Biographie

Müller, Friedrich A.

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Bildhauer
* 30. September 1914 in Torschau/Batscher Land
† 10. Dezember 1976 in München

Der Sohn des Schmiedemeisters Jakob Müller und der Katharina Konrad verlor mit fünf Jahren die Mutter und wuchs in der liebevollen Obhut des Vaters auf. Er absolvierte die Volksschule in Torschau, das Deutsche Gymnasium in Neu-Werbass, zwei Jahre Handelsakademie in Neusatz/Novi Sad und die Deutsche Lehrerbildungsanstalt in Groß-Betschkerek. Seine erste literarische Prägung erfuhr Müller im „Lenauverein“ dieser Lehranstalt, der von Dr. Adam Maurus geleitet und mit neuen Impulsen belebt wurde. Begabung für die Malerei wie auch literarisches Talent waren schon während dieser Schuljahre aufgefallen. Innerstem Drang folgend, fasste Müller den Entschluss seines Lebens: Künstler zu werden. Nach Beendigung der Lehrerbildungsanstalt 1936 studierte er an der Münchener Akademie der bildenden Künste, zunächst Malerei bei Prof. Karl Caspar, dann Bildhauerei bei Prof. Josef Wackerle, dessen Meisterschüler er 1941 wurde. Während die Folgen des Krieges bereits zu spüren waren, arbeitete Müller in den Ferien bei Verwandten in einer Gärtnerei nahe Magdeburg und in der dortigen Großmarkthalle. Aber auch Reisen durch Deutschland, Österreich, Italien und Griechenland wurden ihm noch ermöglicht. Im Sommer 1944 beendete er sein Bildhauerstudium. Als das Akademie-Gebäude durch Bombenwürfe schwer getroffen wurde, half er unter Todesgefahr bei der Brandbekämpfung. Dabei zog er sich mit einer schweren Gelbsucht einen dauernden Leberschaden zu. Für seinen Einsatz erhielt er das Kriegsverdienstkreuz. Nicht zuletzt war es gerade ihm zu verdanken, wenn in den geretteten Räumen der Akademie nach dem Ende des Kriegs der Unterricht bald wieder aufgenommen werden konnte. Im Herbst 1944 erlebte Müller das Elend der Flüchtlinge aus dem Südosten, darunter auch sein Vater. Der Künstler packte in der herrschenden Not jede Arbeit an, um die Seinen über Wasser zu halten. Bis Kriegsende arbeitete er in einem Rüstungsbetrieb in Thüringen. Zu Fuß kehrt er mit seiner späteren Frau von dort nach München zurück. In den Ruinen der geliebten Akademie fand er eine dürftige Bleibe. Am Wiederaufbau der Anstalt wirkte er eifrig mit. Aus seiner 1946 geschlossenen Ehe gingen zwei Kinder hervor (1948 Eleonore Madeleine, 1950 Robert Wolfgang), 1962 heiratete er in zweiter Ehe die Kunstmalerin Gertrud Diplich.

Bei Wiederaufnahme des allgemeinen Hochschulbetriebes setzte Müller sein Studium als Gasthörer mit noch einigen Semestern Philosophie und Kunstgeschichte fort. In der schwierigen Lage der Kulturschaffenden während der Nachkriegszeit stellte er Kleinplastiken (Hanfstängel) für den Kunsthandel her und hatte das Glück, für Graf Arco Zinneberg arbeiten zu können. In einer für Geistesschaffende trotz Wirtschaftswunder immer hoffnungsloser werdenden Situation war er ständig besorgt, seine Berufung aufgeben zu müssen. 1951 aber kaufte die Bundesrepublik Deutschland seinen Entwurf der 5-DM-Münze für einen Wettbewerb an, eine erste Wende in seiner künstlerischen Laufbahn. Zu einer ersten Ausstellung von Müllers Schaffen kam es beim „Tag der Donauschwaben“ in Esslingen 1954. Zudem erhielt er den Auftrag, das dortige Lenau-Denkmal umzugestalten und eine Schriftplatte anzufertigen.

