Einer der bedeutendsten deutschen Naturwissenschaftler des aufsteigenden 20. Jahrhunderts, das an Entdeckungen und Erfindungen auf dem Gebiet der Chemie, Physik und Biologie so reich war, stammt aus Westpreußen: Walther Nernst entfaltete seine Haupttätigkeit auf dem fruchtbaren Forschungsgebiet zwischen der Physik und der Chemie. Er zählt zu den Mitbegründern der physikalischen Chemie. Schon zu Lebzeiten war er international hoch anerkannt und mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet. Im Jahre 1920, also kurz nach Beendigung des Ersten Weltkrieges, erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Dennoch gibt es kaum eine ausführliche deutsche Biographie dieses so erfolgreichen Forschers und Erfinders. Das mag einerseits der Tatsache geschuldet sein, dass die wissenschaftliche Materie, mit der er sich beschäftigte, einen hohen Schwierigkeitsgrad besitzt, andererseits dem Umstand, dass er kurz vor seinem Tode Ende 1941 seine persönlichen Aufzeichnungen und Briefe aus naheliegenden Gründen vernichtet hat.
Am 25. Juni 1864 wurde Walther Hermann Nernst als drittes von fünf Kindern in Briesen in der preußischen Provinz Westpreußen geboren. Sein Vater Gustav Nernst (1827-1888) war in der Kreisstadt Richter, wurde aber bald als Landgerichtsrat in das etwa fünfmal größere Graudenz an der Weichsel versetzt, das ca. 25 km nordwestlich von Briesen liegt. Hier besuchte Walther das Königliche Gymnasium. Er erhielt eine humanistische Bildung und war auch dem Theaterleben in Graudenz sehr zugetan, wurde aber später dennoch Naturwissenschaftler. Seine Mutter war Ottilie Nerger (1833-1876), deren Bruder Rudolf die Domäne Engelsburg im Kulmer Land, die aus der alten Komturei des Deutschen Ordens hervorgegangen war, wenige Kilometer südöstlich von Graudenz, gepachtet hatte. Auf diesem Gut seines Onkels verbrachte Walther Nernst mit seinen fünf Cousinen und seinen Geschwistern zahlreiche Ferien und noch mehr Wochenenden. Das Landleben prägte ihn derart, dass er später selber Güter kaufte und seinen Lebensabend auf dem eigenen Gut Ober-Zibelle bei Muskau in der Lausitz gestaltete. Auch seine Liebe zur Jagd, von der ihn selbst seine anstrengendsten wissenschaftlichen Arbeiten nicht abbringen konnten, wird hier ihre Wurzeln gehabt haben. In der Nähe des geräumigen Marktplatzes in Briesen findet man seit 1991, also kurz nach der „Wende“, an einem zweistöckigen Haus eine Tafel, die in polnischer und deutscher Sprache darauf hinweist, dass hier der bedeutende Chemiker und Nobelpreisträger Walther Nernst geboren wurde.
Nach dem Abitur in Graudenz als Jahrgangsbester und einer hervorragenden Abschlussrede in lateinischer Sprache studierte Nernst ab April 1883 Physik, Chemie und Mathematik in Zürich, Berlin, Graz und Würzburg. In Graz zog es ihn zu dem berühmten Ludwig Boltzmann, der ihn aber an seinen früheren Schüler Prof. Dr. Freiherr Albert von Ettingshausen vermittelte. Unter dessen Leitung führte er experimentelle Untersuchungen über elektrische Spannungen unter dem Einfluss von magnetischen Feldern und Wärme durch, aus denen später seine Dissertation hervorging, zunächst aber drei Abhandlungen, die er gemeinsam mit Ettingshausen der Wiener Akademie vorlegte. Die Ergebnisse dieser Abhandlungen gingen später als erster und zweiter Nernst-Ettingshausen-Effekt und als Nernsteffekt in die wissenschaftliche Literatur ein.
