Biographie

Mokka, Irene

Herkunft: Banat
Beruf: Dichterin, Übersetzerin
* 28. August 1915 in Temeswar/Banat
† 11. Februar 1973 in Temeswar/Banat

Irene Mokka hat ihr Leben in der Banater Hauptstadt Temeswar verbracht. Ihre Familie stammte aus dieser Stadt, wo seit 1768 die Handwerkerfamilie Albert aus Lothringen ansässig war, ebenso aus Siebenbürgen, wo der Großvater Eduard Hermann in Orlat geboren wurde (seine Familie stammte aus Bistritz in Siebenbürgen). Die junge Irene besuchte die Klosterschule in der Temeswarer Josefstadt und absolvierte außerdem das Städtische Konservatorium als Klavierschülerin von Emil Mihai. Sie trat in Konzerten in ihrer Heimatstadt auf (u.a. mit dem Klavierkonzert Nr. 1 von Beethoven bzw. von Chopin).

Seit 1936 war Irene Albert in dem Musikerkreis von Elisabeth Andree tätig, wo außer Konzerten auch Spielopern von Mozart (Bastien und Bastienne), Pergolesi (Die Magd als Herrin) und Adolphe Adam (Die Nürnberger Puppe) einstudiert und Hofmannsthals Tor und Tod aufgeführt wurden. Bei diesen Konzerten lernte Irene Hans Mokka kennen, der in den Spielopern als Gesangssolist auftrat. 1939 heiratete Irene Albert den Gymnasial-Fachlehrer Stefan Fassel, mit dem sie zwei Kinder hatte. Von 1940 bis 1943 unterrichtete sie Daktylographie und Stenographie an der von Dr. Peter Schiff geleiteten Handelsschule. Stefan Fassel ist am 4. April 1944 bei Sewastopol als rumänischer Soldat gefallen, die junge Witwe musste bis 1948 ihre beiden Kinder mit Gelegenheitsarbeiten durchbringen.

1947 kehrte Hans Mokka aus sowjetischer Gefangenschaft zurück und Irene Fassel trat an ihn heran. Beide setzten ihre literarischen Gespräche fort, die sie in den dreißiger Jahren begonnen hatten. Hans Mokka, der Chorist (später Solist) an der 1947 gegründeten Temeswarer Oper war, heiratete die Witwe 1948. Das war der Beginn einer fruchtbaren musikalischen Zusammenarbeit: Irene Mokka als Korrepetitorin ihres Ehemanns trat zunächst bei zahlreichen Liederabenden auf, bereitete Hans Mokka auf seine Auftritte bei den Aufführungen in Hermannstadt und Kronstadt (Bachs Matthäus-, Johannespassion und seine Kaffeekantate, Haydns Schöpfung) vor und war 1959 in Kronstadt gemeinsam mit Hans Mokka an der einzigen deutschsprachigen Fidelio-Aufführung im Nachkriegsrumänien beteiligt, die der Kronstädter Komponist Norbert Petri vorbereitete. Außerdem verdiente sich die Dichterin mit Publikationen und mit Klavierunterricht ein Zubrot. Seit 1949 waren beide Mokkas Mitglieder des deutschen Lenau-Literaturkreises in Temeswar.

