Biographie

Österreicher, Johannes Maria

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Priester, Wegbereiter der christlich-jüdischen Verständigung
* 2. Februar 1904 in Liebau/ Mähren
† 18. April 1993 in Livingston/ USA

Johannes Österreicher wurde am 2. Februar 1904 in Liebau in einer jüdischen Familie geboren. Seine Eltern waren der Bezirkstierarzt Nathan Österreicher und seine Frau Ida, geborene Zelenka. Die Kinder wuchsen im jüdischen Glauben auf. Die Mittelschule besuchte er in Liebau und das Gymnasium in Olmütz. Dort engagierte er sich auch in der zionistischen Blau-Weiß-Jugendbewegung“.

Zum Medizinstudium ging Österreicher nach Wien und kam dort in Kontakt mit den Schriften christlicher Autoren wie John Henry Newman, Sören Kierkegaard, Ferdinand Ebner und Theodor Häcker. Einen besonderen Einfluss übte eine Predigt von Dr. Josef Metzger auf ihn aus. Dr. Max Josef Metzger (1887-1944) war deutscher katholischer Priester, der aufgrund seiner Erfahrungen im Ersten Weltkrieg als Militärpfarrer einige pazifistische Organisationen gründete und auch seine Ablehnung des Nationalsozialismus offen aussprach. So geriet er immer wieder ins Visier der Gestapo und wurde 1943 zum Tode verurteilt und 1944 hingerichtet. Österreicher suchte das Gespräch mit Metzger, was zu einem regen Austausch führte. Metzger war sein Vorbild.

So begann er, sich für das Christentum zu interessieren, was letztlich dazu führte, sich taufen zu lassen und Priester zu werden. Das war sehr schwer für seine Eltern. Es mag für sie wie ein weiterer Schicksalsschlag gewirkt haben; sie hatten schon eine Tochter durch Tod verloren und nun fiel der einzige Sohn vom Glauben ab. Es ist ein Brief erhalten, in dem er seine Eltern vorsichtig darauf vorbereiten wollte und sie bat, ihn doch diesen Weg in Liebe gehen zu lassen, den Gott ihm gezeigt hatte. Seine Eltern wurden 1941 beide deportiert, der Vater starb in Theresienstadt und seine Mutter wurde in Auschwitz ermordet.

Im Mai 1924 ließ sich Johannes Österreicher in Graz taufen. Sein Taufpate war Pfarrer Dr. Max Josef Metzger. Schon vor der Taufe begann er mit dem Theologiestudium in Graz und wurde am 17. Juli 1927 in Wien durch Erzbischof Friedrich Gustav Pfiffl zum Priester geweiht.

Österreicher arbeitete in der Gemeindeseelsorge in Gloggnitz in Niederösterreich und in zwei verschiedenen Bezirken der Stadt Wien und unterrichtete am Währinger Mädchengymnasium. Er gründete 1934 die Zeitschrift Erfüllung. Sie war das Organ des Pauluswerkes, das er ebenfalls gegründet hatte zur besseren Verständigung zwischen Juden und Christen.

Als Hitler auch in Österreich die Macht übernahm, merkte Österreicher, dass er noch ganz anders gefragt war. „Leute, die die lauernde Gefahr des Nazismus schreckte, begannen an meine Tür zu klopfen … die meisten waren Juden. Das bewegte mich so sehr, ich dachte, ich müsse etwas tun“.

So sah er seine Aufgabe, Juden in der nun begonnenen Bedrängnis beizustehen und gegen Rassenwahn und braune Ideologien zu kämpfen. Die „Judenmission“, die auch ein Ziel des Pauluswerkes war, trat hinter dem Ziel, Bedrängten beizustehen, zurück und wandelte sich dann ganz. In der Zeitschrift Erfüllung hatte Österreicher von Anfang an die NS-Ideologie verurteilt und ebenso mutige Rundfunkansprachen gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus gehalten. In den 30er Jahren versuchte er vergeblich, Pius XI. zu einem offenen Protest gegen Hitler zu veranlassen. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland war Österreicher überzeugt, dass „…das der Beginn einer Gehirnwäsche, einer Indoktrination war“. Er verbrannte seine gesamte Korrespondenz und seine Bücher, um jüdische Mitbürger zu schützen. Bereits im März 1938 wurde er von der Gestapo verhört, aber wieder freigelassen. Da er ahnte, dass das nicht so bleiben würde, floh Österreicher im April 1938 über die Schweiz, Italien und Rom nach Paris.

