Dr. Oscar August Heinrich Gerhard Peter von Pander war der Sohn des Gutsbesitzers Peter von Pander und der Helene, geb. Tonndorff. Er wuchs im Kreis von sieben Geschwistern auf, in dem abgeschiedenen, großen Gut Ogershof in der Livländischen Schweiz, „in das der Urwald hineinragte“ (Sämtliche Zitate aus Pander Trilogie s.a.O.). Es war ein nahezu autonomer Komplex. Zur Zeit der Schneeschmelze waren die Wege dorthin unpassierbar. Zweimal im Jahr gingen Fuhren nach Riga, um die lebensnotwendigen Dinge zu besorgen, die auf dem Gut nicht erzeugt werden konnten. Die Fuhre benötigte zwei Tage und der nächste Bahnhof war 40 Kilometer entfernt. In dieser abgeschiedenen Idylle lebte Oscar bis zum 15. Lebensjahr, bis die ganze Familie 1897 nach Riga übersiedelte. Den Vater schilderte er als „etwas verstiegen idealistisch und sehr musikalisch“. Starke musikalische Eindrücke boten das Rigaer Musikleben, wie die Konzerte des Pianisten Alfred Reisenauer, des Böhmischen Streichquartetts und des Geigers Bronislav Hubermann, ebenso der erste Opernbesuch, Tannhäuser unter Leitung des damaligen Rigaer Stadtkapellmeisters Bruno Walter, „daß ich einige Tage wie im Traum umherging.“ Seine Klavierstunden nannte er kläglich, so dass er fast gar nicht übte, aber er las viel und „stand völlig unter dem Einfluß Nietzsches“. Grundlagen für seine geistige Entwicklung waren gelegt, wozu auch „überirdische“ Erfahrungen wie Hypnose und Tellerrücken gehörten.
Nach der Schulzeit in Riga am Privatgymnasium v. Eltz mit Abitur am russischen Stadtgymnasium sowie nach dem Ableisten des russischen Militärdiensts in der Nähe von Warschau entschloss er sich zum Studium der Nationalökonomie. Vielleicht wandte er sich diesem Fach aus der Beobachtung seines Vaters zu, der nicht in der Lage war, schwierige wirtschaftliche Situationen zu übersehen: „Durch verfehlte Maßnahmen verlor er sein reiches Erbe“. 1903 studierte er an der Universität Dorpat, und ahnungsvoll klagte er das „ironische Leben“ an, von dem er damals wohl selbst nicht ganz frei war: „Man tat nichts und machte sich über alles lustig.“ 1905 legte er ein Zwischensemester in Berlin ein, wo ihn besonders das moderne Schauspiel faszinierte. Bei den revolutionären Aufständen 1905 ging das väterliche Gut in Flammen auf. Er betrachtete Livland als verloren. Die zwei folgenden Jahre in Freiburg nannte Pander die schönste Zeit seines Lebens. 1906 reiste er zur Materialsammlung für seine Doktorarbeit über russische Arbeiterorganisationen nach St. Petersburg. Petersburg war „in dieser Verfallzeit ein Pfuhl an Verkommenheit und Lastern … Angewidert kehrte ich nach Freiburg zurück.“
Von den Eltern zur Beendigung des Studiums angemahnt, ging er nach München, aber der Ortswechsel erbrachte nicht den gewünschten Erfolg im Studienverlauf. Von einer Italienreise 1908 kam er schwer erkrankt und in einer furchtbaren Depression nach München zurück. Ein neuer Lebensabschnitt begann zum Jahresende mit der ersten Stunde in Harmonielehre bei dem Domorganisten Josef Schmidt, über Monate jede Woche eine Fuge schreibend. Seit Herbst 1909 studierte er noch bei dem Musiktheoretiker Rudolf Louis, der ihm auch den Weg zum Verständnis Anton Bruckners wies, was auf seinen Kompositonsstil für ein Jahrzehnt besondere Bedeutung gewann. Er kam in die Meisterklasse Engelbert Humperdincks in Berlin und studierte bei Friedrich Gernsheim.
