Biographie

Müller, Ludolf

Beruf: Bischof von Magdeburg
* 8. Oktober 1882 in Kalbe a.d. Milde
† 14. Februar 1959 in Magdeburg

Drangsalierungen und Verhaftungen musste er mehrfach erdulden. Dennoch setzte sich Ludolf Müller immer für seinen Glauben und seine Überzeugung ein. Sei es im Kirchenkampf zunächst gegen die Nationalsozialisten und dann gegen die DDR-Staatsführung, oder sei es im Kampf um das Deutschtum gegen polnische Behörden in Westpreußen. Er ging mutig und unbeirrbar seinen Weg und wurde zuletzt eine„väterliche Führerpersönlichkeit“ (Altbischof D. Ludolf Müller zum Gedächtnis, s. Lit.) in der Kirchenprovinz Sachsen.

Nach seinem 1901 bestandenen Abitur im Pädagogium des Klosters Unserer Lieben Frauen zu Magdeburg, nahm Müller sein Studium der evangelischen Theologie zum SS 1901 in Tübingen auf. Dort trat er dem Verein Deutscher Studenten (VDSt) bei. Diesem verdankte er nach eigenem Bekunden große Einblicke in die nationalen und sozialen Fragen der Zeit. Außerdem erhielt er beim VDSt das volksdeutsche Verständnis, das er später in Westpreußen praktizieren sollte. Zum WS 1901/02 wechselte er nach Leipzig und zum WS 1902/03 nach Halle. Dort bestand er im Sommer 1905 das erste theologische Examen. Es folgte eine Tätigkeit als Lehrvikar in Gollme und vom Oktober 1906 bis zum 1. April 1908 eine Hauslehrertätigkeit in Lauban. Kurz darauf bestand er auch das zweite theologische Examen.

Anschließend tratMüller am 1. Mai 1908 sein erstes Pfarramt in Dambeck an. Dort betätigte er sich 1909 bis 1914 im Kampf gegen den Deutschen Bauernbund und dessen Bündnis mit dem Liberalismus. Da er sich in Dambeck zu Beginn des ErstenWeltkriegs unterfordert fühlte und dies nicht mit seinen Pflichten gegen Kirche und Vaterland vereinbaren zu können glaubte, wandte er sich an den Ausschuss zur Errichtung von Soldatenheimen. Als freiwilliger Feldgeistlicher in Polen leitete Müller daraufhin ab November 1915 das Soldatenheim der Garnison von Plock. Von dieser für ihn letztlich unbefriedigenden Arbeit wurde er durch seine Versetzung zum WarschauerEvangelisch-Augsburgischen Konsistorium entbunden. Unter Beibehaltung des Ranges eines Feldgeistlichen übernahm er im Januar1916 die Verwaltung des Pfarramtes der Kreisstadt Sierpc. Zum 1. April wurde er aus dem Heeresdienst entlassen. Seine zweite Pfarrstelle nahm er Anfang April 1917 in Schönsee in Westpreußen an. Dort wurde im gleichen Jahr sein Sohn, derspätere Professor für Slawistik Ludolf Müller, geboren. InSchönsee setzte sich das DNVP-Mitglied Müller nach dem Ersten Weltkrieg im Deutschen Volksrat für die volksdeutschen Belange und gegen Polonisierungsbestrebungen ein. Nach der Angliederung an Polen 1920 ließen ihn polnische Behörden nach verschiedenen Drangsalierungen als vermeintlichen Aufrührer verhaften und im November 1921 als „lästigen Ausländer“ wegen „antipolnischer Tätigkeit“ ausweisen. Der Einspruch des Posener Konsistoriums und die diplomatischen Bemühungen der deutschen Regierung gegen diesen Schritt blieben vergeblich. Von November 1921 bis März 1922 stand er auf Vermittlung seines Bundesbruders Bruno Geißler(1875-1961), Generalsekretär des Gustav-Adolf-Vereins, im Reisedienst des Brandenburger Hauptvereins des Gustav-Adolf-Vereins undwar auf Wunsch des Konsistoriums Posen Mitglied der Verfassungsgebenden Kirchenversammlung der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Im März 1922 übernahm er eine Pfarrei in Dingelstedt/Huy bei Halberstadt. 1924 gründete er auf Anregung Geißlers dieVereinigung ehemaliger Ostmarkpfarrer. Am 1. April 1927 übernahm er diePfarrei in Heiligenstadt und die Superintendantur des Eichsfeldes.

