Biographie

Mende, Erich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Politiker
* 28. Oktober 1916 in Groß Strelitz/Schlesien
† 6. Mai 1998 in Bonn

Dem Lehrer Max Mende und seiner Ehefrau Anna, geb. Krawietz, wurde am 28. Oktober 1916 in der ganz überwiegend katholischen Klein- und Kreisstadt Groß Strehlitz nach einem Sohn und einer Tochter ein weiterer Sohn geboren, dem später noch eine Tochter folgte. Vater Mende war nebenberuflich als Zentrums-Stadtverordneter tätig; der Sohn erhielt den Vornamen Erich, besuchte die Volksschule und dann das örtliche staatliche humanistische Gymnasium Johanneum, schloss sich dem Quickborn, einem Bund von Abstinenten in der katholischen Jugendbewegung, an, dachte daran, Priester zu werden und legte 1936 die Reifeprüfung ab. Danach folgte er der Reichsarbeitsdienstpflicht und der Wehrpflicht, wurde ein tüch­tiger Infanterist, fand Geschmack am Soldatenleben und wollte nun nicht mehr – wie beim Abitur angegeben – Rechtsanwalt, sondern Berufsoffizier werden. Kurz nach dem Beginn des Feldzuges gegen Polen im September 1939 wurde Erich Mende verwundet, nahm 1940 am Frankreich-Feldzug teil und erhielt das Eiserne Kreuz 1. Klasse. Er kämpfte an der Ostfront gegen die Sowjetunion, erlitt dort 1942 die zweite Verwundung und bekam das Deutsche Kreuz in Gold. 1945 wurde „Major Erich Mende, Führer eines schlesischen Grenadier-Regiments“, das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen. Bei Kriegsende begab er sich in britische Gefangenschaft und hatte das Glück, bereits nach einigen Monaten „in die neue Freiheit“ entlassen zu werden.

Neuanfang im Westen, stand doch die Heimat im Osten unter fremder Verwaltung! Dem Schlesier wurde – wie er es benannte – das Rheinland zur neuen Heimat. Der knapp 29-Jährige musste sich eine feste Existenz schaffen, ein neues Leben beginnen, und arbeitete daran mit im Krieg gezeigten Eigenschaften wie großer Einsatzbereitschaft, starkem Willen, Realitätssinn und Ausdauer. Er studierte ab 1945 in Köln und dann in Bonn Rechtswissenschaften, legte 1949, inzwischen in Opladen wohnend, in Köln das 1. Staatsexamen ab und promovierte 1950 in Köln bei dem bekannten Staatsrechtslehrer und Rechts­philosophen Professor Ernst v. Hippel mit der Dissertation Das parlamentarische Immunitätsrecht in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Ländern. Damals fuhr er zweigleisig: auf der akademischen und auf der politischen Spur. Eigentlich eher zur CDU tendierend, nahm er – nicht frei von Opportunismus – das Angebot an, sich am Zusammenschluss von Liberalen zu beteiligen und wurde im Januar 1946 zum hauptamtlichen Landessekretär der Freien Demokratischen Partei (FDP) für die Nordrheinprovinz gewählt, was ihn finanziell absicherte. Auf die frühere kontinuierliche, steile militärische Karriere folgte nun eine entsprechende politische, noch viel höher führende; 1947 Wahl zum FDP-Stadtverordneten in der rheinländischen Kreisstadt Opladen, ebd. Fraktionsvorsitzender; Wahl in den FDP-Vorstand in der Britischen (Besatzungs-)Zone; 1949 Wahl in den Bundesvorstand der FDP und Wahl in den 1. Deutschen Bundestag auf der nordrhein-westfälischen FDP-Landesliste; bis 1980 Bundestagsmitglied; 1950-1953 Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bun­destag, 1953 stellvertretender Fraktionsvorsitzender, 1957-1963 Fraktionsvorsitzender, 1956 stellvertretender Bundesvorsitzender, 1960-1968 Bundesvorsitzender, 1963-1966 Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen und Stellvertreter des Bundeskanzlers.

Der Historiker Hans Fenske urteilt: „Seinen Aufstieg bei den Liberalen verdankte er auch der Tatsache, dass er ein Mann fast der ersten Stunde, zudem jung und Angehöriger der Frontgeneration war, mehr aber noch seinem Fleiß, seiner Einsatzfreude und seiner Sachkenntnis auf einem breiten Feld. Auch war er ein sehr guter Redner. Er besaß einen klaren Blick für Realitäten und bezog nie extreme Positionen. Im Gegenteil suchte er, die heftigen Spannungen zu dämpfen, welche die FDP lange charakterisierten. Er stand in der Parteimitte.“ Hinzuzufügen ist, dass Mende ein Beau war, ein schöner Mann mit gutem Benehmen, wohl nicht zum geringsten dem Offizierskasino zu verdanken. Er gab eine gute Figur ab, eine „bella figura“, und schuf sich persönliche Verbindungen und verstand – im Krieg als Generalstabsoffizier angedacht – nicht wenig von Strategie und Taktik. Im 1. Bundestag wurde er, seinen Wünschen entsprechend, in den Ausschuss für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen und in den Ausschuss für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films entsandt und in den eher gering geachteten Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunität. Zudem vertrat er die FDP in seiner Eigenschaft als deren parlamentarischer Geschäftsführer im Ältestenrat – als 33-Jähriger! In den folgenden Wahlperioden verlagerte er das Schwergewicht auf einen der wichtigsten Ausschüsse des Bundestages: auf den für auswärtige Angelegenheiten.

