrer nicht, so daß Lorinser am 16. September 1819 kündigte. Er trat bei Professor Wolfart als Assistent in dessen magnetische Heilanstalt ein, wofür ihm ein Honorar von jährlich 100 Talern gewährt wurde. Anfang 1821 vervollständigte Lorinser auf Veranlassung von Langermann die Kataloge der Bibliothek der Tierarzneischule und erhielt dafür vom Ministerium eine kleine Remuneration bewilligt. Bemühungen um eine Stelle an der Berliner Universität brachten kein Ergebnis.

Am 2. Juli 1822 wurde Lorinser auf Empfehlung Langermanns der Posten des zweiten Rates am Medizinal-Kollegium in Stettin anvertraut. Neben seinen dienstlichen Aufgaben arbeitete Lorinser an seiner nächsten Publikation über Lungenkrankheiten(Die Lehre von den Lungenkrankheiten nach ihrem gegenwärtigen Standpunkte und mit vorzüglicher Rücksicht auf pathologische Anatomie, Berlin 1823), in welcher er die neuesten Errungenschaften im Bereich der Pathologie und Anatomie wie auch die neueingeführten physikalischen Untersuchungen des Atmungssystems berücksichtigte. Diese Veröffentlichung hatte einen günstigen Einfluß auf seine berufliche Laufbahn. Nach Meinung Langermanns, dem diese Schrift gewidmet war, gehörte Lorinser an eine Universität, während der Oberpräsident von Pommern ihn für die Medizinalratsstelle in Köslin in Aussicht nahm. Die Redaktionen vieler Journale und die gelehrten Gesellschaften suchten ihn als Mitarbeiter zu gewinnen, die praktischen Ärzte sahen den jungen Kollegen mit vermehrter Achtung an, das Ministerium berief ihn zur Abhaltung der Staatsprüfungen.

Im März 1824 siedelte Lorinser mit seiner Familie nach Köslin über, wo er auf dem Posten des Medizinalrates in der Kösliner Regierung das Gesundheitswesen verwaltete. Sein jährliches Gehalt war auf 800 Taler gestiegen. Er arbeitete wissenschaftlich weiter und veröffentlichte die ArbeitVersuche und Beobachtungen über die Wirkung des Mutterkorns auf den menschlichen und thierischen Körper, Berlin 1824, welche auf wertvollen, in den Akten der preußischen Behörden befindlichen amtlichen Verzeichnissen der in Oberschlesien in den Jahren 1817 bis 1821 aufgetretenen Mutterkorn-Vergiftungen sowie auf den Ergebnissen der in der Berliner Königlichen Tierarzneischule mit dem Mutterkorn durchgeführten Experimente beruhte. Diese Schrift war im Blick auf die Bedürfnisse der Gesundheitspolizei geschrieben.

Am 14. November 1825 vertauschte Lorinser auf Befehl des Kultusministers seine Stellung mit einer entsprechenden in Oppeln, wo er bis 1851 verblieb. Oberschlesien war in dieser Zeit ein Gebiet, welches für einen Pathologen lehrreich, als Lebensraum aber unangenehm und nicht ohne Gefahren war. Lorinser, auch in Oppeln Medizinalrat, kam es trefflich zustatten, daß er durch seine frühere Beschäftigung mit der Veterinärkunde auch zur vergleichenden Pathologie befähigt und instande war, seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit zugleich auf Menschen und Tiere zu richten. 1827 mußte er zum ersten Mal die Rinderpest (pestis bovum) bekämpfen. Infolge seines Vorgehens konnte man 1828 die Seuchenherde in Oberschlesien abtöten. Im Januar 1831 erschien Lorinsers Schrift Untersuchungen über die Rinderpest(Berlin 1831), welche konkrete Vorschläge für die Bekämpfung der Seuchenherde – auch aufgrund eigener Beobachtungen der in Oberschlesien in den Jahren 1827 bis 1828 hervorgetretenen Epizootie –  enthielt. Die Publikation wurde von Kennern, so von Kultusminister Karl von Altenstein, mit Lob aufgenommen; man hat dieses Werk sogar als ein "klassisches" bezeichnet, und alle, die sich späterhin wissenschaftlich mit diesem Gegenstand beschäftigten, haben es ausziehen oder abschreiben müssen.

