Biographie

Lorm, Hieronymus (Heinrich Landesmann)

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 9. August 1821 in Nikolsburg/Südmähren
† 30. Dezember 1902 in Brünn

Das südmährische Nikolsburg ist Heimat mehrerer Autoren, die der dortigen berühmten Judengemeinde entstammen. Die Stadt war Sitz des mährischen Landesrabbiners und beherbergte eine Talmudhochschule. Rabbi Löw wirkte ebenso in Nikolsburg wie der Talmudist Samuel Oppenheim, den Prinz Eugen „Retter in Kriegsnot“ nannte. Von hier stammt die Familie der Edlen von Sonnenfels, deren erster als Lipman Perlin aus Preußen einwanderte und später geadelt wurde. Sein Sohn Joseph von Sonnenfels sollte als Reformator der Wiener Bühne den Beinamen eines „österreichischen Lessing“ erhalten.

Am 9. August 1821 wird in Nikolsburg auch Heinrich Landesmann geboren, der als vielseitiger Schriftsteller, und zwar als Erzähler und Lyriker, als Theaterautor und Romancier, als Essayist und Journalist unter dem Pseudonym Hieronymus Lorm in die Literaturgeschichte einging. Sein Vater zog aus dem Nikolsburger Ghetto nach Wien und war ein angesehener Kaufmann, ein „Mann von vielseitiger Bildung, ein großer Kenner und Pfleger der hebräischen Literatur und ein Freund der Armen“. Der junge Heinrich war als Kind so kränklich, daß er nicht die Schule besuchen konnte. Er hatte früh Sehstörungen, dazu kam seit dem 16. Lebensjahr eine immer mehr fortschreitende Taubheit. Trotz langer Kuren in Teplitz blieb er zeitlebens krank, halb taub und seit 1881 völlig blind, ein Autodidakt, aber dadurch ein tiefer Poet und grübelnder Denker. Auch eine Ausbildung als Pianist mußte er in frühen Jahren wegen einer Lähmung aufgeben.

Bereits 1840 und 1841 druckte das „österreichische Morgenblatt“ seine ersten Gedichte. 1843 entstand sein Poem „Abdul“, eine islamische Faustsage in fünf Gesängen, die 1844 publiziert wurde. Um der Zensur zu entgehen und den Schwierigkeiten, die Fürst Metternich im Vormärz den Autoren machte, erschienen weitere Arbeiten unter den Pseudonym Hieronymus Lorm. Im Jahre 1846 übersiedelte Landesmann nach Berlin, wo sein Bruder wohnte, und schrieb nur noch als Hieronymus Lorm, um seine Familie wegen seiner kritischen Einstellung zur restaurativen Politik des Fürsten Metternich nicht zu gefährden. Den Vornamen Hieronymus wählte er nach dem Einsiedler, den Namen Lorm nach seinem Lieblingsroman „De L’orme“ von G. P. James.

1847 erschien sein Buch „Wiens poetische Schwingen und Federn“, in dem er es als hoffnungslos ansah, Lockerungen der Zensurbestimmungen in Österreich zu erwarten.

In Berlin schrieb er regelmäßig für die Zeitschrift „Europa“ in einer eigenen Rubrik „Das literarische Dachstübchen“. 1848 wurden seine Prosasammlung „Gräfenberger Aquarelle“ veröffentlicht.

Im Revolutionsjahr 1848 kehrte Landesmann nach Wien zurück und wurde Mitglied in der Redaktion der „Wiener Zeitung“. Lange Jahre war er der wichtigste Feuilletonist in der Kaiserstadt. Als selbständige Bücher erschienen „Am Kamin“ (Zwei Bände, Berlin 1852), „Erzählungen des Heimgekehrten“ (Prag 1858), „Intimes Leben“ (Prag 1859) und zwei Bände „Novellen“ (Wien 1864). Ein 1855 in der „Presse“ veröffentlichter Fortsetzungsroman „Ein Zögling des Jahres 1848“ erlebte eine Buchauflage in drei Bänden. Dazu kamen Schauspiele, die auch im Wiener Hofburg-Theater aufgeführt wurden, wie „Der Herzensschlüssel“ oder „Die Alten und die Jungen“, das auch den Weg auf die Bühnen in Berlin, Dresden und Karlsruhe fand. Insgesamt umfaßt sein Werk rund 60 Bücher.

