Biographie

Moltke, Helmuth Karl Bernhard Graf von

Herkunft: Pommern
Beruf: preußischer Generalfeldmarschall
* 26. Oktober 1800 in Parchim/Mecklenburg
† 24. April 1891 in Berlin

Moltke trat 1822 aus der dänischen Armee in die preußische über. Schon seit 1828 ist sein dienstlicher Werdegang mit dem Generalstab  verbunden gewesen. Er führte ihn über die Topographische Abteilung bis an die Spitze dieser Institution, die unter seiner Leitung erst die herausragende Bedeutung für Armee und Politik gewann mit dem Kulminationspunkt im Ersten Weltkrieg.

Moltke war, wie Gerhard Ritter, einer der besten Kenner der Militärgeschichte des 19. Jahrhunderts, schreibt, „weit mehr als ein Typus preußischen Soldatentums“. In gewissem Sinne müsse „er geradezu als die große Ausnahme, jedenfalls als einmalige Erscheinung unter den preußischen Heerführern gelten. Eine erstaunlich vielseitig begabte, weltoffene, unendlich aufnahmefähige und aufnahmebereite Natur …“. Diesem Urteil ist beizupflichten. Moltke hat durch zahlreiche Reisen die großen Nachbarländer kennengelernt und sich hier für die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse interessiert. Als Topograph galt sein Interesse der Geographie. Von ihm stammen erste exakte kartographische Darstellungen verschiedener Gebiete in der Türkei. Seine Reisebriefe gehören zur besten deutschen Prosa. Sein militärischer Weg vollzog sich in Adjutanturstellungen und im Generalstabsdienst, u.a. war er am Beginn seiner Karriere in der Türkei. Im Juli 1848 wird er Abteilungsvorsteher im Großen Generalstab, im August desselben Jahres Chef des Generalstabes des IV. Armeekorps. Im August 1856 zum Generalmajor befördert, wird er im Oktober 1857 mit der Führung der Geschäfte des Chefs des Generalstabes der Armee beauftragt. Im September 1858 wird er zum Chef des Generalstabes ernannt.

Damit begann für diese Institution eine folgenreiche Entwicklung, die den Zeitgenossen in den Feldzügen 1866 und 1870/71 deutlich geworden ist. Mit Moltke erreichte der Chef des Generalstabes die Immediatstellung. Schon im Krieg gegen Österreich, der nach seinen Planungen ablief, führte erstmals der Generalstabschef die Operationen. Die Befehle an die Armeen liefen nun nicht mehr über den Kriegsminister. Entscheidend wurde unter Moltke die Mobilmachungs- und Aufmarschplanung unter Einsatz der Eisenbahn. Der Hauptgedanke – selten voll verwirklicht – bestand darin, die Massenheere in getrennten großen Gruppierungen heranzuführen und zur entscheidenden Schlacht zu vereinigen. Es handelte sich dabei nicht um ein starres operatives Konzept, sondern um ein elastisches, Gelände und Gegner einkalkulierendes Verfahren, das von den Armeebefehlshabern hohe Selbständigkeit erforderte. Die Schlacht bei Königgrätz konnte zwar nicht zum „Vernichtungsschlag“ entwickelt werden, dennoch führte der operative Ansatz der preußischen Armeen zu einem großen Erfolg. Mit diesem Erfolg seiner operativen Führungskunst befestigte der Generalstabschef seine Position in der preußischen Führungsspitze.

Der Krieg gegen Frankreich wurde mit der gleichen operativen, aber auch auf numerischer Überlegenheit beruhenden offensiven Idee geführt. Aber die Führung durch Weisung – mit Spielraum für die Unterführer – statt durch Befehl funktionierte noch nicht reibungslos. Äußere Anerkennung fanden Moltkes Leistungen im Oktober 1870 mit der Erhebung in den Grafenstand und im Juni 1871 mit der Ernennung zum Generalfeldmarschall.

Für das Verhältnis von politischer und militärischer Führung ist der Aufstieg des Generalstabschefs von ausschlaggebender Bedeutung geworden. Schon im Kriege gegen Frankreich kam es zu schweren Meinungsverschiedenheiten zwischen Bismarck und Moltke. Moltke und die „Halbgötter“ des Generalstabes standen auf dem Standpunkt, die Politik gehe die Kriegführung nichts an. Sie habe erst nach dem Sieg wieder das Wort. Moltke formulierte diese Forderung in seiner Arbeit Über Strategie so: Die Strategie könne „ihr Streben stets nur auf das höchste Ziel richten, welches die gebotenen Mittel überhaupt erreichbar machen. Sie arbeitet so am besten der Politik in die Hand, nur für deren Zweck, aber im Handeln völlig unabhängig von ihr.“ Faktisch gewann der Generalstab mit dieser Auffassung nach den Siegen in Frankreich Bewegungsspielraum in Bereichen, die zur politischen Führung gehörten. Gedeckt war dies letztlich durch das Prinzip der Kommandogewalt des Kriegsherrn. Zu voller negativer Auswirkung kam diese Entwicklung erst unter Moltkes Nachfolgern, aber im Streit um die Beschießung von Paris deutete sich möglicher Dauerkonflikt als Strukturproblem der deutschen Fühungsorganisation an.

