Biographie

Pieck, Wilhelm

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Politiker
* 3. Januar 1876 in Guben/Brandenburg
† 7. September 1960 in Berlin

Wilhelm Pieck wurde am 3. Januar 1876 im östlichen Teil von Guben (heute Gubin, Polen) geboren. Von 1882 bis 1890 besuchte er die dortige Volksschule. Von 1890 bis 1894 machte er eine Tischlerlehre, die er mit der Gesellenprüfung beendete, anschließend ging er, wie es damals üblich war, auf Wanderschaft.

1895 trat Pieck in die Sozialdemokratie ein, nachdem er sich bereits ein Jahr vorher dem Deutschen Holzarbeiterverband angeschlossen hatte. Ab 1905 lebte Pieck in Bremen, wo er sich in der sozialdemokratischen Pressearbeit betätigte und durch den Redakteur der zur Sozialdemokratie tendierenden Bremer Bürger-Zeitung, Heinrich Schulz, sehr gefördert wurde. 1907 wurde er an die Reichsparteischule der SPD nach Berlin delegiert, wo zu seinen Lehrern auch Franz Mehring und Rosa Luxemburg zählten, die auf seine politische Einstellung entscheidenden Einfluss ausübten. 1910 ging Pieck als 2. Sekretär des Zentralen Bildungsausschusses der SPD nach Berlin. In den Jahren 1914 bis 1918 nahm er an mehreren Konferenzen des linken Parteiflügels der SPD teil. Er war ein entschiedener Gegner des sogenannten „Burgfriedens“, worunter die Teilnahme von Sozialdemokraten an der Landesverteidigung verstanden wurde. 1917 wurde er wegen Antikriegspropanganda vor ein Militärgericht gestellt, konnte sich aber der Bestrafung durch Flucht entziehen und lebte danach illegal in Berlin. Auf Anweisung der Spartakusgruppe ging er 1918 nach Amsterdam, wo er in der Redaktion der sozialistischen Wochenzeitung Der Kampf tätig war. Im November 1918 wurde er in die Zentrale des Spartakusbundes gewählt. Am 30. Dezember 1918 nahm er am Gründungsparteitag der KPD teil und wurde wiederum in die Zentrale der Partei gewählt.

Von 1921 bis 1928 war er Abgeordneter des Preußischen Landtages. 1922 gehörte er zu den Mitbegründern der Internationalen Roten Hilfe (IRH) und 1925 wurde er Vorsitzender der Roten Hilfe Deutschlands (RHD). Von 1925 bis 1929 war er Leiter der Organisationsbüros des Zentralkomitees der KPD und Politischer Leiter des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg-Lausitz.

Im Jahr 1928 wurde Pieck in den Deutschen Reichstag gewählt. Im November 1929 wurde Wilhelm Pieck Mitglied des Preußischen Staatsrates. Seit 1929 gehörte er auch dem Politbüro der KPD an. Am 5. August 1930 hielt er eine viel beachtete Rundfunkansprache zur Reichstagswahl. Darin forderte er die Errichtung eines Sowjetdeutschlands und bezeichnete die SPD als „den Hauptfeind der Arbeiterklasse“. Allerdings griff er auch die Nationalsozialisten scharf an. Ab 1932 leitete Pieck die gesamte parlamentarische Arbeit der KPD. Nach der Verhaftung von Thälmann durch das Hitlerregime wurde Pieck zum Parteivorsitzenden der KPD bestimmt. Diese Funktion übte er bis zur Gründung der SED im Jahre 1946 aus.

Im Mai 1933 emigrierte er zunächst nach Paris und 1935, nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in der Tschechoslowakei in die Sowjetunion. Er überstand die stalinistischen Parteisäuberungen der Jahre 1935 bis 1937, denen Tausende emigrierter deutscher Kommunisten zum Opfer fielen, unbeschadet.

Herbert Wehner, der unter dem Parteinamen Kurt Funk zu dieser Zeit in Moskau lebte, behauptet, Pieck habe ihm durch seine Verbindungen in der Kommunistischen Internationale damals das Leben gerettet. 1939 wurden die emigrierten deutschen Kommunisten durch den Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes völlig überrascht. Pieck fiel die undankbare Aufgabe zu, ihnen den Schmusekurs zwischen Stalin und Hitler verständlich zu machen.

