Biographie

Menzel, Josef Joachim

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Historiker
* 19. Juni 1933 in Mühlsdorf, Kr. Neustadt/Oberschlesien
† 29. August 2020 in Mainz

Professor Dr. Josef Joachim Menzel hat sich auf vielen Gebieten Meriten erworben: Als Mediävist und einer der profiliertesten Kenner der schlesischen Geschichte. Als Hochschullehrer, gefragter Vortragsredner und Autor zahlreicher Publikationen. Als umtriebiger Forschungs-Manager, der mit dem Mainzer Ludwig-Petry-Institut über lange Jahre ein höchst produktives Drittmittel-Institut geleitet hat. Und nicht zuletzt als engagierter „Anwalt Schlesiens“, so die Einschätzung von Herbert Hupka. Über viele Jahrzehnte hat Professor Menzel zu aktuellen historisch-politischen Fragen dezidiert Stellung bezogen und Debatten geprägt. Dabei war es ihm stets wichtig, seine Kenntnisse anschaulich breiteren Bevölkerungsschichten zu vermitteln – sei es bei öffentlichen Vorträgen, in Zeitschriften und Zeitungen, im Radio oder im Fernsehen. Schlesien, das wurde dabei immer deutlich, ist für Menzel weit mehr als nur ein Objekt rein wissenschaftlicher Betrachtung – sondern eine echte Herzensangelegenheit.

Die Gründe dafür liegen tief in der eigenen Biografie: Menzel wird am 19. Juni 1933 im oberschlesischen Mühlsdorf, Kreis Neustadt, als Sohn eines Landwirts geboren. Als 13-Jähriger erlebt er die brutale Vertreibung aus seiner Heimat. Aufnahme findet er mit seiner Familie schließlich im Münsterland. In Recklinghausen macht er Abitur, anschließend studiert er Geschichte, Altphilologie und Germanistik in Münster und Heidelberg. Ausgestattet mit einem Stipendium des Marburger Herder-Forschungsrates geht Menzel nach dem Staatsexamen zu Prof. Dr. Heinrich Appelt (ehemals Breslau) nach Graz und später nach Wien, wo er am renommierten Institut für Österreichische Geschichtsforschung arbeitet. Bei Appelt beschäftigt sich Menzel intensiv mit dem schlesischen Urkundenwesen, insbesondere den Siedlungsurkunden, und mit einer Arbeit über „Jura Ducalia“, die mittelalterlichen Grundlagen der Dominialverfassung, wird er 1962 promoviert. In Wien lernt Menzel auch seine Frau Maria kennen, eine promovierte Historikerin, die ihm als Partnerin auch wissenschaftlich zur Seite tritt.

1966 erfolgt der Wechsel nach Mainz, wo Menzel Assistent des ehemaligen Breslauer Dozenten Prof. Dr. Ludwig Petry wird, und wo er sich 1970 habilitiert. Erneut wählt er ein landeskundliches Thema: Die schlesischen Lokationsurkunden des 13. Jahrhunderts. 1972 wird er Außerplanmäßiger Professor, 1978 Universitätsprofessor. An der Universität Mainz lehrt er bis zu seinem 65. Geburtstag im Jahr 1998 Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften. Die Bandbreite seiner Themen ist dabei weit gezogen – sie reicht vom Merowingerreich bis ins 14. Jahrhundert und schließt beispielsweise auch die Hanse oder die Entstehung der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit ein. Und natürlich darf auch Schlesien in dieser Aufzählung nicht fehlen: Wer einmal die Gelegenheit hatte, seine Vorlesung Geschichte Schlesiens zu hören, bekam in einem Semester einen sehr eindrücklichen Überblick über die an Wendungen reiche Vergangenheit Schlesiens im europäischen Kontext. Die Quintessenz seiner Forschungen, speziell zur Ostsiedlung im 12. und 13. Jahrhundert, hat Professor Menzel dann noch einmal in seiner Abschiedsvorlesung dargelegt, die den programmatischen Titel trägt: Der Aufbruch Europas nach Osten im Mittelalter. Die 1998 veröffentlichte Rede liegt auch in polnischer Übersetzung vor, ein Beleg für die große Rezeption, die Menzels Forschungen in unserem Nachbarland erfahren.

