Biographie

Meyer, Arnold Oskar

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Historiker
* 20. Oktober 1877 in Breslau
† 3. Juni 1944 in Königsberg/Neumark

Arnold Oskar Meyer entstammte einer Familie, deren vielseitige Gelehrsamkeit ihn von frühester Jugend an prägte, das Interesse an der Wissenschaft weckte und ihm ein Verantwortungsgefühl des Hochschullehrers mit auf den Weg gab. Durch seinen Vater Oskar Emil Meyer (1834 – 1909), der als Professor für Physik in Breslau lehrte, und seinen Onkel Julius Lothar Meyer (1830 -1895), der in Tübingen Chemie lehrte, wurde sein Interesse zunächst auf die Naturwissenschaften gelenkt, deren Entwicklung er auch in späteren Jahren beharrlich weiterverfolgte. Sein älterer Bruder Herbert (1875 – 1941), der in Göttingen und Berlin als Professor für Rechtsgeschichte tätig war, machte ihn mit den Geisteswissenen vertraut.

Die erste Publikation Arnold Oskar Meyers war eine Übersetzung der Gedichte des amerikanischen Schriftstellers Henry Wadsworth Longfellow. Nur mit wenigen Freunden wie Oswald Spengler, dem Meyer Ende der zwanziger Jahre in München als Hausgenosse nähergetreten war, war ein Austausch über die ganze Breite seiner Interessen möglich. In Spengler – dessen morphologische Kulturtheorie ihn faszinierte, während er jede biologistische Begründung ablehnte – fand er nicht nur einen universal gebildeten und anregenden Gesprächspartner, sondern überdies einen politisch und weltanschaulich ähnlich orientierten Denker, der wie er selbst den tiefen Einschnitt des Ersten Weltkriegs geschichtsphilosophisch zu bewältigen suchte.

In Breslau hatte Arnold Oskar Meyer die Vorschule und das Gymnasium zu St. Maria Magdalena besucht. Sein Studium der Geschichte und Klassischen Philologie, das er 1895 aufnahm, führte ihn nach Tübingen, Leipzig, Berlin und Heidelberg. In Breslau wurde er im Jahre 1900 mit einer Arbeit über Die englische Diplomatie in Deutschland zur Zeit Eduards VI. und Mariens promoviert. Das Thema England in der Reformationszeit blieb fortan neben Bismarck Meyers wichtigstes Arbeitsgebiet – Materien, von denen er sich nur gelegentlich, vor allem mit Aufsätzen über seine Heimat Schlesien, entfernte. Den stärksten Eindruck dieser Studienjahre hatte Meyers hanseatischer Lehrer Dietrich Schäfer hinterlassen, der ihm nicht nur den akademischen Weg wies, sondern ihn auch politisch durch sein gesamtdeutsches Verantwortungsgefühl überzeugte.

Sein Werdegang führte Meyer zunächst an das Preußische Historische Institut in Rom, wo er von 1903 bis 1908 verweilte und wo sich dem jungen Gelehrten herausragende Möglichkeiten zu eigener, vom regen Universitätsbetrieb unabhängiger Forschung boten. Als eine Mischung von Zucht und Freiheit bezeichnete Meyer später selbst die strenge Schule in Rom unter dem Mediävisten Paul Fridolin Kehr, dem seinerzeitigen Direktor. Seine in Italien begonnene Habilitation für neuere Geschichte – die hierfür notwendige Quellensammlung führte ihn längere Zeit in das Londoner Staatsarchiv – legte Meyer schließlich im Jahre 1908 in Breslau unter dem Titel England und die katholische Kirche vom Regierungsantritt Elisabeths bis zur Gründung der Seminare vor (erschienen 1908 in Rom). Im Jahre 1913 kam Meyer als Ordinarius nach Rostock, 1915 nach Kiel, 1922 nach Göttingen, 1929 nach München und 1935 schließlich an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.

Meyers ausgeprägtes National- und Pflichtgefühl trat in Aufsätzen und Vorträgen zu Themenkreisen wie Kants Ethik und der preußische Staat, Die sittlichen Grundlagen der Politik Bismarcks oder Der deutsche Volks Charakter im Spiegel der deutschen Geschichte hervor. In diesem Sinne verstand er es in erster Linie als Pflichtgefühl, eine Reihe zeitraubender und mühseliger Arbeiten zu übernehmen, deren Wert nicht hoch genug zu schätzen sei: die Ordnung des Rostocker Universitätsarchivs, in Kiel die Herausgabe der Zeitschrift für Schleswig-holsteinische Geschichte, in München die Betreuung der Deutschen Akademie, in Berlin die Überwachung der Quellenedition zur auswärtigen Politik Preußens und – nach dem frühen Tode Otto Brandts – zugleich die Herausgabe des Handbuchs der deutschen Geschichte.

Die marxistisch-leninistische Geschichtsschreibung freilich rechnete Meyer, der – ebenso wie Georg von Below, Fritz Härtung, Dietrich Schäfer oder Eduard Meyer – Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) war, ganz „dem restaurativ-konterrevolutionären,   militant-revanchistischen, deutschnational-völkischen Flügel" zu, der „innenpolitisch noch immer den preußisch-obrigkeitsstaatlichen, oft ungebrochenen monarchistischen Idealen huldigte und in offener Gegnerschaft zum Weimarer Staat und seinem Parlamentarismus stand" (H. Schleier). Zu Unrecht und überdies wenig differenzierend wurde Meyer, der sich seit dem Ersten Weltkrieg für die Mitteleuropa-Idee Friedrich Naumanns eingesetzt hatte, überdies einer geopolitischen und imperialistischen deutschen Ostforschung zugerechnet. Bestimmend für Meyers weltanschaulichen Standort war in erster Linie seine preußische Staatsgesinnung und lutherische Religiosität. Obwohl er der Weimarer Republik innerlich ablehnend gegenüberstand, war er doch weder als politisch Denkender noch als Hochschullehrer bereit, dem Nationalsozialismus und der ihm eigenen Mischung einer atavistischen Heilslehre und durchgreifenden Modernisierung eine Lanze zu brechen.

