Biographie

Pander, Oskar von

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist, Musikschriftsteller, Philosoph
* 12. April 1883 in Gut Ogersdorf/ Livland
† 2. Februar 1968 in München

Dr. Oscar August Heinrich Gerhard Peter von Pander war der Sohn des Gutsbesitzers Peter von Pander und der Hele­ne, geb. Tonndorff. Er wuchs im Kreis von sieben Geschwistern auf, in dem abgeschiedenen, großen Gut Ogershof in der Livländischen Schweiz, „in das der Urwald hineinragte“ (Sämtliche Zitate aus Pander Trilogie s.a.O.). Es war ein nahe­zu autonomer Komplex. Zur Zeit der Schneeschmelze waren die Wege dorthin unpas­sierbar. Zweimal im Jahr gingen Fuhren nach Riga, um die lebensnotwendigen Dinge zu besorgen, die auf dem Gut nicht erzeugt werden konnten. Die Fuhre benötigte zwei Tage und der nächste Bahnhof war 40 Kilometer entfernt. In dieser abgeschiedenen Idylle lebte Oscar bis zum 15. Lebensjahr, bis die ganze Familie 1897 nach Riga übersiedelte. Den Vater schilderte er als „etwas verstiegen idealistisch und sehr musikalisch“. Starke musikali­sche Eindrücke boten das Rigaer Musikleben, wie die Konzerte des Pianisten Alfred Reisenauer, des Böhmischen Streichquartetts und des Geigers Bronislav Hu­bermann, ebenso der erste Opernbesuch, Tannhäuser unter Leitung des damaligen Rigaer Stadt­ka­pellmeisters Bruno Walter, „daß ich einige Tage wie im Traum umherging.“ Seine Kla­vierstunden nannte er kläglich, so dass er fast gar nicht übte, aber er las viel und „stand völlig unter dem Einfluß Nietzsches“. Grundlagen für seine geistige Ent­wicklung waren gelegt, wozu auch „überirdische“ Erfahrungen wie Hypnose und Teller­rücken gehörten.

Nach der Schulzeit in Riga am Privatgymnasium v. Eltz mit Abitur am russischen Stadt­gymnasium sowie nach dem Ableisten des russischen Militär­diensts in der Nähe von Warschau entschloss er sich zum Studium der Nationalökonomie. Vielleicht wandte er sich diesem Fach aus der Beobachtung seines Vaters zu, der nicht in der Lage war, schwie­rige wirtschaftliche Situationen zu übersehen: „Durch verfehlte Maßnahmen ver­lor er sein reiches Erbe“. 1903 studierte er an der Uni­ver­sität Dorpat, und ahnungsvoll klagte er das „ironische Leben“ an, von dem er damals wohl selbst nicht ganz frei war: „Man tat nichts und machte sich über alles lustig.“ 1905 legte er ein Zwischensemester in Ber­lin ein, wo ihn besonders das moderne Schauspiel faszinierte. Bei den revolutionä­ren Aufständen 1905 ging das väterliche Gut in Flammen auf. Er betrachtete Livland als verloren. Die zwei folgenden Jahre in Freiburg nannte Pander die schönste Zeit seines Lebens. 1906 reiste er zur Materialsammlung für seine Doktorarbeit über russische Ar­beiterorganisationen nach St. Petersburg. Petersburg war „in dieser Verfall­zeit ein Pfuhl an Verkommenheit und Lastern … Angewidert kehrte ich nach Freiburg zu­rück.“

Von den Eltern zur Beendigung des Studiums angemahnt, ging er nach München, aber der Ortswechsel erbrachte nicht den gewünschten Erfolg im Studien­verlauf. Von einer Italienreise 1908 kam er schwer erkrankt und in einer furchtbaren De­pression nach München zurück. Ein neuer Lebensabschnitt begann zum Jahresende mit der ersten Stunde in Harmonielehre bei dem Domorganisten Josef Schmidt, über Mo­nate jede Wo­che eine Fuge schreibend. Seit Herbst 1909 studierte er noch bei dem Musiktheoretiker Rudolf Louis, der ihm auch den Weg zum Verständnis Anton Bruckners wies, was auf seinen Kompositonsstil für ein Jahrzehnt besondere Bedeutung gewann. Er kam in die Meisterklasse Engelbert Humperdincks in Berlin und studierte bei Friedrich Gerns­heim.

