Biographie

Mendelssohn, Arnold Ludwig

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Komponist
* 26. Dezember 1855 in Ratibor/Oberschlesien
† 19. Februar 1933 in Darmstadt

Als Arnold Mendelssohn 1933 starb, konnten die Nationalsozialisten, die kurz zuvor die Macht mit ihrer antisemitischen Politik nur noch seine Kompositionen unterdrücken. Doch das Verbot  wirkte so nachhaltig, daß er heute als ein nahezu vergessener Komponist gelten muß, obwohl die evangelische Kirchenmusik des 20. Jahrhunderts in Deutschland kaum ohne ihn denkbar ist.

Arnold Mendelssohn ist ein Sproß der Familie Mendelssohn, die große Persönlichkeiten des europäischen Geisteslebens hervorbrachte: Moses Mendelssohn, seinen Urgroßvater, als Philosophen, Felix Mendelssohn-Bartholdy, seinen Onkel 2. Grades, als Komponisten. Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter mit  dem 11-jährigen Arnold zunächst nach Danzig, später nach Berlin, wo er seine Schulzeit abschloß. Er nahm ein Jurastudium in Tübingen auf, wechselte jedoch 1877 nach einem Semester an das Königliche Institut für Kirchenmusik in Berlin, wo er eine gründliche Ausbildung vor allem in Komposition bei A. E. Grell, F. Kiel und K. G. W. Taubert erhielt. Die beiden ersten vermittelten ihm den A-capella-Stil Palästrinas und die Bach-Renaissance.

1880 wurde A. Mendelssohn bereits Universitätsmusikdirektor und Organist in Bonn, 1882 ging er Musikdirektor nach Bielefeld und wurde 1885 Kompositionslehrer am Konservatorium der Stadt Köln. Seine Lebensstellung trat er 1890, mit 35 Jahren, als hessischer Kirchenmusikmeister und Gymnasiallehrer in Darmstadt an. 1912 kam dazu ein Lehrauftrag für Komposition am Hochschen Konservatorium in Frankfurt. Will man die Bedeutung umreißen, die Mendelssohn in seiner Zeit hatte, so greift der Titel viel zu kurz. Angeregt durch sein Studium, wandte er sich mit der Zeit fast ganz der liturgischen Chormusik zu. Er tat es im Sinne der liturgischen und kirchenmusikalischen Ernneuerungsbewegungen, die sich seit dem 19. Jahrhundert um einen aus der Tradition wiederbelebten Gottesdienst, um den  Gemeindechoral und eine liturgiegebundene Chormusik bemühten. Statt subjektiver, allgemeingeistlicher Musik strebte Mendelssohn die Vertonung liturgischer und biblischer Texte in objektiven, kirchlichen Formen an. Es schien ihm dabei unumgänglich, auf die großen Meister der Kirchenmusik Palestrina, Schütz und Bach zurückzugreifen. Er selbst besorgte z. B. einige Schütz-Ausgaben, die halfen Schütz wieder, ihn in weiten Kreisen bekannt zu machen. Mendelssohns erstes wichtiges Chorwerk, die „6 Chorsätze für 4stg. gemischten Chor a-cappella nach Spruchdichtungen des Angelus Silesius, op. 14“ von 1899, ist bezeichnenderweise ein nicht-gottesdienstliches, geistliches Werk. Ein Jahrzehnt später waren seine geistlichen Chorwerke fast ausnahmslos für die Liturgie bestimmt. Er schrieb einfache 4stg. Sätze zu Choralmelodien, Choralkantaten, mit denen er an J. S. Bach anknüpfte, und Motetten, die den Hauptanteil an seinem geistlichen Œuvre ausmachen. Die „Geistliche Chormusik 14 Motetten für das ganze Kirchenjahr, op. 90“ (1924/5) und die „Deutsche Messe“ (1923) werden für seine eigenständigsten Werke gehalten, für den Beginn der neuen evangelischen Kirchenmusik. Dies zeigt zweierlei: die Wirkung des A-cappella-Ideals der Palestrina-Renaissance auf die Reformbewegung und die neue Rolle der Musik als Mittel der Verkündigung in der Liturgie und in der Ordnung des Kirchenjahres. In diesen Werken tritt besonders der Rückgriff auf den Schütz-Stil hervor, der für A. Mendelssohn neben dem Bach-Stil die belebende Quelle der Erneuerung war.

Hinter die Bemühung um eine Wiederbelebung und Vielfalt der Formen kirchlicher Musik trat bei Mendelssohn oft der Personalstil zurück. Bewußt stellte er sich dabei zwischen die Stile, weil er, selbst noch ein Spätromantiker, für die Musik einer neuen Zeit arbeitete. In seinen letzten 15 Jahren reifte jedoch auch in diesem Zwiespalt eine eigene Synthese.

Nicht nur als Vorbild und – wohl seine wirksamste Tätigkeit – als Lehrer bekannter Kirchenkomponisten war er tätig. Diese Tätigkeit entfaltete erst dadurch ihre Wirksamkeit, daß er im Vorstand des Evangelischen Kirchengesangvereins als Mitglied der Melodienkommission und als Autor zahlreicher Artikel und Referate eine organisatorische und bewußtseinsmäßige Basis schuf. Für seine Verdienste um die Erneuerung der Kirchenmusik – und seine philosophische, theologische und literarische Bildung rechtfertigen es zudem – wurden ihm unter anderem Ehrendoktorwürden für Theologie (Universität Gießen) und Philosophie (Universität Tübingen) verliehen.

Seine Kompositionstätigkeit beschränkte sich freilich nicht auf die – allerdings zentrale – liurgische Chromusik. Die instrumental begleitete Kirchenmusik schließt sich in ihrer Bedeutung unterschiedslos an. Daneben entstanden auch weltliche Chorwerke, einige Instrumentalwerke und Bühnenmusiken.

Mehr im Verborgenen, abseits seiner so vielgestaltigen Lebensaufgabe, pflegte A. Mendelssohn während der gesamten Zeit seines Komponistendaseins das Klavierlied, den zweiten großen Komplex des Gesamtwerks. Darin äußert sich ein Zug, der unverkennbar gerade schlesischen Komponisten eigen ist. Das mag unwahrscheinlich klingen, weil er Schlesien so früh verließ. Berlin war zu seiner Studienzeit aber die Hochburg schlesischer Musiker, und er selbst trat noch Anfang der 1920er Jahre als Gründungsmitglied der schlesischen Tonkünstlergilde bei.

Nachdem im Bereich der Kirchenmusik allmählich einige Kenner seine Werke wiederentdeckten, ist auch für eine Reihe seiner fast 170 Lieder zu hoffen.

Lit.: Arnold Noack, Fr./E. Noack: Arnold Mendelssohn, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 9, Kassel 1961, Sp. 57 ff.; Weber-Ansat, E.: Arnold Mendelssohn (1855-1933) und seine Verdienste um die Erneuerung der schlesischen Kirchenmusik, Regensburg 1981; Werner-Jensen, A.: Arnold Mendelssohn als Liederkomponist, Winterthur 1976; Mendelssohn, A.: Gott, Welt und Kunst. Aufzeichnungen aus den Jahren 1912-1933, hrsg. von W. Ewald, Leipzig 1949.