Dort arbeitete er mit österreichischen Emigranten im Kampf gegen die NS-Ideologie und Gewaltherrschaft, publizierte und hielt kämpferische Predigten gegen den Nationalsozialismus und dessen braune Ideologien und Rassenwahn. Seine Predigten wurden von einer österreichischen Widerstandsradiostation übertragen. Er legte die Handlungen der Nazis offen, wie z.B. die Gräueltaten an Juden in Polen und verurteilte sie auch in seinen Schriften. Diese Rundfunkpredigten ließ Goebbels aufzeichnen, sie liegen im Deutschen Bundesarchiv in Koblenz.

In Paris kam Österreicher mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten zusammen. So war er mit der Witwe Arthur Schnitzlers befreundet, auch mit dem Philosophen Jaques Maritain und hatte auch zu Karl Barth Kontakt, ebenso zu dem zehn Jahre älteren Joseph Roth. Obwohl der Jude Roth Agnostiker war, betrachtete er Österreicher als seinen Seelsorger.

Österreicher übersetzte in Paris das Buch Rassenhass und Antisemitismus ins Französische. Als im Juni 1940 die Deutschen in Paris einmarschierten, ging seine Flucht weiter über Spanien nach Portugal und von dort auch mit Hilfe von Otto von Habsburg nach New York. Dort angekommen, musste er die englische Sprache erlernen und arbeitete als Seelsorger in verschiedenen Kirchengemeinden New Yorks. Auch hier im Exil empfand er es schmerzlich, dass der Vatikan – inzwischen war Pius XII. Papst – nicht offen Stellung gegen Hitler bezog. Später jedoch nahm er Pius XII. in Schutz, nachdem dessen Ansehen durch die Veröffentlichung von Hochhuths kritischem Theaterstück Der Stellvertreter belastet wurde.

Schon 1943 erhielt er eine Forschungsprofessur am katholischen Manhattanville College. Auch in Amerika galt sein Streben der Arbeit der Verständigung zwischen Juden und Christen, die er mit aller Kraft fortsetzte. 1953 konnte er an der katholischen Seton Hall Universität das Institute of Judaeo-Christian-Studies gründen, dem er bis zu seiner Pensionierung vorstand. Von diesem Institut gingen viele Impulse für einen jüdisch-christlichen Dialog aus, vor allem für Amerika, einem Land, in dem mehr Juden lebten als in Israel. Von 1954 bis 1970 gab er das Jahrbuch The Bridge mit Aufsätzen zum jüdisch-christlichem Verhältnis heraus. Dieses Anliegen war Österreicher so wichtig, dass er dem Papst eine Petition überreichte mit der Bitte, ein Dekret über die Judenfrage zu veröffentlichen. Auch von jüdischer Seite wurde durch Jules Isaac, einem französischen Historiker (1877-1963), der die Verfolgung überlebt, aber seine Frau und Kinder verloren hatte, ein Dossier mit den entsprechenden Bitten dem Papst vorgelegt, jetzt durch entschiedene Schritte des Oberhaupts der katholischen Kirche eine Neuorientierung herbeizuführen. Für Papst Johannes XXIII. war dies Anlass und Ausgangspunkt. Er suchte im Vorfeld Wissenschaftler, die sich dieser Aufgabe widmen konnten. Kardinal Augustin Bea, der Präsident des Sekretariats für christliche Einheit, machte sich das zu seinem eigenen Anliegen. Er berief 1962 Österreicher zum Konsultor des Einheitssekretariats. So erarbeitete Österreicher neben anderen die Grundsatzstudien, aus der die Erklärung für die Juden im Konzilsdekret Nostra Aetate nach vielen Änderungen und Bearbeitungen hervorging. Er kann als Hauptverfasser von Nostra Aetate gelten. Sein 1963 erschienenes Buch The Israel of God leistete wichtige Vorarbeit für die Konzilserklärung. Am 25.10.1965 wurde der Konzilstext Nostra Aetate feierlich verkündet.