Die literarische Tätigkeit von Irene Mokka lässt drei Entwicklungsetappen erkennen: bis 1944, von 1948 bis 1964 und von 1964 bis 1973. Bis 1944 entstanden vor allem Gedichte und ein sehr akribisch geführtes Tagebuch (17 Hefte, die im Temeswarer Schriftstellerhaus, dem „Franyó-Haus“, aufbewahrt werden). In dieser ersten Entwicklungsphase, die im Schatten der Konzerttätigkeit stand, handelte es sich um eine fast ausschließlich private Poesie, in der die ungünstigen Voraussetzungen in Temeswar eine Rolle spielten. Man schätzte dort Lyriker kaum, und die Tatsache, dass Ludwig Bauer in Werschetz Irene Albert 1938 einen Lyrikpreis für ihr Gedicht Mädchen zuerkannte, ändert daran wenig, dass ihre gesamte Produktion nur einem engen Freundeskreis bekannt war. Man erkennt in diesen frühen Versen, die in der Werkausgabe (Das Schlüsselwort, Bd. 1) nachzulesen sind, dass die Bildungsvoraussetzungen im damaligen Temeswar nicht sehr vielfältig waren und dass sich Dichter wie Hans Diplich, Heinrich Erk, Hans Wolfram Hockl kaum einem aktiven Lesepublikum präsentieren konnten. Irene Albert verzichtete damals auf die Außenwirkung und begnügte sich mit rhetorischen Texten, die zum Teil in Zyklen zusammengefasst waren.

Nach 1947 begann sich Irene Mokka in den Temeswarer Literaturgruppierungen und in den deutschsprachigen Periodika vorzustellen. Sie verwendete dabei ein Pseudonym (Grete Gross), um dadurch auf ihre Distanz zu einer Wirklichkeit hinzuweisen, in der ihre bürgerliche Familie Diskriminierungen ausgesetzt war und in der sie ihr Unbehagen an der Diktatur – sehr offen, aber nur privaten Lesern zugänglich – ihrem Tagebuch anvertraute (diese zeitkritischen Passagen sind auch in: „Jein, Genossen!“ – Rumäniendeutsche erzählen. Vom zweiten Weltkrieg bis zum Fall des eisernen Vorhangs“, hrsg. von Hans Fink und Hans Gehl, München 2014, nachzulesen). Um neben dem geringen Einkommen des Ehemanns auch zum Familienunterhalt beizutragen, veröffentlichte Irene Mokka vor allem konforme Prosa (Barbara Bernath, Wegbereiterin des neuen Lebens, jeweils 1952). Eine gelungene Erzählung wie Lenaus Mutter im Banat (1952) war damals die Ausnahme. Außerdem verlegte sich die Autorin auf Gedichte und Erzählungen für Kinder. Die Kindererzählungen wurden in dem Band Klaus Schlendrian gesammelt, der vor allem Erlebnisse des oft aufmüpfigen Sohnes behandelte. Der Band konnte erst 1964 in einer extrem gekürzten Fassung mit dem Titel Toni und seine Trompete erscheinen, weil nichtkonforme Verhaltensweisen im kommunistischen Rumänien nicht gerne gesehen wurden.

Irene Mokka hatte zwischenzeitlich mit einem Büchlein debütiert: Tagebuch meiner Arbeit, das den Alltag einer jungen Frau präsentierte. In den frühen sechziger Jahren versuchte Irene Mokka Ansätze für Hoffnung zu finden: die Verbesserung der Wohnungssituation (Neubauten, 1960; Martina, 1962) und Ähnliches. Dass die Wohnsituation der Autorin und die ihrer Eltern nach 1948 prekär war – sie mussten sich eine Wohnung mit anderen Familien teilen –, widersprach dem erzählten Optimismus.

Nach 1964 publizierte Irene Mokka nicht mehr unter dem Pseudonym Grete Gross und identifizierte sich offensichtlich bloß mit neuen Werken, von denen – im Bereich der Lyrik – sehr viel seit 1956 entstanden war, als sich in Temeswar um die Mokkas ein Diskussionsrunde mit Klaus und Martha Kessler, dem Bukowiner Manfred Winkler, Robert Reiter versammelte und sie Beziehungen nach Siebenbürgen (Georg Scherg, Wolf von Aichelburg) und dem deutschen Buchmarkt suchte. Man war vor allem der zeitgenössischen Literatur in der Bundesrepublik auf der Spur und bemühte sich, den eigenen Standpunkt unmissverständlich neu zu bestimmen. Dieser lag unverkennbar jenseits der in Rumänien propagierten Ideologie und der Tagespolitik.

