Biographie

Neumann, Franz Ernst

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Physiker, Mineraloge
* 11. September 1798 in Joachimsthal/Uckermark
† 23. Mai 1895 in Königsberg i.Pr.

Franz Neumann wurde auf der Schmelze bei Joachimsthal als uneheliches Kind geboren. Seine Mutter war die Gräfin Wilhelmine von Mehlin, geb. von Kahlden, sein Vater der Landwirt und Amtmann Ernst Neumann. Der Knabe hat stets nahe Verbindung zu seinen Eltern gehalten, bis zu deren Tod.

Franz Neumann wurde von seinen Großeltern auf dem Lande in der Nähe von Berlin erzogen. Nach dem Todes seines Großvaters zog die Großmutter mit ihrem Enkel nach Joachimsthal, wo sie in sehr bescheidenen Verhältnissen lebten. Der Knabe besuchte dort auch die Schule, und man erkannte bald seine gute Begabung, die ein Erbteil seiner Mutter gewesen sein soll. So gab der Vater den Sohn im Alter von zehn Jahren auf das Werdersche Gymnasium und zu einer Familie in Pension in Berlin. Jene ereignisreiche Zeit und ihre Persönlichkeiten – die Niederwerfung Preußens durch Napoleon 1806/07, die Flucht der Königsfamilie in den Nordosten von Preußen, der Tilsiter Friede, Fichte und Schleiermacher sowie der Feldzug gegen Frankreich – haben den Knaben zum Patrioten geprägt. Als im Frühjahr 1815 Napoleon von seiner Verbannungsinsel Elba entwich und erneut gen Norden zog, hielt es den Jüngling nicht mehr in Berlin. Er meldete sich als Freiwilliger bei den Kolberger Jägern im Heere Blüchers und nahm an der erfolgreichen Schlacht bei Ligny teil, in der er aber durch einen Kieferschuß schwer verwundet wurde. Nach unglaublichen Strapazen fand er schließlich in einem Krankenhaus in Düsseldorf Heilung.

Neumann holte sodann in Berlin seine Reifeprüfung nach. Ab 1817 studierte er ebendort (bei Neander und Schleiermacher) und in Jena auf Wunsch seines Vaters Theologie. In Jena wandte er sich aber mehr und mehr von der Theologie ab, um Naturwissenschaften zu studieren. 1819 nach Berlin zurückgekehrt, fand er endlich in dem Mineralogen Ernst Christian Weiß einen Lehrer, der ihn begeisterte und seinen Entwicklungsgang entscheidend beeinflußte. Weiß verschaffte Neumann eine Beihilfe für eine wissenschaftliche Fußreise in das Riesengebirge und später eine Assistentenstelle am Mineralogischen Institut. Außer mit Mineralogie beschäftigte sich Franz Neumann nunmehr privat auch mit der Mathematik. Seine Aufmerksamkeit galt den Werken Fouriers, durch die er zur theoretischen Physik hingeführt wurde. Weiß war es auch, der dem jungen Neumann Gelegenheit gab, vor einem erlesenen Kreis von Wissenschaftlern Vorträge über Mineralogie zu halten (1823-24). Neumann machte sich dadurch einem größeren Kreise bekannt und fand Gönner, unter ihnen den Geologen Leopold von Buch.

In diese Zeit fallen auch seine ersten Publikationen: Die früheste dürfte eine rein geometrische Abhandlung über sich schneidende Kreise sein. Von nachhaltiger Wirkung war seine geometrische AbhandlungBeiträge zur Kristallonomie (1823), die eine sehr wichtige neue Projektionsmethode enthält. 1826 wurde Neumann in Berlin mit einer ArbeitDe lege Zonarung promoviert. Sämtliche bei einer Kristallgruppe möglichen Flächen werden aus viel Grundflächen entwickelt, eine Methode, die Neumann bald bekannt machte.

Im selben Jahr noch wurde er als Privatdozent an die Universität Königsberg berufen. Dort hatte bisher der Hofapotheker und Professor Carl Gottfried Hagen (1749-1829) zugleich Mineralogie, Geologie, Botanik, Physik, Chemie und Pharmazie gelehrt und wünschte jetzt die Mineralogie abzugeben, die Neumann übernehmen sollte. Schon 1810, also in der Notzeit Preußens, hatte die preußische Unterrichtsverwaltung den jungen Autodidakt-Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) nach Königsberg berufen und ihm und damit der Universität den Bau einer Sternwarte zugesichert – zum Erstaunen Napoleons. Damit wurde Bessel der Begründer der Königsberger Schule der Astronomie, zumal er bis 1826 auch die Mathematik vertrat. Gleichzeitig mit Neumann kam der junge Mathematiker Carl Ludwig Jacobi (1804-1852). Er entfaltete sehr bald eine rege Forschungs- und Lehrtätigkeit, die viele Studenten anzog und die begabtesten zu eigenen Arbeiten anregte, so daß er als Begründer einer Königsberger Schule für Mathematik im 19. Jahrhundert gelten kann. Als dritter war 1826 aus Berlin nach Königsberg der junge Physiker Dove berufen worden, der leider aber nur bis 1829 in Königsberg gewirkt hat. Sein Nachfolger wurde der Experimentalphysiker Moser, der neben Neumann wirkte.

