Biographie

Medem, Dorothea Gräfin von

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Herzogin von Kurland
* 3. Februar 1761 in Mesoten/Kurland
† 20. August 1821 in Löbichau/Thüringen

Es war der 6. November 1779: Herzog Peter von Kurland hatte zu einem Konzert und einem festlichen Abendessen geladen. Man begab sich in den Festsaal des Schlosses – aber zu einem Konzert schien er nicht gerichtet zu sein. Plötzlich sprang die Tür auf, Herzog Peter stand mit seiner Mutter vor den Gästen und verkündete, dass mit Hilfe dieser kleinen List die Gäste zu einer Feierlichkeit geladen worden seien, die bis jetzt unter strengster Geheimhaltung hätte stehen müssen: Er werde sich in wenigen Minuten vermählen – mit einer Tochter seines Landes, mit Dorothea, Gräfin von Medem.

Bis die Gäste sich gefasst hatten, war die Trauung vollzogen. Jedem Gast war klar, warum sich der Herzog zu solchen Heimlichkeiten gezwungen sah: Die junge Dorothea war seine dritte Gemahlin, von zwei anderen hatte er sich scheiden lassen. Mit der ersten Herzogin hatte es dabei keine Schwierigkeiten gegeben, aber die Scheidung von der zweiten wurde in deren russischen Heimat nicht anerkannt. Peter brauchte aber einen Thron­erben, also musste er wieder heiraten. Um diese politischen Spannungen zu vermeiden, wurde die Blitzhochzeit voll­zogen.

Anna Dorothea war das erste Kind von Johann Friedrich Reichsgraf von Medem und seiner zweiten Frau Luise Charlotte; sie wurde am 3. Februar 1761 im kurländischen Mesoten geboren. Dorotheas Mutter starb, als die Kleine gerade zwei Jahre alt war. Ihre Stiefmutter aber, die der Vater vier Jahre später heiratete, liebte Dorothea wie ein eigenes Kind, erzog sie selbst und förderte ihr künstlerisches Talent nach Kräften.

Im Herbst 1778 war Herzog Peter von Kurland von seiner zweiten Gemahlin geschieden worden und suchte bald nach einer dritten, die ihm den lang ersehnten Sohn schenken würde. Seine Wahl fiel auf die hübsche Dorothea von Medem. Dorothea war geschmeichelt über den Antrag des Herzogs. Sie würde mit Freuden Herzogin werden, auch wenn das Gefühl, das sie für Peter hegte, ganz gewiss nicht Liebe genannt werden konnte: Peter war 37 Jahre älter als sie – was konnte er mehr von ihr erwarten als Achtung und Zuneigung?

Am Hofe und beim Volk war die junge Herzogin beliebt. Ihre erste Schwangerschaft wurde mit großer Freude aufgenommen; und auch, als Dorothea am 8. Februar 1781 mit ihrer Tochter Wilhelmine niederkam, jubelte das Volk. Schon im nächsten Jahr, am 19. Februar 1782, bekam sie eine Schwester, die Pauline getauft wurde. Ihre dritte Tochter Johanna brachte Dorothea am 24. Juni 1783 zur Welt.

Die politische Situation im Herzogtum spitzte sich zu und der Herzog entschied sich, sich mit Dorothea und der kleinen Wilhelmine auf eine ausgedehnte Italienreise zu begeben. Sie kehrten erst im Herbst 1786 wieder nach Kurland zurück.

Dorothea war guter Hoffnung, und der Jubel kannte keine Grenzen, als sie am 23. Februar 1787 dem Thronerben das Leben schenkte, der in der Taufe den Namen Peter erhielt. Schon ein Jahr später, im Januar 1788, bekam Dorothea ihre Tochter Charlotte.

Dorothea war jetzt 27 Jahre alt, unternehmungslustig und fröhlich; der Herzog stand im 65. Lebensjahr und kränkelte oft. Dorothea, die schon früher viel und gern gereist war, begann, aus Kurland zu fliehen. Sie machte Badereisen, ging ins Theater und auf Bälle, wurde von jungen Kavalieren umschwärmt. Sie genoss dieses Leben – an ihre kleinen Kinder dachte sie nur wenig.

Dennoch traf es sie tief, als ihr im April 1790 die Nachricht vom plötzlichen Tod ihres Sohnes überbracht wurde. Er war ihre und Kurlands Hoffnung gewesen – mit ihm ging dahin, was sie noch an den Herzog band. Dorothea war wieder auf Reisen, als ein Jahr später ihre kleine Tochter Charlotte an einem Fieber starb.