Als im Herbst 1829 infolge des russisch-türkischen Krieges sich die Rinderpest auf eine beunruhigende Weise in den unteren Donauländern verbreitete, erhielt Lorinser vom Staatsministerium den Auftrag, eine Prüfung der Sachlage an Ort und Stelle vorzunehmen. Trotz außergewöhnlich schwieriger Reiseumstände endete die Mission erfolgreich, und ihre Ergebnisse schlugen sich in einem Bericht über die Seuchenherde der Rinderpest und in einer Beschreibung der untersuchten Kontumazanstalten nieder. Die Reise brachte auch Informationen und neue Erfahrungen über die Epidemie, was nach siebenjähriger Arbeit in der SchriftDie Pest des Orients (Berlin 1837) festgehalten wurde. Von Lorinsers zahlreichen Publikationen erweckte besonders ein Aufsatz in der Staatszeitung vom 4., 5. und 6. Oktober 1831 Aufmerksamkeit, in welchem er die Unersprießlichkeit der Anwendung von Grenzketten bei der Bekämpfung der Cholera bewies.

Lorinser, der in medizinischen Kreisen einen guten Ruf genoß, hatte mit diesem Aufsatz bei der Regierung Mißfallen erregt, weil man dort die Schrift als äußerst kompromittierend empfand. Doch milderte der Oberpräsident von Schlesien die entsprechenden beschwerlichen Vorschriften, indem die Quarantäne aufgehoben und bei der Einreise nach Schlesien nur noch eine Bestätigung verlangt wurde, daß man aus einem Ort kam, der nicht von der  Epidemie betroffen war. Das Jahr 1833 brachte Lorinser den Roten Adlerorden IV Klasse mitsamt einer außerordentlichen Gratifikation sowie den Auftrag, an dem Gesetz über die Quarantänezeit mitzuarbeiten. 1835 wurde ihm die Stelle des Direktors der Hebammenschule in Oppeln übertragen. Von seinen weiteren Publikationen verursachte seine medizinisch-pädagogische AbhandlungZum Schutz der Gesundheit in den Schulen, welche in der Nr. 1 vom 8. Januar 1836 der Medizinischen Zeitung erschien, größeres Aufsehen.

Wie stark Lorinsers Äußerung zur Körperpflege in den Schulen wirkte, zeigen die vielen Stimmen von Ärzten und Lehrern (das Brockhaus-Lexikon zählt mehr als 70 Wortmeldungen), die sich zu diesem Thema äußerten. Die Schrift wurde durch Vermittlung des Regierungspräsidenten von Oppeln, Theodor Gottlieb von Hippel, auch dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. vorgelegt. Dem Eintreten Lorinsers für das Turnen ist es zu verdanken, daß in den Schulen Turnräume eröffnet wurden und von den Schulen aus die Idee des Turnens sich in den Sportvereinen verbreitete. (Die öffentlichen Turnvereine waren in Deutschland seit 1819 –  da man von ihnen revolutionäre Umtriebe befürchtete – verboten.)

Bedeutung für Oberschlesien hatte seit 1844 der unter der Schutzherrschaft des Priesters Alois Ficek geführte Kampf gegen den Alkoholismus. Lorinser, der Augenzeuge des ersten großen Mobilisierungsversuches der schlesischen Bevölkerung im Kampf gegen den Alkoholismus war, widmete dem die Schrift: Der Sieg über dieBranntweinpest in Oberschlesien, historisch, medizinisch und mystisch beleuchtet(Oppeln, 1845). In ihr traten religiöse Gesichtspunkte hinter Werten wie Patriotismus, Mut, Arbeitsamkeit und Erdgebundenheit zurück.