1912 erhielt er das erste Engagement als Korrepetitor an das Deut­sche Opernhaus in Charlottenburg. 1913 hei­ratete er die Altistin Elisabeth Hartmann und folgte deren Ver­pflichtung ans Schweriner Hof­theater, als Kor­repetitor ohne Gehalt. Dann wurde er als 2. Kapellmeister an das Mainzer Stadttheater engagiert. Aus der Übernahme einer Vor­stellung von Mozarts Figaro ergab sich ein Dreijahresvertrag als 1. Kapellmeister nach Kiel, den er nicht antreten konnte. Als russischer Staatsangehöri­ger und russischer Husa­renoffizier war ihm der Zuzug nach Kiel, dem wichtigsten Kriegshafen, verwehrt. Im Spät­herbst 1914 wurde er 2. Kapellmeister in Lübeck, wo Frau Elisabeth einen Gast­spielvertrag hatte. Er freundete sich mit dem als Dirigent des Lübecker Konzertvereins tätigen Wilhelm Furt­wängler an, der später Pate seines zweiten Sohnes Benedictus wur­de. Pander konnte die Kieler Beziehungen auf­greifen und stand dort häufiger am Pult. In der Spielzeit 1916/17 ging er als 1. Kapellmeister nach Halle. Sein starker Charakter stand immer wieder im Widerspruch mit den Schwierigkeiten der Zeiten, wie der Umgang mit den personellen Gegebenheiten am Musiktheater und mit autoritären Intendanten, aber auch der nach dem Ersten Weltkrieg stark von Kommunisten durchsetzten Strukturen, die das mäzenatische, liberale Bürger­tum und das Hoftheater abgelöst hatten und das entstandene Vakuum besetzten. Seine kompromisslose Haltung führte zu mehreren eige­nen Kündigungen. So war ihm das Engage­ment als 1. Kapellmeister 1919 nach Darmstadt als Nachfolger von Erich Kleiber sehr willkommen. Gleichzeitig übernahm er nach Carl Schuricht den Rühlschen Gesang­verein in Frankfurt/M. Unstimmigkeiten und Intrigen in Darmstadt führten dazu, dass er die Kapellmeisterstelle aufgab und sich vom Musik­theater los­löste, um seine Möglich­keiten als Konzertdirigent auszuweiten. Er wurde 1920 Dirigent der Offenbacher Konzertgesellschaft, leitete noch andere Chöre und dirigierte mehrere Museumskonzerte sowie Konzertzyklen mit den Frankfurter Sinfonikern. Durch die Inflation konnte er seinen freischaffenden Stand nicht mehr aufrecht halten, nachdem auch die Frankfurter Sinfoniker ein Opfer dieser Entwicklung wurden.

Er beschäftigte sich mit indischer und chinesischer Mystik und kam mit Graf Hermann v. Keyserling in Darmstadt mit dessen „Schule der Weisheit in Ver­bin­dung“. In der schwierigen wirtschaftlichen Situation griff er auf sein Ökonomie-Studium zurück. Er bekam eine Stelle bei der Deutschen Allgemeinen Wirtschaftszeitung. Außerdem pro­movierte er an der Universität Frankfurt, sein Material aus den Frei­burger Studienjahren aufarbeitend. Durch die Einführung der Rentenmark 1924 und dem Tod des Unterneh­mers brach der Stinnes-Konzern zusammen, zu welchem die DAZ gehörte. Auch die Anstellung in der Pflastersteinindustrie endete 1926 mit der Liquidation des Unterneh­mens. Für ihn selbst über­raschend wurde ihm eine Stelle als Musikkritiker an den Mün­chner Neuesten Nachrichten für 1927 angeboten. Seine Arbeit als Kriti­ker fand alsbald weit über München hinaus Beachtung. Seine unbe­queme Stimme wurde auch von den neuen Machthabern in Berlin wahrgenommen. Sie waren düpiert, dass sie nicht ih­rem kulturellen Bestreben entsprach und so wurde er 1933 fristlos entlassen, aller­dings wur­de er 1934 wieder eingestellt, da in der Redaktion „alles drunter und drü­ber ging.“ Da Pander kein Parteigenosse war, hatte er nicht nur in der Redaktion zu lei­den. Seine Kompositionen wurden bei Musikfesten nicht aufgeführt. „Auch Operndirektor Clemens Krauß, den ich sehr schätzte, wurde von dieser Psychose angesteckt. Wegen einer lä­cherlichen Belanglosigkeit in einer meiner Kritiken holte er den berüchtigten Ministe­rialdirektor Bade aus dem Berliner Kultusministerium“. In einer Pressekonfe­renz drohte Bade jedem, der nicht genau das Kritikverbot befolge, mit sofortiger Entlassung.

