Der Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn ist bis 1945dieIntegrationsfigur der Donauschwaben gewesen, die er in seinen journalistischen und erzählerischen Werken als Gruppe innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie bekannt gemacht hat. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß seine donauschwäbischen Exegeten ihm grenzenlose Bewunderung zollten und einer von ihnen – Nikolaus Britz – ihn sogar den „Homer der Donauschwaben“ nannte. Diese ausschließlich regionale und gruppenbezogene Bedeutung würde dem Gesamtschaffen des vielseitig engagierten Autors und Kulturpolitikers nicht gerecht werden. Für ihn gilt vielmehr, was sein erster Biograph, Ferdinand Ernst Gruber, 1957 festgehalten hatte, als er über „Adam Müller-Guttenbrunn, den Europäer“ schrieb: „Er schreibt zuerst als geschichtskundiger Europäer, mit der vollen Verantwortung des Abendlandes…, denn in einem national ausbalancierten Europa kann es keine Hegemonie, sondern nur gleichberechtigte Völker und organisch gewachsene Kulturgemeinschaften geben“.
Die ethnische und kulturelle Vielfalt innerhalb der Donaumonarchie hat Adam Müller-Guttenbrunn immer wieder darzustellen versucht. Selbstverständlich hat er seine Erkenntnisse aufgrund biographischer und berufsbedingter Erlebnisse und vor dem Hintergrund einer spannungsreichen Vielvölkerkulisse in einem Kaiserreich gewonnen, dessen Ende er miterlebte und für dessen Kulturmission er immer wieder – bis zu seinen im Ersten Weltkrieg verfaßten, extrem panegyrisch-exklusivistischen Standpunktäußerungen – kämpferisch eingetreten ist.
Seine durch Schwierigkeiten und Diskriminierungen gekennzeichnete Kindheit hat Adam Müller-Guttenbrunn ein geschärftes Beobachtungsvermögen ermöglicht. Der uneheliche Sohn von Adam Luckaup, einem wohlhabenden Bauernsohn, und Eva Müller wuchs in seinem Geburtsort Guttenbrunn im Hause des Großvaters Jakob Müller auf, besuchte dort die Grundschule (1859-1862), war in der Banater Hauptstadt Temeswar kurze Zeit in der Normalschule und im Piaristengymnasium (1862-1865) und mußte danach bei seinem Onkel Johann Guthier als Lehrling arbeiten. Ob er tatsächlich in Hermannstadt war und dort das deutsche Gymnasium besucht hat (1868-1870), wie dies Hans Weresch behauptetete, konnte bislang nicht ermittelt werden. 1870 kam Müller-Guttenbrunn nach Wien, besuchte hier bis 1873 die Handelsschule, wurde für den Telegraphendienst ausgebildet und war von 1873 bis 1879 im Telegraphendienst in Linz und Bad Ischl tätig. In diese Zeit fallen seine ersten literarischen und journalistischen Versuche. 1879 nach Wien versetzt, war er noch bis 1885 Telegraphenbeamter. Im Jahre 1886 heiratete er Adele Krusbersky, begann seine journalistische Karriere, gab von 1886 bis 1894 den Kalender des deutschen Schulvereins heraus und arbeitete als Feuilletonredakteur der Wiener Deutschen Zeitung (1886-1892). Von 1892 bis 1896 war Müller-Guttenbrunn Direktor des Raimund-Theaters, danach Präsident der „Deutsch-österreichischen Schriftstellergenossenschaft“ und von 1898 bis 1903 Leiter des Kaiser-Jubiläums-Theaters. Dieses zweite Direktorat endete wie schon das erste mit einem Fiasko, so daß sich Müller-Guttenbrunn unter dem Pseudonym Ignotus wieder der kräftezehrenden Pressearbeit zuwenden mußte. In Wien selbst hatte sein Ansehen gelitten, weil er einem Theaterverein beigetreten war, dessen Satzung antisemitische Zielsetzungen enthielt. Auch die Tatsache, daß Müller-Guttenbrunn jüdische Schauspieler und Dramatiker förderte, hat diesen Makel nie ganz zu tilgen vermocht.
Durch seine Romane und Erzählungen, die sich mit österreichischer Regionalgeschichte beschäftigten, ebenso durch seine Bühnenwerke, die ihm Anerkennung in Theaterkreisen eintrugen, obwohl sie eigentlich nie besondere Bühnenerfolge erzielten, war Müller-Guttenbrunn in Österreich ein bekannter Schriftsteller. In Wien hatte er sich als langjähriger Theaterkritiker und Feuilletonist und als Theaterdirektor bestens eingeführt. Die finanziell unergiebigen Jahre beim Raimund- und am Kaiser-Jubiläums-Theater zwangen den Schriftsteller zu einer beruflichen Neuorientierung. Eine Reise in seine Geburtsheimat im Jahre 1907 (er erlebte die großen Überschwemmungen an der Unteren Donau aus nächster Nähe) bot die Anregung für seine Spätwerke, die sich bevorzugt mit den Daseinsfragen der deutschen Minderheit im Königreich Ungarn beschäftigten. Mit diesen Werken hat sich Müller-Guttenbrunn, dessen frühere Tätigkeit im deutschen Schulverein, dessen Eintreten für die Rechte österreichischer Schriftsteller unvergessen waren, als wichtiger Exponent eines kulturellen und politischen Erwachens der „Schwaben“ in Ungarn profiliert.