Nach Kriegsausbruch gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann Pieck, sich um kriegsgefangene deutsche Soldaten und Offiziere zu kümmern. 1943 gehörte er zu den Mitbegründern des „Nationalkomitees Freies Deutschland“, in dem sich hochrangige deutsche Offiziere, (z. B. Feldmarschall Paulus, General Walther von Seydlitz, Arno von Lenski, Graf Heinrich von Einsiedel, um nur einige von ihnen zu nennen) in den Dienst der sowjetischen Frontpropaganda stellten, auch in der Hoffnung, damit russische Grausamkeiten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung zu verhindern und nach der zu erwartenden militärischen Niederlage Hitlerdeutschlands erträgliche Friedensbedingungen für Deutschland zu erreichen. Beides erwies sich als Illusion.

Auch deutsche Emigranten, darunter Johannes R. Becher, Theodor Plivier, ebenso Österreicher wie Ernst Fischer und Ruth von Mayenburg, befragten deutsche Kriegsgefangene oder forderten Wehrmachtsangehörige über Lautsprecher dazu auf, zur Roten Armee überzulaufen.

Nach dem Sieg der Alliierten über Deutschland kehrte Pieck am 1. Juli 1945 in das kriegszerstörte Berlin zurück, um sich am Wiederaufbau der KPD zu beteiligen. In den Jahren 1945-1946 forcierte Pieck die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone und wurde am 22. April 1946 gemeinsam mit dem ehemaligen Sozialdemokraten Otto Grotewohl auf dem sogenannten „Vereinigungsparteitag“ in Berlin zum Vorsitzenden der SED gewählt. In den westlichen Besatzungszonen Deutschlands trat er als Wahlredner für die KPD auf. Als Ko-Vorsitzender der SED war Pieck mitverantwortlich für die Umgestaltung der SED zu einer „Partei neuen Typus“, zu einer marxistisch-leninistischen Kaderpartei nach sowjetischem Vorbild mit Parteischulungen und Parteisäuberungen, denen vor allem ehemalige Sozialdemokraten zum Opfer fielen.

Nach der Berliner Blockade und der Währungsreform (1948) in beiden Teilen Deutschlands begann sich das Entstehen zweier deutscher Staaten abzuzeichnen. Am 7. Oktober 1949 wurde die DDR gegründet. Am 11. Oktober 1949 wurde Pieck durch die Provisorische Volkskammer der DDR und die Provisorische Länderkammer zum Präsidenten des zweiten deutschen Staates gewählt. Zu seinen Pflichten zählten vor allem Repräsentationsaufgaben: Die Akkreditierung von Diplomaten, die Veranstaltung von Empfängen, die Verleihung staatlicher Auszeichnungen, die Ausübung des Gnadenrechts, auch in politischen Strafsachen. Leider hat der Präsident während seiner drei Amtsperioden hiervon nur spärlich Gebrauch gemacht. In manchen Fällen hätte er zumindest das Schlimmste, nämlich die Vollstreckung der Todesstrafe, verhindern können.

In seiner Antrittsrede am 11. Oktober 1949 zeichnete er ein relativ ungeschminktes Bild von der schwierigen Lage des jungen Staates. Er bedauerte die Spaltung Deutschlands, für die er allerdings die Westmächte und Adenauer verantwortlich machte. Er bezeichnete die DDR als „souveränen deutschen Staat“. Dies war allenfalls Wunschdenken. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) wurde zwar aufgelöst, aber die ihr folgende Sowjetische Kontrollkommission (SKK) übte nahezu die gleichen Funktionen aus. Pieck mahnte bei der Besatzungsmacht immer wieder, und dies lange Zeit vergeblich, die Übertragung echter Souveränitätsrechte an.