In Würzburg, wo der bekannte Physiker Prof. Dr. Friedrich Kohlrausch lehrte, promovierte er am 10. Mai 1887 mit summa cum laude für die Arbeit Über die elektromotorischen Kräfte, welche durch den Magnetismus in von einem Wärmestrome durchflossenen Metallplatten geweckt werden. Anschließend arbeitete Nernst von Oktober 1887 bis 1889 als Assistent für Physik von Wilhelm Ostwald in Leipzig. Auf diese Zeit bezieht sich die oft zitierte Äußerung von Nernst: „Von meinem Chef in das Grenzgebiet der Physik und Chemie, die physikalische Chemie, eingeführt, habe ich mich in meinen Arbeiten fortan auf diesem Gebiete bewegt.“ Solche Grenzgebiete zwischen zwei schon gut bekannten naturwissenschaftlichen Disziplinen haben sich oft als sehr ergiebig für die Arbeiten junger Wissenschaftler erwiesen, und das sollte sich auch für Nernst zeigen. Nach mehreren kleineren Veröffentlichungen habilitierte sich Nernst im Oktober 1889 bei Ostwald mit einer Arbeit über Die elektromotorische Wirksamkeit der Ionen, deren Hauptergebnis als „Nernstsche Gleichung“ in der Literatur über thermodynamische Elektrochemie zitiert wird. Im darauf folgenden Wintersemester hielt er eine Vorlesung Über Anwendungen der Mathematik auf chemische Probleme. Im Sommersemester war er noch als Vorlesungsassistent für Experimentalchemie in Heidelberg gewesen. Man muss also nicht nur seine große Mobilität bewundern, sondern auch die Tatsache, dass er in allen seinen drei Studienfächern lehrend und forschend tätig gewesen ist.
Als ihn im Frühjahr 1890 ein Angebot erreichte, eine Assistentenstelle am Physikalischen Institut der Georgia Augusta in Göttingen anzunehmen, hat Nernst wohl nicht gezögert. Es muss für einen angehenden Hochschullehrer ein besonderes Glück gewesen sein, an der 1737 gegründeten Göttinger Universität zu arbeiten. Die berühmten Mathematiker Carl Friedrich Gauß, Bernhard Riemann, Dirichlet, Felix Klein und David Hilbert (* 1862 in Königsberg i.Pr., † 1943 in Göttingen) und die ebenso bekannten Physiker Georg Christoph Lichtenberg, Karl Friedrich Gauß und Wilhelm Weber, um nur die bekanntesten zu nennen, und viele andere hatten Göttingen zu einem hervorragenden Ruf verholfen, so dass hier eine internationale Studentenschaft lernte und arbeitete, aus der später zahlreiche bedeutende Wissenschaftler und Nobelpreisträger hervorgegangen sind. Nernst erhielt hier im März 1890 die „venia legendi“ für das Fach Physik zugesprochen. Schließlich erhielt er während eines Urlaubs im September 1891 auf der Domäne Engelsburg bei seinen Verwandten in Westpreußen, wo er sich so gerne aufhielt, die Nachricht, dass er in Göttingen zum außerordentlichen Professor ernannt worden war.
Die nun sicheren finanziellen Verhältnisse mögen dazu beigetragen haben, dass Walther Nernst am 1. September 1892 Emma, geb. Lohmeyer, die Tochter eines Medizinprofessors, heiratete. Das Paar hatte fünf Kinder: Rudolf, Hildegard, Gustav, Edith und Angela. Es wird wohl kein Zufall gewesen sein, dass die beiden Söhne nach dem Onkel auf der Domäne Engelsburg und dem Vater benannt wurden.
Ende 1894 wurde Nernst mit 30 Jahren zum ordentlichen Professor der philosophischen Fakultät ernannt mit der Auflage, besonders die Physikalische Chemie zu vertreten, sogar die Neueinrichtung eines eigenen Instituts wurde ihm zugesagt. Obwohl solche Bauvorhaben damals sicherlich schneller als heute fertiggestellt werden konnten, dauerte es doch noch bis zum 2. Juni 1896, bevor das „Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie“ feierlich eröffnet werden konnte; dafür war es weltweit eins der wenigen überhaupt bestehenden Forschungseinrichtungen dieser Art und sehr gut ausgestattet – und damals natürlich mit einer Wohnung für den Direktor. Sehr schnell gehörte auch der junge Professor Dr. Nernst zu den Hochschullehrern, die eine internationale Studentenschaft nach Göttingen zogen, mit der Konsequenz, dass schon 1898 ein Erweiterungsbau für das Institut in Betrieb genommen wurde, in dem z.B. Temperaturen bis zu -190° C erzeugt werden konnten.
