Biographie

Musil, Robert

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller, Dichter
* 6. November 1880 in Klagenfurt
† 15. April 1942 in Genf

Populär ist er nie geworden, dazu ist sein Werk zu intellektuell. Aber die Kritik bemerkte, dass Musils dichterisches Unternehmen von einschneidender Bedeutung und sein Hauptwerk ein ganz großer Wurf sei.

Robert Musil, am 6. November 1880 in Klagenfurt geboren, kam mit seinen Eltern als Elfjähriger nach Brünn. Sein Vater lehrte dort an der Deutschen Technischen Hochschule ab 1890 als Professor für Maschinenbau. Für sein erfolgreiches Wirken wurde er 1917 in den erblichen Adelsstand erhoben. Die Atmosphäre im Elternaus war nüchtern und rational, geprägt von aufgeklärten, an den Naturwissenschaften orientierten Vorstellungen und einer ausgesprochenen Glaubenslosigkeit. Nach dem Besuch der Deutschen Realschule in Brünn kommt der junge Musil auf die Militärrealschulen nach Eisenstadt und Mährisch Weißkirchen. Er entdeckt sein Interesse für die Technik, bricht die Offizierslaufbahn ab und durchläuft ab 1898 an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn eine gründliche und vielseitige Ausbildung zum Maschinenbauer, die auch Geodäsie, Hoch-, Straßen- und Eisenbahn-, Brücken- und Wasserbau sowie Chemie umfasst. Bei der zweiten Staatsprüfung bestätigt ein vierköpfiges Professorenkollegium Musil am 18. Juli 1901 „sehr befä­higt“ zu sein. Nachdem er in Brünn sein Einjährigen-Freiwilligen-Jahr absolviert hat, folgen weitere Studien an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Dort fungiert er bei dem Professor des Maschinenbauwesens Carl von Bach als Volontär Assistent an der Materialprüfungsanstalt. Weil er das Abitur nachholen will, um Philosophie studieren zu können, muss er sich die alten Sprachen aneignen und beginnt zugleich, ‚Die Verwirrungen des Zöglings Törleß‘ nach Erfahrungen und Erlebnissen in der Kadettenanstalt in Mährisch Weißkirchen niederzuschreiben. An der Berliner Universität promoviert er 1908 in den Fächern Philosophie, Physik und Mathematik mit einer Dissertation über Ernst Mach, für den Physik und Psychologie untrennbar sind. Wie sehr ihm Brünn zur Heimat geworden ist, beweisen zahlreiche Tagebucheintragungen. Im ‚Mann ohne Eigenschaften‘ widmet er dieser „kakanischen Stadt“ zehn Seiten, denn sie „war deutsch, sie lag in einer deutschen Sprachinsel, wenn auch nur an deren äußersten Spitze und wusste sich seit dem 13. Jahrhundert in die stolzen Erinnerungen deutscher Geschichte verflochten“.

Musils Werk umfasst Novellen, Dramen, Essays, Kritiken und zwei Romane. Der erste, ‚Die Verwirrungen des Zöglings Törleß‘, erscheint 1906 und erringt mit Hilfe einer glänzenden Kritik von Alfred Kerr im Berliner ‚Tag‘ überraschend viel Erfolg. Er gilt heute als frühes Hauptwerk der literarischen Moderne. Mit dieser subtilen Milieustudie über jugendliche Homosexualität und pubertäre Identitätsstörung in einer österreichischen Militärerziehungsanstalt zeichnet Musil visionär zugleich im Kern das Bild kommender Diktaturen – Mussolini, Hitler, Stalin – und der Vergewaltigung des Einzelnen durch das System vor. Seit dem Ersten Weltkrieg entstand in rund zehnjähriger Arbeit sein Drama ‚Die Schwärmer‘. Kritiker und Dramaturgen hielten das Stück für bühnenfremd, für ein Lesedrama. Zur Premiere des stark gekürzten Stücks kam es deshalb erst 1929 an einer Berliner Experimentierbühne. Zu Lebzeiten des Autors wurde das Drama dann nicht mehr aufgeführt. Allerdings bezeichnet ein Regisseur wie Hans Neuenfels das Werk später als „eines der wichtigsten Dramen des 20. Jahrhunderts, wenn nicht das wichtigste, das die deutschsprachige Literatur bislang besitzt“. An seinem zur Weltliteratur zählenden Opus magnum ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ hat der Dichter seit den 1920er Jahren bis zu seinem Tode fortlaufend gearbeitet, ohne es abschließen zu können. Während das Projekt in Breite und Tiefe wächst, muss der Verfasser sich Fortschritte mühsam abringen. Heute gilt der unvollendete Roman als Jahrhundertwerk. Mit der zentralen Idee, die Seele mit der Genauigkeit des Verstandes zu erfassen, arbeitet er das geistig Typische der Epoche heraus und übt schonungslose Weltanschauungskritik. Von Anfang an ging es Musil darum, das letzte Jahr vor dem Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch der europäischen Kultur zu beschreiben. Durch die geniale Erfindung der Parallelaktion lässt Musil das siebzigjährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs und das dreißigjährige Kaiser Wilhelms II. ins Jahr 1918 fallen, woraus sich ein Wettlauf der Patrioten in beiden Lagern entwickelt und dem Autor Gelegenheit verschafft, Vertreter der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und Ideologien auftreten zu lassen. Mit seinem Helden Ulrich, dem „Mann ohne Eigenschaften“, hat Musil einen Zeittypus getroffen, dessen Ich-Schwäche mit Passivität und Handlungsschwäche verbunden ist. Um dieser Ambivalenz zu entrinnen, lässt Ulrich sich zum Sekretär der Wiener Parallelaktion ernennen, um ihr schließlich einen utopischen Vorschlag zu machen: die Errichtung eines Generalsekretariats der Genauigkeit und der Seele, ohne das, wie er meint, alle anderen Fragen nicht zu lösen sind. Die Kritik war nach dem Erscheinen des ersten Bandes im Winter 1930 geradezu überwältigt. Musil erhielt rund 200 Rezensionen, die voll des Lobes waren und soweit gingen, den Roman für den bedeutendsten im deutschen Sprachraum und sogar in ganz Europa zu halten.