1912 erhielt er das erste Engagement als Korrepetitor an das Deutsche Opernhaus in Charlottenburg. 1913 heiratete er die Altistin Elisabeth Hartmann und folgte deren Verpflichtung ans Schweriner Hoftheater, als Korrepetitor ohne Gehalt. Dann wurde er als 2. Kapellmeister an das Mainzer Stadttheater engagiert. Aus der Übernahme einer Vorstellung von Mozarts Figaro ergab sich ein Dreijahresvertrag als 1. Kapellmeister nach Kiel, den er nicht antreten konnte. Als russischer Staatsangehöriger und russischer Husarenoffizier war ihm der Zuzug nach Kiel, dem wichtigsten Kriegshafen, verwehrt. Im Spätherbst 1914 wurde er 2. Kapellmeister in Lübeck, wo Frau Elisabeth einen Gastspielvertrag hatte. Er freundete sich mit dem als Dirigent des Lübecker Konzertvereins tätigen Wilhelm Furtwängler an, der später Pate seines zweiten Sohnes Benedictus wurde. Pander konnte die Kieler Beziehungen aufgreifen und stand dort häufiger am Pult. In der Spielzeit 1916/17 ging er als 1. Kapellmeister nach Halle. Sein starker Charakter stand immer wieder im Widerspruch mit den Schwierigkeiten der Zeiten, wie der Umgang mit den personellen Gegebenheiten am Musiktheater und mit autoritären Intendanten, aber auch der nach dem Ersten Weltkrieg stark von Kommunisten durchsetzten Strukturen, die das mäzenatische, liberale Bürgertum und das Hoftheater abgelöst hatten und das entstandene Vakuum besetzten. Seine kompromisslose Haltung führte zu mehreren eigenen Kündigungen. So war ihm das Engagement als 1. Kapellmeister 1919 nach Darmstadt als Nachfolger von Erich Kleiber sehr willkommen. Gleichzeitig übernahm er nach Carl Schuricht den Rühlschen Gesangverein in Frankfurt/M. Unstimmigkeiten und Intrigen in Darmstadt führten dazu, dass er die Kapellmeisterstelle aufgab und sich vom Musiktheater loslöste, um seine Möglichkeiten als Konzertdirigent auszuweiten. Er wurde 1920 Dirigent der Offenbacher Konzertgesellschaft, leitete noch andere Chöre und dirigierte mehrere Museumskonzerte sowie Konzertzyklen mit den Frankfurter Sinfonikern. Durch die Inflation konnte er seinen freischaffenden Stand nicht mehr aufrecht halten, nachdem auch die Frankfurter Sinfoniker ein Opfer dieser Entwicklung wurden.
Er beschäftigte sich mit indischer und chinesischer Mystik und kam mit Graf Hermann v. Keyserling in Darmstadt mit dessen „Schule der Weisheit in Verbindung“. In der schwierigen wirtschaftlichen Situation griff er auf sein Ökonomie-Studium zurück. Er bekam eine Stelle bei der Deutschen Allgemeinen Wirtschaftszeitung. Außerdem promovierte er an der Universität Frankfurt, sein Material aus den Freiburger Studienjahren aufarbeitend. Durch die Einführung der Rentenmark 1924 und dem Tod des Unternehmers brach der Stinnes-Konzern zusammen, zu welchem die DAZ gehörte. Auch die Anstellung in der Pflastersteinindustrie endete 1926 mit der Liquidation des Unternehmens. Für ihn selbst überraschend wurde ihm eine Stelle als Musikkritiker an den Münchner Neuesten Nachrichten für 1927 angeboten. Seine Arbeit als Kritiker fand alsbald weit über München hinaus Beachtung. Seine unbequeme Stimme wurde auch von den neuen Machthabern in Berlin wahrgenommen. Sie waren düpiert, dass sie nicht ihrem kulturellen Bestreben entsprach und so wurde er 1933 fristlos entlassen, allerdings wurde er 1934 wieder eingestellt, da in der Redaktion „alles drunter und drüber ging.“ Da Pander kein Parteigenosse war, hatte er nicht nur in der Redaktion zu leiden. Seine Kompositionen wurden bei Musikfesten nicht aufgeführt. „Auch Operndirektor Clemens Krauß, den ich sehr schätzte, wurde von dieser Psychose angesteckt. Wegen einer lächerlichen Belanglosigkeit in einer meiner Kritiken holte er den berüchtigten Ministerialdirektor Bade aus dem Berliner Kultusministerium“. In einer Pressekonferenz drohte Bade jedem, der nicht genau das Kritikverbot befolge, mit sofortiger Entlassung.