Die Kieler Zeit, in der sich Meyer zunächst mit der Geschichte Schleswig-Holsteins vertraut machte, führte ihn immer mehr zu jenemThemenkreis, der ihn den Rest seines Lebens fesseln sollte: die Person und die preußisch-deutsche Politik Bismarcks. Die erste geschlossene wissenschaftliche Biographie des Reichsgründers, die Meyer als sein Lebenswerk empfand, hatte er seit Ende des Ersten Weltkriegs durch eine Reihe von Einzeluntersuchungen über Metternich, die Hohenzollern, Bismarcks Politik in der Schleswig-Holsteinischen Frage, Bismarcks Glauben sowie durch umfangreiche Studien über den Frankfurter Bundestag vorbereitet. 1925 hatte er zunächst einen knappen Lebensabriß Bismarcks verfaßt, zwei Jahre später folgte das umfangreiche QuellenwerkBismarcks Kampf mit Österreich am Bundestag zu Frankfurt (1851-1859).Im Jahre 1937 erschien in München ein Band ausgewählter Aufsätze, der unter dem Titel Deutsche und Engländer, Wesen und Werden in großer Geschichte die beiden bedeutenden Themenblöcke Meyers treffend vereinte.

Die Kriegsjahre, in denen Meyer seine monumentale Bismarckstudie abgeschlossen hatte, schienen zunächst eine Veröffentlichung nicht nur hinauszuschieben, sondern ganz unmöglich zu machen. Nur unter Mühen gelang – der erste fertige Druck im Dezember 1943 war in Leipzig durch Brandbomben vollständig vernichtet worden – ein nochmaliger Druck. Bevor dieser 1944 bei Koehler & Amelang in Leipzig erschien, erlag der Autor einem Reitunfall. Nachdem große Teile der Erstauflage seines Werkes in der Offizin Neumann in Neudamm (Neumark) in die Hände der Sowjets gefallen waren, erschien es unter seinem alten Titel Bismarck. Der Mensch und der Staatsmann 1949 in Stuttgart in einem Neudruck. Fast zur gleichen Zeit erschien das im Londoner Exil verfaßte und in der Schweiz veröffentlichte dreibändige, in seinem methodischen Zugriff nüchternere und in seinen Urteilen ungleich kritischere Werk des Berliner Juristen Erich Eyck über Bismarck. Es bot ein vollständiges Gegenbild zum Werk Meyers, der sich ganz der „politischen und menschlichen Größe Bismarcks" hatte widmen wollen und nun in dem zähen Meinungsstreit um den „deutschen Irrweg": um Wesen und Gestalt des Bismarckreiches und die Verbindungslinien zum Hitlerstaat gänzlich in Vergessenheit zu fallen drohte. Hans Rothfels interpretierte in seinem Geleitwort Meyers Bismarck-Biographie, die „völlig frei von Verbeugungen gegenüber dem Hitler-Regime" verfaßt worden sei, als „wohltätiges Gegengewicht" zu Eycks „verzerrender Dogmatisierung und erst recht gegenüber den gröberen, rein propagandistischen Formen, in denen ähnliche Auffassungen hervorgetreten sind". Gleichwohl: Meyers in einer lebendigen und einfühlsamen Sprache geschriebene Bismarck-Biographie geriet in den folgenden Jahrzehnten ebenso in Vergessenheit wie ihr Verfasser selbst.

Weitere Werke: Zur Geschichte der Gegenreformation in Schlesien. Aus vatikanischen Quellen, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 38 (1904), S. 343 – 361. – Nuntiaturberichte aus Deutschland. 17. Jahrhundert. Nebst ergänzenden Aktenstücken. Die Prager Nuntiatur des G. St. Ferreri und die Wiener Nuntiatur des G. Serra (1603 – 1606), hrsg. v. A. O. Meyer, Berlin 1911.

Lit.: Walter Goetz: Historiker in meiner Zeit. Gesammelte Aufsätze, Köln/Graz 1957. – Ders.: Arnold Oskar Meyer [Nekrolog], in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1949, München 1950, S. 116 – 118. – Karl Alexander v. Müller: Im Wandel einer Welt. Erinnerungen, Bd. 3: 1919 – 1932, München 1966. – Hans Schleier: Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Berlin (Ost) 1975 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Schriften des Zentralinstituts für Geschichte, 40). – Wilhelm Schüssler: Arnold Oskar Meyer (20.10.1877 -3.6.1944). Ein Historiker des Bismarckschen Deutschlands, in: Studium Berolinense. Aufsätze und Beiträge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Hrsg. v. Hans Leussink, Eduard Neumann u. Georg Kotowski, Berlin 1960 (= Gedenkschrift der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Freien Universität Berlin zur 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin), S. 690 – 701. – Ders.: Arnold Oskar Meyer [Nekrolog], in: Forschungen und Fortschritte 20 (1944), S. 240. – Peter Schumann: Die deutschen Historikertage von 1893 bis 1937. Die Geschichte einer fachhistorischen Institution im Spiegel der Presse, Göttingen 1975. – Wolfgang Weber: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Faches bis 1970, Frankfurt a. M. (u. a.) 1984. – Ders.: Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft (1800 – 1970, Frankfurt a. M. 1987 (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 216).

Bild: Titelblatt der 1944 in der Neumark gesetzten und gedruckten Erstauflage des Meyerschen Bismarck-Werkes.