Nach dem Konzil veröffentlichte Österreicher Die Wiederentdeckung des Judentums durch die Kirche und verfasste den Kommentar und die Entstehungsgeschichte zu Nostra Aetate für den Ergänzungsband des Lexikons für Theologie und Kirche. Er wurde durch Paul VI. zum Monsignore ernannt und erhielt mehrere Ehrendoktorwürden an amerikanischen Universitäten. Er selber und sein wissenschaftliches Arbeiten waren ganz vom Geist des Konzils geprägt und von dessen bewegter Entstehungsgeschichte.
Er sah das Judentum immer als Wurzel des Christentums und sagte von sich: „Ich bin Jude und Katholik“. Er sagte weiter: „Ein wachsames Auge für das jüdische Milieu des Neuen Testamentes, eine echte Einfühlung in die Umwelt Jesu ist zum vollen Verständnis wie zur rechten Verkündigung der christlichen Botschaft notwendig. Man muss sich liebevoll hineindenken in die Anliegen, Sorgen, Hoffnungen und Leiden des Volkes. Der Christ soll mit hebräischen Denkweisen und Sprachformen vertraut sein.“

1970 sprach Österreicher ein öffentliches Bußgebet in Yad Vashem. Er bekam für seine Bemühungen das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Nach über 50 Jahren nach der Verkündigung von Nostra Aetate, das wegweisend die Beziehungen zwischen Judentum und Christentum, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Judenvernichtung in der Nazizeit, auf eine ganz neue Grundlage gestellt hatte, gab es eine erste offizielle Antwort von jüdischer Seite. Sie wurde in dem Dokument: Zwischen Jerusalem und Rom am 31. August 2017 dem Papst überreicht und im Oktober 2017 dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn von Oberrabbiner Folger übergeben. Schönborn sah diese Erklärung als „Arbeitsauftrag“, dem Taten folgen sollten: Voneinander und übereinander zu lernen, denn Unwissenheit habe viel Leid über das Judentum gebracht. Die Feierlichkeiten anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Institutes für jüdisch-christliche Studien am 21. März 1993 waren Österreichers letztes öffentliches Auftreten.

Er starb am 18. April 1993 in Livingston, New Jersey. Der Kanzler und Präsident der Seton Hall University nannte ihn „einen hervorragenden und prophetischen Baumeister der heutigen Ökumene.“ Zeitlebens galt er als liebenswürdig, sehr intelligent, bescheiden und tolerant.

Werke: Racisme, antisémitisme, antichristianisme, New York 1943. – Der Papst und die Juden, Recklinghausen 1962. – Auschwitz, der Christ und das Konzil, Meitingen 1964. – Der Baum und die Wurzel, Freiburg 1968. – Die Wiederentdeckung des Judentums durch die Kirche, Meitingen 1971. – Wider die Tyrannei des Rassenwahns, Wien 1986. – Rassenhass ist Christushass, Klagenfurt 1993.

Lit.: austriaforum.org Johannes Österreicher. – Joh. Österreicher, in Kathpedia, die freie katholische Enzyklopädie. – D. Becker, Johannes M. Österreicher (1904-1993) und das Dokument Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Wegbereiter des interreligiösen Dialogs, Wien-Berlin 2012. – A. Renz, Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog: 50 Jahre „Nostra Aetate“ Entstehung, Rezeption, Wirkung. Stuttgart 2014.

Bild: Freiburger Rundbrief – Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung.

Hildegard Schiebe