Biographie

Müller, Rudolf

Herkunft: Pommern
Beruf: Forstwissenschaftler
* 14. Januar 1898 in Misdroy/Pommern
† 16. März 1995 in Bad Heilbrunn/Oberbayern

Rudolf Müller war Sohn eines preußischen Forstmeisters. Im preußischen Ostseebad Misdroy auf der Insel Wollin geboren, besuchte er jenseits des Haffs das König-Wilhelm-Gymnasium in Stettin und bestand dort 1915 das Abitur. 1916 trat er in das 3. Brandenburgische Jägerbataillon Lübben/Lausitz ein und kämpfte als Teilnehmer im Ersten Weltkrieg bis 1918 an der Front in Italien und Frankreich. Nach Kriegsende – verwundet in die Heimat zurückgekehrt – studierte er ab 1919 Forstwissenschaften in Eberswalde und Marburg (Lahn). Nach der Übernahme als Forstreferendar durchlief er die Ausbildung in verschiedenen Forstämtern Ostpreußens, Nord- und Mitteldeutschlands und legte 1924 die Große Forstliche Staatsprüfung ab.

Als junger Forstmann war Müller zunächst 1924 bis 1926 als Forsteinrichter (Betriebsplaner) in Pommern tätig. Hier entstand auch seine erste wissenschaftliche Arbeit, die 1927 veröffentlicht wurde. Bald darauf (1926) wurde ihm die Leitung des Preußischen Forstamtes Wetzlar übertragen, die er bis 1931 innehatte. 1930 wurde er in Gießen von den Professoren Wilhelm Borgmann (1869-1931) und Karl Vanselow (1879-1969) zum Dr. phil. promoviert.Thema der Dissertation war Verfahren und Ergebnisse der Forsteinrichtung in den Gemeindewaldungen des Kreises Wetzlar. In der Zeitspanne von 1931 bis 1933 war Müller als Forstrat am Forsteinrichtungsamt in Magdeburg und anschließend – nach dessen Auflösung – als Inspektionsbeamter bei der Regierung in Köslin in Pommern tätig. In dieser Zeit veröffentlichte er unter anderem eine umfangreiche Arbeit zum damals sehr aktuellen Thema der nationalen Forstwirtschaft.

Am 1. Januar 1934 wurde Müller in das Reichsforstamt in Berlin (Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten) berufen und 1936 zum Landforstmeister ernannt. Er befaßte sich auch weiter mit Problemen der forstwirtschaftlichen Planung und veröffentlichte diesbezüglich mehrere Arbeiten. Zum 1. Dezember 1938 übernahm er das neuerrichtete Amt eines Wirtschafts- bzw. Forstattachés an der Deutschen Botschaft in Bukarest. Er trat seinen verantwortungsvollen Posten im Jahre der Errichtung der „Königsdiktatur“ Carols II. an. Rumänien erstrebte damals einen modernen Wirtschaftsplan, der unter anderem die Nationalisierung der Holzindustrie und des Holzhandels beinhalten sollte. In der Zeitspanne zwischen 1928 und 1938 war Deutschland mit 53 Prozent des rumänischen Holzexportes der größte Abnehmer. Die deutsche Forstmission sollte – in enger Zusammenarbeit mit den rumänischen Forstfachleuten – helfen, die Rentabilität der Forstwirtschaft zu steigern und die Holzindustrie zu entwickeln. Deutsche Investitionen sollten gleichzeitig zu einer Erhöhung der Holzausfuhr nach Deutschland beitragen.

Sowohl das Forstabkommen zwischen beiden Staaten (12. Mai 1939) als auch ein Forstwirtschaftlicher Fünfjahresplan Rumäniens tragen im Sinne des modernen forstlichen Denkens im Deutschland jener Zeiten unverkennbar die Handschrift von Dr. Rudolf Müller. Der Fünfjahresplan wurde nicht nur in Zusammenarbeit mit führenden rumänischen Forstleuten erarbeitet – wie den Professoren Dracea, Antipa, Savulescu, Stinghe, Sburlan, Eliescu, Georgescu und Dr. Dumitrescu („mein Hauptpartner“, wie Müller ihn in seinen Memoiren nennt) – sondern auch nach einem Programm des Großen Generalstabes des Rumänischen Heeres gestaltet (der von der Militärmission des Deutschen Reiches beraten wurde).

