Biographie

Passarge, Siegfried

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Geograf und Arzt
* 29. November 1866 in Königsberg i.Pr.
† 26. Juli 1958 in Bremen

„Machen Sie etwas aus der Geographie!“– diesen Lebensauftrag erhielt Siegfried Passarge von seinem akademischen Lehrer und Förderer Ferdinand Freiherr von Richthofen. Er wurde in Königsberg als Sohn des Richters und Schriftstellers Ludwig Passarge (Aus baltischen Landen) geboren. Der Großvater besaß das Gut Wolittnick im Kreis Heiligenbeil. Schon als Schüler des Friedrichskollegiums hatte er den festen Entschluss gefasst, Afrikaforscher und Arzt zu werden. „Eine Zierde der Schule war ich nicht“, so schrieb er später. Passarge begann 1886 sein Geografiestudium in Berlin, wo der durch seine China-Forschungen weithin bekannte Professor von Richthofen wirkte. Dieser war nicht nur der Lehrer Sven Hedins, sondern auch von Erich von Drygalski und Ernst Tiessen; er riet seinem Studenten Siegfried Passarge neben der Geografie zum intensiven Studium der Naturwissenschaften. 1888 bis 1892 studierte Passarge in Jena Medizin, u.a. im Hinblick auf spätere völkerkundliche Untersuchungen. Ostern 1892 bestand er das medizinische Staatsexamen, promovierte jedoch zum Dr. phil. in Geologie. Danach genügte er seiner militärischen Dienstpflicht und wurde 1893 als Unterarzt entlassen. Als Geograf, Geologe und Mediziner, dazu mit besonderem Interesse für Afrika, war er der richtige Mann für dasDeutsche Kamerun-Commitee. Im Hinterland von Kamerun war er dann sowohl als Arzt wie als Geograf bei den Grenzregulierungsarbeiten tätig. Daraus erwuchs sein Werk Adamaua, das die besondere Anerkennung Richthofens fand. Nach einem Vortrag beim 6. Internationalen Geographentag 1895 in London machte man ihm das Angebot, das Ngamiland auf Gold- und Diamantenvorkommen zu prüfen und geologisch zu untersuchen. Außer Kimberley und Johannesburg erforschte Siegfried Passarge die nördliche Kalahari, wo er an Typhus und Malaria erkrankte. 1904 legte er die Ergebnisse seiner Forschungen im Werk Die Kalahari nieder. Vorher (1901/02) hatten ihn kürzere Reisen nach Venezuela geführt. In seiner Darstellung des Orinoko-Gebiets finden sich bereits Formen der Schilderung geografischer Regionen, die er später in seiner Landschaftskunde ausbaute und damit neue Wege geografischer Darstellung betrat. Passarge habilitierte sich 1903 mit der Kalahari-Arbeit bei Ferdinand von Richthofen in Berlin. Er erweiterte sie nach der völkerkundlichen Seite durch die Veröffentlichung über die Buschmänner der Kalahari 1905. Später ließ er eine ähnliche Arbeit über Palästina folgen. 1905 folgte er dem Ruf nach Breslau als Nachfolger von Joseph Partsch auf den Lehrstuhl für Geografie. Als Passarge 1906/07 Algerien bereiste, handelte es sich für ihn um Fragen der allgemeinen Geografie, letztlich um naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten. Von der Breslauer Universität wurde er 1908 nach Hamburg berufen. Hier lehrte und forschte er von 1908 bis 1936. Im Ersten Weltkrieg war er als Arzt und Geologe in Flandern tätig. In der Freien und Hansestadt erlebte er nach dem Ersten Weltkrieg die Umwandlung des damaligen Kolonialinstitutes in eine Universität. Nun begann er aus den auf seinen Reisen erworbenen Kenntnissen die theoretischen Folgerungen zu ziehen. Sie gipfelten vor allem in der Landschaftskunde, die versucht, die Landschaft als Einheit zu erfassen. Dazu kommt die Untersuchung der Einwirkungen der Landschaft auf den Menschen sowie die Beobachtung der Veränderungen, die der Mensch in der Landschaft vornimmt. Diese Wechselwirkungen zu erkennen, ist eine Hauptaufgabe der Landschaftskunde. Später wandte sich Passarge der Anthropologie zu. Weiterhin trat in seinen Arbeiten die Problemländerkunde in den Vordergrund, indem er demVier-Kräfte-Problem (Raum-Mensch-Kultur-Geschichte) nachging. Mit dem an der Münchener Universität lehrenden Landsmann und Fachkollegen, dem gleichfalls in Königsberg geborenen berühmten Geografen und Antarktisforscher Erich von Drygalski verband ihn eine enge Freundschaft.