Als die Bundesrepublik immer mehr erstarkte und sich mit den Westmächten verbündete, schritt sie Mitte 1955 zur Etablierung des Ministeriums für Verteidigung. Der Wunsch der FDP, Mende solle dort, im 2. Kabinett Adenauer, Staatssekretär werden, wurde vom Kanzler nicht erfüllt, was aber nicht Ausdruck einer Geringschätzung Mendes durch den Kanzler war, der im Oktober 1963, nach vierzehn Amtsjahren, zurücktrat. In seinen drei Jahren als Minister unter Bundeskanzler Professor Dr. Ludwig Erhard (CDU) arbeitete Mende verstärkt mit der Zielrichtung Wiedervereinigung Deutschlands, bemüht um Klimaverbesserung zwischen Mächten und Machtblöcken, nach rechts und links schauend, auf Nachbarstaaten und die Welt, und konkrete Maßnahmen zum Spannungsabbau und zur Linderung menschlicher Not anpackend. Einiges gelang: Passierscheine für die Einwohner des seit 1961 durch eine Mauer getrennten Berlin, Freikauf von Häftlingen aus der DDR. – In der 2. Hälfte der 1960er Jahre änderte die individualistische und „spaltungsfreudige“ FDP ihre Richtung, steuerte auf die SPD zu, entmachtete die Nationalliberalen und beteiligte sich am 1969 gebildeten Kabinett Brandt/Scheel. Mende machte nicht bei der neuen Ostpolitik mit: dem „Verzichtskurs“ gegenüber dem (kommunistischen) Ostblock bzw. der „Akzeptanz/Anerkennung der nach dem Krieg geschaffenen Realitäten“, also dem Verlust der Oder-Neiße-Gebiete. 1970 trat er nach dem Abschluss der sog. Ostverträge zusammen mit einigen – primär ebenfalls aus der Heimat vertriebenen – Kollegen aus der FDP aus und schloss sich der CDU an, die ihn in den beiden nächsten Wahlperioden als Abgeordneten in den Bundestag entsandte, in dem er aber keinen besonderen Einfluss mehr besaß. 1980 war Schluss. Mende erhielt im Jahre 1993 den Schlesierschild der Landsmannschaft Schlesien.

Erfreulicherweise hat Mende drei Bücher autobiografischen Grundcharakters, doch weit über das Persönliche hinausreichend, vorgelegt, die gute zeitgenössische Einblicke ermöglichen. Freilich sollte man die überaus vielen wörtlichen Zitate nicht allzu wörtlich nehmen. Er war zweimal verheiratet und hatte vier Söhne. Der einzige Sohn aus der früh gescheiterten „Kriegsehe“ wurde SPD-Oberbürgermeister in Leverkusen. Die zweite Ehe des Nichtrauchers Erich Mende, der Bücher, Musik, Schwimmen, Radfahren und Reiten als seine Liebhabereien bezeichnete, hielt. Am 6. Mai 1998 starb Mende im Alter von 81 Jahren in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn, dem Hauptort seines Wirkens als bedeutender Politiker. Ein Schlesier, ein deutscher Patriot, ein die „Zukunft unseres Landes und unseres Kontinents“ in einem „Europa der Vaterländer“ Sehender.

Werke: Das verdammte Gewissen. Zeuge der Zeit 1921-1945, München/Berlin 1982. 2. AufI., ebd. 1983. – Die neue Freiheit, 1945-1961, ebd. 1984. – Von Wende zu Wende, 1962-1982, ebd. 1986. – Das Infanterie-Regiment 84 in Gleiwitz, in: Leben in Schlesien. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, hrsg. von Herbert Hupka, München 1962, S. 293-299.

Lit.: Arnulf Baring/Daniel Koerfer, Erich Mende, in: Walther L. Bernecker/ Volker Dotterweich (Hrsg.), Persönlichkeit und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Politische Porträts, Bd. 2, Göttingen 1982, S. 80-91. – FDP-Bundesvorstand, Die Liberalen unter dem Vorsitz von Erich Mende. Sitzungsprotokolle von 1960 bis 1967, bearb. von Reinhard Schiffers, Düsseldorf 1993. – Johannes Groß, Bedeu­­tende Oberschlesier, Dülmen 1995, S. 122-126. – Hans-Hein­rich Jansen, Erich Mende (1916-1998), in: Torsten Oppelland (Hrsg.), Deutsche Politiker 1949-1969, Bd. 2, Darmstadt 1999, S. 132-144. – Hans Fenske, Erich Mende, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz
(Hrsg.), Kanzler und Minister 1949-1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2001, S. 474-477.

Bild: Erich Mende, Autogrammkarte.

Hans-Ludwig Abmeier