Biographie

Pleyer, Wilhelm

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 8. März 1901 in Eisenhammer, Kr. Kralowitz/ Böhmen
† 14. Dezember 1974 in München

Geboren wurde Pleyer 1901 in Eisenhammer, Bezirk Kralowitz in Westböhmen als das jüngste von zehn Kindern. Der Name  berührt sich mit dem Herkunftsort: denn Pleyer (von „gepleut“: fest geschlagen) bezeichnete, wie Pleyer mehrfach berichtet, „die alten Schmelzmeister und geht zurück auf die Zeit, in der das Metall noch aus dem glühenden Erz herausgehämmert wurde.“

In Duppau bei Karlsbad besucht er den Konvikt und in Prag, als Werkstudent, die Universität. Über die beengten Verhältnisse seiner eigenen Lehrjahre hat er eindrücklich und bildkräftig Rechenschaft abgelegt, die Promotion zum Dr. phil. wurde verspätet, schon aus der Berufstätigkeit heraus, abgeschlossen. Pleyer war zunächst an verschiedenen Orten als Redakteur tätig: 1924 in Reichenberg, 1929 als verantwortlicher Schriftleiter des „Gablonzer Tagblattes“. Daneben zeichnet sich in frühen Jahren ein politisches Engagement ab. Von 1926–1933 ist er Gaugeschäftsführer der Deutschen Nationalpartei, nach deren Auflösung 1933 er kein politisches Mandat mehr annimmt. Aus den vielfältigen publizistischen Aktivitäten in Pleyers erster Lebenshälfte ragen die Herausgabe der „Sudetendeutschen Monatshefte“ (mit einem Bezieherkreis von 16.500 zahlenden Abonnenten) und die Edition des Bundeskalenders, später „Sudetendeutschen Volkskalenders“ heraus. Diese Tätigkeiten stellte Pleyer unter dem Eindruck der NS- Zensur nach und nach ein. 

1945 gelangte er auf einer dramatischen Flucht, deren nähere Umstände er in dem Erlebnisbericht „Aber wir grüßen den Morgen“ niedergelegt hat, nach Söcking in Bayern, dem Domizil bis zu seinem Tode. Zwei Jahre nach der Flucht wird er von den amerikanischen Besatzern in die Tschechoslowakei ausgeliefert und unter dem Verdacht der Kollaboration mit dem NS-Regime acht Monate bei Zwangsarbeit festgehalten.

Pleyers Werk, das seit 1921 bis zu seinem Tod kontinuierlich anwuchs, umfaßt alle drei Hauptgattungen, wobei er als Lyriker sowohl humoristische Saiten angeschlagen als auch einen eigenen natur-lyrischen Ton gefunden hat, der gleichberechtigt neben Lehmann oder Loerke bestehen kann. Das glossierende Zeitgedicht im Stil des „Simplicissimus“ und das religiöse Gedicht zeichnen die Spannweite des stilistischen Spektrums vor, über das er verfügte. Seine eigene, die Egerländer Mundart, ist nur selten Medium seiner Gedichte geworden – und dann Ausdrucksform für die tiefen Lebensarkana, nicht für leichte Sujets. Aus dem Schatzhaus der Mundart hat er in gekonnten Übersetzungen in die Hochsprache wesentliche Zeugnisse zutage gefördert. 

Prägend für sein episches Werk bleiben die Kindheits- und Jugenderfahrungen. Den Stoff der eigenen frühen Jahre nimmt Pleyer auch nach den großen weltpolitischen Brüchen von 1933 und 1945 wieder auf. Als Schatten auf dem Kindheitsglück beschreibt er in vielen Reminiszenzen an seine Grunderlebnisse die Transformation eines deutschen Dorfes in eine tschechische Gemeinde durch Zuzug, bedingt durch verfehlte landrechtliche und politische Weichenstellungen innerhalb des Habsburgerreiches.

Dies zeigt sich in der Trilogie „Till Scheerauer“, dem „Puchner“-Roman und dem umfänglichen Romanwerk „Die Brüder Tommahans“. Pleyer bevorzugte die Ich-Form, seine Erzähltexte zeichnet eine Neigung zu Bekenntnis und Introspektion aus. In „Till Scheerauer“ entwirft er einen Protagonisten, der seinen Lebensweg unbeirrt durch Glück und Leid geht; ein Hoheslied der Gewissenstreue und, wie viele andere Pleyer-Werke auch, der authentischen Erfahrung der Liebe. Das Bild einer glücklichen, integren Kindheit auf dem Land, der Gestus der Dankbarkeit vor allem gegenüber der Mutter durchstimmen seine Texte, antithetisch zu den naturalistischen Darstellungen der zerstörten Kindheit in der beginnenden Industriegesellschaft im Naturalismus. Pleyer hat sich bewußt aus der Tradition und dem Kontinuum zwischen den Generationen heraus verstanden; die Erfahrung des Grenzlandes ist in alle seine Texte eingegangen.

