Biographie

Napiersky, Carl Eduard

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Historiker
* 21. Mai 1793 in Riga/Livland
† 2. September 1864 in Riga

In seiner Heimatstadt Riga besuchte Carl Eduard Napiersky zunächst die Domschule, um sodann zum Gouvernements-Gymnasium überzuwechseln. Hier gehörte der bedeutende Sammler und Geschichtsschreiber Joachim Christoph Brotze zu seinen Lehrern (vgl. OGT 1992, S. 128 f.). Durch ihn wurde das Interesse des Gymnasiasten an der Geschichte geweckt. 1810 begann Napiersky in Dorpat das Studium der Theologie, das er bereits 1812 als Kandidat abschloß. Bezeichnenderweise wandte er sich während seines Studiums namentlich der Kirchengeschichte zu. Nach vorübergehender Tätigkeit als Hauslehrer erhielt er 1815 das Pastorat von Neu-Pebalg im lettischen Teil Livlands. Ab 1829 war er Direktor der Gouvernements-Schulen in Riga. Napierskys erste Publikation ist die 1824 gedruckte Fortgesetzte Abhandlung von livländischen Geschichtsschreibern. Indem er darin das Schrifttum zur Geschichte des Baltikums sichtete, das seit einer gleichartigen Bestandsaufnahme Friedrich Konrad Gadebuschs von 1772 erschienen war, erarbeitete sich Napiersky eine Grundlage für die eigene künftige Tätigkeit. Deren Ausrichtung markierte er bereits, indem er in seiner Schrift vier Desiderata der baltischen Geschichtsforschung benannte. Und zwar forderte er die Erstellung eines baltischen Autorenlexikons, neue Ausgaben der livländischen Chroniken, die Edition der Livland betreffenden Urkunden des Königsberger Ordensarchivs und die Erfassung des in baltischen Archiven und Bibliotheken verstreuten handschriftlichen Materials zur Landesgeschichte.

Unterstützt von Mitarbeitern, hat Napiersky in beeindruckender Weise einen großen Teil dieses Programms selbst erfüllt. Mit dem Allgemeinen Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Ehstland und Kurland erschien 1827 -1832 ein vierbändiges bio-bibliographisches Nachschlagewerk, das sich durch hohe Zuverlässigkeit auszeichnete; Mitverfasser war in diesem Falle Johann Friedrich von Recke. Was die Urkunden des Königsberger Archivs betrifft, ließ sich keine vollständige Edition ermöglichen, doch publizierte Napiersky in einem prachtvollen zweibändigen Werk davon Regesten (1833 -1835). Ungedruckte Chroniken, ferner sonstige Quellen und Abhandlungen gab er in den Monumenta Livoniae antiquae (5 Bde., 1835 -1847) heraus, in alten Drucken vorliegende Chroniken in den Scriptores rerum Livonicarum (2 Bde., 1848-1853). Erst nach seinem Tode erschienen die Russisch-Inländischen Urkunden (1868).

Neben diesen monumentalen Editionen und einem Nachschlagewerk über die Prediger Livlands hat Napiersky zahlreiche kleinere Veröffentlichungen vorgelegt. Bemerkenswert ist, daß er auch in lettischer Sprache publizierte. Indem er sämtliche lettischsprachigen Veröffentlichungen der Zeit von 1587 bis 1855 erfaßte, hat er nicht zuletzt den deutschen Pastoren, die sich in ihren Schriften der Muttersprache ihrer lettischen Gemeindemitglieder bedienten, ein Denkmal gesetzt.

Wesentlichen Anteil hatte Napiersky an der Gründung und Leitung der bedeutenden Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands. Er redigierte auch die von dieser Vereinigung herausgegebenen Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Ehst- und Kurlands. An der Fortführung seiner Aktivitäten war der Historiker jedoch bereits einige Jahre vor seinem Lebensende gehindert, denn ein unglücklicher Knochenbruch fesselte ihn ans Krankenlager. Da bald nach dem Tode Napierskys neue Textfassungen livländischer Chroniken bekannt wurden und da die baltischen Schüler des Göttinger Historikers Georg Waitz neue methodische Anregungen vermittelten, sind einige der Publikationen Napierskys schon seit langem überholt. Sehr vieles, was er verfaßt und ediert hat, gehört aber noch heute zu den Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit auf dem Gebiet der baltischen Geschichte. An der insgesamt höchst eindrucksvollen Leistung der deutschbaltischen Historiographie kommt dem Rigaer Gelehrten auf jeden Fall ein sehr erheblicher Anteil zu.

Lit.: J.G. Berkholz: Gedächtnisrede auf Carl Eduard Napiersky, in: Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Ehst- und Kurlands 11 (1868), S. 269-286. – Fr. v. Keußler: Zum säkularen Geburtsjahr Dr. Karl Eduard Napierskys, in: Baltische Monatsschrift 40 (1893), S. 498-505. – Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960, 1970, S. 540f.

Norbert Angermann