Biographie

Mehring, Franz

Herkunft: Pommern
Beruf: Historiker, Publizist
* 27. Februar 1846 in Schlawe/Pommern
† 28. Januar 1919 in Berlin-Grunewald

Nach Franz Mehring ist noch heute eine beträchtliche Anzahl von Straßen, Plätzen, aber auch Schulen und ähnlichen Einrichtungen benannt. Fragt man allerdings nach, an wen da eigentlich erinnert wird, so fallen die Antworten unterschiedlich aus: Auf der sicherlich vielbesuchten Internetseite des Deutschen Historischen Museums, genauer im Lebendigen Museum online, firmiert Mehring eindeutig als „Journalist“. Das dtv-Taschenlexikon rubriziert ihn als „deutschen Politiker und Publizisten“. Die Deutsche Biographische Enzyklopädie hält es für angebracht, die Reihenfolge zu tauschen: „Publizist, Politiker“. Die Brockhaus-Enzyklopädie (17. Aufl. von 1971) betrachtet Mehring als „Politiker und Schriftsteller“. Die Neue Deutsche Biographie vermerkt hinter Mehrings Namen „Journalist, Historiker“. Und das Online-Lexikon Wikipedia schließ­lich bezeichnet Mehring vorsichtshalber gleich als Publizisten, Politiker und Historiker.

Franz Mehring wird also meist gleich mehreren Berufsgruppen zugerechnet – allerdings tun sich die Historiker noch immer schwer damit, ihn eindeutig als einen der Ihren anzuerkennen. Bezeichnenderweise bemerkten die beiden Autorinnen in einem 1972 erschienenen Sammelwerk über „Deutsche Historiker“ gleich eingangs, es sei „problematisch“, Mehring„unter den hier behandelten deutschen Historikern zu subsumieren und ihn gleichzeitig mit den Vertretern der etablierten Historikerzunft abzuhandeln.“. Die Unsicherheit hinsichtlich der Berechtigung der Aufnahme Mehrings in den Kreis der hier Gewürdigten (unter denen sich in besagtem Band immerhin noch Georg Gottfried Gervinus und Friedrich Christoph Dahlmann befinden) wird zudem damit begründet, dass bezüglich der kritischen Rezeption der von Mehring repräsentierten historiographischen Richtung „die eigentliche Arbeit in der Geschichtswissenschaft noch zu tun“ sei. Ein vergleichbares Nach­schlagewerk, das Historikerlexikon, kommt ganz ähnlich zu dem Schluß, dass die Auseinandersetzung mit Mehring „noch kaum begonnen“ habe – nur liegen zwischen beiden Einschätzungen 30 Jahre, in denen die Forschung Zeit hatte, sich mit Mehrings Schaffen auseinanderzusetzen. Das ist freilich weitestgehend unterblieben.

Vermutlich hat dies vor allem mit zwei Faktoren zu tun: Einerseits gehörte Franz Mehring zu Lebzeiten niemals dem akademischen Establishment der Historiker an, will heißen, er trat nie in den Kreis der an den Universitäten lehrenden Ordinarien oder wenigstens Extraordinarien ein. Damit war ihm von vornherein in der Selbstwahrnehmung der „Zunft“ der Historiker allenfalls eine randständige Position beschieden. In die Riege der Professoren aufzusteigen freilich hatte Mehring aufgrund seiner politischen Gesinnung, unabhängig von der Qualität seiner historischen Arbeiten, keine Chance. Dazu waren die Reihen der so gut wie ausnahmslos konservativ oder wenigstens nationalliberal eingestellten Historiker des deutschen Kaiserreichs gegenüber einem bekennenden Anhänger der Sozialdemokratie wie Mehring viel zu dicht geschlossen. Ein Sozialdemokrat als Inhaber eines Lehrstuhls für Geschichte war vor 1918 in Deutschland einfach undenkbar, selbst nach 1891 als die SPD nach dem Auslaufen des Sozialistengesetzes wieder legal tätig werden durfte. Zum anderen hat der geringe Grad der Beschäftigung mit Mehring in den letzten Jahren wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass zwischenzeitlich die DDR untergegangen ist und damit der deutsche Staat, der Mehring entschieden zu seinen weltanschaulichen Wegbereitern zählte, ja der dafür gesorgt hat, dass er überhaupt erst als für die wissenschaftliche Geschichtsschreibung bedeutsam wahrgenommen wurde. Mehring wurde nämlich nach 1945 sehr rasch von den in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) an die Macht beförderten deutschen Kommunisten zu einem der Urväter der marxistisch inspirierten Geschichtsschreibung in Deutschland erhoben – zu einem der raren Vorfahren also, auf die sich eine ideologisch grundlegend neu ausgerichtete und nunmehr in Anbetracht der veränderten Machtverhältnisse auch an den Hochschulen zwischen Oder und Elbe installierte Geschichtswissenschaft berufen konnte. Noch vor der Gründung der DDR wurden einzelne Schriften Mehrings in der SBZ wiederaufgelegt, seit 1960 erschien dann dort eine insgesamt 15-bändige Werkausgabe, die bis Mitte der 1980er Jahre noch zwei weitere Auflagen erlebte. Und eine der bedeutendsten akademischen Einrichtungen im SED-Staat, nämlich das Institut für Marxismus-Leninismus an der traditionsreichen Leipziger Universität erhielt Mehrings Namen.

