„Boris Meissner ist nicht nur zum großen Anreger der ostwissenschaftlichen Forschung und insbesondere der Ostrechtsforschung geworden, sondern sein Name ist mit ihr untrennbar verbunden“. Diese Feststellung steht in der Laudatio, mit der Meissner als neues Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften 1981 geehrt wurde. Die Rechtswissenschaften und die tiefgehende Kenntnis des Ostens und seiner Menschen sind Meissner bereits in seinem deutschbaltischen Elternhaus vertraut geworden. Sein Vater war Richter in der westrussischen Stadt Pleskau (Pskow), aus der die Familie nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches nach Estland zurückkehrte, wo der junge Boris in Pernau aufwuchs.
Das Studium der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften begann er 1932 an der Universität Dorpat, wo er den Grad des Dipl. rer. oec. erwarb, und das er nach der Umsiedlung 1940 an der Universität Posen mit dem juristischen Staatsexamen abschloß. Nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft folgte die Promotion zum Dr. jur. an der Universität Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn führte Meissner von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Hamburg seit 1946 auf das Ordinariat für Ostrecht, Politik und Soziologie Osteuropas 195S an der Universität Kiel und schließlich 1964 an die Universität Köln, wo er bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Ostrecht bekleidete.
Nicht nur mit seiner Lehrtätigkeit hat Meissner für einen wissenschaftlichen Neubeginn der deutschen Ostforschung gesorgt, für die aus seiner Schule eine Reihe jüngerer Lehrstuhlinhaber an deutschen Universitäten gekommen ist, auf ihn geht auch eine breit gefächerte institutionelle Grundlage dieses Forschungsgebietes zurück. Dazu gehören das Kieler Seminar für Politik, Gesellschaft und Recht Osteuropas, das Kölner Institut für Ostrecht und das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Überhaupt ist die Liste der Institutionen lang, in denen Meissner leitend oder beratend tätig war oder ist: Lenkungsausschuß des Arbeitskreises für Ost-West-Fragen beim Auswärtigen Amt, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Göttinger Arbeitskreis, Carl-Schirren-Gesellschaft, Georg-Dehio-Gesellschaft, Karl-Ernst-von Baer-Stiftung, Baltische Historische Kommission, Baltische Gesellschaft in Deutschland, Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe, Internationales Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus, Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, Studiengruppe für gegenwartsbezogene Baltikumsforschung, Ostkolleg in Köln. Meissners Sachkenntnis war auch im Auswärtigen Amt gefragt, dem er von 1953 ab angehört hat. Die ersten drei Jahre leitete er das Referat Sowjetunion, von 1956 bis 1958 war er erster Botschaftssekretär an der Deutschen Botschaft in Moskau, um dann bis 1959 das Strukturreferat der Ostabteilung des Amtes in Bonn zu leiten. In diesen Positionen war er sowohl an Adenauers Verhandlungen 1955 in Moskau als auch an sämtlichen Deutschlandkonferenzen der Jahre 1954 bis 1959 beteiligt.
Diese Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und diplomatischer Erfahrung hat Meissners Persönlichkeit geprägt. Ihr Verhältnis zueinander hat er wie folgt beschrieben: „Die Politik wird stets ihre Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen haben. Sie wird aber nur dann erfolgreich sein können, wenn sie die Erkenntnisse der Wissenschaft gebührend zur Kenntnis nimmt und sie in hinreichendem Maß« berücksichtigt“.
Für seine Verdienste beim Aufbau der Ostforschung wurde Meissner 1969 mit dem Bundesverdienstkreuz I. Kl. ausgezeichnet. Der „Bund der Vertriebenen“ würdigte sein Eintreten für eine gerechte Lösung der Deutschlandfrage mit der „Plakette für Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht“.
Werke: (ausgewählt): Rußland im Umbruch. Der Wandel in der Herrschaftsordnung und sozialen Struktur der Sowjetunion, 1951; Die Internationale Arbeitsorganisation, 1952; Rußland, die Westmächte und Deutschland. Die sowjetische Deutschlandpolitik 1943-1953,1953; Die Kommunistische Partei der Sowjetunion vor und nach dem Tode Stalins, 1954; Das Ostpack-System, 1955; Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, 1956; Sowjetrußland zwischen Revolution und Restauration, 1956; Das Ende des Stalin-Mythos, 1956; Rußland unter Chruschtschow, 1960, Der Warschauer Pakt, 1962; Sowjetunion und Selbstbestimmungsrecht, 1962; Die Parteiprogramme der KPdSU 1903-1961,1962; Sowjetunion und Völkerrecht 1917-1962, 1963; die Breshnev-Doktrin. Das Prinzip des proletarischen-sozialistischen Internationalismus und die Theorie von den verschiedenen Wegen zum Sozialismus, 1969; Die deutsche Ostpolitik. Kontinuität und Wandel. Dokumentation, 1970; The Breshnew-Doctrine, 1970; Moskau-Bonn. Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland 1955-1973 – Dokumentation mit Einführung, 1975; The Soviet Conception of Coexistence and the Conference on Security and Cooperation in Europe, 1975; Das Sowjetsystem und seine Wandlungsmöglichkeiten, 1976; Die sowjetische Stellung zum Krieg und zur Intervention, 1978. Ferner zahlreiche Aufsätze über Ostrecht, Nationalitätenrecht, Selbstbestimmungsrecht, Innen- und Außenpolitik der Sowjetunion, Entspannungspolitik usw. in Sammelwerken, Lexika, Zeitschriften. Mitherausgeber der Zeitschriften: Internationales Recht und Diplomatie, Osteuropa-Recht, Europa-Archiv, Recht in Ost und West, Internationales Bulletin zur Ostrechtsforschung, Moderne Welt.