Auch zur deutschen Volksgruppe in Rumänien hielt Müller engen Kontakt, so mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie G.A. Klein (1902-1989), Fritz Fabritius („leitender Mann der Siebenbürgen-Deutschen“, wie Müller diesen nannte), Dr. Brückner (Chirurg), Dr. Jickeli, und anderen; selbstverständlich verband ihn auch so manche Freundschaft mit deutschen Forstleuten und Jägern Siebenbürgens, wie Oberst A. von Spieß (1864-1953, Wildforscher und Jagdschriftsteller, Hofjagddirektor des Königs von Rumänien), E. Witting (1880-1952, Forstmann und Schriftsteller) und O. Witting (1889-1955, Jagdwissenschaftler, Generalforstinspekteur im Ministerium für Ackerbau und Domänen, Inhaber des Lehrstuhls für Jagd- und Fischereiwirtschaft an der Forstwissenschaftlichen Fakultät Kronstadt).

Als im August 1944 Rumänien dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, wurden die Gesandschaftsangehörigen durch den späteren Minister der Rumänischen Streitkräfte, Emil Bodnaras (1904-1976, deutsch-ruthenischer Abstammung), verhaftet und kamen teils in langjährige sowjetische Gefangenschaft (so Kurt Landwehr von Pragenau von der deutschen Militärmission, der neun Jahre in den Kerkern und Lagern des KGB verbrachte), teils in rumänische Internierungslager.

Müller wurde bis zum 20. April 1946 im Internierungslager Ghencea in der Walachei festgehalten. Nach der Rückkehr in die Heimat widmete er sich nicht zufällig der Erforschung der Pappel, hatte er doch in Rumänien wertvolle Erfahrungen hinsichtlich schnellwachsender Baumarten gesammelt. Neben Ungarn war Rumänien damals in der Pappel- und Robinienwirtschaft eines der führenden Länder nicht nur Südosteuropas. Im Zuge dieser Arbeiten baute er ab 1947 das Forschungsinstitut für Pappelwirtschaft in Brühl bei Köln auf, das er bis 1963 leitete. Dank seiner international anerkannten Arbeiten wurde er in den Kreisen der Pappelwirtschaft und -forschung liebevoll auch „Pappel-Müller“ genannt, und das mit Recht: Aus der unüberschaubaren Fülle der Namen, Varietäten und Sorten identifizierte er die 16 Altsorten und bestimmte mehrere Neusorten. In der Zeitspanne von 1948 bis 1963 prüfte er mit seinen Mitarbeitern in Brühl über 2500 Pappelherkünfte, die zum Teil eingesandt, überwiegend jedoch auf seinen weiten Reisen gesammelt worden waren. Auch mit Fragen des Anbaus der Schwarzpappeln und ersten Versuchen mit Balsampappeln hat er sich eingehend beschäftigt.

Die Verbreitung seiner Erkenntnisse in Wort und Schrift zur Unterstützung der Praxis des Pappelanbaus war Müller ein besonderes Anliegen. Die Liste seiner zahlreichen Publikationen in Zeitschriften und Büchern wurde im Forstarchiv, 39. Jahrgang, 1968, S. 44-45, veröffentlicht. Von seinen Büchern wären zu erwähnen: Pappeln und Pappelanbau (Hannover 1949 und 1959) sowieGrundlagen der Forstwirtschaft (Hannover 1959). Müller war auch Herausgeber des Waldheil, Kalender für deutsche Forstmänner und Jäger (Neudamm/Nm. 1935-1944) sowie des Deutschen Forst- und Jagdkalenders (Hannover seit 1947). Für die deutsche Forstwirtschaft stellen seine Arbeiten auch heute noch ein wertvolles Grundlagenmaterial dar; von ihm wurde die europäische Pappelwirtschaft entscheidend beeinflußt und geprägt.