Von ganz besonderer Bedeutung für das Leben von Walther Nernst war seine Erfindung der nach ihm benannten Nernst-Lampe. Die Beleuchtungsverhältnisse der damaligen Zeit sind für uns heute kaum noch vorstellbar. Neben Kerzen und Petroleumlampen gab es Gas- und Glühlampenlicht, jedoch von ungenügender Helligkeit. Im Laufe des Jahres 1897 ersetzte Nernst den Kohlefaden der bisherigen Lampen durch einen Glühstift aus Zirkonium- und Yttriumoxid (zwei seltene Elemente mit mittleren Atomgewichten) und erzielte so durch die Erhöhung der Glühkörpertemperatur und durch eine Reihe weiterer Verbesserungen und Patente ein erheblich helleres, fast weißes Licht. Er verkaufte seine Lampe für mehr als eine Million Goldmark an die AEG (Allgemeine Deutsche Elektrizitätsgesellschaft), die insgesamt ab Mitte 1899 wohl etwa zwei Millionen Nernstlampen herstellte. Der Pavillon der AEG erstrahlte auf der Weltausstellung 1900 in Paris im weißen Licht der Nernst-Lampen. Schon um 1918 allerdings wurde die Metallfadenlampe (Wolfram) entwickelt, die erheblich preiswerter produziert werden konnte. Der Kommentar von Nernst: „Es gibt eben Erfindungen, die zu schön sind für diese Welt“. Nernst aber war ein „gemachter Mann“; er gönnte sich aber nicht nur als einer der Ersten in Deutschland ein Automobil, sondern spendete z.B. mit kaiserlicher Erlaubnis 40.000 Mark für den Erweiterungsbau seines Instituts in Göttingen. Nernst war schon 1896 vom Kaiser mit dem Roten-Adler-Orden IV. Klasse ausgezeichnet worden und wurde 1905 zum Geheimen Regierungsrat ernannt.
Zum 1. April 1905 erhielt Nernst einen Ruf auf den Lehrstuhl für Physikalische Chemie an der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin, dem er nicht widerstehen konnte, obgleich er sich in Göttingen durchaus wohl fühlte. Den Umzug in die Hauptstadt Berlin gestaltete er als besonderes Ereignis für die Öffentlichkeit: er unternahm ihn im eigenen, damals noch offenen Auto. Für ihn wurde als Anreiz und Arbeitsstätte das Physikalisch-Chemische Institut in der Bunsenstraße (ehemals Schlachtgasse), einer Querstraße zur Dorotheenstraße in Berlin-Mitte, geschaffen; es lag unmittelbar neben dem Physikalischen Institut am Reichstagsufer. In einer seiner ersten Vorlesungen hier formulierte er den tiefliegenden „Nernstschen Wärmesatz“, der heute in allen Lehrbüchern als III. Hauptsatz der Thermodynamik bezeichnet wird. Zur experimentellen Bestätigung musste er eine Methode zur Messung der spezifischen Wärme bei sehr tiefen Temperaturen schaffen, was er durch die Entwicklung zahlreicher neuer Verfahren und Erfindungen erreichte.
