Biographie

Marwitz, Friedrich August Ludwig von der

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: General, Politiker
* 29. Mai 1777 in Berlin
† 6. Dezember 1837 in Friedersdorf bei Küstrin/Ostbrandenburg

Friedrich August Ludwig von der Marwitz war preußischer Offizier, Gutsbesitzer und Politiker und gilt als Vorläufer der preußischen Konservativen. Seine Anschauungen entstanden in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit. In Berlin am 29. Mai 1777 geboren und aufgewachsen im friederizianisch geprägten Preußen, geriet er in das Spannungsfeld zwischen Alt-Preußentum und Stein-Hardenbergschen Reformen. Verständlich wird sein Denken und Handeln vor dem Hintergrund seiner Herkunft aus dem Junkertum und der Verwurzelung in agrarisch-patriarchalischen Strukturen.

Sein Vater war Kammerherr und Hofmarschall, seine Mutter entstammte einer angesehenen Refugié-Familie. Französisch-rationalistisch erzogen, im Geist gewissenhafter Pflichterfüllung und treuer Ergebenheit gegenüber dem Königshaus, wurden Marwitz Staat und Person Friedrichs des Großen zum Maßstab. Das ländliche Leben auf dem Rittergut Friedersdorf bei Küstrin im Bewußtsein natürlich gewachsener, unlösbarer und gottgegebener Abhängigkeiten von Herr und Untertan formte Marwitz‘ Bild einer ständischen Ordnung.

Im 14. Lebensjahr trat Ludwig v.d. Marwitz in das renommierte Regiment Gens d’armes ein. Er wurde ein hervorragender Reiter und bemühte sich neben dem Dienst zielstrebig um die Verbesserung seiner Bildung. Umfassende Geschichtsstudien verhalfen ihm zu politischen Einsichten und Urteilsvermögen. 1802 quittierte er den Dienst und ließ sich in Friedersdorf nieder, das er nach dem frühen Tod seines Vaters geerbt hatte. Er heiratete Gräfin Fanny Brühl, eine Enkelin des sächsischen Premierministers, die jedoch 1804 nach der Geburt des ersten Kindes starb. Erschüttert und vereinsamt, widmete sich Marwitz ganz der Arbeit auf dem Gut. Er setzte die Schulpflicht für die Kinder seiner Bauern durch und bewies Mut und Unternehmergeist bei der Einführung neuer Methoden in der Landwirtschaft. Fortschrittliches Denken einerseits und Wahrnehmung traditioneller Vorrechte andererseits stellten für Marwitz keinen Widerspruch dar. Als Deputierter der Ritterschaft sah er sich eingebunden in ein ständisches Staatswesen, in dem der Adel, Mittler zwischen Monarch und Volk, seine Privilegien aus dem Grundbesitz herleitete und die ihm „naturgemäße“ Aufgabe der Landesverteidigung wahrnahm, während sich das Bürgertum dem freien Erwerbsstreben widmete. Durch Einflüsse revolutionären und aufklärerischen Gedankenguts wurde diese Ordnung untergraben. Heftig kritisierte er die Unentschlossenheit von König und Regierung angesichts der Bedrohung durch Frankreich und drängte zum Kampf gegen Napoleon. Die Demütigung seines Vaterlandes in der Schlacht von Jena 1806 mochte Marwitz nicht länger untätig hinnehmen. Er stellte ein Freikorps zusammen, dessen Einsatz jedoch der Friede von Tilsit verhinderte. In den folgenden Jahren widmete sich Marwitz den Überlegungen zur Wiederherstellung Preußens einstiger Würde und Größe. In zahlreichen Aufsätzen, Briefen und Denkschriften formulierte er seine Reformvorstellungen. Sie orientierten sich am ständischen Staat, dessen „natürliche“ Ordnung auf den Unterschieden zwischen den einzelnen Ständen beruhte. König und „Stände“ – für Marwitz politisch mit „Adel“ identisch – waren durch Vertrag aneinander gebunden. Der Adel leistete Hof- und Militärdienste und freiwillige Abgaben, der König bestätigte und schützte althergebrachte Rechte.