Der Zweite Welt­krieg zerstörte sein Leben. 1941 verstarb seine Frau Elisabeth, ihr Herz hielt die Leiden des Krieges nicht mehr aus. Bei einem englischen Terrorangriff 1943 „als ich auf dem Boden mit der Feuerspritze arbeitete, um das Übergreifen des Feuers zu verhindern, wurde ich von den Fliegern mit Maschinenengewehren beschossen.“ Die Wohnung war nach dem Angriff nicht mehr heizbar. Sein letzter Brief (1943) an den Sohn Sebastian kam zurück – er war über dem Atlantik im Luftkampf abgeschossen worden. Durch eine Terrorangriff­serie brannte sein Wohnhaus in München völlig aus. So verlor er seine Habe, sein kompositorisches Schaffen und seine schrift­stellerische Ar­beit. Das veröffentlichte Werk ist durch Kriegs­ein­wirkungen in den Ver­lagen Breitkopf & Härtel in Leipzig und Böhm in Augsburg ver­nichtet worden. Auch wurde er bei der Zeitung entlassen. Er hatte geschrieben, dass sich die Reichsleitung dem Feind ausliefern solle, um Volk und Reich vor dem drohenden Untergang zu retten. Sohn Benedictus verlor er am 4. Mai 1945. Er war von seinem Stützpunkt Ymuiden mit einem Zweimann-U-Boot ausgefahren und nicht mehr zurückgekehrt.

„Nur eines blieb vielleicht noch – zu schaffen.“ Er lebte in Maising, als „Diogenes in einsamer Freiheit“, spä­ter wieder in Mün­chen, der schriftstellerischen Arbeit und dem Komponieren, sich auch zunehmend mit philoso­phischen Themen beschäftigend. 1956 über­sie­delte er nach Marburg in das Haus der Witwe seines Bruders.

Sein von der Spätromantik ausgehendes Schaffen ist stilistisch vielseitig. Bei seinen frü­hen Werken, der Sinfonie f-moll und der Tragischen Ouvertüre stand er in der Nachfolge von Anton Bruckner. Für seine komische Oper Mandragola (1912) war ihm der Parlan­do-Stil Wolf-Ferraris Vorbild. In der Nachfolge von Gustav Mahler, einem Komponi­sten, welchen er in seiner Frankfurter Zeit wiederholt aufführte, Sinfonien, auch die Achte und mehrmals Das Lied von der Erde mit Frau Elisabeth als Solistin, sind seine Marienlieder zu sehen. Eine Rückschau sind die Kammergesänge Chinesische Flöte nach Hans Bethge von 1955, dessen Nachdichtung auch Mahler im Lied von der Erde vertonte. Das My­ste­rien­spiel Maya, welches er 1914 begann und 1932 vollendete und das 4. Streichquartett (1954) bezeichnete er selbst als die Höhepunkte seines Schaffens. Ein eindrucksvolles, auch heute noch gelegentlich aufgeführtes Werk, ist die Symphonie des Frauenlebens für Altstimme, Streichquartett und Klavier nach Gertrud von Le Fort (1935), die er Winifred Wagner widmete. Das große Oratorium Des Le­bens Lied (Für­stner 1939) erfuhr 1941 in München unter Oswald Kabasta und den Münchner Philhar­monikern „die beste und bedeutendeste Wiedergabe, die einem meiner Werke jemals be­schieden war“. Viele Aufführungsmöglichkeiten ergaben sich für ihn nicht. Häufiger zu hören ist seine Instrumentierung von Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes für tiefe Stimme und großes Orchester (Tischer & Jagenberg um 1919). Von rückschauendem Charakter sind die Zwei Suiten für kleines Orchester (1948 Tischer), in welchen lettische und russische Volkslieder Verwendung fanden. Zu erwähnen sind auch Vertonungen deutschbaltischer Dichtung (Werner Bergengruen, Gertrud von der Brincken). Ein Unikat in der deutschen Musik zur damaligen Zeit dürfte das Konzert für Bala­lai­ka und Orchester (Lex. 2002) von 1956 sein.

