Biographie

Pokorny, Joachim

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Maschinenbauingenieur, Heimatforscher
* 25. Januar 1921 in Katscher/Oberschlesien
† 5. Juni 2003 in Soest

Joachim Pokorny stammte aus einer Lehrerfamilie in Oberschlesien. Seine Geburtsstadt Katscher war damals eine gepflegte, deutsche Kleinstadt mit langer Tradition in der Textilherstellung, mit beachtenswerter weiterer Industrie im Regierungsbezirk Oppeln, Kreis Leobschütz. Etwa zwei km südlich befand sich die Grenze zu Mähren, ein Landesteil der infolge des Zerfalls von Österreich-Ungarn 1918 gerade entstandenen Tschechoslowakei. Die Region um Katscher wurde mitunter inoffiziell als Preußisch-Mähren bezeichnet, da sie einst mährisch, erst 1742 von Österreich an Preußen abgetreten und Schlesien zugeschlagen wurde. Hinsichtlich der kirchlichen Administration unterstand sie noch immer dem Bischof im mährischen Olmütz (tschechisch: Olomouc).

Nach Schulbesuch in Katscher bis zur Mittleren Reife legte er 1939 das Abitur am Realgymnasium (Grenzlandschule) im nahen Ratibor ab. Danach erfolgte sofort die 6-monatige, gesetzliche Pflichtzeit beim Reichsarbeitsdienst, die vom Kriegsbeginn im September 1939 überschattet wurde. Ein Studium vorbereitendes Praktikum in Gleiwitz, in einem Betrieb der Vereinigten Oberschlesischen Hüttenwerke, wurde mit der Einberufung zur Luftwaffe Mitte 1940 beendet.

Die militärische Ausbildung als Bordmechaniker begann auf dem Flughafen Prag-Rusin (tschechisch: Praha-Ruzyně), dem heutigen Václav Havel Airport, damals ein deutscher Flie­gerhorst in der besetzten Tschechoslowakei. Um seinem Ziel, dem Ingenieurberuf näher zu kommen, nutze er von 1941/1942 die Gelegenheit, die Militärausbildung mit einem Teilstudium an der damals bestehenden Deutschen Techni­schen Hochschule Prag zu verknüpfen. Nach einem Einsatz in der Flugschule Markersdorf in Niederösterreich, konnte er in den Jahren 1943 und 1944 als Soldat dieses Studium an der Prager Hochschule bis zur Kommandierung an die Flugzeugführerschule Güstrow in Mecklenburg fortsetzen. Ein Fronteinsatz in den letzten Kriegstagen in der Slowakei beendete diese Zeit. Nach schwerer Verwundung erlebte Pokorny das Kriegsende im Lazarett in der böhmischen Stadt St. Joachimsthal (tschechisch: Jáchymov) am Südrand vom mittleren Erzgebirge. Beim Versuch einer Rückkehr in die oberschlesische Heimatstadt, wurde er aufgegriffen und kam in russische, bzw. polnische Gefangenschaft in den Lagern Zittau und später Lublin, im östlichen Polen.

Nach Entlassung im Jahre 1949 ins westliche Nachkriegs-Deutschland, begann er unverzüglich mit dem Maschinen­baustudium an der Technischen Hochschule Hannover. Jetzt konnte er auch endlich seine Verlobte, Hedwig Müller heiraten, die ebenfalls aus der Region Katscher stammte und am Kriegsende eine Zuflucht in Heessen bei Hamm (heute eingemeindet) gefunden hatte. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter hervor.

Nach erfolgreichem Studienabschluss als Diplom-Ingenieur für Maschinenbau schloss sich ab Februar 1952 eine 5-jährige Berufstätigkeit als Versuchsingenieur im Unternehmen Stro­mag in Unna an. So war er gut gerüstet, um von 1957 bis 1966 eine Lehrtätigkeit als Dozent an der Ingenieurschule in Essen zu übernehmen. In dieser Zeit promovierte er dann als Externer an der Technischen Hochschule Stuttgart, Fakultät Maschinenwesen. Anschließend wurde ihm die Leitung der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektro­technik in Soest bis zur deren Aufgehen 1971 in der Gesamthochschule Paderborn übertragen. An dieser Hochschule lehrte Pokorny bis zu seinem Ausscheiden aus Altersgründen 1986 als Professor in den Fächern Maschinenteile, Konstruktionslehre und Antriebstechnik.

Als Hochschullehrer war er nicht nur wegen seiner speziellen Kenntnisse und Erfahrungen in seinem Fachgebiet hoch geachtet. Er hatte viele Interessen und Neigungen und verfügte über ein umfangreiches Allgemein- und Basiswissen. Auch berichtet er 1961 in einer Entomologischen Zeitschrift über ein von ihm entwickeltes Verfahren zur dauerhaften Präparation von Schmetterlingsflügeln. Für einen Ingenieur war es sehr ungewöhnlich, dass er ein Seminar zum Thema Entwicklung der Kunst seit dem Impressionismus erfolgreich durchführen konnte.