In derSituation nach 1871, vor allem seit der Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen in der „Krieg-in-Sicht“-Krise, hing für Moltke die Lösung der deutschen Probleme in einem Zweifrontenkrieg von einer schnellen „Entscheidungsschlacht“ ab. Rechtzeitiges, schnelles, rücksichtsloses Handeln ohne Furcht vor dem Vorwurf der Aggression wurde zum Prinzip erhoben.

Der Krieg gehörte in Moltkes Sicht zu Gottes Weltordnung. In seiner Argumentation gegen die Petersburger Konvention vom 11. Dezember 1868 hat er in dem Briefwechsel mit Johann Bluntschli vom Dezember 1889 einen mit den Mitteln der Zeit zu führenden totalen Krieg avisiert. Das Ziel des Krieges lag für Moltke nicht, wie die Konvention formuliert hatte, im ,affaiblissement des forces militaires‘, sondern in einer totalen Schwächung des Feindes. Der Krieg wurde damit zum „Existenzkampf“ stilisiert.

Moltke war gewiß nicht ein Hauptvertreter dieser Richtung. Er war den Denkweisen seiner national-euphorischen Generation verhaftet. Damit in engem Zusammenhang stand sein der preußisch-deutschen Miilitärmonarchie verpflichtetes Denken, dem Parlamentarismus und Demokratie Zeichen von Schwäche waren. Die preußische Monarchie esrschien Moltke als die zeitgemäße Staatsform. Ein Parlament ohne Gesetzesinitiative und eine auf Lebenszeit gewählte erste Kammer hielt er für brauchbare Lösungen. Dennoch war er kein orthodoxer Konservativer. Über den Adel hat er kritische Gedanken entwickelt. Ja es gibt Äußerungen, die als Vorbehalte gegen eine einseitig militärische Denkweise interpretiert werden können. Aber in den Fragen der praktischen Politik standen ihm die Interessen der Armee als Garantin des Reiches an erster Stelle. Wer gegen das Reichsmilitärgesetz stimmte, wie die Sozialdemokraten, galt ihm als Vaterlandsverräter.

Seine Haltung gegenüber dem Sozialismus war vom Erlebnis der 48er Revolution und des Kommuneaufstandes in Paris stark beeinflußt. Noch wenige Tage vor Beginn dieses Aufstandes meinte er: „Die große Gefahr aller Länder liegt wohl jetzt im Sozialismus.“ Aber im Gegensatz zu vielen führenden Militärs bewahrte sich Moltke die Fähigkeit zur kritischen Prüfung des Erreichten und für die Möglichkeiten positiver Weiterentwicklung. Und so erschienen ihm nicht Bürgerkrieg und Rückwärtsentwicklung, sondern Ausgleich und sozialer Friede notwendig. Er wußte, daß künftige Auseinandersetzungen auf die Solidarität der Nation angewiesen waren.

Schriften: Holland und Belgien in gegenseitiger Beziehung seit ihrer Trennung unter Philipp II. bis zu ihrer Wiedervereinigung unter Wilhelm 1.1831. – Darstellung der inneren Verhältnisse und des gesellschaftlichen Zustandes in Polen (1832). – Die westliche Grenzfrage (1841). – Zur orientalischen Frage, 5 Aufsätze 1841-1844. – Geschichte des deutsch-französischen Krieges 1887-88 sämtlich abgedruckt in: Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, hrsg. Elza v. Moltke, 8 Bände, Berlin 1891-1893. – Die Militärischen Werke sind in 15 Bänden vom Großen Generalstab, Abteilung für Kriegsgeschichte, herausgegeben worden, Berlin 1892-1912.

Lit.: Rudolf Stadelmann: Moltke und der Staat, Krefeld 1950. – Eberhard Kessel: Moltke, Stuttgart 1957. – Hajo Holbom: Moltke and Schlieffen, in: Makers of Modern Strategy, Princeton 1943, S. 172-205. – Die großen Meister der Kriegskunst. Clausewitz, Moltke, Schlieffen. Ausgewählt und herausgegeben von Ihno Krumpelt, Berlin 1960. – A. Bergounioux u. P. Polirka; La Doctrine stratégique de Clausewitz et l’Ideologie militaire prussienne de Moltke l’ancien à Ludendorff, in: Revue internationale d’histoire militaire (1977), Nr. 37, 3, S. 55-76. – Gerhard Papke: Helmuth von Moltke, in: Klassiker der Kriegskunst, hrsg. v. W. Hahlweg, Darmstadt 1960, S. 304-318. – Hans-Ulrich Wehler: Der Verfall der deutschen Kriegstheorie. Vom „Absoluten" zum „Totalen" Krieg oder von Clausewitz zu Ludendorff, in: Geschichte und Militärgeschichte, Frankfurt a.M. 1974, S. 273-311.- Volkmar Regung: Grundzüge der Landkriegführung zur Zeit des Absolutismus und im 19. Jahrhundert, in: Deutsche Militärgeschichte 1648-1939, Bd. 6: Grundzüge der militärischen Kriegführung 1648-1939, S. 11-424 (379-425).

Bild: Porträtstudie von Anton von Werner, 18. Febr. 1882. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin.