Biographie

Pahlen, Peter Ludwig Graf von der

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: russischer Staatsmann
* 28. Juli 1745 in Palms/Estland
† 25. Februar 1825 in Mitau/Kurland

Graf Peter Ludwig von der Pahlen – in Rußland Petr Alexejewitsch genannt – gehört zu der großen Zahl von Deutsch-Balten, die in russischen Diensten standen. Seine glänzende militärische und diplomatische Karriere endete allerdings mit der Rolle eines Palastrevolutionärs. Er entstammte einem deutsch-baltischen Adelsgeschlecht, das in Estland ansässig war und 1679 den schwedischen Freiherrentitel verliehen bekommen hatte. (Erste urkundliche Erwähnung 1298: Johannes de Pala miles, Vasall des Erzbischofes von Riga). 1799 wurde Pahlen von Zar Paul I. (1754-1801) in den Grafenstand erhoben. Seine militärische Karriere begann 1760 bei der Garde zu Pferde in St. Petersburg. Er kämpfte 1761/62 im Siebenjährigen Krieg gegen Preußen, 1769 als Rittmeister im Türkenkrieg, 1771 in Warschau und 1774 wieder im Türkenkrieg.

In diesen Jahren nahm Pahlen auch bereits an verschiedenen diplomatischen Missionen teil, 1773 in Holstein und insbesondere 1790/91 an den Friedensverhandlungen in Schweden, wo er sich einen Namen machte, als er Rußland, das sich mit Schweden und der Türkei in einem Zwei-Fronten-Krieg befand, von der schwedischen Seite her entlasten konnte. In Stockholm blieb er als Gesandter in geheimer Mission noch bis 1791. 1792 wurde Pahlen zum Gouverneur von Livland ernannt, nach dem Ende der Selbständigkeit Kurlands 1795 Generalleutnant und Generalgouverneur von Kurland.

Im Jahre 1797 folgte eine kurze Unterbrechung seiner Karriere, die mit dem Thronwechsel von Katharina II. zu Paul I. zusammenhängt. Pahlen blieb zwar zunächst in seinen Ämtern. Als er aber dem bereits verbannten Fürsten Platon Subow bei dessen Durchreise zu seinen Gütern in Mitau einen großen Empfang gab, zog er sich Pauls Zorn zu und wurde ebenfalls entfernt. Zar Paul, der in totaler Gegnerschaft zu seiner verstorbenen Mutter gestanden hatte, war bestrebt, in der gesamten Politik einen Kurswechsel eintreten zu lassen und die mit dem alten Kurs verbundenen Personen zu entmachten. "Die Austreibung des Potemkinschen Geistes", nannte er das. Bei Pauls Regierungsantritt waren die Kassen leer; die Kosten für Armee und Flotte hatten zu hoher Auslandsverschuldung geführt, die Zahl der Leibeigenen hatte sich um eine Million erhöht. Andererseits hatte Katharina den Adel verwöhnt, den sie zur Unterstützung ihrer Politik brauchte, und ihm zahlreiche Privilegien zugestanden. Adel und Günstlinge wurden nun von Paul für die Lage Rußlands verantwortlich gemacht. Die Familie der Fürsten Subow, vor allem Platon, der als der letzte Geliebte der Kaiserin den größten Einfluß gehabt hatte, war eines der ersten Opfer geworden.

In seinem Bestreben, alle Maßnahmen seiner Vorgängerin umzustürzen, ließ Zar Paul in seinen Reformen des Heeres und der Verwaltung bald keine vernünftige Linie mehr erkennen. Außenpolitisch hatte er 1800 eine abrupte Umkehrung der Bündnisse eingeleitet: Er verließ die antifranzösische Koalition mit England und Österreich, um zusammen mit Napoleon Englands Vorherrschaft zur See und im Handel zu brechen.

Die Situation Rußlands nach dem Thronwechsel wurde in führenden Kreisen bereits 1797 als so bedrohlich eingeschätzt, daß in der Umgebung der drei Brüder Subow frühzeitig Umsturzpläne erörtert wurden. An diesen Plänen beteiligt waren auch der Vizekanzler Nikita P. Panin, Generalleutnant Graf Benningsen und der Kommandant der PreobraSYMBOL 158 f "Times New Roman CE"ensker Garden, General Talysin. Auch Graf Pahlen als einem militärischen Befehlshaber war dabei eine wichtige Rolle zugedacht.

Durch äußerst kunstvoll angelegte Intrigen war es den Subows bereits 1797 gelungen, nach St. Petersburg zurückzukommen und sich das Vertrauen Pauls zu erwerben. Bald durfte auf ihr Betreiben auch Pahlen zurückkehren. Ab dem 18. Juli 1798 war er Militärgouverneur von St. Petersburg, 1801 auch Mitglied des Kollegiums der Auswärtigen Angelegenheiten. Nach der Verbannung Panins im Jahre 1800 wurde er zum Haupt der Verschwörung gegen den Zaren. Bei seiner Planung überließ er nichts dem Zufall. Dementsprechend sollten zunächst alle Schlüsselstellungen – vor allem in den Garden – mit Vertrauten besetzt werden, sodann mußte die Zustimmung des Thronfolgers Alexander eingeholt werden, was spätestens Anfang 1801 gelang. Dabei spielten auch Gerüchte eine Rolle, denen zufolge Paul seine beiden ältesten Söhne ins Kloster verbannen wollte.

Paul hatte in früherer ahnungsvoller Ängstlichkeit das Michaels-Palais mit einem Wassergraben und Zugbrücken als seinen Wohnsitz erbaut. Aber alle Sicherheitsmaßnahmen waren den gegnerischen Waffen aus Intrigen, Betrug und Geld nicht gewachsen. In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1801, als die Mörder geräuschlos bis in seine Gemächer vordrangen – Benningsen führte die erste Kolonne der Truppen, auch Platon und Nikolaj Subow waren selbst anwesend -, stand draußen auf der Allee Graf von der Pahlen mit der zweiten Kolonne "auf Nummer Sicher". Es entsprach der Planung, es so einzurichten, daß er bei jeder Eventualität, auch im Falle eines Fehlschlags, mit heiler Haut davon käme. Pahlen wollte beim Mißlingen des Anschlags an der Spitze von Truppen dem Kaiser zu Hilfe eilen.

Als schließlich die Nachricht vom Tode Pauls überbracht wurde, bemerkte Pahlen Unruhe unter den Garden; eine Akklamation des neuen Monarchen Alexander durch die Garde mußte sofort erfolgen. Dieser, von Ohnmachtsanfällen und nervösen Krämpfen geschüttelt, weigerte sich, sich den Garden zu zeigen und lehnte die Herrschaft ab. Da faßte Pahlen ihn am Arm und rief ihm zu: "Nun ist genug Kind gespielt, beginnen Sie zu regieren!"

Obwohl es vor allem die Großen des Reiches waren, die den Anschlag geplant und ausgeführt hatten (von einer revolutionären Strömung oder Massenerhebung konnte keine Rede sein), berichteten Augenzeugen über den großen Jubel in der Hauptstadt am 12. März. Nie habe ein Thronwechsel allgemeineres Entzücken hervorgerufen, wird ein Zeitgenosse zitiert.

Pahlen war nicht nur ein gewandter, sondern auch ein ehrgeiziger Mann. Von der Fürstin Lieven, der Gattin des Kriegsministers, liegt folgende Beschreibung seiner Persönlichkeit vor: "Graf von der Pahlen war ein Mann von hoher Statur, breitschultrig, mit hoher Stirn, mit dem offensten, ehrlichsten und jovialsten Gesicht. Seine Unterhaltung war voll Geist, Originalität, Gutmütigkeit, Scharfsinn und Scherzhaftigkeit. Viel Verstand, kühn, das Leben leicht nehmend. Er war das Ebenbild der Redlichkeit, der Freude und der Sorglosigkeit".