Im Juli 1913 reisten Walther Nernst und Max Planck nach Zürich, um mit Erfolg den damals schon sehr bekannten Albert Einstein als Direktor für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin zu gewinnen. Nernst hat sich auch später mehrfach für Einstein eingesetzt, als dieser von nationalsozialistischer Seite angegriffen wurde. In dieser Zeit 1913/14 war Nernst Dekan der Fakultät. Anfang des Jahres 1914 war er als erster Austauschprofessor mit seiner Frau in Argentinien und im übrigen Südamerika, wo er überall begeistert aufgenommen wurde. Als dann der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich als Fünfzigjähriger mit seinem Auto freiwillig zum Kriegsdienst und gehörte dem „Kaiserlichen Freiwilligen Automobilcorps“ an. Schon am 1. Oktober 1914 erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse, am 21. Juni 1915 das EK I. Klasse. Mit fortschreitender Kriegsdauer wurde Nernst auch mit der Erforschung und Weiterentwicklung von Waffen und Kampfmitteln beauftragt, was ihm nach Kriegsende und teilweise noch bis heute schwere Vorwürfe einbrachte; die Alliierten setzten ihn auf eine Liste der Kriegsverbrecher und forderten seine Auslieferung. Sein internationales Ansehen als Wissenschaftler war aber so überwältigend groß, dass ihm der Nobelpreis für Chemie des Jahres 1920 verliehen wurde. Danach verstummten die genannten Vorwürfe weitestgehend. In diesem Zusammenhang muss sicher auch bedacht werden, dass nahezu jede Erfindung der Wissenschaftler entweder zum Schaden oder aber zum Guten für die Menschheit entwickelt werden kann – und nicht nur von den Forschern selber. Das wird uns Heutigen wohl besonders deutlich an der Betrachtung der Atomkraft, denn an der Herstellung der Atombombe und ihrer furchtbaren Anwendung sind Politiker und Wissenschaftler zahlreicher Nationen intensiv beteiligt gewesen.
Nernst hat an den Folgen des Krieges auch dadurch schwer und lange gelitten, dass sein Sohn Rudolf schon in den ersten Kriegstagen, sein zweiter Sohn Gustav 1917 fiel.
Die wissenschaftliche und kollegiale hohe Anerkennung, die Nernst erfuhr, zeigte sich auch darin, dass er 1921/22 in das höchste Amt, das die Berliner Universität zu vergeben hatte, gewählt wurde: er war Rektor der Universität. Besonders in dieser Position hat er sich dafür eingesetzt, anerkannte Wissenschaftler – eben nicht nur Einstein – nach Berlin zu holen, hat sie für Berufungen vorgeschlagen und sich auch um die Finanzierung zusätzlicher Stellen gekümmert.
Im Jahre 1922 wurde Nernst Präsident der schon 1887 gegründeten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, deren Wissenschaftler keine Vorlesungsverpflichtungen hatten, sondern sich mit gut ausgerüsteten Laboratorien ganz der naturwissenschaftlichen Forschung widmen konnten. Hier führte er erhebliche strukturelle Änderungen durch, die die Effektivität der Arbeiten förderten, war aber wegen der starken finanziellen Einschränkungen durch die Inflation unzufrieden mit seinen Wirkungsmöglichkeiten. So verließ er die PTR schon 1924 wieder. Nernst übernahm nun das Ordinariat für Experimentalphysik, was wieder die Vielseitigkeit seiner Forschungen aufzeigt. Er hatte sich hier gegenüber den beiden Nobelpreisträgern Philipp Lenard und Johannes Stark durchgesetzt, die allerdings beide der (nationalsozialistisch geprägten) sogenannten „Deutschen Physik“ zuzurechnen waren und deshalb in Berlin von Seiten der Fakultät nicht für förderlich angesehen wurden.
In die Zeit um 1929/1930 fällt eine weitere, zumindest überraschende Erfindung: der Neo-Bechsteinflügel oder Bechstein-Siemens-Nernst-Flügel, der die Töne elektrisch erzeugt und durch seinen günstigen Preis auf sich aufmerksam machte. Er zeichnet sich dadurch aus, dass die Saitenschwingungen und damit die Töne so lange gehalten werden können, wie die elektrische Energie durch den Tastendruck zugeführt wird. Er hat sich im Verkauf nicht durchgesetzt, was sicher nicht daran lag, dass Nernst gar nicht Klavierspielen konnte. Nernst wandte sich nun auch astrophysikalischen Forschungen zu und beschäftigte sich mit Fragen der Entstehung der Welt, stets auf der strengen wissenschaftlichen Basis und auf eigenen Forschungen aufbauend; so konnte er auch die verheerende Wirkung der Uranspaltung abschätzen und voraussagen. Auf dieser Basis hat er sich auch mit Fragen der modernen Quantenphysik und des „Kausalitätsprinzips“ befasst.
