Biographie

Mende, Erich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Politiker
* 28. Oktober 1916 in Groß Strelitz/Schlesien
† 6. Mai 1998 in Bonn

Die Geschichte der Bundesrepublik, so wie sie 1949 gegründet worden ist, kann ohne den Namen und das politische Wirken von Erich Mende nicht geschrieben werden. Er gehörte bereits dem Ersten Deutschen Bundestag an, damals als Abgeordneter der Freien Demokratischen Partei, der FDP, und schied 1980 als Mitglied der Christlich-Demokratischen Union, der CDU, aus. Vor dieser Zeit liegen neun Jahre des Berufssoldatentums, nach 1980 folgten die Jahre der Zeitzeugenschaft, und dies nicht nur, weil Erich Mende seine Erinnerungen in drei Bänden Das verdammte Gewissen. Zeuge der Zeit 1921-1945, Die neue Freiheit. 1945-1961 und Von Wende zu Wende. 1962-1972 niedergelegt hat, sondern weil er seitdem immer wieder in der Öffentlichkeit als Zeitzeuge befragt wird und Auskunft erteilt. Man könnte sein Leben dreifach gliedern, in die neun Jahre des Soldatseins, die über drei Jahrzehnte des politisch, wiederholt an vorderster Stelle Handelnden und die seit 1980 folgenden Jahre des Zeitgeschichte schreibenden und mitteilenden Historikers.

"Meine Jugendzeit", so beschreibt Erich Mende sein Herkommen aus Oberschlesien, "verlebte ich in der Kreisstadt Groß Strehlitz, wo ich am 28. Oktober 1916 als drittes Kind des Volksschullehrers Max Mende geboren wurde. Groß Strehlitz war die typische oberschlesische Kreisstadt mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung. Landratsamt und Amtsgericht, Finanzamt und Rathaus, insbesondere aber das Staatliche humanistische Gymnasium ‚Johanneum‘ mit seinen rund 500 Gymnasiasten von Sexta bis Oberprima und eine höhere Mädchenschule waren die Mittelpunkte dieser am Fuße des Chelmgebirges gelegenen Stadt von etwa 15.000 Einwohnern. In den Abstimmungskämpfen nach dem Ersten Weltkrieg erlebten Stadt und Kreis Groß Strehlitz französische, italienische und englische Besatzung. Die Kämpfe um den Annaberg und schließlich die Befreiung der Stadt und des Kreises durch den oberschlesischen Selbstschutz waren 1921 meine ersten Jugenderlebnisse." Diese frühen Erlebnisse, so darf man formulieren, haben zweieinhalb Jahrzehnte später den Weg in die Politik mitbestimmt.

Aber zuvor war Erich Mende Berufssoldat, hat den Zweiten Weltkrieg von der ersten Stunde bis zum bitteren Ende in (gottlob) britischer Kriegsgefangenschaft mitgemacht. Im letzten Augenblick hatte er die 4.000 Mann des von ihm als Major geführten Regiments vor der russischen Kriegsgefangenschaft in Mecklenburg retten können, nachdem er noch im Januar 1945 für seine Tapferkeit an der Ostfront mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden war. Er war gern und ganz bewußt Soldat und Offizier, weshalb er auch, sich damit zugleich zu seinem soldatischen Herkommen bekennend, als Mann der Politik und des Parlaments seine höchste ihm verliehene Auszeichnung zum festlichen Anzug getragen hat. Das vielzitierte Wort von der "verdammten Pflicht und Schuldigkeit", die man zu erfüllen habe, kehrt zurecht im Titel des ersten Erinnerungsbandes als "Das verdammte Gewissen" wieder und ist auch so ohne jeden Abstrich auf das gleichsam erste Leben gemünzt und anwendbar. Ein Soldat wollte tapfer seinen Mann stehen.

Verbindungen aus der Soldatenzeit verhalfen Mende, der nicht mehr in die Heimat zurückkehren konnte, denn aus Oberschlesien wie aus ganz Ostdeutschland wurden jetzt die Deutschen in unmenschlicher Weise vertrieben, im Rheinland zu einer neuen Bleibe. Zielstrebig begann er das Studium der Jurisprudenz, stieß (ob eher aus Überzeugung denn aus Zufall bleibe dahingestellt) zur FDP und wurde deren rheinländischer Geschäftsführer. Schon mit dem juristischen Referendar in der Tasche zog der 32jährige 1949 als einer der jüngsten Abgeordneten in den Bundestag, wo er, nachdem er 1950 auch bereits zum Doktor juris promoviert worden war, für die FDP im Verlauf der Jahre zum Fraktionsgeschäftsführer und zum Fraktionsvorsitzenden aufstieg.