Zunächst stand Irene Mokka aber im Rampenlicht, als sie ihre Entwürfe zur Kinderliteratur fortsetzte und gemeinsam mit Johann Szekler bekannte Märchen in Bühnenfassungen umdeutete. Mit dem Märchenspiel Schneewittchen, das vom Deutschen Staatstheater Temeswar inszeniert wurde, kam es 1964 zu 82 Aufführungen (vor 30.976 Zuschauern; das Stück wurde 1982 erneut einstudiert und brachte es auf weitere 34 Vorstellungen). 1967 erzielte die Aschenputtel-Aufführung 107 Vorstellungen vor 34.085 Zuschauern (bei der Neuinszenierung im Jahre 1985 wurden 35 Vorstellungen registriert). Weniger erfolgreich war Das kalte Herz, das sich 1977 mit 12 Aufführungen begnügen musste. Diese Märchenbearbeitungen verharrten auf den allgemein-menschlichen Anliegen der Erzählvorlagen und engagierten sich keineswegs für die politische Gegenwart. Vor allem den Schülern der deutschen Schulen in Rumänien wurde die Autorin damals bekannter.

In der Lyrik, die im letzten Lebensabschnitt der entscheidende Schwerpunkt einer Außenwirkung von Irene Mokka war, hatten sich seit den fünfziger Jahren Änderungen erkennen lassen. Die Auseinandersetzung mit der Moderne, die Kenntnis der neuesten lyrischen Produktion in Ost und West (auch in Rumänien, wo Irene Mokka Gedichte von Ana Blandiana und Nichita Stănescu ins Deutsche übertrug) ließen die Zielsetzungen der eigenen Lyrik neu definieren. Die extrem Ich-bezogenen Gedichte, in der Naturmetaphern eine große Rolle spielten, weil sie auf eine Freiheit hindeuteten, die in der zeitgenössischen Gesellschaft in Rumänien nicht vorhanden war, fand in Rumänien und in der Bundesrepublik Anerkennung. Selbsterkennung, die Suche nach dem Sinn individueller Lebensführung ist diesen einprägsamen und bildintensiven Texten zu entnehmen. Das erlebte und das konzipierte Ich in diesen Texten, ließ es unvermeidlich erscheinen, dass die immer knapperen Bildkonstrukte auch die persönliche Situation der Dichterin mit einbezogen: Irene Mokka war Zeit ihres Lebens sehr gebrechlich und gestaltete ihre Selbstzweifel und ihre – auch physische – Labilität in ihren letzten Lebensjahren besonders deutlich und stellten sie in den Zusammenhang einer stets bedrohten Existenz. Das Schwanken zwischen Sein und Nichtsein bestimmen diese Texte, von denen viele posthum erschienen. 1968 hatte mit einem Gedichtband Alle Brunnen liegen offen die öffentliche Anerkennung der Lyrikerin begonnen. Ihre letzten Versuche – poetische Kurzprosa (Bedenken) – fielen 1974 zum großen Teil der Zensur zum Opfer. Mehr als die Hälfte dieser einprägsamen Standpunktäußerungen eines suchenden Ich blieben unveröffentlicht, und noch 1985 wurden in der Werkausgabe bloß acht der 1974 unterschlagenen Texte publiziert, obwohl die gesamte Textsammlung dem Verlag vorlag.

Von 1964 bis zu ihrem Tod entstand der Teil des Œuvres von Irene Mokka, der auch heute Bestand hat. Dass im heutigen Rumänien die älteren Autoren wenig beachtet werden, mindert diese Bedeutung keineswegs. Eine hochsensible, Widersprüche einbeziehende, Fragen aufwerfende Lyrik entspricht tatsächlich in der subjektiven Ausprägung einer durch ihre bürgerliche Herkunft und durch die unbeugsame Überzeugung Irene Mokkas, dass individuelle Freiheit ein entscheidender Faktor der Kunst zu sein hat, den Anliegen einer jegliches politische Diktat ablehnende Literatur. Die extreme Eininselung in der ersten Entwicklungsphase der Dichterin, die Ablehnung der opportunistischen Akklamationen der sechziger und siebziger Jahre hat eine Beschränkung auf eine Kommunikation in Kreisen Gleichgesinnter veranlasst.

