Biographie

Pastior, Oskar

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Lyriker
* 20. Oktober 1927 in Hermannstadt/Siebenbürgen
† 4. Oktober 2006 in Frankfurt/Main

Die Siebenbürger Sachsen haben in ihrem fast 900jährigen kulturellen Wirken im Karpatenraum eine ganze Reihe namhafter Persönlichkeiten – sogar von Weltformat, denkt man an den Vater der Raumfahrt, den Lehrer Wernher von Brauns, Hermann Oberth – hervorgebracht. Auf dem Gebiete der Literatur, insbesondere der Lyrik jedoch wollte es ihnen – sieht man von der in der deutschen Volkspoesie einmaligen Erscheinung der siebenbürgisch-sächsischen Waisenlieder ab, die in der Folge der Opfer bei der Verteidigung der Grenzen der Christenheit gegen die andersgläubigen Eindringlinge entstanden waren – lange Zeit nicht gelingen, Weltrang zu erreichen. Hatten die Banater Schwaben Rumäniens mit Nikolaus Lenau und die Deutschsprachigen der rumänischen Bukowina mit Paul Celan der gesamtdeutschen Literatur große Dichterpersönlichkeiten geschenkt, so konnten die Siebenbürger Sachsen wohl auf Adolf Meschendörfer, der für seinen KronstadtromanDie Stadt im Osten die Goethemedaille des Jahres 1932 erhalten hatte, verweisen und auf seine bemerkenswerten Bemühungen um eine Teilnahme und Teilhabe am gesamtdeutschsprachigen und europäischen Literaturschaffen in seiner schon damals multikulturellen ZeitschriftDie Karpaten (1907-1914) – aber nicht auf mehr. Was aber durfte man von einem so kleinen Volksstamm wie dem der Siebenbürger Sachsen – in seinen besten Zeiten knapp eine Viertelmillion stark –, der in einer rumänisch- und ungarischsprachigen Umwelt lebte, erwarten?

Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, die auch die Rumäniendeutschen mit Deportationen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion und später in die rumänische Baragansteppe (von der ”Titogrenze” weg), mit vollständiger Enteignung und zunächst sogar Aberkennung der Bürgerrechte hart traf, schien das deutschsprachige Kulturleben Rumäniens für immer ruiniert. Doch die Rumänen vertrieben die im Lande verbliebenen Deutschen nicht, gestanden ihnen Ende der 40er Jahre wieder die Bürgerrechte zu und gestatteten danach auch ein deutsches Kulturleben (das deutsche Unterrichtswesen war selbst in der Zeit der Diskriminierungen erhalten geblieben), so daß die Rumäniendeutschen unverhofft noch mit die besten kulturellen Bedingungen aller deutschen Volksgruppen im Ostblock erhielten. Diese einmalige Möglichkeit verstanden sie zu nutzen, und es gelang ihnen – allerdings immer mit Hilfe der Rumänen, die nicht in ihren Deutschen, sondern in ihren Ungarn ihr Problem sahen – eine fünfte deutsche Literatur – nach derjenigen der Bundesrepublik, der DDR, Österreichs und der Schweiz – auf die Beine zu stellen. Der Weg dazu war freilich lang, mühsam und nicht gefahrlos. Von dem Dogma des ”sozialistischen Realismus” bis hin zur weitergefaßten Vorstellung eines Realismus der sozialistischen Übergangsperiode in den 60er Jahren war es ein weiter, mit Dornen gesäumter Weg. Ganz ohne Zugeständnisse – wie heute noch einige rumäniendeutsche Aktionsgrüppler aus dem Banat, die selber seinerzeit Ceausescu von links überholen wollten, glauben machen wollen – ging es auch in Rumänien, besonders im gut überschaubaren und aufmerksam observierten rumäniendeutschen Literaturbetrieb zunächst nicht ab.

So konnte auch Oskar Pastior, der im Alter von 17 Jahren nach Rußland verschleppt worden und nach fünf Jahren Zwangsarbeit von dort heimgekehrt war, erst 1955 ein Germanistikstudium in Bukarest aufnehmen. Er fiel sofort durch seine meisterhafte Beherrschung der deutschen Sprache auf. Bei der damals einzigen landesweiten deutschsprachigen TageszeitungNeuer Weg fand er im Redaktionssekretär Georg Hromadka, einem alten sozialdemokratischen Aktivisten aus dem Banater Bergland, einen verständnisvollen Fürsprecher. Wenn Oskar Pastior in seinen frühen Veröffentlichungen auch die üblichen sozialistischen Themen lyrisch behandeln mußte und so seine Werke von Aufbauverherrlichung, Feiertagshymnik und Bekennertum zur werktätigen Klasse und ihrer ideologischen Führungspartei angefüllt waren, fiel doch schon von Anfang an auf, daß er einen eigenen lyrischen Ton mit einer für die damalige Zeit mitunter recht ungewöhnlichen Metaphorik fand. Am Ersten Mai war für ihn das Besondere, daß die Luft voller Gleiten war; statt des strapazierten Eisengießers und Kohlengrubenbrigadiers oder des Kolchosetraktoristen besang er in seinem Gedicht ”Resonanzholz” die Geigenbauer aus Sächsisch-Regen/Rginul Sasesc oder ließ im Bild eines Hochhauses, dem erst allmählich Jahr für Jahr ein neues Stockwerk aufgesetzt werden soll (übrigens ein sehr sinnvolles Motiv angesichts der großen Wohnungsnot im Ostblock bis über dessen Zusammenbruch hinaus), eine neue Geborgenheit fühlbar werden. Klingen auch einige dieser Verse aus seiner ”glorreichen” Vergangenheit wie: ”…bis wir Klasse und Gewissen / aufgebaut das Menschenhaus / und die neuen Fahnen hissen / und Antennen hoch hinaus”, heute etwas abgedroschen, so waren sie für die damalige rumäniendeutsche Lyrik der Beginn der Emanzipation von doktrinären Vorformulierungen hin zu einer bildhafteren, subjektiv betonten Sprachgestaltung im Sinne einer Entgrenzung ”Antennen hoch hinaus”.