An Musils verzweifelter wirtschaftlicher Lage änderte dies indessen nicht viel. Seine jüdische Frau Martha sah er durch die Rassenpolitik der Nazis gefährdet. Im Mai 1933, elf Tage nach der Bücherverbrennung, kehrte er deshalb Deutschland den Rücken und fuhr nach Wien zurück. In den knapp fünf Jahren, die er bis zu seiner Emigration blieb, konnte er, materiell gestützt von einem in Wien gegründeten Musil-Fond, 20 weitere Kapitel schreiben. 1936 erlitt Musil einen Schlaganfall, die Arbeit am Roman geriet ins Stocken. Mit seiner Frau zog er im August 1938 ins Schweizer Exil, als die Lage in Wien nach dem Anschluss Österreichs unhaltbar wurde. Seine Bücher kamen in Deutschland und Österreich auf den Index. In ständiger Geldnot und ohne Verleger, am Ende seines sozialen Abstiegs zunehmend krank, starb der freie Schriftsteller am 15. April 1942 in Genf. An Musils Beisetzung nahmen acht Personen teil. Seine Leiche wurde eingeäschert, die Asche später von Martha Musil nach Familienbrauch verstreut. Sie versuchte mit wenig Erfolg, das Gedächtnis an das Werk ihres Mannes wachzuhalten. Bis 1952 blieb Musil quasi verschollen. Erst die von Adolf Frisé besorgte Neuausgabe seines Hauptwerks bei Rowohlt bereitete Robert Musil seinen Platz in der deutschen Literatur. Seine Werke wurden seither in alle Weltsprachen übersetzt. Die Publikationen zu seinem Œuvre reißen nicht ab. Auch in der Literatur wirkt es politisch und ästhetisch fort. Viele bedeutende Schriftsteller der Folgezeit bekannten sich als seine Leser und Bewunderer, von Guido Morselli bis Milan Kundera, von Christa Wolf bis Peter Handke, von Elias Canetti bis Kenzaburo Oe.

Werke (Auswahl): Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Wiener Verlag, Wien und Leipzig 1906, 68. Auflage, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009; auch als Hörbuch. – Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs. Berlin 1908, Inaugural-Dissertation Universität Berlin 1908, 124 Seiten. – Das verzauberte Haus (= erste Fassung von Die Versuchung der stillen Veronika), in: Hyperion 1908. – Das Unanständige und Kranke in der Kunst. Essay, in: Pan 1911. – Vereinigungen. Zwei Erzählungen. Georg Müller Verlag, München 1911, aufgelegt auch als Hörbuch in Volltextlesung. onomato Verlag, Düsseldorf. – Die Schwärmer. Schauspiel in drei Aufzügen. Sybillen Verlag, Dresden 1921. – Drei Frauen. Novellen. Rowohlt Verlag, Berlin 1924. Dreiteiliger Novellenzyklus bestehend aus Grigia. (Erstausgabe: Müller & Co. Verlag, Potsdam 1923, mit Radierungen von Alfred Zangerl), Die Portugiesin. (Erstausgabe: Rowohlt Verlag, Berlin 1923) und Tonka. (Erstdruck: Gebr. Stiepel Verlag, Reichenberg in Böhmen 1922). – Der Mann ohne Eigenschaften, 1930 erschien ein Erstes Buch im Rowohlt Verlag, Berlin, enthaltend Teil 1. Eine Art Einleitung und Teil 2. Seinesgleichen geschieht; ein Zweites Buch – erschienen im Rowohlt Verlag, Berlin 1933 – blieb unvollendet, es wurde und wird noch in verschiedenen Ausgaben aus dem Nachlass (re)konstruiert; einen dritten Band, bestehend aus dem Nachlass, ließ die Witwe Musils 1943 im Schweizer Exil drucken); auch als Hörbuch. – Nachlaß zu Lebzeiten. Humanitas Verlag, Zürich 1936, darin die Erzählung Die Amsel. – Über die Dummheit. Vortrag auf Einladung des österreichischen Werkbunds, gehalten in Wien am 11. und wiederholt am 17. März 1937. Einzelausgabe. Bermann-Fischer Verlag, Wien 1937. – Robert Musil – Gesammelte Werke. Herausgegeben von Adolf Frisé. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg (in 8 Bänden zwischen 1976 und 1981 erschienen). – Der literarische Nachlaß. CD-ROM-Edition. Hrsg. von Friedbert Aspetsberger, Karl Eibl und Adolf Frisé. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992.

Lit.: Karl Corino: Musil, Robert. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, S. 632-636. – Sibylle Deutsch: Der Philosoph als Dichter. Robert Musils Theorie des Erzählens. Beiträge zur Robert-Musil-Forschung und zur neueren österreichischen Literatur. Band 5. Röhrig, St. Ingbert 1993. –  Inka Mülder-Bach: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften: Ein Versuch über den Roman. Hanser, München 2013.

Bild: Robert Musil im Jahre 1930, gemeinfrei

Stefan P. Teppert