Franz Mehrings Herkunft schien ihn allerdings zunächst kaum dazu zu prädestinieren, der Vorzeige-Historiker der deutschen Kommunisten zu werden. Durchaus kein „Proletarier“, wurde er im Februar 1846 im pommernschen Schlawe als Sohn eines höheren preußischen Beamten und ehemaligen Offiziers geboren. Das protestantisch geprägte, bürgerliche Elternhaus ermöglichte ihm höhere Schulbildung und Studium. Im Jahre 1866 begann Franz Mehring in Leipzig Klassische Philologie und Geschichte zu studieren, später wechselte er an die Berliner Universität. Während des Studiums begann Mehrings Annäherung an demokratische Positionen. In Berlin trat er, ohne das Studium förmlich beendet zu haben, in eine journalistische Laufbahn ein. Mehring arbeitete in den folgenden Jahren für verschiedene linksliberale und bürgerlich-demokratische Blätter. Ende der 1870er Jahre las Mehring die Schriften von Karl Marx, die tiefen Eindruck auf ihn machten. Zugleich war er ein entschiedener Gegner der Repressionspolitik, die Reichskanzler Otto von Bismarck mit Hilfe des 1878 verabschiedeten „Sozialistengesetzes“ gegen die Sozialdemokratie betrieb. Im linksbürgerlichen Lager immer wieder in Fehden verstrickt, in denen politische Differenzen mit persönlichen Animositäten einhergingen, wechselte Mehring 1891 zur gerade wieder aus der Illegalität auftauchenden Sozialdemokratie.

Einmal bei der SPD angekommen, avancierte Mehring hier rasch zu einem der einflussreichsten Journalisten. Von 1902 bis 1907 fungierte er als Chefredakteur der bedeutenden „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ), zugleich schrieb er für den „Vorwärts“ und andere sozialdemokratische Blätter. Die kurzzeitige enge Zusammenarbeit mit Rosa Luxemburg in der Redaktion der LVZ endete im persönlichen Eklat, obwohl sich beide im langwierigen „Revisionismusstreit“ um den richtigen Kurs der Partei auf den linken Flügel der SPD schlugen. Später haben Luxemburg und Mehring in Anbetracht ihrer politischen Übereinstimmung wieder gemeinsam agiert. So waren sie parallel an der Zentralen Parteischule der SPD in Berlin tätig: Mehring lehrte dort seit 1906 Geschichte, Luxemburg seit 1907 Nationalökonomie. Im Zusammenhang mit seiner parteiinternen Lehr­tätigkeit entstand auch eine Reihe seiner historischen Abhandlungen, darunter die Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters. Ein Leitfaden für Lehrende und Lernende (1910). Bereits zuvor hatte Mehring seine zweibändige Geschichte der deutschen Sozialdemokratie (1898) veröffentlicht. Lange Jahre arbeitete er an einer Biographie über Karl Marx, die erst 1918 erschien. Als erste Lebensbeschreibung mit wissenschaftlichem Anspruch, die Marx gewidmet war, übt sie bis heute Einfluß aus. Neben seinen historischen Arbeiten verfasste Mehring auch eine Vielzahl von literaturwissenschaftlichen Schriften.

Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und sich danach der Streit innerhalb der deutschen Sozialdemokratie über die Haltung der Partei zum Krieg zuspitzte, blieb Mehring an der Seite Luxemburgs und Karl Liebknechts, welche das Eingehen Friedrich Eberts und anderer auf die „Burgfriedenspolitik“ ablehnten. Im Frühjahr 1916 gehörte Mehring zu den Mitgründern der „Spartakus“-Gruppe. Sein Eintreten für die Ziele der linksradikalen Opposition trug dem mittlerweile 70-jährigen Mehring im August 1916 einen Gefängnisaufenthalt ein, erst gegen Jahresende wurde er wieder entlassen. Bald darauf wurde Mehring bei der durch die andauernde Inhaftierung Karl Liebknechts notwendig werdenden Nachwahl zum Preußischen Abgeordnetenhaus an dessen Stelle gewählt. Damit erhielt er das einzige parlamentarische Mandat seines Lebens; der Versuch, auch Liebknechts Reichstagssitz zu erwerben, scheiterte.

