Biographie

Mitteis, Heinrich

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Rechtshistoriker
* 26. November 1889 in Prag
† 23. Juli 1952 in München

Der Rechtshistoriker Heinrich Mitteis verkörperte die besten deutschen Gelehrtentugenden und ein gutes Stück Altösterreichertums. Er war ein scharfsinniger und schöpferischer juristischer Denker, der auf einem festen sittlichen Fundament ruhte und seinen Mitmenschen mit großer Liebenswürdigkeit, Humor und geselligem Temperament entgegenkam. Am 26. November 1889 in Prag geboren, wo sein Vater, der Rechtsprofessor Ludwig Mitteis (1859 bis 1921), an der Deutschen Universität lehrte, verleugnete er insofern seine Herkunft aus einer deutsch-böhmischen, schließlich in Wien ansässigen Juristenfamilie nicht, als er zunächst an ein Studium der Musik und eine Zukunft als Dirigent hatte denken können. Mitteis studierte seit 1908 in Leipzig, wo sein Vater seit 1899 wirkte, Rechtswissenschaft. An demselben Ort – nur ein Berliner Semester hatte ihn von der berühmten Leipziger Juristenfakultätfortgeführt – legte er 1913 sein Doktorexamen summa cum laude ab. Nach kriegsbedingten Unterbrechungen habilitierte er sich 1919 bei Hans Fehr in Halle a. S. Seit dieser Zeit mit seiner Frau Liddy, der Tochter eines in München lebenden Generals, verheiratet, erhielt er im Frühjahr 1920 einen Lehrauftrag für deutsche Rechtsgeschichte und bürgerliches Recht an der neugegründeten Universität Köln, wo er nach Ablehnung eines Rufes nach Frankfurt a. M. bereits ein Jahr später Ordinarius wurde. 1924 gelangte er auf den Lehrstuhl Fehrs an der Universität Heidelberg.

In den Jahren seines Wirkens an der traditionsreichen Ruperto Carola hat sich Mitteis endgültig den grundlegenden Fragen der mittelalterlichen Verfassungs- und Rechtsgeschichte zugewandt. Die Gegenstände, auf die es ihm dabei bis zum Ende seines Lebens ankommen sollte, waren „die Aufhellung des Lehnrechts als eines Mittels, das lockere Gebilde des hochmittelalterlichen Staates mit rechtlichem Inhalt anzufüllen, und die vergleichende Verfassungsgeschichte, die über die konkrete Gestaltung des einzelnen Staatsgebildes hinaus das Wirken der gemeinsamen großen und tragenden Kräfte erkennen ließ.“ (K. S. Bader) Die erste reife Frucht dieses wissenschaftlichen Interesses war das Buch „Lehenrecht und Staatsgewalt“, das 1933 erschien (zweite Auflage 1958).

Das Unheilsjahr 1933 brachte Mitteis in Schwierigkeiten. Da er sich gegen die Diskriminierung politisch mißliebiger Kollegen wandte, wurde er als Dekan der Universität Heidelberg abgesetzt, immerhin konnte er 1934 nach München, auf einen der angesehensten Lehrstühle seines Fachs, berufen werden. Als ihn dann aber 1935 ein Ruf nach Wien, in die Vaterstadt, erreichte, war er froh, nationalsozialistischen Deutschland den Rücken kehren zu können. Doch nach dem „Anschluß“ 1938 wurde er von allen akademischen Ämtern suspendiert und 1940 an die Universität Rostock versetzt, also „kaltgestellt“. In der dortigen provinziellen Stille hat er, unermüdlich lehrend und forschend wie eh und je, den Krieg und den Zusammenbruch überlebt.

In dieserZeit erschien das bedeutendste Buch von Heinrich Mitteis:„Der Staat des hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Mittelalters“, Weimar 1940 (8. Auflage 1968). In ihm entwarf der Verfasser ein großartiges Panorama der Verfassungsentwicklung des europäischen Mittelalters. Man verstand das Werk in einer Zeit der rechtlichen Anarchie auch als ein Bekenntnis zur Idee des Rechts.

Nach dem Ende von 1945, das Mitteis auch den größten Teil seiner Bibliothek kostete, wurde er 1946 an die Universität Berlin und 1948 an die Universität München berufen. 1952 entschloß er sich, seine Wirkungsstätte nach Zürich zu verlegen. Es waren Jahre angestrengter Lehr- und Forschungstätigkeit, die, zumal unter den Entbehrungen der ersten Nachkriegszeit, alle Kraftreserven beanspruchte. Mitteis gab die germanistische Abteilung der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte heraus und war seit 1950 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Am 23. Juli 1952 erlag er in München einem schnellen Herztod. Das Dahingehen des erst 62jährigen wurde von der Zunft, wie Walther Kienast schrieb, als „eine wahre Katastrophe für die Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte und einen furchtbaren Verlust für die deutsche historische Forschung überhaupt“ empfunden. Ein „Nachfahr der alten Könige ihres Faches“ war zu beklagen. Auf dem Waldfriedhof in München (Fürstenrieder Straße) liegt er begraben.

Weitere Werke: Die deutsche Königswahl (1938, zweite Auflage 1944), Deutsche Rechtsgeschichte (1949, 11. Auflage 1969).

Lit.: Karl S. Bader, Zeitschrift für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung 70 (1953). – Otto von Zwiedineck-Südenhorst, Jahrbuch der Bayerischen Akademie det Wissenschaften 1953. – Walther Kienast, Historische Zeitschrift 174 (1952).