Biographie

Morgenstern, Lina

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Sozialreformerin
* 25. November 1830 in Breslau
† 16. Dezember 1909 in Berlin

Preußen 1866: Der Bruderkrieg gegen Österreich war vorbei. Unzählige preußische Soldaten kehrten nach Hause – siegreich, aber um einen hohen Preis. Manche konnten zurück zu ihren Familien, aber viele hatten dort weder Arbeit noch Brot. Zu Tausenden strömten die Soldaten jetzt nach Berlin. Viele mussten ein elendes Dasein fristen und vermehrten das Heer der Armen, das ohnehin schon die Straßen der Hauptstadt bevölkerte.

Eine Frau setzte ihr Mitleid mit den abgerissenen Soldaten, den zerlumpten Kindern und den ausgemergelten Frauen in konkrete Hilfe um: Lina Morgenstern. Sie hatte genug gesehen, wollte nicht länger untätig bleiben und gründete die ersten Suppenküchen Berlins. Eine kleine Hilfe, aber immerhin bekamen Arme so wenigstens einmal am Tag eine warme Mahlzeit. Diese Art von sozialer Fürsorge war etwas völlig Neues, und dankbar wurde das Angebot der „Suppenlina“, wie die lockere Berliner Zunge die Wohltäterin der Armen fortan nannte, angenommen. Lina Morgenstern ist es zu verdanken, dass es heute einen Kinderschutzverein gibt; sie setzte sich für die Rechte der erwerbstätigen Frauen ein, schrieb etliche Bücher und gab seit 1874 dieDeutsche Hausfrauen-Zeitung heraus: Lina Morgenstern, eine der bekanntesten Frauen im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, eine der führenden Sozialreformerinnen ihrer Zeit.

Am 25. November 1830 wurde Lina als zweites Kind des wohlhabenden jüdischen Kaufmanns Albert Bauer und seiner Frau in Breslau geboren. Selbstverständlich wurde sie als junges Mädchen zur Wohltätigkeit angehalten. Aber Lina sprengte schon früh den Rahmen des Erwarteten: So gründete sie an ihrem 18. Geburtstag den Breslauer Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder – bereits hier zeigte sich Linas enorme Energie und der feste Wille, ihre Ideen in die Tat umzusetzen.

1854 heiratete sie den Kaufmann Theodor Morgenstern und zog mit ihm nach Berlin. Lina bekam in den folgenden Jahren fünf Kinder, an denen sie mit großer Liebe hing. Sie schrieb für sie kleine Geschichten und Märchen, und als Theodors Geschäft große finanzielle Einbußen erlitt, tat sie das Ihre, um die Familie finanziell zu unterstützen, und veröffentlichte die Geschichten.

Lina mühte sich aber nicht nur um ihre eigene Familie; sie hatte auch ein Herz für die Kinder, die nicht so behütet und umsorgt wie ihre eigenen aufwuchsen. Sie trat dem Berliner Kindergartenverein bei und tat so den ersten Schritt ihrer später so umfangreichen Sozialarbeit; von 1861 bis 1866 stand sie an der Spitze des Vereins. Aber bald genügte ihr das nicht mehr. Es ging ja nicht nur darum, die Kinder unterzubringen; die jungen Mädchen, die sie betreuten, mussten für diese Aufgabe auch geschult werden. Lina mobilisierte gleich gesinnte Frauen und gründete ein Kindergärtnerinnenseminar. In diesem Institut wurden die Ideen des Pädagogen Friedrich Fröbel umgesetzt; zudem gründete sie mehrere Fröbelkindergärten.

Als 1866 die siegreichen Soldaten zerlumpt, hungrig und kaum anders anzusehen als die geschlagenen in Scharen nach Berlin kamen und das herrschende Elend auf den Straßen noch vergrößerten, griff Lina beherzt ein: Wieder schaffte sie es, andere Frauen für ihre Idee zu begeistern, und schnell wurden die ersten Berliner Suppenküchen geöffnet, die zu den bedeutendsten Errungenschaften der frühen Sozialarbeit zählen.

Ihre Ideen zeigten Wirkung, die Zahl ihrer Anhängerinnen vergrößerte sich ständig, und ihre Gedanken verbreiteten sich bis ins Ausland: Der erste Kindergarten in England wurde 1873 eingerichtet; die erste schwedische Volksküche 1885 in Betrieb genommen.

Unermüdlich arbeitete Lina weiter: Die Praktiken der Engelmacherinnen in den dunklen Verschlägen der Berliner Hinterhöfe waren ihr schon lange ein Gräuel; außerdem starben so viele gerade auf die Welt gekommene Kinder kurz nach der Geburt – dagegen musste etwas unternommen werden! Mit einigen Mitstreiterinnen gründete sie 1868 den Kinderschutzverein, der durch bessere Versorgung die Säuglingssterblichkeit verringern und Abtreibungen zu verhindern helfen sollte.

Bis in die allerhöchsten Kreise hatten sich das Engagement und der Erfolg Lina Morgensterns herumgesprochen. Die Königin selbst forderte sie während des Krieges gegen Frankreich 1870/71 auf, Bahnhofsküchen für Truppentransporte und Ambulanzen für die Verwundeten einzurichten, was Lina vorbildlich erfüllte.

Lina Morgensterns Kampf für die Kinder zog den Kampf für die Verbesserung der Lage der Frauen nach sich. Sie kann daher als Frauenrechtlerin bezeichnet werden, wenn sie auch niemals zum radikalen Flügel der Frauenbewegung gehörte. Um das Los der Frauen auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen kümmerte sich Lina auf vielfältige Weise: 1869 rief sie die Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung für junge Damen ins Leben; sie gehörte jahrelang als Vorstandsmitglied dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein an und gründete 1873 den Hausfrauenverein. Eine Kochschule, Unterstützungskassen für Hauspersonal und ein Labor für Nahrungsmittelchemie wurden dem Verein bald angegliedert. Ab 1874 gab Lina Morgenstern für den Verein die Deutsche Hausfrauenzeitung heraus; 1880 gründete sie den Verein zur Rettung minorenner, strafentlassener Mädchen; sieben Jahre später komplettierte sie mit den ersten Lehrkursen für häusliche Krankenpflege das Ausbildungsprogramm des Hausfrauenvereins.

Zu vielen Themen hat Lina Morgenstern in ihren Büchern Stellung genommen. So verfasste sie unter anderem Lebensbilder von berühmten Frauen und veröffentlichte einen Ratgeber für Hausfrauen.

Als sie am 16. Dezember 1909 in Berlin starb, ging mit ihr eine nicht ermüdende, couragierte Kämpferin gegen Armut und Not.

Lit.: Clara Roth, Lina Morgenstern, in: Schlesische Lebensbilder I. Schlesier des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von der Historischen Kommission für Schlesien, 2. Aufl. Sigmaringen 1985, S. 81-84. – Eva Wodarz-Eichner, „Ich will wirken in dieser Zeit …“ Bedeutende Frauen aus acht Jahrhunderten. 52 Kurzbiographien, 2. Aufl. Bonn 2008, S. 233-237.

Bild: Archiv der Kulturstiftung.