Neben seiner Lehrtätigkeit hat sich Professor Menzel in vielen Publikationen mit schlesischen Themen beschäftigt. Als Herausgeber oder Mitherausgeber hat er mehrere Fachzeitschriften und Buchreihen betreut, darunter das sechsbändige „Schlesische Urkundenbuch“, die dreibändige „Geschichte Schlesiens“, die „Schlesischen Lebensbilder“ sowie das „Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau“. Menzel war in zahlreichen Organisationen und Gremien engagiert, beispielsweise als Vorsitzender der Historischen Kommission für Schlesien, Zweiter Vorsitzender der Stiftung Kulturwerk Schlesien und des Gerhard-Möbus-Instituts an der Universität Würzburg, stellvertretendes Vorstandsmitglied der Stiftung Schlesisches Museum zu Görlitz und Mitglied des Herder-Forschungsrates. Er war Vertrauensdozent der Konrad-Adenauer-Stiftung und engagierte sich über viele Jahre im Heimatwerk Schlesischer Katholiken. Das Ludwig-Petry-Institut an der Universität Mainz konnte dank vieler von Professor Menzel eingeworbener Drittmittel etliche Forschungsprojekte zur schlesischen Geschichte umsetzen.

Josef Joachim Menzel war ein warmherziger, humorvoller und lebenskluger Mann. Er war ein äußerst „nahbarer“ Hochschullehrer ohne akademische Dünkel und stand seinen Studenten jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. „Machen Sie den Sack zu“, war beispielsweise seine stete freundschaftliche Mahnung, wenn ein Dissertationsprojekt zeitlich auszuufern drohte. Er nahm regen Anteil am weiteren Lebensweg seiner Studenten und blieb vielen von ihnen auch nach dem Examen freundschaftlich verbunden. Die „akademische Familie“ wurde bei ihm aktiv gelebt. Regelmäßig lud er seine Institutsmitarbeiter und Doktoranden zu sich nach Hause in Mainz-Ebersheim ein, wo seine Frau Dr. Maria Menzel stets köstliche österreichische Gerichte auf den Tisch brachte. Er war ein begnadeter Netzwerker mit besten Kontakten in Wissenschaft, Politik, Verbänden und Kirche. Und er war ein Brückenbauer, der stets den Dialog mit seinen polnischen Fachkollegen suchte und trotz mitunter konträrer Standpunkte Anerkennung wegen seiner geradlinigen und klaren Haltung fand. Bei allen, die ihn kennenlernen durften, wird Josef Joachim Menzel in dankbarer Erinnerung bleiben.

Lit.: Herbert Gross, Josef Joachim Menzel, in: Bedeutende Oberschlesier, Dülmen 1995, S. 407f. – Harald Zimmermann, Schlesienforschung als Lebensaufgabe, in: Kulturpolitische Korrespondenz Nr. 876 vom 5.6.1993, S. 5-7. – Opuscula Silesica, hrsg. v. Winfred Irgang und Hubert Unverricht, Stuttgart 1998. – Eberhard G. Schulz, Geschichtswissenschaft und Glaube, in: Kulturpolitische Korrespondenz Nr. 1168 vom 30.5.2003, S. 9 f. – Herbert Hupka, Historiker und Anwalt Schlesiens, in: Schlesische Nachrichten 12/2003 vom 15.6.2003.

Werke: (Auswahl) Jura Ducalia. Die mittelalterlichen Grundlagen der Dominialverfassung in Schlesien, Würzburg 1964. – Die schlesischen Lokationsurkunden des 13. Jahrhunderts. Studien zum Urkundenwesen, zur Siedlungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte einer ostdeutschen Landschaft im Mittelalter, Würzburg 1977. – Individualität und Bedeutung der Geschichts- und Kulturlandschaft Schlesien, München 1985; Sankt Annaberg. Oberschlesiens Mitte (zusammen mit Markus Dworaczyk), Würzburg 1993. – Als Herausgeber oder Mitherausgeber: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau, Bde. 19-44. – Schlesisches Urkundenbuch, Bde. 2-6. – Geschichte Schlesiens, Bde. 1-3. – Quellen und Darstellungen zur Geschichte Schlesiens, Bde. 12-30. – Schlesische Forschungen, Bde. 1-8. – Schriften des Ludwig-Petry-Instituts, Bde. 1-6. – Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Oberschlesiens, Bde. 1-4. – Schlesische Bibliographie, 6 Bde. – Schlesische Lebensbilder, Bde. 6-7.

Bild: Privatarchiv des Autors.

Karsten Eichner 2018, ergänzt 2020