Nernst hat eine Fülle von Forschungsarbeiten veröffentlicht und bleibende Ergebnisse erzielt. Sie liegen meist auf diesem Zwischengebiet zwischen der Physik und der Chemie und sind auch deshalb schwer allgemein verständlich und kaum darzustellen. Sie können hier nur aufgezählt werden. 1889 entwickelte er die Theorie der elektrochemischen Stromerzeugung, aus der sich die „Nernstsche Gleichung“ ableiten lässt („Nernstsche Theorie“). Schon früh beschäftigte er sich mit Stoffen in Lösungsmitteln unter Temperatureinfluss und gewann daraus 1891 den „Nernstschen Verteilungssatz“. Er erfand und konstruierte eine Mikrowaage für kleinste Masseteilchen, die für wissenschaftliche Experimente bestimmt war und auch verkauft wurde. Noch in Göttingen fand er das sogenannte „Nernstsche Reizschwellengesetz“. Die „Nernstsche Regel“ macht Aussagen über die dissoziierende Wirkung von Lösungsmitteln. Ebenfalls wurde eine „Nernst-Einstein-Beziehung“ formuliert. Die Aussage des III. Hauptsatzes der Thermodynamik („Nernstsches Theorem“) ist von außerordentlicher Wichtigkeit, wenn auch anschaulich schwer zu erklären. Später versuchte er es so: Der absolute Nullpunkt der Temperatur ist unerreichbar. Auch für das Erkennen der Zusammenhänge zwischen dem III. Hauptsatz und der von Max Planck ab 1900 entwickelten Quantentheorie hat Nernst Wesentliches geleistet.
In Verwaltung und Organisation seiner Wissenschaften war Nernst ebenfalls führend tätig: Er gehörte zu den Mitbegründern der Elektrochemischen Gesellschaft, deren Vorsitzender er zeitweise war. Maßgeblich setzte er sich für die Gründung und Finanzierung der Kaiser-Wilhelm-Institute ein, die beiden ersten waren 1911 das für Physikalische Chemie und 1917 das für Physik, dessen Kuratorium Nernst angehörte und dessen erster Direktor eben Einstein wurde. Er war auch einer der Hauptinitiatoren der „Solvay-Kongresse“ (benannt nach dem belgischen Chemiker und Industriellen Ernest Solvay) zu Problemen der Strahlung und der Quantentheorie, deren erster 1911 in Brüssel im Beisein zahlreicher international bekannter Wissenschaftler durchgeführt wurde. Hier sprach Nernst zu dem Thema: Anwendung der Quantentheorie auf eine Reihe physikalisch-chemischer Probleme. Hier sei noch angemerkt, dass es damals vielleicht nur ein Dutzend Wissenschaftler gab, die die Quantentheorie von Max Planck wirklich verstanden.
Zahlreiche Aufsätze hat Nernst auch anlässlich von Jubiläen oder Todesfällen geschrieben.
Am 1. Oktober 1933, mit 69 Jahren, wurde Nernst emeritiert und zog sich auf sein Gut Ober-Zibelle zurück, das er 1920 erworben hatte. Hier betrieb er auch Landwirtschaft und widmete sich besonders der Jagd und der Karpfenzucht, da zum Gut zahlreiche Karpfenteiche gehörten. Das Gut lag in der Oberlausitz im Landkreis Rothenburg des schlesischen Regierungsbezirkes Liegnitz, es gehört heute zu Polen. Er behielt aber noch eine Wohnung in der Hindersinstr. 5 in Berlin, da er sich doch nicht von allen wissenschaftlichen Aktivitäten trennen konnte. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges stellte er seine Kenntnisse noch einmal der Marine zur Verfügung, brach aber diese Beziehung wegen mangelnder Zusammenarbeit und seiner Ablehnung des herrschenden Regimes alsbald wieder ab. Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt hat ihrem ehemaligen Präsidenten nicht einmal zu seinem 70. Geburtstag gratuliert. 1937 reiste Nernst noch einmal nach England, wo er die Familie seiner Tochter Hildegard und einige Fachkollegen besuchte und die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford erhielt.