In Pastiors erstem GedichtbandOffene Worte (1965) war der Titel gleichzeitig Programm einer freien, erweiterten Betrachtungsweise. ”Offene Worte” bedeutete zudem: Schluß mit der verbogenen und inzwischen mehr als verlogenen Losungslyrik und ein Wandel hin zur Offenlegung der Realität durch Sprachanalyse und zum Teil eigenwillige Metaphorik. Das geheime Spiel mit der zweischneidigen Metapher beherrschte Oskar Pastior als einer der ersten in der rumäniendeutschen Lyrik. Er blieb aber nicht dabei wie viele seiner Kollegen. In seinem Gedicht ”Olehoff verläßt den Strand” verweigert der lyrische ”Held” am Ende des Gedichts bewußt ”sein Fleisch der Sage”, der üblichen Ideologisierung. In dem Gedicht ”Der Sturz des Eichbaums” faßt Pastior die Erfahrung mit den verkommenen Idealen der Funktionärskaste in ein Bild. Beim Fortbildungslehrgang ”Muttersprache Deutsch” in Temescwar 1967 interpretierte der als Berichterstatter des Neuen Weges delegierte Redakteur Hans Fink den stürzenden Eichbaum als den Fall der Altfunktionäre und erntete damit überwiegend Zustimmung.

1968 kehrte Oskar Pastior von seiner ersten ihm ”gnädig” gewährten Westreise nicht mehr zurück. In Westberlin setzte er seine Entwicklung als Dichter der Sprachthematik, die die Sprache selbst durch ihren Gebrauch beim Wort nimmt, konsequent fort und wurde mit Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, einer der wichtigsten Nachfolgerinnen der ”Wiener Schule”, bekannt. In seiner Experimentallyrik ging er am weitesten. Er hinterfragt außer Wortkombinationen in Sprichwörtern und Redensarten sogar Wortstämme, Wortsilben, ja sogar einzelne Laute auf ihre Funktionalität hin und versucht somit ihre sprachlogische Vorprogrammiertheit aufzubrechen. So demontiert er die der Sprachideologie ausgesetzten verbalen Kommunikationsabläufe und versucht, über sie hinausgehend, teilweise eine Art eigener Metasprache herzustellen. Pastiors im Westen veröffentlichte Gedichtbände beginnen bezeichnenderweise mit dem Titel Vom Sichersten ins Tausendste (1969). Es folgen Gedichtgedichte (1973), An die neue Aubergine, Zeichen und Plunder (1976), Der krimgotische Fächer (1978), Wechselbalg (1980), Anagrammgedichte (1985), Lesungen mit Tinnitus (1986), undJalousien aufgemacht (1987). Alle diese Bände setzen die Verabredung mit dem Sprachgebrauch ohne jede programmatische Vorbedingung fort. Dabei sind sie witzig, spritzig, voll unvermuteter Einfälle, Reinfälle und jeder Menge Ausfälle, gemessen am herkömmlichen ”Sprachgebaren”. Auch Pastiors Hörspiele Reise um den Gmünd und Höricht variieren ideenreich diese Sprachproblematik.

Doch auch in der traditionellen lyrischen Aussage wirkt Oskar Pastior vorbildlich. Seine Übersetzungen aus dem Rumänischen, wie etwa Marien Sorescus ”Abendrot Nummer 15” (1994), aus dem Italienischen Petrarcas Sonette (1992) und aus dem Russischen, aus dem er den Entdecker neuer poetischer Kontinente, Welemir Chlebnikow übertrug, gehören zum Besten, was die deutschsprachige Nachkriegslyrik an Nachdichtungen – im wahrsten Sinne des Wortes – hervorgebracht hat.

Die zahlreichen Preise und Ehrungen, in der alten Heimat noch der Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes für Lyrik 1967, sowie in der neuen Heimat der Südwestfunk-Literaturpreis, der ZDF-Literaturpreis, der Petrarca-Preis, der Ernst-Meister-Preis und der Preis der Akademie der Künste Berlin, belegen nicht nur die Bedeutung Pastiors für eine ganz neue Seite und Sicht der deutschsprachigen Lyrik, sondern auch seine Akzeptanz im gesamten deutschsprachigen Raum und auch darüber hinaus – und dies endlich einmal – Gott sei Dank – noch zu Lebzeiten des Betroffenen.

 

    Ingmar Brantsch