1956 beteiligte sich Müller an einem Wettbewerb zur Gestaltung eines Denkmals für die vielfach von Ulm aus nach Südosteuropa ausgewanderten Ahnen der Donauschwaben und warb in einer Streitschrift für die einmalige Chance, dem Schicksal seiner Landsleute einen würdigen, der Größe der Aufgabe angemessenen Ausdruck zu verleihen. Jedoch halfen seine gediegenen Ausführungen nichts, nicht einmal seine Warnung vor einem unqualifiziert besetzten Preisrichter-Gre­mium konnte verfangen. Das Gedächtnismal musste schnell kommen und den Vorgaben gemäß preisgünstig sein, ein Konkurrent kam zum Zug, immerhin fand es am Donauufer einen adäquaten Platz.

Die Auswahl der von Müller in Büsten oder Ganzkörperfiguren gestalteten Persönlichkeiten unterlag anspruchsvollen Kriterien. Er fragte sich, ob sie „Entscheidendes für die Wahrheit“ und damit für den Wert dessen, was von der Volksgruppe bleiben wird, in die Welt gebracht hatten, ob ihr Werk Fruchtbarkeit, verwandelnde Wirkkraft, einen fortzeugenden Gedanken aufweise. Auserwählte, bereits zur Geschichte gewordene Figuren versuchte er sich anzuverwandeln und sie in ihrer geistigen und psychischen Struktur nachzuschaffen, ihrem Dasein physiognomische Lesbarkeit zu verleihen. Als Manifestationen des Donauschwäbischen schuf er Büsten des alternden „Erzschwaben“ Adam Müller-Guttenbrunn (Reutlingen-Ohmenhau­sen 1959), des Dichters Nikolaus Lenau in verschiedenen Lebensphasen (Spaichingen 1960, Stuttgart-Zuffenhausen 1962, Sindelfingen), und ein Bronzestandbild des „Retters der Mütter“ Ignaz Philipp Semmelweis (Heidelberg 1971), das den Geburtshelfer in der signifikanten Gebärde des Händewaschens zeigt. Hygiene als Voraussetzung zur Vermeidung des tödlichen Kindbettfiebers erfüllt seinen Seitenblick auf die imaginäre Gebärende mit wissender Zuversicht. Dazu kommt eine Reihe kleinerer Schöpfungen, u.a. die „Johann-Eimann-Pla­ket­te“, gestiftet 1961 von der „Donaudeutschen Landsmannschaft in Rheinland-Pfalz“ sowie ein Porträtrelief Müller-Gutten­brunns in Mosbach/Baden 1962. Zu erwähnen ist auch der Gedenkstein in Landau/Pfalz, der 1952 enthüllt, sowie sein größtes Werk, der Pannonia-Brunnen in Kirchheim/Teck, der 1964 eingeweiht wurde und die überströmende Fruchtbarkeit des pannonischen Raumes symbolisiert. Auch die Porträtbüste seines Kulaer Landsmannes Bauingenieur Franz Blantz von 1972 darf nicht unerwähnt bleiben.

Für die von ihm hervorgebrachten Werke wurde Müller als „ein donauschwäbischer Barlach“ (F. E. Gruber) bezeichnet, in seinen künstlerischen Auffassungen sei er eine „lenauhafte Natur“, „kein Wägender“, sondern ein „Wagender“ gewesen, „ein sich an und in sein Werk Verschwendender“ (Jakob Wolf). 1966 wurde Müller der Förderpreis des Donauschwäbischen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg zugesprochen.