Wieder reiste sie, aber irgendwann besann sie sich auf Kurland: Es ging ihr nicht darum, dem Herzog zu helfen, sondern dem Land. Dorothea versuchte, das Herzogshaus mit dem rebellischen Adel zu versöhnen; sie korrespondierte mit Zarin Katharina II. und führte in Warschau und Petersburg Verhandlungen. In dieser Situation wurde die Herzogin wieder schwanger. In Berlin schenkte sie am 21. August 1793 ihrer Tochter Dorothea das Leben.

1795 musste Peter endgültig das kurländische Herzogtum an Russland zurückgeben. Er erhielt von der Zarin eine großzügige Abfindung, verließ Kurland für immer und begab sich nach Schlesien, wo ihm das Herzogtum Sagan gehörte. Die ganze Familie versammelte sich dort, aber lange hielt es Dorothea im Saganer Schloss nicht aus – wieder reiste sie.

Im Jahre 1796 kaufte sie das thüringische Rittergut Löbichau, auf dem sie künftig viele Monate des Jahres verbrachte. Sie nahm ihre Aufgabe als Gutsherrin ernst, stellte nur Bewohner des Dorfes zur Renovierung und Instandhaltung des Anwesens ein; setzte den Ärmsten unter ihnen eine regelmäßige Zuwendung aus und kaufte moderne Schulbücher.

Dorothea war nur selten bei ihrer Familie in Sagan, aber im Winter 1799 wurde sie nach Hause gerufen: Es hatte einen Skandal mit einer der Prinzessinnen gegeben und außerdem lag der Herzog im Sterben …

Peter war schwer erkrankt, und am 12. Januar 1800 starb er. Dorothea kümmerte sich um eine würdige Beisetzung und widmete sich zum ersten Mal ihren älteren Töchtern. Johanna war vor ein paar Wochen mit einem Musiker aus der Hofkapelle ihres Vaters durchgebrannt; er hatte sie mittellos und schwan­ger in Erfurt sitzengelassen, wo sie von preußischen Offizieren gefunden und wieder nach Sagan zurückgebracht worden war. Dorothea schaffte es, Johanna durch eine passende Heirat gesellschaftlich zu rehabilitieren, und arrangierte auch Ehen für ihre beiden anderen Töchter.

Jetzt konnte die Herzogin wieder ihren eigenen Neigungen nachgehen: Sie begab sich mit der kleinen Dorothea auf Reisen, und immer wieder verbrachten Mutter und Tochter einige Monate in Berlin. Im Jahre 1806 sah sie sich durch Erbangelegenheiten veranlasst, nach Petersburg zu fahren – zum ersten Mal betrat sie unterwegs wieder kurländischen Boden, und sie wurde jubelnd begrüßt.

Dorothea verkehrte mit den Großen ihrer Zeit; Zar Alexander I. von Russland war bei ihr in Löbichau genauso wie der mächtige französische Staatsmann Herzog Charles Maurice von Talley­rand zu Gast. Zwischen Talleyrand und der Herzogin entspann sich ein heimliches Liebesverhältnis, und als er sie für seinen Neffen um die Hand ihrer jüngsten Tochter bat, sagte sie ohne Umschweife zu.

Anfang des Jahres 1821 begann Dorothea zu kränkeln. Schwere Fieberanfälle und krampfartige Schmerzen kehrten immer wieder zurück. In den Morgenstunden des 18. August 1821 erlitt sie einen Gehirnschlag – mehr als 40 Stunden rang sie mit dem Tode, dann hatte Dorothea verloren: Am 20. August 1821 starb sie auf ihrem Löbichauer Schloss. Bestattet wurde sie in einer Kapelle auf ihrem Anwesen, die sie selbst als ihre Begräbnisstätte hatte errichten lassen.

Lit.: Clemens Brühl, Die Sagan. Das Leben der Herzogin Wilhelmine von Sagan, Prinzessin von Kurland, Berlin 1941. (Enthält auch Informationen über Dorothea). – Katherine Kleikamp, Das letzte Jahrhundert des Herzogtums Sagan, in: Schlesien 14 (1969) Heft 4, S. 206-209. – Christoph August Tiedge, Anna Charlotte Dorothea, letzte Herzogin von Kurland, Leipzig 1823. – Eva Wodarz-Eichner, „Ich will wirken in dieser Zeit…“ Bedeutende Frauen aus acht Jahrhunderten. 52 Kurzbiographien, Bonn 2. Auflage 2008, S. 127-134.

Bild: Porträt von Angelika Kauffmann 1785, Kopie Museum Burg Posterstein.

Eva Wodarz-Eichner