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten – deren Aufstieg er zunächst abwartend beobachtet hatte – und nach der Gründung derGlaubensbewegung Deutsche Christen stellte er sich in den Dienst derBekennenden Kirche. Er nahm im Oktober 1933 an der konstituierenden Sitzung des Pfarrernotbundes teil und wurde als Vertreter der Provinz Sachsen in den Bruderrat gewählt. Dieses Engagement hatte im Februar 1934 seine Zwangsbeurlaubung, die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens und zum 1. April eine Strafversetzung nach Staats (Altmark) zur Folge. Nach Einstellung des Disziplinarverfahrens erfochtsich Müller mit einem Urteil des Landgerichts Nordhausen seine Rückkehr nach Heiligenstadt zum 4. Januar 1935. Die im Februar 1934 ausgesprochene Beurlaubung von der Superintendantur wurde am 30. Oktober 1935 aufgehoben. Vom 23. Juni bis zum 1. Juli und vom 13. August bis 28. September 1937 kam er aufgrund seiner Tätigkeit für die Bekennende Kirche in Untersuchungshaft, kurzzeitig war er auch am 7./8. März 1938 in Gestapo-Haft. Das Verfahren gegen ihn wurde aufgrund desStraffreiheitsgesetzes vom 30. April 1938 eingestellt.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm er maßgeblich am kirchlichen Wiederaufbau in der Kirchenprovinz Sachsen teil. Am 8. August 1945 wurde Müller auf Vereinbarung des Bruderrates und des Einigungsausschusses für die Provinz Sachsen sowie vom Evangelischen Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen in die vorläufige geistliche Leitung der Kirchenprovinz Sachsen berufen. Kurz darauf stand er als Präses und Vorsitzender an der Spitze der vorläufigen geistlichen Leitung der Kirchenprovinz Sachsen, zu deren Bischof er am 20. Mai 1947 gewählt wurde. Nicht ohne Grund, wie Siegfried Bräuer urteilt. Zwar habe er innerhalb der Bekennenden Kirche keinen radikalen Kurs verfolgt: „Seine konsequente Bereitschaft aber, für seine Glaubensüberzeugung einzustehen und seine Fähigkeit, die Kirche in schwieriger Zeit zu leiten, waren alles andere als alltäglich.“In sein Amt eingeführt wurde er von seinem Bundesbruder Bischof Otto Dibelius (1880–1967) am 16. Juli 1947 im Merseburger Dom. Von der Universität Halle wurde Müller 1947 der Ehrendoktor verliehen. Sein Amt hatte er bis zum Eintritt in den Ruhestand am 1. Oktober 1955 inne. Die beim Aufbau der Kirchenprovinz geführten Verhandlungen mit den Landesregierungen von Sachsen-Anhalt und Thüringen begannen zunächst in gegenseitigem Respekt. Durch den wachsenden Druck des SED-Regimes wurden die Verhandlungen aber immer mehr belastet, so dass wieder von einem „Kirchenkampf“ gesprochen wurde. Dabei setzte sich Müller nachhaltig für demokratische Wahlen, die Eigenständigkeit der kirchlichen Verkündigung und gegen die wirtschaftliche Belastung des Bauernstandes ein. Während des radikal antikirchlichen Kurses der DDR 1952/53 musste Müller erleben, dass die Kirchen der DDR Gewaltmaßnahmen nicht verhindern konnten. Aufmerksam verfolgte er daher die Einhaltung der Zusagen, die am 10. Juni 1953 als Zeichen des Neuen Kurses von der Staatsführung gemacht worden waren. Bereits im Ruhestand übernahm er noch 1957 den Vorsitz der Hauptgruppe Halle des Gustav-Adolf-Werkes. Kurz vor seinem Tod schrieb er seine Lebenserinnerungen nieder, die seine Tochter und sein Enkel 1998/99 veröffentlichten. Müller starb am 14. Februar 1959 in Magdeburg. Seine letzte Ruhestätte fand er in Kalbe.

Werke:Die unierte evangelische Kirche in Posen-Westpreußen unter der polnischen Gewaltherrschaft, Leipzig 1925 (Beihefte der Zeitschrift „Die evangelische Diaspora“, Bd. 10). – Lebenserinnerungen, 4 Teile, hrsg. von Stephan Lutze und Hildegard Dell, Baden-Baden und Erlangen 1998/99 (MS/vorhanden in den Universitätsbibliotheken Halle und Tübingen).

Lit.:Nachlass und Dienstakten im Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg. – Altbischof D. Ludolf Müller zum Gedächtnis, in: Akademische Blätter 61 (1959), S. 45-46. – Geißler, Bruno (Hrsg.), Ludolf Müller. Bischof zu Magdeburg. Ein Diener der Diaspora und Kämpfer für das evangelische Bekenntnis. Ein Gedächtnisblatt von Freunden und Mitarbeitern, o. O. 1962. – Kieser, Harro, Ludolf Müller, in: Gedenktage des mitteldeutschen Raumes, Bd. 1982, S. 116-117. – Kramer, Martin, Ludolf Müller, in: Heinrich, Guido und Schandera, Gunter, Magdeburger biographisches Lexikon, Magdeburg 2002, S. 489-490. – Zirlewagen, Marc, Ludolf Müller, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 13, Nordhausen 2004, Spalten 984-990. – Bräuer, Siegfried, Superintendent Ludolf Müller und der Kirchenkampf nach 1933 in Heiligenstadt, in: Eichsfeld-Jahrbuch 12 (2004), S. 183-216.

Bild:Ludolf Müller (Privatarchiv RA Roland John, Berlin).