Müllers wissenschaftliche Leistungen haben zahlreiche Anerkennungen erfahren; so verlieh ihm die Forstliche Fakultät der Universität Göttingen die begehrte „Burckhardt-Medaille“. Er war im übrigen der letzte „preußische reitende Feldjäger“. Als junger Mann hatte er nicht ahnen können, daß mit seinem Tod auch die 255jährige Geschichte des „Reitenden Feldjäger-Corps“ enden sollte. Schon sein Vater war Feldjäger (Stammrolle Nr. 1488). Sein Sohn Rudolf trug die Feldjägeruniform von 1917 bis 1919. Über seinen Eintritt ins Feldjäger-Corps schrieb er: „Ich erinnere mich noch genau, wie ich Feldjäger wurde – noch blutjunger Leutnant – ich war schon für die Forstlaufbahn angenommen, und mein Vater, selber alter Feldjäger, sorgte dafür, daß ich nun auch gleich ins Corps kam. Welcher Stolz auf die neue Uniform mit den Goldlitzen und sonstigen Spezialitäten, über die meine gleichaltrigen Kameraden ihren ein bißchen neiderfüllten Spott ergossen…“

Doch wer waren diese „Reitenden Jäger“? 1740 hatte Friedrich der II. von Preußen, der später der Große genannt wurde, das Königlich Preußische Reitende Feldjäger-Corps gegründet (eine Eliteeinheit). Es setzte sich aus Förstern zusammen, die für ihn Kurierdienst leisteten oder auch für besondere Zwecke beider Armee standen. Nachdem Wilhelm II (1859-1941) als Deutscher Kaiser und König von Preußen 1918 abgedankt hatte, wurde 1919 das Reitende Feldjäger-Corps aufgelöst. Die langwährende Tradition sollte jedoch in der „Akademischen Feldjäger-Gesellschaft“ weiterleben, die von den aus dem Krieg heimkehrenden Feldjägern gegründet wurde. Es war dies eine studentische Verbindung der damaligen preußischen Forstakademien, die auch heute noch aktiv ist.

Rudolf Müllers, einer aufrechten, liebenswürdigen, der Kunst und der Natur gleichermaßen aufgeschlossenen Persönlichkeit mit Ausstrahlung, werden in diesem Jahr – anläßlich seines 100. Geburtstages – die wenigen noch lebenden Freunde und die noch zahlreichen Schüler und Verehrer mit Hochachtung gedenken als des unvergeßlichen Nestors der deutschen Forstwirtschaft.

Weitere Werke: Die Aufforstung der Wanderdünen in der Oberförsterei Grünhaus und ihre Erfolge. Zeitschr. f. Forst- u. Jagdw., Okt. 1927. – Verteidigung der nationalen Forstwirtschaft. Der Deutsche Forstwirt 30, 31, 32 / 1932. – Pinus strobus rediviva. Forstarchiv 15, 1936, S. 253. – Einige neuere Arbeiten aus dem Gebiet der Forsteinrichtung. Forstarchiv 11, 1937, S. 181. – Die Weymouthskiefer früher und heute. Mitt. DLG 1937. – Forstwirtschaftlicher Fünfjahresplan in Rumänien. Forstarchiv 16, 1940, S. 131.

Lit.: Baier, H.: Deportarea etnicilor germani din Romania in Uniunea Sovietica 1945 [Die Deportation der Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion 1945]. Hermannstadt 1994, 128 S. – Dohna, F. Graf zu: Nachruf für Dr. Rudolf Müller. Feldjägerblatt 2, 1995, S. 18-19. – Fröhlich, H.J.: Rudolf Müller – 70jährig. Forstarchiv, 1968, S. 43-45. – Fröhlich, H.J.: Landforstmeister i.R. Dr. Rudolf Müller 70 Jahre. Die Holzzucht 1968, S. 16. – Gussone, H.A.: 250 Jahre Reidender Feldjäger-Corps. Forst und Holz 1990, S. 717. – Gussone, H.A.: Dr. Rudolf Müller gestorben. Forst und Holz, 1995, S. 509. – Landwehr von Pragenau, K.: Die Familie Landwehr von Pragenau. Eine historisch-genealogische Dokumentation und Chronologie. Selbstverlag, Regensburg 1972, 90 S. – Röhrig, E.: Landforstmeister i.R. Dr. Rudolf Müller – 90 Jahre alt. Forst und Holz 43, 12, 1988, S. 43. – Rösler, R.: Nestor der deutschen Forstwissenschaft. Rudolf Müller (1898-1995), ehemaliger Forstattaché in Rumänien, verstarb voriges Jahr in Bad Heilbrunn. Siebenbürgische Zeitung, München 46, 1, 1996.

 

  Rudolf Rösler