Müller war eine eigenwillige, am Vorbild der griechischen Antike geschulte Künstlerpersönlichkeit. Phidias, Michelangelo und Rodin waren seine hehren Leitbilder. Er nahm manches Opfer auf sich, weil er sich dem „parvenühaft-traditionslosen“ Zeitgeist, einer „Gesellschaft, die den Egoismus organisiert und sanktioniert“, nicht beugte, sondern seinen eigenen Weg abseits vom „Kulturgeschwätz der Bewußtseinsindustrie“ ging und dem Karriere-Denken in einer sinnentleerten Konsumwelt geistig-moralisches Gewicht entgegenzusetzen suchte. Zu seinem Credo gehörte, dass gegen den Strom schwimmen muss, wer zur Quelle will. Diese unbedingte, für einen schöpferischen Menschen aber alternativlose Haltung ließ ihn verarmen.

Als im Juni 1971 das Denkmal für Semmelweis enthüllt wurde, sechs Jahre nach Beginn der Arbeit, musste Müller feststellen, dass für dieses großangelegte Werk nicht einmal die angefallenen Material- und Handwerkerkosten beglichen werden konnten, ganz zu schweigen von seinem Honorar. Zeitweise war er kaum noch in der Lage, die Ateliermiete zu bezahlen, seine Frau Gertrud, ebenfalls Künstlerin, musste sich in abendlicher Nebenbeschäftigung als Putzfrau verdingen. In der Reinigungsbranche verdiente man seinerzeit dreimal mehr als mit den Stundenerträgen, die Müller als Bildhauer herausschlagen konnte, wobei sogar noch ein bisschen Sicherheit hinzukam bei Krankheit und für spätere Jahre.

Nietzsches Wort „Alles Entscheidende entsteht trotzdem“ mahnte ihn zwar immer wieder zum Durchhalten, doch auf einem seelischen Tiefpunkt blieb auch der Herzinfarkt nicht aus. Keineswegs unschuldig an dieser Misere des engagierten Künstler-Ehepaars waren freilich auch vielerlei widrige Umstände und Intrigen, der Kleinkrieg um sein Werk, die verständnislose und das Risiko scheuende Rolle der Lands­mannschaftsbosse, insgesamt kein Ruhmesblatt für die donauschwäbische Geschichte.

Kurz vor Weihnachten 1974 erhielt Müller von Bundespräsident Walter Scheel die Mitteilung, dass er nun laufend eine Zuwendung als Ehrengabe erhalten werde in Anerkennung und als Ausdruck des Dankes für seine kulturelle Leistung. Es war eine Bestätigung von höchster staatlicher Stelle für seine künstlerische Laufbahn.

Neben Bronze und Marmor suchte Müller sich auch in der Sprache auszudrücken, in Lyrik, Roman, Drama und Essay. Wenig davon erblickte das Licht der Öffentlichkeit, neben einigen Gedichten und Aufsätzen ist es nur ein Auszug aus seinem Roman Zwergengeschlecht, der Fragment geblieben ist, während die Dramen Eros und Narrentragödie weder zur Aufführung noch zum Druck gelangt sind. Ein Lyrik-Bändchen blieb in den Vorbereitungen zur Drucklegung stecken, seine Lebenserinnerungen sind unvollendet.

Hervorzuheben ist sein glänzender Essay Kunst und Religion – schwindende Phänomene?, der nicht nur von seiner humanistischen Bildung zeugt, sondern auch von seiner Fähigkeit, in mythisch-religiösen und philosophischen Bezügen zu denken. Nachdem Gott und die Götter – „die fruchtbarsten Irrtümer der Menschheitsgeschichte“ – tot sind und für den auf einen Sinn hin angelegten Menschen mit der Leuchtkraft der Transzendenz auch die eigene Schöpferkraft schwand, ist eine seelische Verarmung eingetreten, die sich auch in der „versnobten Impotenz“ der Kunst offenbart. Sie spiele alle zersetzenden und destruktiven Möglichkeiten durch und mache selbst aus dem Unvermögen einen Stil. Den rein wissenschaftlichen Wirklichkeitsbegriff der Moderne hält Müller zugleich für ihr „Nessushemd“, also das, durch was sie eingeholt und zugrunde gehen wird. Trotz apokalyptischer Untermalung redet Müller keineswegs einer Verketzerung des menschlichen Intellekts oder einer Dämonisierung seiner Werkzeuge Wissenschaft und Technik das Wort. Denn der Mensch erhalte vom Weltall, das „nur kraft ungeheuerlichster Werkvernunft existieren kann“, ohnehin lediglich „in einer Art von Werkspionage eine gewisse dürftige Ahnung“. Müller vertraut vielmehr darauf, dass alle Abstraktionsversuche von den Grundtatsachen der menschlichen Psyche auf Dauer „an archaisch gesteuerten Widerstandmechanismen scheitern“ werden. Für ihn ist Glaube nicht der Anfang, sondern das Ende aller Wissenschaft.