In dieser anregenden Umgebung stand Franz Neumann hinsichtlich des wissenschaftlichen Ranges bald Hagen und auch Bessel kaum mehr nach, der bei dem Ministerium für eine baldige Beförderung Neumanns eintrat. So wurde dieser 1828 außerordentlicher Professor für Physik und Mineralogie und 1829 ordentlicher Professor. Im selben Jahre heiratete Neumann eine Tochter seines Vorgängers Hagen, Florentine, und trat dadurch auch mit Bessel in verwandtschaftliche Beziehung, da dieser Hagens Tochter Johanna geheiratet hatte. Der Ehe Neumanns entsprossen vier Söhne und eine Tochter.

Es drängte Neumann, neben der Mineralogie auch mathematische Physik zu treiben: Er fand den Zugang dazu über die physikalischen Eigenschaften der Kristalle und machte sich in drei Jahren das Gesamtgebiet der mathematischen Physik zu eigen, über das noch an keiner deutschen Universität zu dieser Zeit Vorlesungen gehalten wurden. Von seinen Schülern bearbeitet, liegen sieben Bände seiner Vorlesungen vor (1881-1894). Später legte Neumann eine Reihe wissenschaftlicher Abhandlungen zum selben Thema vor, zu denen sich anläßlich des 50jährigen Doktorjubiläums von Franz Ernst Neumann die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin folgendermaßen äußerte: "Ihre Untersuchungen über die specifischen Wärmen und Leitungsfähigkeiten der Körper sichern Ihnen für immer einen Platz unter denen, die die wichtigsten Entdeckungen auf dem Gebiete der Wärmelehre gemacht haben. Die Elektricitätslehre verdankt Ihnen eines ihrer fundamentalsten Gesetze, das Gesetz, welches Ströme beherrscht, die in geschlossenen Leitungen inducirt werden. […]

Während Ihrer langen Thätigkeit als Universitätslehrer haben Sie unausgesetzt Ihre Schüler mit wissenschaftlichen Ideen zu befruchten gesucht, und, wo Sie einen günstigen Boden zu bemerken glaubten, die Entwicklung des gepflanzten Keimes mit aufopfernder Hingebung gefördert. So ist eine Reihe von werthvollen Abhandlungen entstanden, die nicht Ihren Namen tragen, aber auf Sie, als ihre Quelle zurückzuführen sind. Als erster haben Sie auf einer deutschen Universität in fortlaufender Reihe Vorträge über mathematische Physik gehalten; diese Disciplin, die nicht allein für Mathematik und Physik steht, sondern für das ganze Gebäude menschlicher Erkenntniss von so hoher Wichtigkeit ist, findet jetzt auf vielen Hochschulen unseres Vaterlandes erfreuliche Pflege; auch das ist hauptsächlich Ihr Werk."

Mit dieser Würdigung bezog sich die Akademie auf das von Jacobi und Neumann 1834 gegründete mathematisch-physikalische Seminar, in dem erstmalig in Deutschland Studenten in Physik zum praktischen Experimentieren angeleitet wurden, mit dem besonderen Ziel, mathematische Gesetze aus den beobachteten Daten abzuleiten. Die Seminarübungen fanden allwöchendlich in zwei Abteilungen unter Jacobi (für Mathematik) und Neumann (oder der Leitung schon eingearbeiteter Schüler) statt, und namentlich durch diese Tätigkeit ist Neumann der Begründer der Königsberger Schule der mathematischen Physik geworden.

1875 wurde Neumann emeritiert, und lebte noch weitere 20 Jahre in geistiger Frische. Die nachfolgenden Professoren und Studenten der Albertina wurden bis 1944 an Franz Neumann durch ein in den äußeren Wendelgang des Universitätsgebäudes angebrachtes Bronzerelief erinnert.

Lit.: Christian Krollmann (Hrsg.), Altpreußische Biographie, Bd. 1. Marburg/Lahn 1974.- Luise Neumann: Franz Neumann. Erinnerungen von seiner Tochter. Tübingen u. Leipzig 1904. – Waldemar Voigt: Zur Erinnerung an Franz Ernst Neumann. Nachrichten der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaft zu Göttingen 1895 Heft 2, S. 248-265.

 

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