Biographie

Oberländer, Theodor

Beruf: Politiker
* 1. Mai 1905 in Meiningen/Thüringen
† 4. Mai 1998 in Bonn

Die 100. Wiederkehr des Geburtstages von Theodor Oberländer am 1. Mai 2005 hätte Gelegenheit gegeben, von seiner bereits 1993 erfolgten und danach mehrfach bestätigten Rehabilitierung vom Mordvorwurf der Sowjets und der DDR-Justiz öffentlich zumindest Kenntnis zu nehmen. Nichts dergleichen geschah, weder vor noch nach diesem Tag, Oberländer blieb und bleibt bis heute aus der Sicht bestimmter Medien einer der umstrittensten Nachkriegspolitiker der Bundesrepublik. Offenbar ist der Zeitpunkt noch nicht erreicht, zu dem Theodor Oberländer eine gerechte Beurteilung erfährt.

Nochmals zur Erinnerung (vgl. „Ostdeutsche Gedenktage 1990“, S. 84 ff):
1905 geboren in Meiningen, Thüringen,
1923 Abitur,
1924-30 Studium der Agrar- und Volkswirtschaft, Promotion zum Dr. agr. und Dr. rer. pol.,
1933-37 Direktor des Institutes für Osteuropäische Wirtschaft, Königsberg, Eintritt in die NSDAP und Leiter des Landesverbandes Ostpreußen des Bundes Deutscher Osten,
1937 Auseinandersetzung mit der Parteileitung in Königsberg, Wechsel als Professor für Agrarwissenschaft an den Universitäten Königsberg und danach Greifswald,
1940 Ordinarius für Staatswissenschaft an der Universität Prag,
1940-42  Kommandeur ukrainischer und kaukasischer Truppeneinheiten an der Ostfront,
1942 Forderung auf menschenwürdige Behandlung osteuropäischer Völker durch Partei und Wehrmacht, daraufhin Entlassung aus der Wehrmacht,
1945-46  Kriegsgefangenschaft,
1946 Geschäftsführer der Fa. Samenzucht „Terra“ in Bayern,
1950 Eintritt in den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE),
1950-53  Mitglied des Bayerischen Landtags, bayerischer Staatssekretär für das
Flüchtlingswesen,
1953-65  Mitglied des Deutschen Bundestages (mit Unterbrechung 1961-63),
1953-60  Bundesminister für Vertriebene Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, ab 1954 Bundesvorsitzender des BHE,
1956 Eintritt in die CDU,
1958-64 Vorsitzender des CDU Landesverbandes Oder-Neiße,
1960 von Sowjets veranlaßter Schauprozeß in Ostberlin wegen des Vorwurfes, an Morden während der Kriegszeit in Lemberg beteiligt gewesen zu sein, Verurteilung zu lebenslanger Haft, Rücktritt als Bundesminister,
1960-98 ca. 100 für Oberländer erfolgreiche Prozesse vorwiegend mit westdeutschen Medien wegen Schuldzuweisung auf Grundlage des DDR-Urteils,
1993 Staatsanwaltschaft Bonn hebt DDR-Urteil auf, polnische Regierung und Simon Wiesenthal, Wien, bestätigen Revisionsurteil,
1996 erneuter Prozeß vor dem Landgericht Köln,
1998 verstirbt Theodor Oberländer in Bonn, erst danach erfolgte erneute Rehabilitierung durch das Landgericht Köln.

In der deutschen Öffentlichkeit wird die Beurteilung der Lebensleistung von Theodor Oberländer angesichts der jahrzehntelangen Medienkampagne bis heute vorwiegend auf den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 bezogen, während seine Tätigkeit in der Nachkriegszeit nur im Ausnahmefall die ihr gebührende Erwähnung oder gar Anerkennung findet.

Als junger Wissenschaftler begeisterte sich Oberländer für die damals propagierten Ziele des Nationalsozialismus, er hoffte auf frischen Wind in den vom Parteienhader zerissenen Weimarer Staat. Bereits 1937 jedoch kam es zum Bruch mit der seinen Idealen so wenig entsprechenden Partei-Wirklichkeit. Er wechselte in die Wissenschaft und folgte einer Berufung zum Professor für Agrarwissenschaft nach Königsberg, später nach Greifswald, 1940 schließlich als Ordinarius für Staatswissenschaft an die Universität Prag. Dank seiner Landes- und Sprachkenntnisse – Oberländer hatte während seiner Studienzeit mehrfach die Sowjetunion bereist – beauftragte ihn Admiral Canaris mit der Aufstellung eines Wehrmachtsverbandes, der aus ukrainischen und kaukasischen Freiwilligen bestand. Die Erfahrung dieser Zeit fand ihren Niederschlag in zwei Denkschriften, in denen Oberländer die Gleichberechtigung fremdvölkischer Menschen im Alltag und im Kriegseinsatz forderte, womit er sich ein zweites Mal in Gegensatz zur Politik von Staat und Partei befand. Himmler forderte die Entlassung Oberländers aus der Wehrmacht, knapp entging er dem allen Kritikern der Partei zugedachten Schicksal der Verhaftung und Aburteilung.

