Biographie

Maurer, Georg

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Lyriker
* 11. März 1907 in Sächsisch Regen/Siebenbürgen
† 4. August 1971 in Potsdam

Noch immer sind journalistische, essayistische, aber auch wissenschaftlich-germanistische Auseinandersetzungen mit der deutschen Literatur in und aus Rumänien nicht frei vom Schielen nach binnendeutschem Interesse und – manchmal geradezu skandalisierter – Verwunderung darüber, dass dieses Interesse jungen Autoren vorbehalten scheint, während Schriftsteller und Werke der ersten Jahrhunderthälfte und der Nachkriegszeit dem Vergessen anheimgegeben sind. Ein einziger Siebenbürger Sachse dieser an literarischen Talenten und Ambitionen keineswegs armen Generationen ist in Deutschland zu einigem Ruhm und Ehren gelangt, allerdings, muss man sogleich einschränken, nur zu Zeiten der DDR und in derselben, außerdem ohne nennenswerten, auch ihm selbst kaum erwähnenswerten Rückbezug auf die siebenbürgische Herkunft: Georg Maurer.

Geboren ist er 1907 in der nordsiebenbürgischen Kleinstadt Sächsisch Regen in der Familie des Lehrers und Musikers Georg Maurer. 1911 zieht die Familie nach Bukarest um, wo er 1926 das deutsche Realgymnasium der evangelischen Gemeinde Bukarest absolviert. Im gleichen Jahr beginnt er in Leipzig ein Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte, das er 1933 abbricht, um sich als freier Mitarbeiter der Neuen Leipziger Zeitung mit kunst- und kulturtheoretischen Beiträgen sowie Rezensionen ein publizistisches Profil zu erarbeiten. 1940 muss er in Rumänien den Kriegsdienst antreten und gerät 1944 in Gefangenschaft. Aus dem Lager in der Sowjetunion kehrt er direkt nach Leipzig zurück, wo er eine Familie gründet.

Mit kultur- und literaturkritischen Arbeiten und Übersetzungen aus der rumänischen Literatur begründet er seinen literarischen Ruf, der durch das rhythmische Erscheinen von Lyrikbänden (in den Fünfzigern im Schnitt alle zwei Jahre, in den Sechzigern jährlich ein Band) alsbald DDR-notorisch ist. 1955 wird er deshalb zum Leiter desSchöpferischen SeminarsLyrik ans Leipziger Institut für Literatur Johannes Robert Becher berufen und weiterhin mit zahlreichen Preisen und Ehrungen bedacht. 1965 erhält er den Nationalpreis und wird Mitglied der Akademie der Künste der DDR. 1972 stirbt mit Georg Maurer eine Bezugsperson für manchen jüngeren Kollegen und eine Berufungsinstanz in der Auseinandersetzung um die Bedeutung der Literatur in der DDR und der DDR-Literatur überhaupt.

Dermaßen weitgreifende und tiefschürfende Fragen wurden in der Tat immer wieder aufs grundsätzlichste gestellt und in der außergewöhnlich lebendigen literarischen Presse mit einem Engagement diskutiert, das aus heutiger Sicht zumindest weltabgewandt anmutet. Georg Maurers Lyrik und seine Aufsätze zu dieser Diskussion sind exemplarische Produkte einer Zeit, in der Literatur noch „alles“ wollte und die Literaten in dem Glauben gelassen wurden, sie könnten es auch.