Der überraschende Erfolg der Bolschewiki um Wladimir I. Lenin im Verlauf der russischen Revolution seit dem Herbst 1917 wurde von Mehring nachdrücklich begrüßt. In einem längeren Beitrag für die LVZ bezeichnete es Mehring im Frühsommer 1918 als vordringliche Aufgabe der deutschen Sozialdemokratie, die Bolschewiki rückhaltlos zu unterstützen. Als im November 1918 Luxemburg und Liebknecht endlich freikamen, gehörte Mehring mit ihnen zu denjenigen, die nun endlich eine eigene linke Partei gründen wollten. An den Vorbereitungen zum Gründungsparteitag der KPD (30. Dezember 1918 – 1. Januar 1919) nahm Franz Mehring noch teil, bei dessen Beratungen selbst konnte er, gesundheitlich geschwächt, nicht mehr zugegen sein. Die Nachrichten von der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts am 15. Januar 1919 und von der brutalen Niederschlagung des sogenannten „Spartakus-Auf­standes“ haben Franz Mehrings letzte Lebenstage verdüstert. Er starb am 28. Januar 1919 in einem Berliner Sanatorium.

Sieben Jahre nach seinem Tod, im Juni 1926, wurden Mehrings sterbliche Überreste auf den „Sozialistenfriedhof“ in Berlin-Friedrichsfelde umgebettet. Dort waren auch Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und andere Opfer der gewaltsamen Ereignisse im Januar 1919 beigesetzt worden. Unmittelbar nach Mehrings Umbettung weihte die KPD ihr bei den Gräbern errichtetes „Revolutionsdenkmal“ ein. Dieses wurde von den Nationalsozialisten 1935 abgerissen, die Gräber später eingeebnet. Nach der Gründung der DDR sorgte Wilhelm Pieck, seinerseits KPD-Funktionär der ersten Stunde und nunmehr Staatspräsident, für die Errichtung der „Gedenkstätte der Sozialisten“ am Ort des früheren Revolutionsdenkmals. Franz Mehrings Stellenwert in der von der SED-Führung postulierten Traditionslinie wird noch einmal deutlich durch die Platzierung seines Grabes im „Inneren Rondell“: Dort ruhen bis heute nur 10 Personen – außer Mehring, Luxemburg und Liebknecht sind es die vom NS-Regime ermordeten KPD-Spitzenfunktionäre Ernst Thälmann und John Schehr, die DDR-Gründer Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht sowie die Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid und Franz Künstler, die beide ihrerseits durch das NS-Regime umkamen. Bis 1989 fanden dort im Januar alljährlich von der SED sorgfältig inszenierte „Massenkundgebungen“ statt. Auch im Januar 2010 ließ es sich die Führung der Linkspartei nicht nehmen, die Pilgerstätte aufzusuchen, freilich mit überschaubarer Gefolgschaft.

Mehring starb früh genug, um nicht durch eine Mitgliedschaft in der KPD, die alsbald in das totalitäre Fahrwasser ihrer Moskauer Lehrmeister geriet, diskreditiert zu werden. Mögen also Plätze und Straßen nach ihm benannt bleiben – ein bewusstes Gedenken an Franz Mehring ist allemal ein Lehrstück für die unterschiedlichen Konjunkturen der deutschen Geschichtspolitik im 20. Jahrhundert.

Lit.: Franz Mehring, Gesammelte Schriften, hrsg. v. Thomas Höhle u.a., 15 Bde., Berlin 1960-1966. – Helga Grebing/ Monika Kramme, Franz Mehring, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Bd. V, Göttingen 1972, S. 73-94. – Luise Schorn-Schütte, Mehring, Franz (1846-1919), in: Rüdiger vom Bruch/ Rainer A. Müller (Hrsg.), Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. überarb. u. erw. Aufl., München 2002, S. 216-217. – Manfred Asendorf, Mehring, Franz, in: Ders., Rolf von Bockel (Hrsg.), Demokratische Wege. Ein biographisches Lexikon, Sondersausgabe, Stuttgart/ Weimar 2006, S. 421f.

Bild: Archiv der Kulturstiftung.