Rechtsempfinden und Gesittung des einzelnen, bei Ablehnung von chauvinistischer Ranküne, und eine tiefgehende Skepsis gegenüber der Staatsmacht durchziehen seine Texte. Die Tradition des Jugend- und Bildungsromans schreibt er in den Spiegelungen der eigenen Internatszeit, der aufkommenden Zweifel und erotischen Verunsicherungen mit eigenständigen Akzenten fort. Pleyer ist ein sensitiver Erzähler der Landschaft, jener der eigenen Heimat und anderer Landstriche, er verläßt jedoch auch immer wieder den engeren Lebenskreis. In dem Novellen-Zyklus „Lob der Frauen“ erweist er sich als urbaner Erzähler, in der Novelle „Bismarck durchreitet die Nacht“ als virtuoser Zeichner historischer Situationen und Charaktere. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg deutet sich in seinem Œuvre eine Zäsur an: es ist die unmittelbare Nachkriegszeit, die ihn in mehreren Arbeiten beschäftigt. Der Zeitroman „Spieler in Gottes Hand“ variiert deren Sujets ebenso wie die Erzählungssammlung „So tief ist keine Nacht“ und das Schauspiel „Die Nacht der Sieger“, das die Nacht zum 9. Mai 1945 als eine Urszene der folgenden Krisiserfahrung freilegt. Das Erinnerungsbuch „Aber wir grüßen den Morgen“ ragt aus diesen Texten hervor. Es ist, wie PleyersFreund Walther Jantzen zu Recht notiert hat, eine „magna charta der Selbstüberwindung“und der Überwindung des Geistes der Rache vor einem abendländischen, aber niemals dezidiert christlichen Horizont. Dabei verfolgt es die klare Tendenz, das Zeitalter der Tortur und Folter um des Menschen willen hinter sich zu lassen und deshalb zur Versöhnung zu finden.

Auch als Herausgeber hat Pleyer sich bleibende Verdienste erworben. Zu denken ist nur an das bedeutende politische Lesebuch über das Sudetenland: „Europas unbekannte Mitte“. Eine andere Seite der eigenen landsmannschaftlichen Herkunft berühren seine Schwank- und Anekdotensammlungen („Hirschau und Hockewanzel“). Der eigenen Kulturlandschaft selbst setzt er mit dem Sammelband „Wir Sudetendeutschen“ schon 1949 ein Denkmal gegen das Vergessen im geteilten Europa.

Als politischer Essayist, Journalist und Zeitungsmann war Pleyer der Polemik und Entschiedenheit fähig. Er votierte mit spitzer Feder gegen „die gelenkte Bekämpfung jeder Regung deutschen Volksbewußtseins“ durch die Gleichsetzung mit  dem Nazismus. Dies belegen seine gesammelten Reden und Aufsätze „Jahrzehnte“. Pleyer schrieb nicht ohne Bitterkeit gegen die „Verzichtspolitik“ der Regierung Brandt an, doch sah er das tieferliegende Problem in einem parteipolitischen Mißbrauch der Landsmannschaften. Als Hauptvertreter jener Politik machte er den Bundesminister Seebohm und Wenzel Jacksch namhaft. Der Bruch mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft wurde 1965 besiegelt, als weitere Veranstaltungen mit Pleyer von deren Seite untersagt wurden. In der Folge sah er sich einem gelenkten Boykott ausgesetzt, der ihn finanziell und persönlich tief traf. Seine eigenen Werke und die Bücher von Freunden (enge Beziehungen bestanden zu Hans Grimm, Kolbenheyer, Will Vesper aber auch zu dem bedeutenden wahlbayerischen Erzähler Hans Watzlik) verbreitete er durch einen eigenen Buchvertrieb.

Pleyer ist ein elementarer, unzeitgemäßer Erzähler, der keinen Moden folgte, dessen Gestus aber eher Tolstois späten Bauerngeschichten oder Knut Hamsun als einer literarischen Epoche des 20. Jahrhunderts verpflichtet ist. Sein Werk wurde folgerichtig von der an der ästhetischen Moderne orientierten Literaturkritik ignoriert, so verbreitet und beliebt es bei den Lesern auch geblieben ist. Zu Recht hat Kurt Port einmal notiert: „Es ist merkwürdig: den meisten Dichtern glaubt man menschlich – nicht mit Unrecht – kein Wort; Wilhelm Pleyer glaubt man jedes.“

Das Resümee aus Pleyers Lebenswerk, das wiederzuentdecken lohnen könnte, ist doppeldeutig: der Epiker berichtet aus einem vergessenen Land und von integren, unverbildeten affektiven Grundregungen – ohne jede religiöse oder ideologische Tendenz. Der scharfzüngige politische Essayist regt zu Widerspruch an und bleibt auch, wo er irrt, in seiner buchstäblichen Gewissenhaftigkeit eindrucksvoll.

Lit.: Wilhelm Pleyer.Freundesgabe des Arbeitskreises für deutsche Dichtung zum 60. Geburtstag, Kronberg/Taunus 1961. – Viktor Karell: Wilhelm Pleyer. 1962.

Werke: Wilhelm Pleyer. Jahrzehnte. München 1971 (mit einer bibliographischen Übersicht über das bis dahin erschienene, nur in Einzelausgaben vorliegende Werk).

Bild: Archiv der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat

Harald Seubert