Er hob auch hervor, dass sehr viele „Umsiedler“ (DDR-offizielle Bezeichnung für Heimatvertriebene) aufgrund bürokratischer Schwierigkeiten in der DDR noch immer keine richtige Heimat gefunden hätten. Er sagte, er werde sich bemühen, ein Präsident für alle Deutschen zu sein und versprach, Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben. Die Wahl Piecks zum Präsidenten wurde durch einen Fackelzug der blau uniformierten zukünftigen Staatsjugend FDJ in der noch stark zerstörten Berliner Prachtstraße „Unter den Linden“ gefeiert. Auch wenn es nicht beabsichtigt war: Der Fackelzug erinnerte in fataler Weise an den Fackelzug der SA für Adolf Hitler am 30. Januar 1933. Die Springerpresse und der RIAS hatten Wasser auf die Mühlen ihrer Propaganda bekommen. Die Kundgebung endete mit einem Gelöbnis der Jugendlichen für die DDR am Brandenburger Tor.

Die DDR-Propaganda stilisierte Pieck zur allgegenwärtigen Vaterfigur hoch. Straßen, Betriebe und Arbeitskollektive wurden nach ihm benannt, in Schulen, Behörden und Krankenhäusern war sein Porträt zu sehen oder eine Pieck-Büste aufgestellt. Der Präsident war zur Integrationsfigur für die Bevölkerung ausersehen, er sollte eine DDR-Identität mitbegründen. Amtssitz des Präsidenten wurde das Schloss Berlin-Niederschönhausen, das bis 1945 im Besitz der ostpreußischen Adelsfamilie Dohna-Schlobitten war. Wie es in Diktaturen üblich ist, bemächtigte sich auch der politische Witz des Präsidenten. Einer der kürzesten und für die Erzähler nicht ungefährlichen war: „Es ist paradox, wenn in Niederschönhausen die Hohen schön hausen“.

1951 kam es zu einem Briefwechsel zwischen Wilhelm Pieck und Theodor Heuss, der zwar in der Form sachlich und höflich war, aber von gegenseitigen Beschuldigungen geprägt war. Pieck forderte Heuss auf, den Bundestag dazu zu bewegen, der von Adenauer angestrebten Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht zuzustimmen. Es sei die Aufgabe der Präsidenten der beiden Teile Deutschlands, die Vertiefung der deutschen Spaltung zu verhindern. Heuss erwiderte, dass es nicht zu den Aufgaben des Bundespräsidenten gehöre, auf Entscheidungen des Parlaments Einfluss zu nehmen. Außerdem sei der „sehr geehrte Herr Pieck“ ja kein richtiger Präsident, da die Regierung der DDR nicht aus freien Wahlen hervorgegangen sei. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die DDR war für die Bundesrepublik die „Zone“, und auch der Osten sparte nicht mit Verbalinjurien gegen die Bundesrepublik. Zu einer persönlichen Begegnung zwischen den beiden deutschen Nachkriegspräsidenten ist es nie gekommen.

Ab dem Frühjahr 1953 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Präsidenten ständig. Am 17. Juni 1953, dem Tag des Volksaufstandes in der DDR, befand sich Pieck zur Kur in der Sowjetunion. Der Aufstand wurde durch den Einsatz sowjetischer Panzer niedergeschlagen. Pieck verurteilte den 17. Juni als einen vom Westen angezettelten konterrevolutionären Putsch und forderte eine strenge Bestrafung der Aufständischen.

Je mehr sich Piecks Gesundheitszustand verschlechterte, desto mehr drängte sich der „hilfsbereite“ machtbesessene und unsympathische Sachse Walter Ulbricht nach vorn.

Als nach dem Besuch Adenauers in Moskau im Jahre 1955 die letzten überlebenden deutschen Kriegsgefangenen heimkehren durften, soll das auch auf eine Initiative Piecks zurückzuführen gewesen sein.

Ab 1957 verzichtete Pieck auf seine Funktion als Ko-Vorsitzender der SED (neben Otto Grotewohl). Auch die eigentlichen Amtsfunktionen wurden immer mehr von zwei Staatssekretären wahrgenommen. Am 7. September 1960 starb Wilhelm Pieck in seinem Amtssitz Berlin-Niederschönhausen. Er wurde in der Gedenkstätte der großen Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde (deren Gründung auf seine Initiative zurückzuführen war), unter großer, allerdings auch staatlich arrangierter Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt. Nach dem Tode Piecks wurde das Amt des Staatspräsidenten in der DDR nicht weitergeführt. Die Funktionen der Präsidialkanzlei gingen auf den Vorsitzenden des Staatsrates, Walter Ulbricht, über. Damit war in der DDR wieder ein Rest von parlamentarischer Demokratie, angelehnt an die Weimarer Republik, verschwunden.