Die von Stein und Hardenberg eingeleiteten Reformen, Aufhebung der Erbuntertänigkeit, Regulierung des bäuerlichen Grundbesitzes, Gesinde- und Gendarmerieordnung und besonders die Mobilisierung des Grundbesitzes, richteten sich gegen den Adel. Die willkürliche Umgehung der Stände bei der Durchsetzung der Reformen löste eine empörte Opposition aus, deren Sprecher Ludwig v.d. Marwitz wurde. Er protestierte gegen die „Revolutionierung des Vaterlandes, den Krieg der Besitzlosen gegen das Eigentum, der Industrie gegen den Ackerbau, des Beweglichen gegen das Stabile, dessen krassen Materialismus gegen die von Gott eingeführte Ordnung“.

Die scharfe persönliche Auseinandersetzung mit Hardenberg führte schließlich dazu, daß Hardenberg Marwitz fünf Wochen in Festungshaft nahm. Die Opposition zerfiel. Enttäuscht von der geringen Wirkung aller Proteste und dem Versagen seiner adligen Mitstreiter, zog sich Marwitz aus dem öffentlichen Leben zurück, ohne jedoch sein Anliegen aufzugeben.

Napoleons Niederlage in Rußland 1812 war das ersehnte Signal, gegen die Fremdherrschaft aufzubegehren. Marwitz trat wieder in die Armee ein, bewies als Kommandeur einer Landwehrbrigade hohe militärische Fähigkeiten und wurde 1815 mit dem „Pour le mérite“ ausgezeichnet. Die Freiheitskriege hatten Marwitz mit deutsch-nationaler Begeisterung und Hoffnung auf Einigung des „teutschen Vaterlandes“ unter Preußens Führung erfüllt, doch wich die nationale Euphorie zunehmend der Resignation. 1809 hatte Ludwig v. d. Marwitz mit Gräfin Charlotte Moltke eine zweite Ehe geschlossen, aus der acht Kinder hervorgingen. Um nach den kriegsbedingten Vermögensverlusten den Unterhalt für die Familie zu sichern, blieb Marwitz bis 1827 im militärischen Dienst. Er nahm als Generalleutnant seinen Abschied. Seine ständischen Anliegen vertrat er weiterhin als Landtagsdeputierter und als Mitglied des Staatsrates. Die letzten Jahre verbrachte Marwitz zurückgezogen lebend, verbittert und in seinen Standpunkten verhärtet, auf seinem Gut. Seine Gesundheit verschlechterte sich, und er starb am 6. Dezember 1837 in Friedersdorf.

Kennzeichnend für Marwitz‘ Charakter war ein unbeugsames Rechtsempfinden, ein ausgeprägtes Ehrgefühl und ein Verantwortungsbewußtsein, das ihn auch persönliche Härten und Nachteile in Kauf nehmen ließ. In geistiger Nähe zu Burke, Adam Müller und anderen konservativen Staatstheoretikern stehend, bekämpfte er, unerschrocken und zäh bis zur Starrsinnigkeit, Aufklärung und bürgerlichen Liberalismus. Seine persönliche Tragik bestand darin, daß der von ihm ersehnte Wiederaufstieg Preußens erst durch die ihm verhaßten Reformen möglich wurde.

Lit.: Friedrich Meusel (Hrsg.), F.A.L. v. d. Marwitz, 2 Bände, Berlin 1908/1913; Gerhard Ramlow, L. v. d. Marwitz und die Anfänge konservativer Politik und Staatsanschauung in Preußen, Berlin 1930; Walther Kayser, Marwitz, Hamburg 1936; Madelaine v. Buttlar, Die politischen Vorstellungen des F.A.L. v.d. Marwitz, Frankfurt/ M. 1980.

Bild: Zeichnung von Franz Krüger, 1827