Der Kenner und Herausgeber von Maurers Werken, WalfriedHartinger, umreißt diesen Anspruch anhand eines einzigen Gedichtes – ohne alle Rücksicht auf kuriose Überfrachtung:„… es enthält zentrale Fragen zu Wesen und Formen der sozialen Zusammenhänge, zur Stellung des Subjekts in der welthistorischen Auseinandersetzung, zum Verhältnis des Menschen zur Natur und zum wissenschaftlichen Progreß; es provoziert die Diskussion über Determination und Freiheit menschlicher Existenz.“ Mehr kann man eigentlich nicht verlangen. Dabei ist es für Hartinger ebensowenig ein Thema, wie es für Maurer jemals eines war, dass hier ein Verdrängungsmechanismus funktioniert, dass man sich, grob gesagt, in die Tasche gedichtet hat. Der historisch-dialektische Materialismus wollte alle Fragen zu Mensch und Welt, zu Geschichte und Gesellschaft eigentlich längst geklärt und befriedigend erklärt haben. Was da noch an Restzweifeln übrig sein mochte, wurde den Dichtern zugewiesen – oder überlassen, Bauklötze im Laufstall des sozialistischen Literaturbetriebs.

Solche Überspitzung hätten Georg Maurer und seine Kollegen als Beleidigung aufgefasst, und das mit Recht. Zum einen haben sie nämlich nach bestem Wissen und Gewissen gedacht und gedichtet. Davon zeugen die ästhetische Gediegenheit ihrer Verse und die durchdachte Differenziertheit ihrer theoretischen Aussagen. Zum anderen erklärt sich die Begeisterung, mit der die sozialistische Heilslehre von der Kriegsgeneration angenommen und geradezu schmerzlich umklammert gehalten wurde, aus der abgründigen Verzweiflung, in die der Krieg sie gestürzt hatte. Wer die Nazidiktatur und den Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, musste für den Rest seines Lebens unablässig nach Sinn suchen. Das hat Georg Maurer als Dichter und Lehrer getan.

„Durchlässigste der Kreaturen ist der Mensch / Wohnung für alle Fragen.“ In der Befragung des Lebens, des menschlichen Seins hat Maurer seine Berufung als Lyriker beschlossen gesehen. Sein Menschen- und Weltbild ist dabei über Jahrzehnte geprägt gewesen von einer intensiven und dialektisch produktiven Sehnsucht nach Harmonie, deren Spannkraft erst in seinem letzten Gedichtband,Erfahrene Welt, erschlafft und humanistischer Skepsis weicht. Dieser im Jahr seines Todes erschienene Band ist es denn auch, den seine Meisterschüler besonders schätzen. Schließlich gehören Sarah und Rainer Kirsch, Heinz Czechowski, Volker Braun, Karl Mickel oder Bernd Jentzsch einer Dichtergruppe an – ohne jemals eine solche gewesen zu sein –, die in den siebziger Jahren gezwungen wurde, der eigenen Jugendutopie zu entraten, wollten sie nicht Identität und Integrität aufs Spiel setzen.

Auch das Verhältnis des Meisters zu dieser Utopie war beileibe kein unbeschwertes, und er hat es sich niemals leichtgemacht beim Schreiben im – und implizite für den – real existierenden Sozialismus. Es gibt keinen Text aus Georg Maurers Feder, der sich zu Agitprop-Zwecken missbrauchen ließe. Die nach kommunistischen Begriffen hof- und zitierfähigen Zeilen mögen den zitatbedürftigen Hofhaltenden und Höflingen auch nur so lange genehm geklungen haben, als sie als Losungen aus dem widersprüchlich ausdifferenzierten Kontext gerissen wurden. Maurers Werk ist ein keineswegs leicht zugängliches, vielmehr ein anspruchsvolles und komplex strukturiertes Produkt in der reichen Tradition deutscher Gedankenlyrik von Klopstock über Goethe und Hölderlin bis zu Rilke.

Selbst stilistisch weicht der würdige Erbe nur insofern von der Linie der Vorgänger ab, als sein Pathos, zu dem er sich durchaus bekennt, streckenweise, zumal in dem gerade deshalb auch heute noch besonders beliebten Dreistrophenkalender, sinnlich-sachlich verfremdet wird und eine freundlich augenzwinkernde Naturbeobachtung der „Welthaltigkeit“ dieser Texte zugute kommt. Die Mehrzahl der Maurerschen Gedichte jedoch ist von klassischer, nicht selten hymnischer Prägung: Sprache im hochgradig kultivierten Ausnahmezustand. Diesem Zustand entspricht die Gestaltung, ja Durchgestaltung ganzer Gedichtzyklen als Vehikel von erkenntnistheoretischer und existentieller Tragweite mit höchstem ästhetischen Anspruch: Lyrik eben, die alles will.