Mit der Zeit wurde sein Gesundheitszustand immer schlechter. Er litt darunter, dass zwei seiner Töchter (Hildegard und Angela) im Ausland lebten, da sie jüdische Ehemänner hatten, so dass von seinen fünf Kindern nur die Tochter Edith ihn besuchen konnte. Nach einem Herzanfall im Jahre 1939 starb Walther Nernst am 18. November 1941 auf seinem Gut in ländlicher Umgebung, die er seit seiner Jugendzeit in Engelsburg immer wieder gesucht hatte. Am 25. November fand im Krematorium in Berlin-Wilmersdorf die Einäscherung statt. Seine Töchter veranlassten nach dem Tode seiner Frau Emma 1949 die Überführung auf den Stadtfriedhof Göttingen, auf dem auch eine Reihe weiterer bedeutender Naturwissenschaftler ruhen, wie etwa sein Weggefährte Max Planck.
Mit den Nobelpreisträgern Wilhelm Ostwald (ursprünglich aus Riga), Svante Arrhenius (aus Schweden) und Jacobus Henricus van’t Hoff (aus Amsterdam) gilt Walther Nernst, der jüngste von ihnen, als Begründer der Physikalischen Chemie. Oft wurde er als Universalgenie bezeichnet, da ihm sowohl die Physik als auch die Chemie zahlreiche neue Erkenntnisse verdankt. Zudem war er nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Erfinder, anerkannter Organisator und Mitarbeiter in wissenschaftlichen Vereinigungen. Entsprechend groß war die Anzahl der Ehrendoktorwürden, darunter auch die der Technischen Hochschule Danzig, und anderer nationaler und internationaler Auszeichnungen, die ihm verliehen wurden. Dennoch ist er nie so recht populär geworden, sicher auch ein Zeichen für die Schwierigkeit seiner wissenschaftlichen Arbeiten, die nicht leicht verständlich sind. Albert Einstein nannte Nernst „eine originale Persönlichkeit, ich habe nie wieder jemand getroffen, der ihm auch nur in einem Punkte ähnlich gewesen wäre.“ Der Physiker und Nobelpreisträger Emilio Segrè schreibt 1990 von ihm als „einem der führenden Thermodynamiker jener Zeit und einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der deutschen Wissenschaft überhaupt“.
Die Tatsache, dass er bis zu seinem Tode Mitglied des „Vereins Heimattreuer Graudenzer“ in Berlin war, zeigt seine enge Bindung an das Land an der unteren Weichsel.
Werke (Lehrbücher): Theoretische Chemie vom Standpunkte der Avogadroschen Regel und der Thermodynamik, Stuttgart 1893. – Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften, 1895. – Die theoretischen und experimentellen Grundlagen des neuen Wärmesatzes, 1918. – Das Weltgebäude im Lichte der neueren Forschung. Berlin 1921
Lit.: Kurt Mendelssohn, Walther Nernst und seine Zeit. Aufstieg und Niedergang der deutschen Naturwissenschaften. Übersetzung aus dem Englischen. Weinheim 1976. – Hans-Georg Bartel, Walther Nernst. Leipzig, Teubner Verlagsgesellschaft, 1989. 125 S., mit ausführlichem Literaturnachweis. – Ursula Hafemann-Wiemann, Der Physiker Walther Nernst. Vor 125 Jahren wurde er in Briesen geboren, in: Der Westpreuße Nr. 22, 1989, Seite 4-5. – Karl Röttel, Walther Hermann Nernst, in: Ostdeutsche Gedenktage 1991, Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 1990, S. 190-193. – Hans-Jürgen Kämpfert, Zum 60. Todestag von Walther Nernst, in: Der Westpreußen Nr. 11, 2001, S. 6-7. – Jürgen Neffe, Einstein. Hamburg, Rowohlt, 2005. – Hans-Jürgen Kämpfert, Walther Nernst aus Briesen. Zum 150. Geburtstag des Nobelpreisträgers, in: Westpreußen-Jahrbuch Band 64, Münster 2014, S. 104-117.
Bild: Walther Nernst um 1889, aus: Harig, Gerhard: Von Adam Riese bis Max Planck. Leipzig 1962.
Hans-Jürgen Kämpfert