Werke: Jahrbuch meiner Arbeit, Bukarest-Staatsverlag für Kunst und Literatur 1952, 51 S.Toni und seine Trompete und andere Pioniergeschichten, Bukarest: Jugendverlag 1964, 68 S. – Alle Brunnen liegen offen. Gedichte, Bukarest: Literaturverlag 1968, 118 S. – Leisere Einsicht, Bukarest: Kriterion 1970, 111 S. – Vermutungen, (Temeswar): Facla 1974, 45 S. – Bedenken. Fragmente, Bukarest: Kriterion 1974, 69 S. – Anghel Dumbrăveanu, Das Geheimnis der Orchidee. Enigma orhideii. Gedichte (rumänisch-deutsch). Übers. von Irene Mokka und Horst Fassel, Timişoara: Facla 1976, 106 S. – Gedichte. Geleitwort von Alfred Kittner, Bukarest: Albatros-Verlag 1977, 183 S. (Die schönsten Gedichte). – Der blaue Falter. Märchen. Mit einem Vorwort von Georg Scherg, Timişoara: Facla 1983, 85 S. – Das Schlüsselwort, hrsg. von Helge Hof (d. i. Horst Fassel), Bukarest: Kriterion 1985, I: 262, II: 322 S. – Tagebuch 1948-1973, hrsg. und Vorwort von Horst Fassel, Berlin; Münster: ATE 2007, 347 S.

Werke in Übersetzung: Un cîntec fără sfîrşit (Lied ohne Ende). Rumänisch von Anghel Dumbrăveanu und Horst Fassel, Bukarest: Cartea Românească 1983, 98 S. – Atîtea cuvinte care nu-s versuri (So viele Worte, die keine Verse sind). Rumänisch von Adriana Rotaru. Vorwort Doina Uricariu, Bukarest: Kriterion 1987, 114 S. – Keine Blüte kein Weg/ Se virág se út. Zweisprachige Ausgabe, ins Ungarische übersetzt von Julia Schiff. Nachwort János Szász, Bukarest: Kriterion 1996, 99 S.

Lit.: Gerhard Csejka, Irene Mokka: Alle Brunnen liegen offen, in: Reflexe, Bukarest 1977, S. 179-181. – Rudolf Nikolaus Maier, Robinson, Stuttgart 1972 (u.a. S. 82-83, 110, 120-121). – Gertrud Walter, Irene Mokka, in: Südöstliche Blätter, München 1973, S. 38-41. – Eduard Schneider, Irene Mokka 1915-1973, in: Orizont, 16.5.1975, S. 5. – Peter Motzan, Die Lyrik Irene Mokkas, in: Neue Literatur 1977, Nr. 9, S. 79-86. – Die Temeschburger Dichterin Irene Mokka wäre 65 Jahre alt geworden, in: BP, 25 (1980), Nr. 9, S. 14. – Horst Fassel, „In der winzigen Zelle unseres Herzens“. Tagebuchaufzeichnungen von Irene Mokka, in: Neue Literatur, 1983, Nr. 8, S. 70-75. – Hans Mokka, Zum 75. Geburtstag von Irene Mokka. Tagebuchblätter, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, Bd. 39, 1990, S. 283-289. – Blick nach innen. Ein Film über die Dichterin Irene Mokka, Bukarest: deutsche Fernsehsendung 2003. – Horst Fassel, Irene Mokka, in: Facultatea de litere, istorie şi teologie. Doctor honoris causa H. F. Timişoara 25.5.2005, S. 12-25 (rumänisch-deutsch).

Bild: Familienbesitz.

Horst Fassel, 2017