Mit einem politischen Pamphlet gegen nationale Diskriminierung, mit Götzendämmerung, begann der Schriftsteller die Reihe der Werke mit donauschwäbischer Thematik. Die Glocken der Heimat, ein Siedlerroman, der das Schicksal der deutschen Gemeinde Rudolfsgnad an der Donau gestaltete, wurde mit dem Bauernfeld-Preis ausgezeichnet. Die Novelle Der kleine Schwab, eine donauschwäbische Pikaro-Geschichte, wurde in der Zwischenkriegszeit Schulbuchlektüre. Mit dem Roman Der große Schwabenzug hat Müller-Guttenbrunn ein Modell für die Wertbeständigkeit und die Leistungsbezogenheit der schwäbischen Siedler im Donauraum geschaffen. Daß er – schon in den Glocken der Heimat und noch mehr in dem zum Teil autobiographischen Roman Meister Jakob und seine Kinder – Kritik an den sozialen Spannungen in den schwäbischen Dörfern des Banats übte, ist durch die Rezipienten oft übersehen worden. Die politische Weitsicht der geplanten und verwirklichten österreichischen Ostsiedlung (Müller-Guttenbrunn dokumentiert sie in der Trilogie Von Eugenius zu Josephus) und die europäische Dimension der Kulturraumgestaltung sowie die umfassenden Leistungen einer deutschen Regionalkultur zwischen Wien und Budapest (ihre Apotheose wird in der Lenau-Trilogie ausgestaltet) hat Müller-Guttenbrunn in einer an sich kohärenten Gesamtkonzeption zielstrebig gewürdigt. Er hat die deutsche Minderheitenkultur in ihrer Bedrohung durch die Staatsmacht und die Nachbarn darzustellen versucht, hat vor dem Hintergrund nationalistischer Strategien am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine an sich ebenso schlagkräftige und auf Isolation in der eigenen Gruppe bedachte Kulturpolitik propagiert und sich vor allem im Kampf gegen magyarische Hegemoniebestrebungen zu Übersteigerungen hinreißen lassen, zu einem hypertrophen Minderheitenselbstbewußtsein, das nicht immer einem Ausgleich dienlich war. Toleranz gegenüber anderen Minderheiten ist gleichwohl in den Werken Müller-Guttenbrunns immer feststellbar und ein Indiz dafür, wie das multiethnische Zusammenleben für adäquate Formen der Koexistenz sorgt.
Von den deutsch-schwäbischen Minderheiten in den neuen Nationalstaaten Ungarn, Jugoslawien und Rumänien ist Müller-Guttenbrunns Erzählwerk als Legitimation ihrer Gruppenidentität herangezogen worden. Die nicht-schwäbischen Aspekte des Gesamtschaffens hat man bis heute nicht eingehend untersucht. Wie politischer Druck Gegendruck erzeugt, wie sich Minderheitenselbstdarstellung verselbständigen kann, aber auch, wie sich gerechte Ansprüche und positive Ansätze einer ethnienübergreifenden Verständigung darbieten, kann anhand des konservativen, wertebewahrenden Weltbildes des erfolgreichen Autodidakten Müller-Guttenbrunn auch heute noch ermittelt werden.
Schriften: Gräfin Judith. Drama, Linz 1877. –Im Banne der Pflicht. Schauspiel, Leipzig 1880. –Des Hauses Fourchambaults Ende. Schauspiel, Breslau 1881. – Frau Dornröschen. Ein Wiener Roman, Wien 1884. – Deutsche Kulturbilder aus Ungarn, Leipzig 1896. –Das Raimund-Theater, Wien 1897. – Götzendämmerung. Ein Kulturbild, Wien und Leipzig 1908. –Der kleine Schwab. Abenteuer eines Knaben, Leipzig 1910. – Die Glocken der Heimat. Roman, Leipzig 1911. – Schwaben im Osten. Ein deutsches Dichterbuch aus Ungarn, Heilbronn 1911. – Es war einmal ein Bischof. Roman, Leipzig 1912. – 10 Der große Schwabenzug. Roman, Leipzig 1913. – 10 Altwiener Wanderungen und Schilderungen, Wien 1915. – 10 Ruhmeshalle deutscher Arbeit in der österreichisch-ungarischen Monarchie, Stuttgart und Berlin 1916. – Meister Jakob und seine Kinder. Roman, Leipzig 1918. – Lenau, das Dichterherz der Zeit. Eine Romandreiheit, Leipzig 1921. – Altösterreich, Wien, München, Leipzig 1922. – Erinnerungen eines Theaterdirektors. Hg. von Roderich Müller-Guttenbrunn, Leipzig 1924.
Lit.: Gruber, Ferdinand Ernst: Adam Müller-Guttenbrunn, der Erzschwab. Eine Studie, Leipzig 1921. – 10 Weresch, Hans: Adam Müller-Guttenbrunn und seine Heimatromane, Temesvar 1927. – Pfniß, Ludwig: Adam Müller-Guttenbrunn, Mensch und Werk, Temeschburg 1943. – Köstner, Käthe: Das Wesen des deutschen Bauern in den Romanen Adam Müller-Guttenbrunns, Diss. München 1948. – 10 Weresch, Hans: Adam Müller-Guttenbrunn, sein Leben, Denken und Schaffen, 2 Bde., Freiburg i.Br. 1975. – 10 Berwanger, Nikolaus: Adam Müller-Guttenbrunn. Sein Leben und Werk im Bild, Bukarest 1976. – Schwob, Anton: Adam Müller-Guttenbrunn – ein Heimatdichter? In: Vergleichende Literaturforschung. Internationale Lenau-Gesellschaft 1964-1984, Wien, S. 437-446. – 10 Müller-Guttenbrunn, Alexandra: Leben und Werk Adam Müller-Guttenbrunns (1852-1923), unter besonderer Berücksichtigung seiner Tätigkeit als Feuilletonist, Wien 1995 (Magisterarbeit).