Der Zweite Weltkrieg zerstörte sein Leben. 1941 verstarb seine Frau Elisabeth, ihr Herz hielt die Leiden des Krieges nicht mehr aus. Bei einem englischen Terrorangriff 1943 „als ich auf dem Boden mit der Feuerspritze arbeitete, um das Übergreifen des Feuers zu verhindern, wurde ich von den Fliegern mit Maschinenengewehren beschossen.“ Die Wohnung war nach dem Angriff nicht mehr heizbar. Sein letzter Brief (1943) an den Sohn Sebastian kam zurück – er war über dem Atlantik im Luftkampf abgeschossen worden. Durch eine Terrorangriffserie brannte sein Wohnhaus in München völlig aus. So verlor er seine Habe, sein kompositorisches Schaffen und seine schriftstellerische Arbeit. Das veröffentlichte Werk ist durch Kriegseinwirkungen in den Verlagen Breitkopf & Härtel in Leipzig und Böhm in Augsburg vernichtet worden. Auch wurde er bei der Zeitung entlassen. Er hatte geschrieben, dass sich die Reichsleitung dem Feind ausliefern solle, um Volk und Reich vor dem drohenden Untergang zu retten. Sohn Benedictus verlor er am 4. Mai 1945. Er war von seinem Stützpunkt Ymuiden mit einem Zweimann-U-Boot ausgefahren und nicht mehr zurückgekehrt.
„Nur eines blieb vielleicht noch – zu schaffen.“ Er lebte in Maising, als „Diogenes in einsamer Freiheit“, später wieder in München, der schriftstellerischen Arbeit und dem Komponieren, sich auch zunehmend mit philosophischen Themen beschäftigend. 1956 übersiedelte er nach Marburg in das Haus der Witwe seines Bruders.
Sein von der Spätromantik ausgehendes Schaffen ist stilistisch vielseitig. Bei seinen frühen Werken, der Sinfonie f-moll und der Tragischen Ouvertüre stand er in der Nachfolge von Anton Bruckner. Für seine komische Oper Mandragola (1912) war ihm der Parlando-Stil Wolf-Ferraris Vorbild. In der Nachfolge von Gustav Mahler, einem Komponisten, welchen er in seiner Frankfurter Zeit wiederholt aufführte, Sinfonien, auch die Achte und mehrmals Das Lied von der Erde mit Frau Elisabeth als Solistin, sind seine Marienlieder zu sehen. Eine Rückschau sind die Kammergesänge Chinesische Flöte nach Hans Bethge von 1955, dessen Nachdichtung auch Mahler im Lied von der Erde vertonte. Das Mysterienspiel Maya, welches er 1914 begann und 1932 vollendete und das 4. Streichquartett (1954) bezeichnete er selbst als die Höhepunkte seines Schaffens. Ein eindrucksvolles, auch heute noch gelegentlich aufgeführtes Werk, ist die Symphonie des Frauenlebens für Altstimme, Streichquartett und Klavier nach Gertrud von Le Fort (1935), die er Winifred Wagner widmete. Das große Oratorium Des Lebens Lied (Fürstner 1939) erfuhr 1941 in München unter Oswald Kabasta und den Münchner Philharmonikern „die beste und bedeutendeste Wiedergabe, die einem meiner Werke jemals beschieden war“. Viele Aufführungsmöglichkeiten ergaben sich für ihn nicht. Häufiger zu hören ist seine Instrumentierung von Mussorgskis Lieder und Tänze des Todes für tiefe Stimme und großes Orchester (Tischer & Jagenberg um 1919). Von rückschauendem Charakter sind die Zwei Suiten für kleines Orchester (1948 Tischer), in welchen lettische und russische Volkslieder Verwendung fanden. Zu erwähnen sind auch Vertonungen deutschbaltischer Dichtung (Werner Bergengruen, Gertrud von der Brincken). Ein Unikat in der deutschen Musik zur damaligen Zeit dürfte das Konzert für Balalaika und Orchester (Lex. 2002) von 1956 sein.
