Biographie

Majut, Rudolf

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Germanist, Schriftsteller
* 13. März 1887 in Wien
† 7. Februar 1981 in Leicester/England

Der am 13. März 1887 in Wien Geborene empfand Schlesien, woher die Familie stammte, als seine Jugendheimat, wie er in der biographischen Skizze „Ad me ipsum“ in der Zeitschrift Schlesien 1965 bekennt, aus der wir auch von dem Zusammensein mit dem „Frühgefährten“, dem Dichter Georg Heym, erfahren. Berlin, wohin die Eltern aus geschäftlichen Gründen zogen, und Greifswald wurden dem Studenten der Germanistik und dem jungen Lehrer zur prägenden Umwelt. Seine Dissertation und frühen Schriften beschäftigen sich mit Georg Büchner. Rudolf Majuts bleibendes Verdienst ist die Einführung des Begriffs „Biedermeier“ in die deutsche Literaturgeschichte 1932.

Mitten in das fruchtbare Schaffen des jungen Gelehrten fiel die Machtübernahme Hitlers; als „Volljude“ wurde Rudolf Majut bereits Ostern 1933 aus dem Schuldienst entlassen. Der fast 50jährige begann, von Lörrach aus, ein Studium der evangelischen Theologie in Basel, wohin er 1938 rechtzeitig und „rechtmäßig“ mit seiner Frau emigrierte, so konnte er seine Habe, vor allem seine große Bibliothek, mitnehmen. Doch die Aufenthaltsgenehmigung in Basel galt nur für den Studenten Dr. Rudolf Majut; als Pfarrer bewarb er sich um eine Stelle im Elsaß, was die Pariser Behörden ablehnten. Die Rettung kam von England; der Bischof von Chichester, Dr. Bell, nahm sich des christlichen Pfarrers jüdischer Abstammung an; Majuts wanderten noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach England aus und erlebten „eine überwältigend großzügige Gastfreundschaft“. Gleichwohl konnte man nicht erwarten, daß eine presbyterianische Gemeinde einen Deutschen sich zum Pfarrer wählte. Rudolf Majut und seine Frau, Dr. Käthe Majut, Mathematikerin, fanden Aufnahme in den Schuldienst. Bald begann der Gelehrte in englischen Zeitschriften zu veröffentlichen, die Universität Leicester ernannte ihn zum „honorary lecturer“, den viele Schüler zum Freund gewannen. Ohne sich nach dem Ende des Krieges zu einer Rückkehr nach Deutschland entschließen zu können, knüpfte er doch bald Kontakte zu früheren wissenschaftlichen Freunden, besonders intensive zu Wolfgang Stammler, in dessen „Aufriß der deutschen Philologie“ Rudolf Majut den ungemein kenntnisreichen Beitrag „Der deutsche Roman vom Biedermeier bis zur Gegenwart“ schrieb. Beide Gelehrte fühlten sich noch für die Einheit der Germanistik verantwortlich: für Sprach- und Literaturwissenschaft. Rudolf Majuts namen- und wortgeschichtliche Untersuchungen gehören in den originellsten Beiträgen dieser Art, erinnert sei an „Nazi, Bazi und Konsorten“ (Zs. f. dt. Philologie 77, 1958) oder an Studentenausdrücke wie „Spritzen und seine Sippe“ (Zs. f. dt. Philologie 96, 1977).

Majuts kontinuierliche Beschäftigung mit deutscher Literatur des 19. Jahrhunderts, auch ihrer Rezeption in England, verdankt die Rückert-Gesellschaft die Studie „Ein englischer Besucher Rückerts. Mit einem Ausblick auf die Aufnahme Rückerts in England und Amerika“. 1973 als erweiterte Ausgabe eines 1966 erschienenen Aufsatzes von der Rückert-Gesellschaft veröffentlicht, enthält de zahlreiche Anregungen für weiterführende komparatistische Forschungen. Die Rezension der Briefe Friedrich Rückerts, die Rudolf Majut 1978 nach schwerer Krankheit schrieb, ist die letzte Publikation des Verstorbenen (Zs. f. dt. Philologie 98, 1979). Es erscheint bezeichnend, daß Majut den „Reichtum edelster Menschlichkeit“ in den Briefen hervorhebt und – das nationale Bekenntnis Rückerts vom 13.12.1835 zitiert: „Ich habe das deutsche Reich zu vertreten, das eben ein bloß ideales ist, ohne Wirkung und Bedeutung in den Königreichen und Fürstentümern.“ Diesem idealen Deutschland bewahrte der Gelehrte zeitlebens die Treue, für dessen geistige Werte wirkte er, unbeirrt von politischen Strömungen und trotz persönlichem Ausgesetztsein. Die Bundesrepublik dankte es ihm durch Verleihung des Bundesverdienstkreuzes anläßlich seines 70. Geburtstages.

Mit Rudolf Majut starb am 7. Februar 1981 ein deutscher Germanist in England, ein national gesinnter Jude, ein gütiger, edler Mensch.

Seine Witwe, Dr. Käthe Majut, hütet nicht nur getreu das Erbe des Gatten, sie erachtet es als Pflicht, auch dessen unveröffentlichte oder längst vergriffene Dichtung vor dem Vergessenwerden zu bewahren, denn „Rudolf Majut war Gelehrter – und Dichter“, schreibt sie mit gutem Recht in der Einführung zur „Gedichtsammlung“, die sie 1984 herausgab. Der 354 Seiten umfassende Band enthält die Ernte dichterischen Schaffens durch viereinhalb Jahrzehnte. In ausdrucksstarken Wortschöpfungen, sehr persönlichen Bekenntnissen und in Gestaltungsprinzipien belegen sie das Bekenntnis Rudolf Majuts zum Expressionismus als „gemeinsame Zeitluft“. Trotz der prägenden Kraft der 20er Jahre verflüchtigt sich sein Schreiben nicht in die Abstraktion; möglicherweise verbot ihm seine literaturwissenschaftliche Forschung den Ausbruch aus festen Formen; daher drängt es ihn ebenso zum strengen Bau der Sonette wie zur Gestaltung von liedhaftem Klang oder gelegentlich zur Elegie. Die Sammlung „Kleine Prosaschriften“ von 1983 enthält Erinnerungen an tragende Persönlichkeiten und eine Novelle aus dem Geist des Mittelalters. Im gleichen Jahr erschien die „Reimchronik“; dem Manuskript hatte Thomas Mann 1945 „den vollen Wert eines dichterischen Zeitdokuments“ bescheinigt. Rudolf Majuts gereimte Schilderung der leidvollen Wegstationen seiner „Wanderschaft“ in die Schweiz, zu mehreren Orten in England entbehren nicht seltsam-humorvoller, auch sarkastischer Töne zu Alltag und Feier in Internierungslager oder Schule, endlich zu Leicester im eigenen Haus und Garten, „Poggfred“ genannt, nach Detlef von Lilienkrons Dichtung. Die geistige Brücke zum Land seiner Herkunft blieb tragfähig, zu ihm bekannte sich Rudolf Majut auch in der Fremde, wie mehrere zwischen 1945 und 1950 entstandene Gedichte bezeugen.

Werke: Nach dem Tod erschienen, hrsg. von Käthe Majut: Reimchronik 1930—1950, Köln 1983; Kleine Prosaschriften 1983; Gedichtsammlung, Köln 1984.

Lit.: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1961.