Kompromisslos, ohne sich um die Gunst der Parteien und herrschenden Meinungen zu kümmern, lehrte Siegfried Passarge am Geographischen Institut der Universität Hamburg. 1936 wurde er emeritiert, ein weiterer Lehrauftrag wurde ihm nicht erteilt. Seine Anschauungen passten nicht in die Rassenideologie des nationalsozialistischen Regimes.

Durch Bombentreffer verlor Professor Passarge seine Wohnung, seine Bibliothek, seine Aufzeichnungen und Sammlungen. 1943 starb seine Frau Else, die Tochter eines Gutsbesitzers aus der Gegend um Bartenstein. Einer seiner Söhne fiel im Krieg; ihm blieben noch eine Tochter und zwei Söhne, die später beide als Ärzte in Hamburg praktizierten.

Während des Zweiten Weltkriegs kehrte Professor Passarge nach Ostpreußen zurück. Er besuchte den alten Schulgefährten Adolf von Batocki, den ehemaligen Oberpräsidenten von Ostpreußen, auf dessen Gut Bledau.„Ich habe ihn stets hoch geschätzt. Schon als Junge zeigte er eine lautere Gesinnung. Als Präsident des Ernährungsamtes im Ersten Weltkriege schuf er sich eben durch seine anständige Haltung Feinde. Er ging nämlich gegen Luxushotels vor, in denen zu Überpreisen für Schieber alles zu haben war. Bewundert habe ich auch seine Tatkraft, noch mitten im Kriege den Wiederaufbau der verwüsteten Kreise Ostpreußens zu beginnen“, erklärte Professor Passarge.

Er verließ Königsberg im August 1944 und fand Unterkommen bei Verwandten in Grünberg in Schlesien. Da er auch das medizinische Staatsexamen bestanden hatte, war er bereits im Ersten Weltkrieg als Stabsarzt tätig gewesen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges herrschte ein großer Mangel an Ärzten für die Betreuung der Zivilbevölkerung. Da stellte sich der 78-Jährige zur Verfügung. Am 26. Februar 1957 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Hamburger Universität verliehen. Siegfried Passarge, der bis zu seinem Tode tätig gewesen ist, hat der Geografie als Wissenschaft neue Wege gewiesen.

Werke:Adamaua (1895). – Kalahari (1904). – Die Grundlagen der Landschaftskunde, 3 Bde. (1919/20). – Vergleichende Landschaftskunde, 5 Hefte (1921/30). – Die Landschaftsgürtel der Erde (1923). – Die Erde und ihr Wirtschaftsleben (1926). – Beschreibende Landschaftskunde (1929). – Wesen, Aufgaben und Grenzen der Landschaftskunde (1930). – Einführung in die Landschaftskunde (1933). – Geographische Völkerkunde, 6 Bde. (1933/36).

Lit.:Altpreußische Biographie, Bd. III (1975), S. 1036 (Herbert Kirrinnis). – H. Kirrinnis, In memoriam Siegfried Passarge, in: Das Ostpreußenblatt, Folge 8 (1967), S. 10. – E. N. Wilmsen (Hrsg.), The Kalahari Ethnographies (1896-1898) of Siegfried Passarge (1997). – G. Sandner/M. Rössler, Schriftenverzeichnis und Nachlaß von Siegfried Passarge (1998).

Bild:Das Ostpreußenblatt, Folge 5 (1953), S. 13.