Seine vielseitige schriftstellerische Arbeit galt neben seinem langjährigen Brotberuf des Musikkritikers, aus dessen Sicht das Buch Clemens Krauß in München entstand, noch populärwissenschaftlichen Musikbüchern, wie Beethoven, der Künstler und sein Werk oder Freude, schöner Götterfunken, über die 9. Sinfonie oder Musikformen (1952). Mit philosophischen Abhandlungen trat er in den Kreis mehrerer deutschbaltischer Kompo­nisten seiner Generation, wie Gerhard von Keußler mit musik­ästhetischen Schriften, Walter Freymann mit Von der Philosophie des „Seins“ oder Emil Mattiesen mit para­psy­chlogischen Studien und den heute noch als Standardwerke erhältlichen Abhand­lungen Der jenseitige Mensch und Das persönliche Über­leben des Todes. Panders Deutungen galten im Gegensatz zu Mattiesen der „Prae­exi­stenz“ mit Die natürlichen Grundlagen der Metaphysik (1952), was er auch in der auto­biographischen Schrift Trilogie des Lebens „Mein Ich als Beispiel in 3 x 7 Kapi­teln“erwogen hat, einleitend das „Vorwort – Von überzeitlicher Persönlichkeit“.

Trotz schwieriger Quellenlage, großen Werkverlusts und Dominanz der Moderne mit den avantgardistischen Bestrebungen finden heute gelegentlich Werke Panders den Weg in den Konzertsaal, wozu auch die posthume Drucklegung der Sonate für Violoncello und Klavier, gewidmet Enrico Mainardi, beiträgt (Laurentius-Verlag Frank­furt/M. 2016). Oscar von Pander ge­hörte jener Generation an, welche die deutsche Spätromantik vollendete und nach dem Zweiten Weltkrieg durch Freitonalität sich einer gemäßigt-modernen Tonsprache zuwandte.

Zitate: Wenn nicht anders angegeben aus: Oscar von Pander, Trilogie des Lebens, Marburg 1959.

Lit.: Oscar von Pander, Trilogie des Lebens, Marburg 1959. – Div. Musiklexika. – Helmut Scheunchen, Lexikon deutschbaltischer Musik, Wedemark-Elze 2002, S. 192-194 (Werkverzeichnis). – Wilhelm Zentner, Oscar von Pander, zum 60. Ge­burtstag des Komponisten, in: ZfM H. 3, März 1943, S. 126f. – Eckart Sellheim, Oscar von Pander 31.3.1881-2.2.1968, in. Jahrbuch des balt. Deutschtums, Lüneburg 1968, XVI 1969, S. 8ff, – Helmut Scheunchen, „Doppelte Feder, ja dreifache gar“: Komponistenschriftsteller – Doppelbegabungen in der deutsch­baltischen Geistesgeschichte. in: Deutschsprachige Literatur im Baltikum u. in Sankt Petersburg, hrsg. Carola L. Gottzmann, Berlin. 2010, Literarische Landschaften 11, Kulturstiftung d. deutschen Vertriebenen, S. 141, 233. – Helmut Scheunchen, Vorwort Oscar von Pander Sonata quasi fantasia für Violoncello u. Klavier, Frankfurt/M. 2016.

Bild: Oscar von Pander, in: Deutsch-Baltisches Jahrbuch (Neue Folge), Bd. 65, Lüneburg 2017, S. 200.

Helmut Scheunchen