Der wesentliche Verdienst Oberländers in dieser Lebensphase war es, eine menschenwürdige Behandlung der osteuropäischen Völker, die er in seinen Wehrmachtseinheiten vorlebte, als Prinzip deutscher Ostpolitik zu fordern. Daß er damit angesichts der ideologischen Verblendung der Machthaber chancenlos war, ändert daran nichts, daß die damalige Erkenntnis Oberländers, nach mehr als einem halben Jahrhundert, auch heute unter anderen Voraussetzungen die Grundlage des Zusammenlebens der Völker Europas geworden ist.

Die Erfahrungen Oberländers in den Kriegsjahren waren für sein politisches Wirken in der Nachkriegszeit bestimmend. Nur eine verantwortliche Position bot die Möglichkeit, auf die Neugestaltung Deutschlands, insbesondere auf die Bewältigung des fast unlösbar erscheinenden Flüchtlingsproblems einzuwirken. Die politische Basis hierfür war für ihn der BHE, dessen Bundesvorsitz er 1954 übernahm, nachdem Bundeskanzler Adenauer Oberländer bereits 1953 zum Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte berufen hatte. Damit war ihm die politische Verantwortung für die Eingliederung von rund 12 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen in der damaligen Bundesrepublik übertragen – eine Aufgabe von höchster Brisanz, zumal Moskau die Flüchtlinge in Westdeutschland als kommunistisches Umsturzpotential einkalkulierte. Diese Rechnung ging dank der von Oberländer intensiv und zielstrebig gesteuerten Eingliederungsmaßnahmen jedoch nicht auf.

Eine umfangreiche Gesetzgebung wie das Bundesvertriebenengesetz (1953), das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (1954), das Häftlingsgesetz (1955), das Flüchtlingshilfegesetz (1956), die Weiterführung des Lastenausgleichsgesetzes u. a. regelten das Eingliederungsverfahren sachlich und finanziell, die Regelung der Betreuung heimatloser Ausländer, die Entschädigung von Häftlingen, nicht zuletzt die Fünfjahrespläne zur Ansiedlung von vertriebenen und geflüchteten Landwirten, folgten Schritt für Schritt. Bereits zum Ende der 1950er Jahre waren die wesentlichen rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen zur Lösung des Flüchtlingsproblems geschaffen. Zahlreiche Untersuchungen und Gutachten belegen die Effizienz dieses Gesetzesrahmens, auf dessen Grundlage die Landesverwaltungen sowie die einschlägigen Organisationen und Verbände die Eingliederungsmaßnahmen umsetzen konnten. Die Erfolge dieser Politik aber waren die Voraussetzung für die Leistung und den Anteil, den die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen am sogenannten deutschen Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre hatten.

In diese Zeit fällt auch die auf Oberländer zurückgehende Entscheidung seiner Fraktion im Deutschen Bundestag, dem Antrag Adenauers auf Beitritt der Bundesrepublik zur NATO durch Zustimmung die Mehrheit zu sichern. Kurz darauf erfolgte die Zuerkennung der Souveränität der Bundesrepublik durch die Westmächte.

Angesichts dieser Entwicklung konnte es nicht ausbleiben, daß Oberländer in dieser so erfolgreichen zweiten Phase seines Lebens im Brennpunkt sowjetischer Kritik stand, der sich allzu gerne auch westdeutsche Medien und mitunter auch Justizbehörden in schamloser Weise anschlossen.

Jeder Mensch, der nicht so wie Oberländer mit einem festen und gradlinigen Charakter ausgestattet ist, wäre an dessen Stelle gescheitert. In der Tat, das Leben Oberländers ist, wie kürzlich zu lesen war, „ein Lehrstück deutscher Geschichte“. Innerhalb weniger Jahre wurden dank seiner Tatkraft, seiner Initiativen und seines Durchsetzungsvermögens den Millionen Menschen, die durch den Verlust ihrer Heimat Hab und Gut und oftmals Gesundheit und Lebensmut verloren hatten, aus tiefer Depression befreit und ihnen die Voraussetzung für ihre wirtschaftliche und soziale Sicherung geschaffen.

Erst dadurch aber sind die deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen entgegen der Zielsetzung der Sowjetunion den Werten unserer abendländischen Gesellschaft erhalten geblieben.

Wolfram Ruhenstroth-Bauer, 2008