Biographie

Neuwirth, Hans

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Volkstumspolitiker
* 16. Mai 1901 in Jaslowitz, Ldkr. Znaim/ Südmähren
† 6. April 1970 in München

Der Sohn eines Bürgerschuldirektors besuchte das Gymnasium Nikolausburg in Südmähren. Zu dieser Zeit war er Anhänger der Wandervogelbewegung. Während seines 1919 begonnenen Jura­studiums in Wien trat er 1922 dem völkischen Verein Deutscher Studenten (VDSt) bei. Dort war er Vorsitzender sowie Mitglied im Grenzlandausschuss des Verbandes und im Grenzlandamt der Studentenschaft. Er studierte später in Kiel und ab 1925 in Prag. Dort war er 1925 an der Gründung des VDSt beteiligt und Korrespondent für die „Wiener Neuesten Nachrichten“.

Nach seinem Studienende war er kurze Zeit im Deutschpolitischen Arbeitsamt tätig und anschließend Sekretär der Arbeitsgemeinschaft der deutschen wirtschaftlichen Verbände in der Tschechoslowakei. Anschließend war er 1926-1928 für den Scherl-Verlag tätig, dessen Wiener Redaktion er seit 1927 leitete. Danach führte er eine Anwaltspraxis in Znaim. Dort trat er der Deutschen Christlich-Sozialen Volkspartei (DCSVP) bei. 1929 promovierte er zum Dr. jur. 1931 war er DCSVP-Stadt­ver­treter in Nikolsburg. Daneben war er als Korrespondent verschiedener Zeitungen (Wiener Neueste Nachrichten, Scherl-Verlag, Christlich-Soziale Deutsche Presse, Völkischer Beobachter, Angriff, Tag) tätig.

Über Kontakte zu Harold Steinacker arbeitete er ab 1932 auch für den VDA. Auf Wunsch Steinackers siedelte er 1934 nach Prag über. Dort wurde er Verteidiger und Führer von politischen VDA-Prozessen. Daneben wurde er nach seinem Beitritt zur Sudetendeutschen Partei (SdP) Berater von Konrad Henlein und „Kronjurist der Partei“. Am 20. Mai 1935 wurde er in das Prager Abgeordnetenhaus gewählt. Ab 1935 gehörte er dem Vorstand des gemeinsamen Klubvorstandes der SdP und der Karpathendeutschen Partei an. Ab Juli 1936 war er Mitglied des politischen Ausschusses der SdP-Hauptleitung an. Im August 1938 gehörte er der SdP-Delegation in den Verhandlungen mit dem britischen Vermittler Lord Runciman an. Von September bis Oktober 1938 war seine Prager Anwaltskanzlei praktisch das politische Büro der SdP.

Vom 23. September bis 1. Oktober 1938 war er während der tschechischen Mobilmachung in Asch in Haft. Im Oktober 1938 legte er sein Parlamentsmandat nieder. In einem Memorandum an das Auswärtige Amt vom Oktober 1938 verwarf er laut Zimmermann eine Vernichtung des tschechischen Volks. Er trat für eine deutsche Vorherrschaft über Böhmen und Mähren mit gleichzeitiger Rücksichtnahme auf „tschechische Notwendigkeiten“ ein. Im November 1938 wurde er für die Ergänzungswahl zum Reichstag vorgeschlagen. Mit Wirkung vom 1. April 1939 (Aufnahmeantrag vom 25. Mai 1939) war er rückwirkend Mitglied der NSDAP. 1941 wurde er im Zuge der „Säuberungen“ ehemaliger Henlein-Anhänger – Zimmermann spricht hier von den Zügen eines „Familienstreits“ – vom Gaugericht Sudetenland wegen „volks- und reichsfeindlichen Verhaltens“ angeklagt, schließlich aber freigesprochen. In diesem Verfahren ging es um seine Stellung als führendes Mitglied des Deutschen Turnverbands und des Kameradschaftsbunds von Othmar Spann. Beide Organisationen standen 1933-1935 mit ihrer Idee vom Ständestatt gegen den NS-Aufbaukreis im Sudetenland. Neuwirth hatte 1935 auch Kontakte zur Deutschen Abwehr aufgenommen, um die Position Henleins gegenüber SS und SD zu stärken. Er wurde laut dem Gaugericht nur „versehentlich“ in die NSDAP aufgenommen, da er als ehemaliges Mitglied des Kameradschaftsbunds „belastet“ gewesen sei. Nach Verfahrensende war er mit der Liquidation des Bankkonzerns Petschek & Co. in Prag betraut. Das DDR-Braunbuch nennt ihn daher einen „Arisierungsspezialisten“. Zu diesem Konzern gehörten auch die Montan- und Industrialwerke AG, eine Braunkohlefirma im Falkenauer Gebiet. Nach „Arisierung“ dieser Werke wurde Neuwirth vom 1. April 1942 bis Mai 1945 deren Generaldirektor.

