Biographie

Netoliczka, Oskar Franz Josef

Herkunft: Karpatengebiet, Siebenbürgen
Beruf: Schulmann, Historiker
* 8. Oktober 1865 in Komorn/Slowakei
† 12. Juli 1940 in Kronstadt/Siebenbürgen

Oskar Netoliczka wurde in Komorn (nördlich von Budapest) als Sohn des Hauptmanns August Netoliczka und der Marie, geborene Greißing, aus Kronstadt geboren. Da der Vater schon im Jahre nach der Geburt im deutschen Bruderkrieg fiel, kehrte die junge Mutter mit ihrem Söhnlein in ihre Heimatstadt Kronstadt zurück, wo Oskar die Schule besuchte und im Jahre 1884 das Honterusgymnasium absolvierte. Anschließend studierte in Jena, Berlin und Budapest und erwarb im Jahre 1888 den Doktortitel in Jena. In die Heimat zurückgekehrt, wurde er 1890 ordentlicher Lehrer der deutschen Sprache am Honterusgymnasium und 1894 auch Bibliothekar der der Anstalt. In den Jahren 1916 bis 1926 war er Rektor des Honterusgymnasiums und trat danach in den Ruhestand. Eine Berufung als Professor an die Klausenburger Universität lehnte er 1919 ab und erhielt im gleichen Jahr den Titel eines Ehrendoktors der Universität Zürich. Im Jahre 1936 wurde er Ehrenmitglied der Deutschen Akademie in München. Dr. Oskar Netoliczka war ein rastloser Arbeiter als Schulmann und Wissenschaftler, wie das seine zahlreichen Veröffentlichungen ausweisen, von denen wir nur einige herausgreifen.

Sein erstes international bekanntes Werk war das Lehrbuch der Kirchengeschichte für höhere Lehranstalten von Friedrich Loh­­mann, dessen erste von ihm bearbeitete 3. Auflage im Jahre 1893 in Göttingen erschien und es bis zum Jahre 1927 zur zehnten Auflage brachte (62.000 Exemplare).

Dann gab er zusammen mit Dr. Johann Wolf heraus Deutsches Lesebuch für Mittelschulen (1895), das bis zum Jahre 1924 in mehreren Auflagen in Hermannstadt erschien. Danach folgte die Sammlung deutscher Gedichte für die Oberklassen der Sekundarschulen in Rumänien (1928), die vielen Schülergenerationen die schönsten Gedichte der deutschen Literatur nahe brachte und ebenso auch die schönsten Gedichte der rumänischen Literatur in deutscher Übersetzung.

Seine verdienstvollste Leistung als Bibliothekar der Honterusschule war die Verzeichnung der Foliobände der reichhaltigen Handschriftensammlung von Josef Franz Trausch (1795-1871), die in den Jahren 1898 bis 1903 in drei Teilen veröffentlicht wurde. Die Fortsetzung der Verzeichnung der Quarto- und der Oktavbände erfolgte erst mehr als ein halbes Jahrhundert später und wurde von Christliebe Höhr (1925-1999) im Jahre 1963 abgeschlossen.

Des Weiteren hat sich Dr. Oskar Netoliczka als Honterus-Forscher große Verdienste erworben. Zuerst gab er im Honterus-Gedenkjahr 1898 ein Gedenkbüchlein über den siebenbürgisch-sächsischen Reformator Johannes Honterus (1498-1549) heraus, das in zwei Ausgaben erschien. Seine bedeutendste Arbeit ist jedoch der Band Johannes Honterus Ausgewählte Schriften der ebenfalls 1898 erschien und bis heute ein Standardwerk der Honterus-Literatur ist.

Netoliczka behauptete noch im Jahre 1922, „vita Honteri scribi nequit“ (Das Leben von Honterus kann nicht geschrieben werden), acht Jahre später aber gab er selbst das Bändchen Beiträge zur Geschichte des Johannes Honterus und seiner Schriften mit vielen neuen eigenen Forschungsergebnissen heraus und hat auch noch bis zum Jahre 1937 weitere neue Erkenntnisse über Honterus veröffentlicht.

Ein weiteres heimatkundliches Betätigungsfeld von Netoliczka war seine Mitarbeit an den Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt, wo er in den Bänden 4-6 (1903-1915) mehrere Chroniken und Tagebücher veröffentlicht hat, allen voran die Breve Chronicon Daciae, die Wandchronik aus der Schwarzen Kirche für die Jahre 1143 bis 1571.

Netoliczka hat auch Leben und Werke vieler bedeutender Siebenbürger untersucht und gewürdigt. Besonders wertvoll sind diesbezüglich seine Beiträge für die große Enzyklopädie Die Religion in Geschichte und Gegenwart (fünf Bände, Tübingen 1927-1931), wo von ihm die Biographien von 37 deutschen und ungarischen Persönlichkeiten aus Siebenbürgen von Johannes Honterus bis Viktor Glondys – also vom 16. bis zum 20. Jahrhundert – stehen, die auf diese Weise im binnendeutschen Sprachraum besser bekannt gemacht wurden. So war Oskar Netoliczka gewissermaßen auch ein Herold seiner Heimat.

Sein gewaltiges wissenschaftliches Werk ist zum großen Teil im Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen von Her­mann A. Hienz (2004) verzeichnet.

Im Jahre 1939 feierte Netoliczka sein Goldenes Doktorjubiläum.

Lit.: Dr. Friedrich Schuller, Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen, IV. Band, Hermannstadt 1902, S. 315-318. – Hermann A. Hienz, Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen, Band IX, M-P, Köln Weimar Wien 2004, S. 244-256. – Gernot Nussbächer, Eine bedeutende Persönlichkeit. Dr. Oskar Netoliczka (1865-1940) war ein bedeutender Schulmann und Geschichtsforscher, in: Deutsches Jahrbuch für Rumänien 2015, Bukarest 2014, S. 188-190.

Bild: Oskar Netoliczka, gemalt von seiner zweiten Frau, Fotoarchiv Konrad Klein, Gauting.

Gernot Nussbächer, 2017