Pieck war sicherlich unbeliebt, aber bei weitem nicht so unbeliebt, wie der machtgierige Ulbricht oder der aalglatte und opportunistische ehemalige Sozialdemokrat Otto Grotewohl. Ihm haftete das Image des ehrlichen Arbeiterführers an, der sich um die Sorgen und Nöte der „kleinen Leute“ kümmerte. Wilhelm Pieck zählt zu den tragischen Gestalten der deutschen Geschichte, ein Mann nicht ohne Verdienste um Deutschland, aber auch ein Mann, der sich mit Schuld beladen hat.

Lange Zeit war Pieck kein Befürworter der Oder-Neiße-Linie als deutscher Ostgrenze. Im Sommer 1946 äußerte er gegenüber dem Korrespondenten der amerikanisch lizenzierten Neuen Zeitung in Berlin, Egon Bahr, die Oder-Neiße-Linie sei schrecklich, aber man werde wohl in den sauren Apfel beißen müssen. Wahrscheinlich würde es nicht möglich sein, Stettin zurück zu bekommen, aber Swinemünde müsste wohl möglich sein. Am 23. Dezember 1946 fand in Berlin-Karlshorst eine Aussprache zwischen SED-Funktionären und Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht statt, bei der Pieck forderte, die SED müsse in der Frage der Oder-Neiße-Linie einen „nationalen Standpunkt vertreten können“, was wohl bedeuten sollte, man müsse die Möglichkeit haben, eine Revision der Oder-Neiße-Grenze zu fordern. Das Ergebnis dieses Gespräches war, dass die Sowjets der SED verboten, sich offen gegen die Oder-Neiße-Grenze auszusprechen. Bis zum Oktober 1949 hieß es dann immer, die Partei werde sich für einen „gerechten Frieden“ zwischen den Siegermächten und Deutschland einsetzen, worunter man alles Mögliche verstehen konnte.

Im Glückwunschschreiben zur Gründung der DDR durch die Regierung des kommunistischen Polen hieß es, die polnische Regierung erwarte nun die sofortige Anerkennung der tatsächlich bestehenden Grenze an Oder und Lausitzer Neiße als Grenze zwischen Deutschland und Polen. Von diesem Zeitpunkt an beugte sich der Ostbrandenburger Wilhelm Pieck der Staatsraison der DDR und gab sich nach außen als Befürworter der Oder-Neiße-Grenze. Später führten seine offiziellen Reisen nach Polen und in die Tschechoslowakei dazu, dass dort antideutsche Ressentiments abgebaut wurden.

Werke: Wilhelm Pieck, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. 1, Berlin (Ost-) 1959, Bd. 2, Berlin (Ost-) 1959, Bd. 5, Berlin (Ost-) 1972.

Tonträger: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main: Wilhelm Pieck: Rundfunkansprache zur Reichstagswahl am 17. September 1930.

Lit.: Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung: Herbert-Wehner-Kurzbiographie, Bonn 2009. – Egon Bahr, Zu meiner Zeit, München 1996. – George Bailey/ Sergej A. Kondraschow/ David E. Murphy, Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin, Berlin 2000. – Walter Bartel, Wilhelm Pieck. Präsident der DDR, Berlin (Ost-), o. J. – Walter Bartel, Präsident Wilhelm Pieck, Berlin (Ost-) 1954. – Fritz Erpenbeck, Wihelm Pieck. Ein Lebensbild, Berlin (Ost-) 1951. – Ernst Fischer, Erinnerungen und Reflexionen, Reinbek 1969. – Ruth von Mayenburg, Blaues Blut und Rote Fahnen, Wien 1993. – Heinz Voßke, Wilhelm Pieck, Leipzig 1975. – Heinz Voßke/ Gerhard Nitzsche, Wilhelm Pieck, Berlin (Ost-) 1975.

Bild: Bundesarchiv, Koblenz.

Johann Frömel