Die Ruhestandsjahre bescherten ihm weitere Freiräume, um besonders den Interessen an Geschichte und Leben der Men­schen in der früheren oberschlesischen Heimat nachzugehen. Mit viel Energie und großem Zeitaufwand unternahm er vor Ort historische und genealogische Nachforschungen. Dazu hielt er sich regelmäßig, über lange Zeiträume, überwiegend als Gast der Pfarrei in Kietrz auf. Polnische Sprachkenntnisse sowie eine positive Einstellung zur Versöhnung mit Polen halfen ihm schnell, Vertrauen und Achtung der jetzigen Bürger und Behörden von Kietrz zu gewinnen. Seine Schriften zu Stadt und Umgebung sind nicht nur eine wissenschaftliche Quelle für weitere lokale, historische Forschungen. Sie mahnen auch immer einen aktuellen Bezug zur Gegenwart und zum jeweiligen Zeitgeist an. Neben dem sicherlich hohen Erinnerungswert für ehemalige deutsche Bewohner sind sie vor allem für die heute polnischen Bürger der Region sehr wichtig, fördern sie doch deren Geschichtsbewusstsein, Verbundenheit und Identifika­tion mit der neuen Heimat. Überwiegend sind diese Menschen oder ihre Vorfahren nach 1945 ebenfalls als Vertriebene aus polnischen Siedlungsgebieten in der einstigen Sowjetunion, in ein für sie fremdes Land gekommen.

Mehrmals waren Gruppen deutscher Vertriebener Pokornys Reisebegleiter und so konnten die früheren und heutigen Bewohner der Stadt zueinander finden. In der Pfarrkirche von Kietrz wurde bei einer solchen Gelegenheit erstmalig eine gemeinsame Versöhnungsmesse abgehalten. Die ehemaligen deutschen Einwohner waren bei diesen Reisen Gäste der Schule, der Kirchgemeinde oder wurden zu offiziellen Veranstaltungen der Stadt eingeladen. Alle seine Gedanken und Erkenntnisse zur Geschichte der Region und ihrer Bewohner fasste Pokorny in Schriften, die er in Eigeninitiative veröffentlichte. Vorträge vor Ort mit derartigen Themen fanden bei seinen Gastgebern immer viel Anklang.

Pokornys Recherchen sowie besonders seine immer wieder erkennbaren Bemühungen um Verständigung und Aussöhnung mit Polen, fanden viel Unterstützung und Beachtung in Kietrz. So kam es, dass er im Jahre 1994 die bis heute bestehende Ehrenbürgerschaft der Stadt erhielt. Dieser Vorgang ist insofern bemerkenswert, dass hier ein deutscher Vertriebener in seiner alten Heimatstadt auf diese Weise geehrt wird. Man kann dies durchaus als Präzedenzfall beim immer noch schwierigen Verhältnis zu Polen im Umgang mit dem Thema Vertreibung bewerten. An diesem Beispiel zeigt sich, was alles möglich ist, wenn Menschen mit unterschiedlichen Schicksalen, Erfahrungen und Ansichten aufrichtig und ehrlich zueinander finden.

Mit Trauer nahm man auch in Kietrz seinen Tod zur Kenntnis und würdigte ihn auf der offiziellen Web-Site der katholischen Kirchgemeinde Apostel Thomas als einen großen Freund der Stadt. Für seine Seele wurde eine Messe gefeiert.

Werke (in Auswahl): J. Pokorny (Hrsg.), G. Köhler/H. Rögnitz: Maschinenteile, Teil 1 und Maschinenteile, Teil 2., Teubner, Stuttgart. – Untersuchung der Reibungsvorgänge in Kupplungen mit Reibscheiben aus Stahl und Sintermetall. Dissertation, Technische Hochschule Stuttgart, Fakultät für Maschinenwesen, 1960 . – Alle heimatkundlichen Schriften erschienen im Selbstverlag, sind jedoch einsehbar und können ausgeliehen werden. Beim Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg sind 12 Buchausgaben in der Literaturdatenbank verzeichnet. Der gesamte wissenschaftliche Nachlass von Pokornys umfangreichen heimatkundlichen und genealogischen Forschungen und Schriften befindet sich in der Martin-Opitz-Bibliothek, Herne und ist dort im Katalog verzeichnet.

Lit.: Christian Pokorny, Joachim Pokorny – 80 Jahre. Leobschützer Heimatblatt. Heft 1, 2001, S. 26–27. – G. Grüneberg, 25 Jahre Ingenieurausbildung in Soest. Festschrift Universität-Gesamthochschule Paderborn, Verein der Freunde der Universität-Gesamthochschule Paderborn, Abteilung Soest, 1989. – J. Pokorny, Tempora mutantur nos et mutamur in illis – mein Beitrag zur Verständigung mit Polen, S.1-5, Selbstverlag, 2003. – Gminna Kietrz zur Ehrenbürgerschaft von Joachim Pokorny: https://www.kietrz.pl/PL/3084/Honorowe_ Obywatelstwo/ (letzter Eintrag), abgerufen am 5.8.2016 (in polnischer Sprache). – Parafia Kietrz (deutsche: Pfarrei Kietrz), https://www. kietrzparafiatomasza.pl/kronika9.php, abgerufen am 5.8.2016 (in polnischer Sprache). – Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/ Joachim_Pokorny.

Bild: Martin-Opitz-Bibliothek, Herne.

Helmut Steinhoff