Vermutlich war bei Pahlen viel Verstellung im Spiel, denn er sagte einmal von sich selbst: "Ich habe nicht Philosophie, wohl aber Pfiffigologie studiert… Ohne Pfiffigkeit kommt man nicht aus". Über die wahren Motive, aus denen heraus sich Pahlen an die Spitze der Verschwörung gestellt hat, können nur Vermutungen angestellt werden; er selbst hat sich dazu nicht klar geäußert. Seine Anhänglichkeit an Katharina, die den Enkel Alexander ihrem Sohn Paul vorzog, mag ein plausibler Grund gewesen sein; hinzu kamen politische Gründe, die in der völligen Abkehr von der früheren Politik lagen. Pahlen hatte seinen ganzen Weg im Dienste Katharinas gemacht. Er war ein treuer Anhänger ihrer zentralistischen Reichspolitik, was er in allen Positionen, insbesondere auch bei der Einverleibung Kurlands 1795, unter Beweis gestellt hatte. Das neue Regime war ihm fremd.

Aber auch das tägliche exzessive Verhalten Pauls begünstigte die allgemeine Stimmung für einen Umsturz. Baron Korff stellte in seinen Memoiren fest: "Niemand wußte sicher, was der Morgen für ihn bereit hielt; Rußland als ganzes wußte nicht, was es morgen erwartete." Auch Pahlen äußerte einmal, daß er gerade wegen seiner hohen Stellung einer der gefährdetsten Personen gewesen sei. Möglicherweise wird nicht zu Unrecht angenommen, daß Pahlen auch persönliche Machtinteressen verfolgte. Die systematische Genauigkeit, mit der er den Anschlag und seine eigene Rolle dabei über Jahre vorbereitete, kann darauf hindeuten, daß er plante, sich Alexander ganz zu unterwerfen, aber die Macht im Staat an sich zu reißen. Pahlen gestand sich auch ein, daß der Mord an seinem Wohltäter von einer groben Täuschung des Thronfolgers begleitet wurde. Als er Alexander schwor, den Vater nur zur Abdankung zwingen zu wollen und sein Leben zu schonen, wußte er, daß er sich zu etwas Unmöglichem verpflichtete: "Ich mußte aber seine Skrupel beschwichtigen", bekannte er, "ich wußte sehr gut, daß man die Revolution entweder zuende führen müsse, oder sie gar nicht erst beginnen dürfe und daß, wenn Pauls Leben nicht ein Ende gesetzt würde, die Türen seines Kerkers sich bald öffnen, die fürchterlichste Reaktion kommen und das Blut Unschuldiger wie Schuldiger bald in Hauptstadt und Provinz fließen würde." Dieser Zusammenhang und die Überzeugung, daß Pahlen letztlich der Drahtzieher war, muß auch Alexander klar geworden sein. Denn anstatt, daß Pahlen unter dem neuen Kaiser seine Karriere fortsetzen konnte, wurde er am 17. Juni 1801, 56jährig, in den Ruhestand entlassen, den er auf seinen Gütern in Kurland verbrachte. Die Fürsten Platon und Valerian Subow hingegen spielten künftig in Alexanders Staatsrat eine wichtige Rolle.

Lit.: Valentin Gitermann: Geschichte Rußlands, 3 Bde, Hamburg 1949. – Valentin Graf Subow: Zar Paul I, Stuttgart 1963. – James J. Kenney jr.: The Politics of Assassination in: Paul I – A Reassessment of His Life and Reign, Pittsburg 1979. – Deutsch-Baltisches Biographisches Lexikon, S. 574.

Bild: Graf von der Pahlen nach der Miniatur eines unbekannten Meisters.

 

Gerda Vollmer