Grundfragen nach dem Verhältnis des Menschen zu Gott und dessen Gefährdung durch das als „Dämon“ umschriebene politische Böse stellen schon die Hymnen in Gesänge der Zeit (1948). DieSonettedesselben Bandes verzichten erstmals auf religiöse Gegenbilder zur historischen Wirklichkeit, „Gott“ wird als „Arbeiter“ identifiziert und verweltlicht. Hinfort verzichtet Maurer auf eine übergeordnete Instanz und thematisiert in seinem Zyklus Bewußtsein (1950) das„Sich-selbst-entgegenstellen-Können“ des Menschen als eigentlichen moralischen Akt, der Läuterung zu bewirken vermag, so dass „das Thema Bewußtsein … zurückgedrängt wird von dem Thema Leben, das immer fröhlicher und mutwilliger hervortritt“. Dem „Thema Leben“ ist der Dreistrophenkalender von 1950/1951 gewidmet, der bezeichnenderweise erst 1961 erscheinen konnte. Ein Beispiel dieser für Maurersche Begriffe unbekümmert vitalistischen Dichtung hilft ermessen, innerhalb welcher Spanne und unter welcher Spannung dieses lyrische Werk entstanden ist: „So! sagt der Himmel zu der Wiese. / Jetzt legen wir uns auf den Bauch. / Du schreibst noch ein paar Grüße / und ich – ich unterzeichne auch. // Dann aber haben wir genug getan. – / Die Wiese schaut den Himmel an / und sagt: unendlich lieb ich dich / und ohne dich – was wäre ich. // Der Himmel aber wirft sich weit / über das weiche Wiesenkleid: / Was wäre all mein blaues Mühn, / blieb’s ungestillt von deinem Grün.“

Als „gedankenschwere Selbstgespräche“ (Wolfgang Emmerich) kommen dafür die drei TeilzyklenBekenntnis,Aufbruch und Das neue Wort der Zweiundvierzig Sonette (1953) daher. Allerdings dürfte die fast gewaltsame Dynamik, mit der hier Mensch, Natur und Gesellschaft zu einem System zusammengefügt und in Einklang gebracht werden, den heutigen Leser zumindest befremden:„Die Wiesen stürmen ohne alle Grenzen / von hier bis in die Ukraine hin“! Vollends „Bildungsdichtung“ (Emmerich) mit dem Ehrgeiz einer allumfassenden„Systematisierung“ (Hartinger) von Naturkräften, Kunst, Eros und Arbeit enthält der Zyklus Die Elemente (1955).

Nach einer Art lyrischer Reportagen über Reisen durch die DDR und durch die Bundesrepublik (apostrophiert als „Mahnende Heimat“) wendet sich Maurer in Lob der Venus (1956), Gestalten der Liebe und Gedanken der Liebe (1963) dieser zu, wobei er nicht allein ein zwischenmenschliches, sondern nach Hartinger ein „Weltverhältnis“ poetisch zu gestalten versucht. „Die Türe der Geliebten / bewegt sich in den Angeln der Welt“, heißt es inGestalten der Liebe.

In dem 1961/1962 entstandenen Zyklus Das Unsere führt Georg Maurer alle seine Fragen zusammen und wiederum im Zeichen der „Liebe“ und der „Arbeit“ einer nach Kräften harmonischen Lösung zu. In den zyklischen Dichtungen seines letzten Jahrzehnts schließlich„erprobt und überprüft Maurer die so errungene Weltsicht und poetische Methode“, wie das Walfried Hartinger noch 1972 mit der verbalen Verve eines Rechenschaftsberichts verzeichnet.