Mitten im Schaffen hat den Infarkt-Kranken am 10. Dezember 1976 der Tod erreicht, als er gerade seinen seit langem geplanten Brunnen für den genialen Liedkomponisten der Spätromantik Hugo Wolf in Gips schon fertig hatte. Eine überlebensgroße, für Bronze gedachte Orpheus-Figur saß in Müllers Atelier auf einem Felsen und schien mit ihrer Musik das Chaos zu bändigen. Der griechische Sänger verwandelte das brodelnde Wasser in Harmonie und Gestalt, es sollte in Form von Wasserstrahlen aus der in seinem linken Arm ruhenden Lyra quellen. Nach dem Pannonia-Brunnen und dem Ehrenmal für den „Retter der Mütter“ war der Hugo-Wolf-Brunnen als Friedrich Müllers drittes großes Lebenswerk gedacht.

Eine Büste von Josef Trischler, des Abgeordneten dreier Parlamente (Belgrad, Budapest, Bonn) und hervorragenden Repräsentanten der Donauschwaben, war bei Müllers Tod im Tonmodell fertig. Mit Hilfe der Witwe konnte ein Bronzeguss gefertigt werden.

Werke: 1) Friedrich A. Müller, „Zwecks Erlangung von Entwürfen …“ Kunstkritische Ketzereien anhand eines aktuellen Themas, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 1957, Heft 1, S. 33-45. – Schmerzlicher Asphalt. Ausschnitt aus dem Romanfragment „Zwergengeschlecht“, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 1958, Heft 1, S. 30-53. – Betrifft den „Retter der Mütter“ Ignatz Philipp Semmelweis, in: Der Donauschwabe v. 9.1.1965, S. 7. – „Es kehrt nicht um, wer an einen Stern gebunden ist“, in: Der Donauschwabe v. 7.3.1965, S. 3 (1)/14.3.1965, S. 3, 5 (2); Kunst und Religion – schwindende Phänomene? Gibt es einen Tod des Lichtes? Versuch über elitäre Geistesstörungen unserer Epoche, in: Der Donauschwabe v. 5.2.1967, S. 4. – Das Semmelweis-Standbild. Ein offener Brief des akad. Bildhauers Friedr. A. Müller, in: Der Donauschwabe v. 26.4.1970, S. 5.

Lit.: F. Kühbauch, Friedrich Müller. Lebensbild eines donauschwäbischen Künstlers, in: Der Donauschwabe v. 6.9.1959, S. 6. – J. W., Bildhauer Friedrich Müller und sein Werk, in: Der Donauschwabe v. 17.6.1962, S. 7. – Maria Lehmann-Scherer, „Fortschritt in einer Sackgasse kann nur Umkehr heißen“. Ein Besuch bei dem donauschwäbischen Künstlerehepaar Gertrud und Friedrich A. Müller, in: Der Donauschwabe v. 1.6.1975, S. 4. – Gustl Huber, Trischler-Büste in München enthüllt. Gedenkstunde in München für Politiker Dr. Josef Trischler und Bildhauer Friedrich A. Müller (Abb. Büste), in: Der Donauschwabe v. 15.5.1983, S. 1, 3.

Bild: Gemälde von Ehefrau Gertrud Müller, geb. Diplich.

Stefan P. Teppert