Biographie

Neumann, Walter

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Schriftsteller, Übersetzer, Bibliothekar
* 23. Juni 1926 in Riga
† 9. Dezember 2022 in Aynstetten bei Augsburg

Walter Neumann wurde in der Hauptstadt Lettlands, in Riga, geboren. Sein Vater wurde nach Arbeitsjahren in Russland Bankbeamter in Riga, seine Mutter arbeitete dort als Sekretärin. Walter besuchte in Riga die deutsche Grundschule.

1939 erfolgte, durch den Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsvertrag veranlasst, die Umsiedlung der Familie nach Deutschland. In Thorn, in Westpreußen, besuchte Walter das Gymnasium. Der noch nicht 18-Jährige wurde 1944 zum Kriegsdienst verpflichtet, nach Südfrankreich eingezogen und geriet 1945 in amerikanische Gefangenschaft.

Die Faszination, welche die Provence auf den jungen Mann mit ihrer Schönheit, aber auch mit den Schrecken des Krieges ausgeübt hatte, begleitete ihn lebenslang. Immer wieder kehrte er dorthin zurück. Seine Verse wurden in die Anthologie Provence in die Reihe des Piper Verlags aufgenommen und trägt seine Gedichtzeile als Titel: „Morgensegel Europas“.

Ende 1945 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen, nachdem er Dolmetscherarbeiten geleistet hatte und kam nach Bielefeld. Als Hilfsarbeiter schlug er sich zunächst durch.

Zwischen 1947 und 1949 absolvierte er eine Lehre als Maurer; später arbeitete er für die Stadt als Technischer Zeichner.

Doch dann gelang es ihm, in Köln das Bibliothekar-Institut zu besuchen. Er schloss mit einem Diplom ab und war zwischen 1962 bis 1989 Bibliothekar und Lektor für Sprachwissenschaft an der Bielefelder Stadtbibliothek.

In jungen Jahren gründete er eine Familie. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Doch die Ehe zerbrach, was ihn sehr belastete. Er trennte sich von seiner Frau. Später zog er ins Wendland und ging eine neue Beziehung ein.

Berühmt wurden Walter Neumanns Bielefelder Bunkerlesungen, zu denen er die damals bekanntesten Autorinnen und Autoren einlud. Darüber erschien eine Anthologie: ‚Im Bunker – 100 mal Literatur unter der Erde.‘

Inzwischen war er längst selbst schriftstellerisch tätig. Er schrieb Gedichte, Erzählungen, Hörspiele und Essays und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, 1981 mit dem Andreas Gryphius-Förderpreis, 1989 mit dem Eichendorff-Literaturpreis.

1984 hatte er die Verse des bekannten lettischen Dichters Janis Rainis ins Deutsche übertragen. Das Buch erschien unter dem Titel ‚Der Sonnenthron‘.

Einige der Buchtitel von Walter Neumann:
Mitten im Frieden, Gedichte
Ein Tag in Riga, Gedichte
Der Flug der Möwen, Gedichte
Eine Handbreit über den Wogen, Erzählungen
In den Gedächtnisfächern, Gedichte
In Wörtern graben, Gedichte‘

Zu Walter Neumanns Lyrik schrieb Karl Krolow in der FAZ: „Aufzeichnungen einer Generation, die durch Krieg, Geschichte, Anfechtung, Tod gegangen ist und das Private, das reich an persönlicher Erfahrung ist, umzusetzen versteht ins Modellhafte.“

Im Jahr 1990 verlegte Walter Neumann seinen Wohnort nach Ludwigshafen an den Bodensee. Hier zog Walter das vielfältige literarische Leben im Grenzland Deutschland, Österreich, Schweiz an. Noch war er vital genug, um sich selbst aktiv einzubringen. Seit langen Jahren war er Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller gewesen, den er hier neu beleben wollte.