Trotz seiner Behinderung heiratete er 1856 Henriette Frankl, mit der er drei Kinder hatte und in Baden bei Wien wohnte. Nach einer Operation besserte sich 1867 sein Sehvermögen etwas. 1873 zog er nach Dresden und 1892 nach Brünn.

Taub und erblindet verbrachte Landesmann seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tode am 30. Dezember 1802 in der mährischen Hauptstadt.

Landesmann ist der Erfinder der Handtastsprache für Blinde, die nach seinem Schriftstellernamen als „Lormsches Fingeralphabet “ bekannt wurde und im ganzen deutschen Sprachraum, auch in der Schweiz, Verwendung fand. So ermöglichte er seinen Leidensgenossen ein Verständigungsmittel, das die Taubblinden wenigstens teilweise aus ihrer völligen Isolierung führte.

Im Gegensatz zu seinen Feuilletons und seinen literaturkritischen Arbeiten fanden die Bühnenwerke Lorms später nur wenig Anklang. In seinen philosophischen Aussagen ist Landesmann stark von Schopenhauer beeinflußt. In seiner Lyrik ist ein Wandel vom Pessimismus zu einem „grundlosen Optimismus“ festzustellen. 1870 war ein Band mit gesammelten Gedichten erschienen, der sieben Auflagen erlebte. 1897 erschien eine weitere Gedichtsammlung „Nachsommer“.

Dazwischen liegen seine philosophischen Werke wie „Philosophisch-kritische Streifzüge“ und „Der grundlose Optimismus“. Auf dem Gebiet der Popularphilosophie hat er bleibendes  hinterlassen. Der behinderte taube und blinde Dichter sieht die Erde als ein Jammertal und entwickelt wie Schopenhauer Gedanken des Buddhismus an das ewige Nichts: „Dem selgen Nichts entstiegen, / Der ewigen Ruh, / Um ruhelos zu fliegen – / Wozu?Wozu?“ Er versucht darauf eine Antwort zu geben: „Eins nur läßt zur Not sich lehren: / Machst du frei dich vom Begehren, / Fällt der Zwang auch der Natur. / Aber nur nach tausend Wunden / Fühlst du in erhobnen Stunden / Solcher Freiheit leise Spur.“ … „Und droht auch Nacht der Schmerzen ganz / Mein Leben zu umfassen, / Ein unvernünftger Sonnenglanz / Will nicht mein Herz verlassen.“

Josef Mühlberger schreibt von ihm: „Lorms Einstellung steht wie sinnbildlich vor einer langen und verbreiteten Entwicklung jüdischer Weltanschauung und Dichtung in dieser Landschaft.“ Mühlberger sieht in Lorms Romanen auch „ganz frühe Vorläufer zu Max Brods Liebesromanen“.

Nach seinem Tode gab Philipp Stein 1905 Lorms „Bekenntnisblätter“ heraus, Ernst Friedegg 1912 seine „Ausgewählten Briefe“.

Lit.: Rudolf Wolkan: Heinrich Landesmann, in: Sudetendeutsche Lebensbilder, Band 1, S. 133–137, Reichenberg 1926. – Josef Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen in den letzten fünfzig Jahren, Kassel 1929. – Karl Kreisler, Hieronymus Lorms Schicksal und Weg, Brünn 1922. – Julian Straub: Hieronymus Lorm, Diss. München 1960. – Michael Frain: Hieronymus Lorm, in: Killy, Literaturlexikon.Autoren und Werke deutscher Sprache, Band 7, S. 349f. – Heinrich Landesmann, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 4, S. 428f.