Von tschechischen Partisanen aus der US-Besatzungszone nach Innerböhmen verschleppt, wurde er 1945 zu 17 Jahren Zwangs­arbeit verurteilt, von denen er elf Jahre in tschechischen Arbeitslagern absaß (Skoda-Werke, ein Stahlwerk, sechs Jahre in der Urangrube Joachimsthal). Gesundheitlich schwer beschädigt kam er aufgrund Adenauers Moskaubesuch schließlich frei.

Am 29. Januar 1956 traf er in Deutschland ein. In Waldkrainburg/Oberbayern traf er seine Familie wieder. Er wurde in München Geschäftsführer des Collegium Carolinum, einer Forschungsstelle für die böhmischen Länder. Danach ließ er sich als Rechtsanwalt nieder. In Neuwirths Anwaltskanzlei wirkte Reinold Schleifenbaum Anfang der 1960er-Jahre eine Zeit lang als Referendar. 1956 trat Neuwirth der CSU bei. Im Rahmen einer CSU-Arbeitsgemeinschaft wurde er 1957 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Union der Vertriebenen. Tätig war er auch im Witikobund. In der CSU war er Landesvorstandsmitglied und in der Sudetendeutschen Landsmannschaft langjähriges Mitglied der Bundesversammlung und des Sudetendeutschen Rats. Daneben gab er den Presse-Artikel­dienst „Demokratisch-Konservative Korrespondenz“ heraus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er die VDSt-Gauverbände Kärnten und Steiermark. 1962-1964 war er Beisitzer im Vorstand des Verbandes der Vereine Deutscher Studenten, 1963-1965 hatte er die Schriftleitung der Verbandszeitschrift Akademische Blätter inne. Drei Jahre vor seinem Tod hatte er einen schweren Autounfall, der ihn monatelang ans Krankenbett fesselte und von dem er sich nicht mehr erholte.

Werke: Sudetendeutsche Innenpolitik, in: Wagner, Hans-Otto (Hrsg.), Von Kampf und Arbeit der Sudetendeutschen, Berlin 1930, S. 20-26. – mit Sebekovsky, Wilhelm, Kampf oder Verständigung? Zwei grundsätzliche Reden bei der Kundgebung der Sudetendeutschen Partei am 17. Feber 1938 im Deutschen Hause zu Prag, Karlsbad und Leipzig 1938. – Zur gegenwärtigen Lage der Deutschen in der Tschechoslowakei. Fünf gutachterliche Äußerungen, München 1957. – Begegnungen im böhmischen Raum, in: Jahrbuch des Collegium Carolinum, Bd. 1, München 1960, S. 247ff. – Der Weg der Sudetendeutschen von der Entstehung des tschechoslowakischen Staates bis zum Vertrag von München, in: Die Sudetenfrage in europäischer Sicht, München 1962, S. 122-179.

Lit.: VDA-Zusammenspiel: Großindustrie, Landsmannschaftsführer und Bundesregierung, in: Neue Kommentare, 2. Jg., Nr. 16, August 1959, S. 11-15. – Paul Stein, „Wo ist das Schafott?“ Hans Neuwirth kann die Aufregung nicht verstehen, in: ZEIT vom 24. April 1964, S. 50. – Ernst Christoph Schepky, Hans Neuwirth wurde 65 Jahre alt, in: Akademische Blätter (Ak. Bl.), 68. Jg. 1966, S. 153-154. – Diethelm Keil, Nachruf auf Bundesbruder Neuwirth, in: Ak. Bl., 72. Jg. 1970, S. 171. – Robert v. Lacroix, In memoriam Hans Neuwirth, in: Wiener Ruf WS 1970/71. – Hugo Theisinger, Die Sudetendeutschen. Herkunft – Die Zeit unter Konrad Henlein und Adolf Hitler – Vertreibung. Ein Beitrag zur sudetendeutschen Geschichte, Buchloe 1987. – Hans Neuwirth, in: Balling, Mads Ole: Von Reval bis Bukarest. Statistisch-Biographisches Handbuch der Parlamentarier der deutschen Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1945, 2 Bde., Kopenhagen 1991, Bd. 1, S. 321-322. – Volker Zimmermann, Die Sudetendeutschen im NS-Staat. Politik und Stimmung der Bevölkerung im Reichsgau Sudetenland (1938–1945), Essen. – Norbert Podewin, (Hrsg.), Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), 3. Aufl. Berlin (Ost) 1968 (Reprint Berlin 2002), S. 301-302, 312.

Bild: Akademische Blätter, 68 Jg. 1966, H 8-9, S 153.

Marc Zirlewagen