Biographie

Meyendorff, Alexander Freiherr von

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Jurist, Politiker
* 10. April 1869 in Baden-Baden
† 20. Februar 1964 in London

Alexander von Meyendorff entstammte einem alten deutschbaltischen Adelsgeschlecht. Sein Vater Felix, ein Diplomat in russischem Dienst, war zuletzt in Stuttgart tätig. Nach dessen frühem Tod zog die Mutter Olga, eine geborene Prinzessin Gorčakova, mit ihren Kindern nach Weimar, wo Alexander bis 1888 das Gymnasium besuchte und russischen Sprachunterricht erhielt. Anschließend studierte er in St. Petersburg Rechtswissenschaft. Dies ermöglichte ihm den Eintritt in den russischen Staatsdienst, in dem er vor allem mit bäuerlichen Angelegenheiten zu tun hatte, wobei er sowohl im Baltikum als auch in St. Petersburg tätig war. In letzterem hielt er ab 1901 zugleich Vorlesungen über Agrarrecht an der Universität.

Nachdem die russische Revolution von 1905 den Zaren zu konstitutionellen Zugeständnissen gezwungen hatte, begann für Meyendorff eine Zeit sehr bedeutsamen politischen Wirkens. Als Abgeordneter für Livland, wo er ein Gut besaß, war er 1907-1917 Mitglied der parlamentsähnlichen russischen Reichsduma. Wie fast alle anderen deutschen Dumamitglieder gehörte er der Fraktion der Oktobristenpartei an, die eine politische Kraft der Mitte darstellte. Dank seiner persönlichen Ausstrahlung und rednerischen Begabung fiel ihm nicht nur oft die Rolle eines Sprechers der Oktobristen zu, sondern er war zeitweilig sogar Vizepräsident der Duma und leitete als solcher manche ihrer Sitzungen. Bei seinen Stellungnahmen in der Duma trat Meyendorff für rechtsstaatliche Grundsätze und für konfessionelle Duldsamkeit ein. Er wies russische Angriffe gegen die deutsche Oberschicht der Ostseeprovinzen zurück und wirkte mit der Forderung nach Volksschulunterricht in der Muttersprache gezielt zugunsten der Esten und Letten. Daneben protestierte er gegen die Bedrohung der Autonomierechte des ebenfalls zum Zarenreich gehörigen Finnland. Nach seiner Auffassung sollte die Politik St. Petersburgs nicht an den russischen Nationalismus gebunden sein. Obwohl die Entscheidungskompetenz der Duma begrenzt war, blieb sein Engagement keineswegs folgenlos.

Nach der Revolution von 1917 war Meyendorff vorübergehend bei der Schwedischen Botschaft in Petrograd tätig, und in dieser Stellung konnte er wesentlich an der Rettung von Deutschbalten mitwirken, die von den Bolschewisten aus Estland und Nordlivland verschleppt worden waren. Anfang 1919 mußte er jedoch nach England emigrieren. Bezeichnend ist, daß er jetzt von deutschbaltischen Vertretungskörperschaften den schwierigen Auftrag erhielt, ihre Belange auf der Pariser Friedenskonferenz zu vertreten. Dabei teilte er keineswegs alle konservativen Positionen der baltischen Führungsschicht.

In der Folgezeit lehrte der Emigrant in London an der bekannten School of Economics. Unter dem Titel „The Background of the Revolution" erschienen Vorlesungen von ihm auch in Buchform (New York 1928 und 1931). Als erwähnenswert erscheint, daß er sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal für auswanderungswillige Deutschbalten einsetzte. Im übrigen gibt es viele Beweise dafür, daß dem ausgewogen urteilenden und hilfsbereiten Edelmann nicht nur von Deutschbalten, sondern auch von Russen, Letten und Finnen Vertrauen und besondere Hochachtungentgegengebracht wurden.

Lit.: Deutschbaltisches Biographisches Lexikon 1710-1960, hg. von Wilhelm Lenz, Köln-Wien 1970, S. 511; Inge Auerbach, Alexander v. Meyendorff und das Nationalitätenproblem im Baltikum, in: Rußland und Deutschland [Festschrift für Georg von Rauch], hg. von Uwe Liszkowski, Stuttgart 1974, S. 257-264; Manfred Hagen, Zwischen Nationalitäten und Fraktionen – Alexander Baron Meyendorff (1869-1964), in: Zeitschrift für Ostforschung 27 (1978), S. 588-615; Georg Baron Manteuffel-Szoege, Baron Alexander Meyendorff. Betrachtungen und Erinnerungen, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 1955, S. 72-79.