Derselbe verdienstvolle Maurer-Exeget glaubt 20 Jahre später, seine Wertschätzung für den Dichter gegen nachwendliche Besserwisserei verteidigen zu müssen, die von Westkritikern wie Fritz J. Raddatz („angelesene Revolution“) oder dem schon zitierten Wolfgang Emmerich schon in den Siebzigern despektierlicherweise vorweggenommen worden war:„Verkürzungen sind im Werk (von Georg Maurer – Anm. G. A.)dort nicht zu übersehen, wo ein vielleicht noch nicht oder auch nie zu erreichendes Befinden als schon Vollzogenes erscheint, wo, insbesondere durch den zyklischen Zusammenhang der meisten seiner Dichtungen bedingt, beunruhigende Signale und widersprechende Beobachtungen des Einzelgedichts im Zusammenklang aller Dichtungsteile aufgehoben werden.“ Der Rechtfertigungskrampf zieht sich schmerzlich bis in die Begriffe („noch nicht oder auch nie zu erreichendes Befinden“,„Zusammenklang aller Dichtungsteile“).

Es ist ein kleiner Trost, dass Georg Maurer solche Apologie nicht braucht. Hat er selbst sich doch von der „Welt“ den Kopf zurechtsetzen lassen: „Schrei mir das Ohr nicht voll wie’n Klageweib! / Du bist Poet. Blas dich nicht auf!“ (Gespräche) Und die Bescheidenheit, auf die er sich hier sozusagen selbst einschwört, ist schließlich der Grund und Boden für die Glaubwürdigkeit dieses Dichters, jenseits aller zeitgeschichtlich bedingten Leichtgläubigkeit und harmoniebeflissenen Verstiegenheit.

Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass eine Triebkraft des streckenweise welterklärerisch hoch angesetzten Impetus von Georg Maurers Poesie paradoxerweise gerade mit seiner Herkunft aus einer siebenbürgischen Kleinstadt zusammenhängt. Deutsch war ihm von Kind auf nicht als Umgangssprache geläufig, denn die Prosa des Alltags in seiner Umgebung wurde in der altertümlichen sächsischen Mundart oder auf rumänisch oder ungarisch abgehandelt. So wird die deutsche Hochsprache für ihn von Anfang an mit einer Aura des Bildungsträchtigen, des Bedeutsamen umgeben gewesen sein. Solcher Bedeutung zu genügen ist das Bemühen, das Maurers Dichtung hat reifen lassen, dem aber auch manches aus heutiger Sicht Bemühte entsprungen ist. Letzteres ließ sich wohl auch schwer vermeiden, wollte der Dichter, wie Walfried Hartinger das formuliert,„im grundsätzlichen unbeirrt“ bleiben „von wechselnden kulturpolitischen Strategien und politischem Druck“. Die Kunst von Georg Maurer aber erreicht ihre Höhepunkte in jenen Gedichten, in denen er sein oft „an-gelesenes“ Erlebnis nicht zur Weltsicht transzendiert, sondern an wirklich irdischen Bildern „festmacht“.Hier das Gedicht Aber die Welt aus jenem Nachkriegsjahr, in welchem Hoffnung und Verzweiflung in Europa einander wahrscheinlich am nächsten kamen, 1968:„Wär ich Kassandra, sagt’ ich: laßt alle Hoffnungen fahren! / Aber wir sind nicht hoffnungslos. Das Leid nimmt uns ernst. / Das versinkende Schiff und das zerschellende Flugzeug / geben denUnglücklichen einen Begriff von sich. / Erlöschend begreifen wir uns. Wer sein Haupt legt auf den Block / für uns, ist unsere Wirklichkeit, der wir versuchen / auszuweichen. Aber die Welt braucht uns. / Wie soll ein Blütenbaum schön sein ohne uns.“

Bild:Reiner Heim, Flöha.