In den Jahren 1846 bis 1847, als infolge Teuerung und schlechter Ernährung der unteren Volksklassen Oberschlesiens hier erneut der Typhus ausbrach, erkannte der preußische Gesundheitsdienst durchaus den Zusammenhang zwischen dem sich vertiefenden Elend und den verhängnisvollen sanitären Zuständen in diesem Gebiet einerseits sowie der Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Oberschlesier andererseits. Er verfügte jedoch nicht über ausreichende Mittel zur Verhütung einer Ausbreitung der Infektionskrankheiten. Eine zusätzliche Erschwerung bildeten die geringen medizinischen Kenntnisse in dieser Hinsicht. In dieser Lage brachten auch die Bemühungen Lorinsers, den epidemiologischen Zustand zu verbessern, nicht die erwünschten Ergebnisse. Lorinser unternahm viele Inspektionsreisen und schrieb für das Ministerium und für den Oberpräsidenten der Provinz Schlesien Berichte. Daraufhin entsandte der preußische Gesundheitsdienst in die am stärksten bedrohten Gebiete Ärzte aus anderen Regionen Deutschlands, um den Bauchtyphus durch Verbesserung der sanitären Lage, durch Isolierungseinrichtungen für die Kranken und durch die Errichtung neuer Krankenhäuser entgegenwirken. Am 29. Februar 1848 fand in Nikolai (etwa 15 Kilometer südwestlich von Kattowitz) eine von Lorinser einberufene Konferenz der auf dem Gebiete des Bauchtyphus arbeitenden Ärzte statt. Teilnehmer dieser Konferenz war auch Rudolf Virchow. Lorinser führte seinen Kampf gegen die Infektionskrankheiten auf einem der damaligen Zeit entsprechenden niedrigen Niveau der Bakteriologie und aufgrund ungenügender Kenntnis der bakteriellen Ansteckungen.

Nach dem Erlöschen der Bauchtyphus-Epidemie kam Lorinser krankheitshalber um seine Entlassung in den Ruhestand ein. Im März 1851 wurde er pensioniert. Der Regierungspräsident von Oppeln, Graf Pückler, verlieh ihm im Namen des Königs den Roten Adlerorden II Klasse. Die geringe Pension bei in Oppeln hohen Unterhaltskosten zwang ihn zum Übersiedeln nach Patschkau in Schlesien, wo er seine letzten Lebensjahre bei fortschreitender Altersschwäche und unter neurologischen Störungen verbrachte. Seine letzte Ruhe fand er in Oppeln, neben seiner Gattin Augustine. Die Autobiographie Lorinsers wurde von seinem Sohn vollendet und 1864 in Regensburg herausgegeben.

In polnischen Darstellungen der Geschichte Oberschlesiens wird Lorinser nur beiläufig erwähnt, ohne seine Verdienste für die Entwicklung des Gesundheitsdienstes in dieser Region zu würdigen. Doch mit der Hingabe, mit der er vor 144 Jahren die hiesige Bevölkerung betreute und die Bauchtyphus-Epedemie abwehrte, hat sich dieser universelle Arzt bleibend in die Geschichte Oberschlesiens eingetragen.

Lit.: W. Beck: Dr. K.I. Lorinser, Regierungs- und Geheimer Medizinal-Rat. Sein Leben und seine Verdienste um das Turnen, Oppeln 1896. –  K.I. Lorinser: Eine Selbstbiographie. Vollendet u. hrsg. von F. Lorinser. Bd. 1-2, Regensburg 1864. –  R. Froehner: Kulturgeschichte der Tierheilkunde. Geschichte des deutschen Veterinärwesens, Bd. 2, Konstanz 1954. – K. Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaisertums Oesterreich, Bd. 18, Wien 1867, S. 52-54. –  Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 19, Leipzig 1890, S. 197-198.  –  K.G. Nowack: Schl. Schriftsteller-Lexikon…, Breslau 1838, H. 2, S. 94-99. – J. Graetzer: Lebensbilder hervorragender schlesischer Ärzte…, Breslau 1889, S. 175-176. – Nouvelle Biographie générale… publiée sous la direction de M. Hoefer, t. 31, Paris 1850, S. 663. –  Ottouv slownik naučny, t. 16, Praha 1900, S. 346. –  F.A. Simon: Weg mit den Kondons! in: Preußische Staatszeitung 1831, Nr. 265, 275-277, 307. –  Meyers Konversations-Lexikon, Bd. 11, Leipzig 1896, S. 500. –  Brockhaus Konversations-Lexikon, Bd. 11, Leipzig 1902, S. 286. – K. Prus: Z przeszłosci Mikołowa i jego okolicy, Katowice 1932. –  P. Świerc: Świathy doktor Lorinser, in: Trybuna Opolska, 1973, Nr: 275, S. 6. – W. Kaczorowski: Karol Ignacy Lorinser w walce z epidemiąduru brzusznego na GórnymŚląsku w latach 1846-1848, in: Zeszyty Naukowe WSP w Opolu. Historia, t. 31, Opole 1994, S. 31-37.

 

  Włodzimierz Kaczorowski