Zunächst lud er die in der Nähe wohnenden Mitglieder in das Haus ein, das er gemietet hatte, doch die Runde wurde immer größer, um in einem Privathaus genügend Platz finden zu können. Da bot der Eigentümer der Meersburg, Vinzenz Naeßl-Doms, seine großen Räume für diese Begegnungen an.

Martin Walser wünschte, dass künftig nicht nur Mitglieder des Schriftstellervereins zu den Zusammenkünften eingeladen werden sollten, sondern dass weitere Autorinnen und Autoren, die rund um den Bodensee und seinem ausgedehnten Hinterland lebten, hier ihre Werke vorstellen und darüber diskutieren dürften.

So entstand die Meersburger Autorenrunde‘, die mehrmals im Jahr auf der Burg tagt und sich jährlich einmal im November der Öffentlichkeit präsentiert.

Walter Neumann leitete weiterhin die Zusammentreffen. Außerdem schrieb er über Neuerscheinungen der Mitglieder treffende und literarisch anspruchsvolle Rezensionen für den ‚Südkurier‘ und für andere Zeitungen und Zeitschriften, deren Redakteure seine Arbeiten noch aus der Bielefelder Zeit kannten.

Mit dem Fall der Mauer wurde auch seine Geburtsstadt Riga für Walter Neumann wieder zugänglich. Mehrmals fuhr er dorthin, traf Schriftsteller und setzte sich für den lettischen Dichter Janis Rainis (1865-1929) ein, dessen Gedichte er ins Deutsche Deutsche übertrug.

Während einem seiner Besuche lernte er die Ingenieurin Nina kennen, die aus einem Teilstaat der Sowjetunion stammte und in Riga Arbeit gefunden hatte. Er heiratete sie und brachte sie nach Deutschland mit.

Durch drastische Mieterhöhungen war das Haus in Ludwigshafen für ihn nicht mehr bezahlbar. Walter und Nina bezogen eine Wohnung in Hagnau, doch die unduldsame Eigentümerin vergällte ihnen dort das Wohnen. Bald darauf wechselten sie erneut den Wohnort und zogen nach Pfullendorf im oberen Linzgau, wo sich Walter jedoch bald vom literarischen Leben zu weit entfernt fühlte. Das änderte sich nach einem erneuten Umzug nach Kissendorf. Im nahen Ulm fand er zwar Anschluss, doch sein Herz gehört der ‚Meersburger Autorenrunde‘. Die Verbindung zu ihr blieb weiter bestehen.

Inzwischen spürte Walter jedoch deutlich sein hohes Alter. Gehör und Sehvermögen nahmen ab. Die viel jüngere Nina war oft krank. Einer ihrer Söhne aus erster Ehe hatte in einer neuen Wohnanlage eine hübsche, helle Wohnung als Geldanlage erworben, die er seiner Mutter anbot. Walter und Nina zogen nochmals um und wohnten nun in Aystetten bei Augsburg.

Doch das starke Heimweh zog seine Frau nach Riga oder zum Besuch ihrer Tochter nach London oder aber zu einem lang andauernden Kuraufenthalt. Aus längeren Abwesenheiten wurden Wochen, Monate, schließlich ein halbes Jahr, ohne dass Walter wusste, wo sich seine Frau aufhielt.

Walter Neumann war einsam geworden, hatte im neuen Umfeld keine Wurzeln mehr schlagen können. Und das reiche Kulturleben im nahen Augsburg war in unerreichbare Ferne gerückt. Er fühlte sich fremd. Dann kehrte Nina endlich zurück – ein Lichtblick für ihn. Walter war nun 96 Jahre alt geworden. Seinen Treppensturz überlebte er nur wenige Tage.

Lit.: Walter Neumann. In: Carola L. Gottzmann, Petra Hörner: Lexikon der deutschsprachigen Literatur des Baltikums und St. Petersburgs. Band 3, Berlin 2007.

Bild: Nina Neumann

Monika Taubitz