1960 wurde Mende Bundesvorsitzender seiner Partei, welchen Posten er 1968 aufgab, besser gesagt, aufgeben mußte, weil sich inzwischen in der FDP mit Unterstützung bestimmter machtvoller Medien eine Wende vom Nationalliberalen, dessen Exponent Erich Mende war, zum Linksliberalismus ergeben hatte. Jetzt koalierte die FDP unter Walter Scheel mit den Sozialdemokraten, zuerst bei der Wahl des Bundespräsidenten Gustav Heinemann und dann in den Bundesregierungen zwischen 1969 und 1982. 1963, als Ludwig Erhard den 87jährigen Konrad Adenauer als Bundeskanzler abgelöst hatte, wurde Erich Mende Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen und Vizekanzler, Höhepunkte seiner politischen Laufbahn. Beim Wahlgang zwei Jahre zuvor war der FDP unter der Führung Mendes, der gegen eine erneute Kanzlerschaft Adenauers gestritten hatte, mit 12,8 Prozent der abgegebenen Stimmen der größte Erfolg zugefallen, den sie je bei einer Bundestagswahl errang. Mit der Bildung der großen Koalition von SPD und CDU/CSU im Herbst 1966 trat Mende, noch bevor er sein Amt als Parteivorsitzender aufgeben mußte, von der Bühne der politisch Handelnden ab.

Als Mende einmal nach seiner "Sternstunde" als Politiker gefragt wurde, nannte er das Jahr 1950, da er im Bundestag Berichterstatter beim Bundesversorgungsgesetz für die Kriegsopfer war und sogar bis hin zu den Kommunisten die Zustimmung des Hohen Hauses erreichte. Zwei Jahrzehnte später versagte sich der stets heimattreue Oberschlesier, der als Demokrat in Übereinstimmung mit der Präambel des Grundgesetzes um die Vollendung Deutschlands in freier Selbstbestimmung besorgt war, der von Bundeskanzler Willy Brandt und Außenminister Walter Scheel konzipierten Ostpolitik, trat 1970 zusammen mit zwei Kollegen aus der FDP aus, wurde Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und stimmte zusammen mit 16 Angehörigen dieser Fraktion am 17. Mai 1972 gegen den Warschauer Vertrag. Für die CDU in Hessen zog er dann noch zweimal in den Bundestag ein.

In einem Geburtstagsartikel zum 70. Geburtstag schrieb ein Journalist über Erich Mende: "Er hatte Grundsätze und war nicht bereit, sie zu verleugnen. Liberal in persönlicher Verhaltensweise, bürgerlich in der Abwehr jeden Kollektivismus, den Staat als eine freiheitssichernde Ordnung anerkennend und nicht bereit, die Idee des Nationalstaates aufzugeben." Vielerorts, wiederholt auch und gerade vor den Vertriebenen als deren Schicksalsgefährte bekannte er sich entgegen mancher Zeitströmung zu Heimat und Vaterland und forderte einen "geläuterten Patriotismus": "Das Deutsche Vaterland ist das ganze Deutschland. Europa wird entstehen in der Vielfalt seiner Landschaften, seiner geschichtlichen Werke, seiner Lebensart."

Als es im Herbst 1989 zur ersten Begegnung zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki kommen sollte, plädierte Erich Mende ganz bewußt für die Begegnung auf dem oberschlesischen Annaberg und zeigte sich zutiefst enttäuscht, als aufgrund polnischen Widerspruchs das Treffen nach Kreisau verlegt wurde, obwohl auch damit ein geschichtsträchtiger Ort auf dem Programm stand, denn ihm war es um die Wahrung der nationalen Würde und Selbstbehauptung gegenüber allen nationalistischen Reminiszenzen und Ressentiments gegangen. Treue zu seiner oberschlesischen Heimat und vaterländischen Gesinnung, Tapferkeit als Soldat und im politischen Alltag, Gerechtigkeitssinn und Standpunktfestigkeit haben den oberschlesischen Landsmann, kämpferischen Demokraten und Patrioten ausgezeichnet.

Lit.: FDP-Bundesvorstand: Die Liberalen unter dem Vorsitz von Erich Mende. Sitzungsprotokolle 1960 bis 1967. Bearbeitet von Reinhard Schiffers (=Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Band 7/III.), Düsseldorf 1993.

Bild: Süddeutscher Verlag München.

 

  Herbert Hupka