Johannes Micraelius, auch Johann Mikraelius, wurde als Sohn eines Pastors geboren. Durch Hausunterricht gemeinsam mit zahlreichen Geschwistern vorgebildet, besuchte er ab 1614 das fürstliche Pädagogium in Stettin unter den berühmten Rektoren Daniel Cramer und Philipp Dulichius. 1617 studierte er Theologie und Philosophie an der Universität Königsberg, 1618 setzte er seine Studien an der Universität Greifswald fort. Ab 1621 übte er in verschiedenen Adelsfamilien in Vor- und Hinterpommern die Tätigkeit eines Hauslehrers aus, bis er 1624 zum Subrektor und Professor der Beredsamkeit an das Pädagogium in Stettin berufen wurde.
Neben dem ”gymnasium academicum Carolinum” gab es in Stettin noch eine Stettiner Rathsschule, die älter war als das spätere Marienstiftsgymnasium. Mitten im 30jährigen Krieg wurde Johannes Micraelius 1627 Rektor dieser Rathsschule. Hatte er schon zuvor viel für eine allgemeine Schulreform getan, so wurden ein von ihm ausgearbeiteter, sehr ausführlicher Lehrplan sowie neue Gesetze für Lehrer und Schüler vom Magistrat begrüßt, unterstützt und genehmigt. Jeder Schüler mußte beim Eintritt in die Anstalt dem Rektor eidlich Gehorsam, Fleiß und Anstand versprechen, und dieses Versprechen wurde so rechtsverbindlich genommen, daß ein Bruch unter Umständen als ”Eidbruch” angesehen und vom Rektor Micraelius mit dem Ausschluß vom Abendmahl bestraft wurde. Auch führte er die lateinische Sprache als sogenannte ”Unterhaltungssprache” der Schüler ein: serma semper sit latinus! Unter seinem Rektorat kamen zahlreiche auswärtige Schüler nach Stettin, sie wohnten in einem angeschlossenen Internat oder in Privatunterkünften. Rektor Micraelius brachte die Anstalt zu großer Blüte, von der auch die Stadt profitierte. Ihr Ruf als gute Ausbildungsstätte drang weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Am 31. Januar 1631 ließ Rektor Micraelius eine von ihm gedichtete Tragico-Comoedia durch seine Schüler aufführen, in der er darstellte, wie die von Feinden arg gequälte Pomeris durch Agathander (den guten Mann) befreit wurde. Als im November 1632 die Nachricht nach Stettin kam, daß König Gustav von Schweden bei Lützen gefallen war, verfaßte Micraelius für den von ihm verehrten Monarchen ein Gustav-Adolf-Spiel, das mit der Klage des Volkes über den Tod des Retters schließt.
1641 wurde Micraelius zum Rektor des Pädagogiums berufen, einer Anstalt also, an der er 27 Jahre zuvor seine Ausbildung begonnen hatte und an der er von 1624 bis 1627 bereits Subrektor gewesen war. Im Jahre 1649 wurde Johannes Micraelius an der Universität Greifswald zum Doktor der Theologie promoviert.
Als zu Neujahr 1650 aus Anlaß der 1648 im Westfälischen Frieden beschlossenen Beendigung des 30jährigen Krieges ein Friedensfest gefeiert wurde, veranstaltete der Rektor Johannes Micraelius dramatische Aufführungen ”zur Bezeigung eines dankbaren Gemütes gegen Gott wegen der guten Hoffnung zu völliger Befriedung des deutschen Landes”. 1653 unternahm Micraelius eine Schwedenreise sowohl zu Studienzwecken als auch zum Besuch seiner Gönnerin Königin Christine und ihres Kanzlers Oxenstierna. Er hatte überhaupt eine enge Bindung zu Schweden, sah er doch in König Gustav Adolf den Retter Pommerns vor ”Wüstenei und Quälerei!”
Micraelius verfaßte zahlreiche theologische, philosophische und pädagogische Schriften, darunter in den Jahren 1631 bis 1633 Wallenstein-Gustav-Adolf-Dramen. Sein größtes Werk ist jedoch eine vollständige Geschichte Pommerns unter dem Titel Sechs Bücher vom alten Pommernlande, die er 1639 verfaßte. Die erste Ausgabe erschien 1640 in Stettin, eine zweite Auflage 1723, ebenfalls in Stettin. Ereignisse des 30jährigen Krieges verzeichnete Johann Micraelius in seiner Chronik. Er erwähnte die hohe Sterblichkeitsrate und beschrieb ausführlich sogenannte Wunderzeichen und abergläubische Riten, mit denen sich die Menschen vor den schrecklichen Seuchen schützen wollten. In Stettin forderte die Pest etwa 2500 Menschenopfer. In jener Zeit kamen die Geistlichen kaum mit der Eintragung der Verstorbenen in den Kirchenbüchern nach, die sie nach einer Verfügung des Pommernherzogs Philipp II. seit 1617 zu führen hatten.
Das Ölgemälde, auf dem Micraelius um 1650 porträtiert worden ist, existiert nicht mehr, ebenso ist ein Brief von ihm aus dem Jahre 1632 an den damaligen Bürgermeister Paul Friedeborn nicht mehr auffindbar. Friedeborn ist ebenfalls Verfasser einer Stadtgeschichte Stettins. In Stettin hat Johannes Micraelius auch seine letzte Ruhe gefunden. In seiner Chronik beschrieb er 1639 den Zustand des Landes im Dreißigjährigen Krieg: ”…, wie alles umbgekehret, und wie die Pommern an gelarten Leuten zwar anjetzo keinen mangel haben, aber dagegen alle Matery zur Pracht in diesen Kriegen verlohren, und das Land so sehr verderbet ist, dz die Leckerbißlein, so zu der Zeit ins Land gekommen, und weidlich hernach gesuchet und gekostet sein, sich in diesen Kriegen gar wieder verlohren, das kaum der liebe Brotkorb mehr überig ist. … Aber
Die gute Zeit ist hin: Die böse ist verhanden.
Doch weil nichts in der Zeit jemahlen lang bestanden,
So muß auch wieder fort die böse trübe Zeit,
Die Zeit, so nicht besteht, ist selbst zum Glück bereit!”
Lit.: Martin Wehrmann: Geschichte von Pommern, 2 Bde., Gotha21919 und21921 (Nachdruck, Frankfurt a.M. 1981). – Martin Wehrmann. Geschichte der Stadt Stettin, Stettin 1911 (Nachdruck, Frankfurt a.M. 1979). – Das geistige Pommern. Katalog einer Ausstellung im Landeshaus zu Stettin 1939. – Ilse Gudden-Lüddeke: Chronik der Stadt Stettin, Leer 1993.
Ilse Gudden-Lüddeke