Seine vielseitige schriftstellerische Arbeit galt neben seinem langjährigen Brotberuf des Musikkritikers, aus dessen Sicht das Buch Clemens Krauß in München entstand, noch populärwissenschaftlichen Musikbüchern, wie Beethoven, der Künstler und sein Werk oder Freude, schöner Götterfunken, über die 9. Sinfonie oder Musikformen (1952). Mit philosophischen Abhandlungen trat er in den Kreis mehrerer deutschbaltischer Komponisten seiner Generation, wie Gerhard von Keußler mit musikästhetischen Schriften, Walter Freymann mit Von der Philosophie des „Seins“ oder Emil Mattiesen mit parapsychlogischen Studien und den heute noch als Standardwerke erhältlichen Abhandlungen Der jenseitige Mensch und Das persönliche Überleben des Todes. Panders Deutungen galten im Gegensatz zu Mattiesen der „Praeexistenz“ mit Die natürlichen Grundlagen der Metaphysik (1952), was er auch in der autobiographischen Schrift Trilogie des Lebens „Mein Ich als Beispiel in 3 x 7 Kapiteln“erwogen hat, einleitend das „Vorwort – Von überzeitlicher Persönlichkeit“.
Trotz schwieriger Quellenlage, großen Werkverlusts und Dominanz der Moderne mit den avantgardistischen Bestrebungen finden heute gelegentlich Werke Panders den Weg in den Konzertsaal, wozu auch die posthume Drucklegung der Sonate für Violoncello und Klavier, gewidmet Enrico Mainardi, beiträgt (Laurentius-Verlag Frankfurt/M. 2016). Oscar von Pander gehörte jener Generation an, welche die deutsche Spätromantik vollendete und nach dem Zweiten Weltkrieg durch Freitonalität sich einer gemäßigt-modernen Tonsprache zuwandte.
Zitate: Wenn nicht anders angegeben aus: Oscar von Pander, Trilogie des Lebens, Marburg 1959.
Lit.: Oscar von Pander, Trilogie des Lebens, Marburg 1959. – Div. Musiklexika. – Helmut Scheunchen, Lexikon deutschbaltischer Musik, Wedemark-Elze 2002, S. 192-194 (Werkverzeichnis). – Wilhelm Zentner, Oscar von Pander, zum 60. Geburtstag des Komponisten, in: ZfM H. 3, März 1943, S. 126f. – Eckart Sellheim, Oscar von Pander 31.3.1881-2.2.1968, in. Jahrbuch des balt. Deutschtums, Lüneburg 1968, XVI 1969, S. 8ff, – Helmut Scheunchen, „Doppelte Feder, ja dreifache gar“: Komponistenschriftsteller – Doppelbegabungen in der deutschbaltischen Geistesgeschichte. in: Deutschsprachige Literatur im Baltikum u. in Sankt Petersburg, hrsg. Carola L. Gottzmann, Berlin. 2010, Literarische Landschaften 11, Kulturstiftung d. deutschen Vertriebenen, S. 141, 233. – Helmut Scheunchen, Vorwort Oscar von Pander Sonata quasi fantasia für Violoncello u. Klavier, Frankfurt/M. 2016.
Bild: Oscar von Pander, in: Deutsch-Baltisches Jahrbuch (Neue Folge), Bd. 65, Lüneburg 2017, S. 200.
Helmut Scheunchen