Biographie

Preyer, Johann Nepomuk

Herkunft: Banat
Beruf: Kommunalpolitiker, Schriftsteller
* 28. Oktober 1805 in Lugosch/Banat
† 11. Oktober 1888 in Kirchberg am Wechsel/Niederösterreich

Der Sohn eines österreichischen Rentmeisters hat seinen Nachruhm den Jahren als Bürgermeister von Temeswar (1844-1858) zu verdanken. Zeittypisch und von regionaler Bedeutung waren seine literarischen Werke, die er von 1828 bis zu seinem Tode verfaßte und veröffentlichte. Der Schulbesuch machte ihn mit Institutionen in Ungarn bekannt: mit dem Temeswarer Piaristengymnasium, dem Szegediner Lyzeum, der Rechtsakademie in Pest, ebenso – während seiner Jurastudien – mit den Fakultäten von Großwardein, Pressburg und zuletzt Pest, wo er 1828 seinen Studienabschluß mit glänzenden Qualifikationen bestand. Bis 1830 fristete er sein Dasein als Hofmeister, danach trat er in den Komitatsdienst in seiner Heimatstadt und seit 1932 war er dort als Wirtschaftsexperte und Finanzfachmann gefragt. Da er mit den liberalen Reformern Ungarns sympathisierte, betrachtete man ihn als Umstürzler. Dazu mag auch beigetragen haben, daß er seinen Brotberuf durch literarische Beiträge in Pester und Temeswarer Zeitschriften ergänzte. In Pest war es die angesehene Zeitschrift „Iris“, in der Verse und Kurzbeiträge des jungen Preyer erschienen, in Temeswar war er Mitarbeiter des Bürgermeisters Josef Klapka, der „Banater Zeitschrift für Landwirtschaft, Handel, Kunst und Gewerbe“und war wie Klapka ein Förderer des deutschen Stadttheaters. Ob er 1830 an der Zeitschrift „Thalia“ mitgearbeitet hat, wie dies vermutet wurde, ist unsicher.

In den dreißiger Jahren, als sich die kommunale Finanzlage extrem verschlechterte und auch politische Fehden ausgetragen wurden, war Preyer ein Befürworter von Sanierungen bzw. Modernisierungen. Als Wortführer von Delegationen, Verfasser von Petitionen, die die Bürger zu Selbsthilfeaktionen veranlassen sollten, erwarb er sich im konservativen Lager zahlreiche Widersacher, denen es gelang, ihm am Wiener Hof in Verruf zu bringen, so daß er bis 1842 seine Vorstellungen einer guten Kommunalpolitik nicht verwirklichen konnte. Als er 1844 zum Bürgermeister gewählt wurde, versuchte er, den Gang der Dinge in der Landeshauptstadt des Banats zu ändern. Dem standen die Zeitläufe entgegen: 1848/1849 ist der Zeitpunkt, der Preyer gegen seinen Willen dazu verhalf, bekannt zu werden: das ungarische Revolutionsheer belagerte Temeswar, der Magistrat und die Bevölkerung konnte nicht neutral bleiben, aber die österreichische Garnison unter dem Befehl von General Rukavina verhinderte eine Fraternisierung mit den Revolutionären und eine Solidarisierung mit dem Hause Habsburg. Als am 9. August 1849 das Revolutionsheer vor Temeswar geschlagen wurde, endeten hier die europäischen 1848er Bewegungen. Preyer blieb im Amt und bemühte sich bis 1858, als er unerwartet abgesetzt wurde, in der berüchtigten Bach-Ära der militärischen Willkürherrschaft durch Entgegenkommen den Wind aus den Segeln zu nehmen, um die von der Belagerung stark geschädigte Stadt und deren Wirtschaftspotential wieder in Ordnung zu bringen, was ihm auch gelang. Der Anschluß an das Telegraphennetz der Monarchie, der Bau eines Gaswerks, die Einführung der öffentlichen Gasbeleuchtung, der Anschluß ans Eisenbahnnetz und der Ausbau der Stadt zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt sind Verdienste von Preyer, der schon vor 1848 die Gründung des Sparkassenvereins, des Musikvereins und einer 1848 aufgelösten Rechtsakademie gefördert hatte und sich als Rückhalt für das deutsche Theater erwiesen hatte, das von 1842-1847 in Alexander Schmidt einen tüchtigen, von 1852 bis 1861 mit Friedrich Strampfer einen exzellenten Direktor besaß (Strampfer wurde in den sechziger Jahren Leiter des Wiener Theaters an der Wien.

In den fünfziger Jahren gewann Preyer einige Prozesse für seine Stadt, galt aber den Militärbehörden als unangenehmer Widersacher. Seine Amtsenthebung erfolgte am 8. Februar 1858, und es nützte Preyer nichts, daß man ihn später „einer der tüchtigsten, genialsten und thatkräftigsten Bürgermeister Temesvárs“ und einen „Finanzmann par excellence" nannte. Schon 1863 hatte er sein bekanntestes Werk veröffentlicht, die „Monographie der königlichen Freistadt Temesvár". Im Banat wurde diese Darstellung als Modell empfunden. Sie zeichnet sich durch Sachkenntnis aus und ist sehr informativ; vor allem die Stadtgeschichte wird zum ersten Mal gründlich dargestellt. Ein Widmungsexemplar für den Kaiser in Wien (es sollte diesen an seinen Besuch in Temeswar 1852 erinnern) brachte dem Autor eine Auszeichnung ein, aber das verhinderte die Kündigung 1858 nicht.

Seinen Aufenthalt in Gmunden am Traunsee (1858-1861) betrachtete Preyer als „Exil“, das allerdings literarisch sehr produktiv war. Erst 1860, nach der Rückgliederung des Banats an Ungarn, kehrte der Ex-Bürgermeister nach Temeswar zurück (1861-1876). Fast fünfzehn Jahre lang war er dort noch berufstätig: als Gerichtsrat, Präsident des Strafgerichts und ab 1871 als erster Gerichtsrat des königlichen Gerichtshofes. Er publizierte Belletristik und sozialgeschichtliche Untersuchungen und war stellvertretender Präsident des „Südungarischen Historisch-Archäologischen Vereins“. Seine letzten Lebensjahre (1876-1888) verbrachte Preyer in Kirchberg bei seiner Tochter. Er publizierte seine letzten beiden Dramen und bemühte sich bei Cotta vergeblich um die Drucklegung eines Versepos. Preyer starb am 11. Oktober 1888 in Kirchberg.

Das literarische Schaffen Preyers entsprach seiner humanistischen Bildung: er war bestrebt, klassische Modelle in deutscher Sprache nachzugestalten. Die größte Wirkung ging von Preyers historischen und gesellschaftskritischen Schriften aus. Mit seinem ersten Buch, „Des ungrischen Bauer’s früherer und gegenwärtiger Zustand, nebst einer Darstellung der Folgen und Wirkungen desselben“ (1838) ging er auf die Agrarverhältnisse im Königreich Ungarn ein und suchte nach Möglichkeiten, die vorhandene Rückständigkeit zu beseitigen. Sein Prinzip war: „Ohne Geistesbildung ist kein Fortschreiten denkbar." Die 1848er Ereignisse bewiesen die Richtigkeit der Reformüberlegungen Preyers. Seine Erfahrungen als Kommunalpolitiker waren die Grundlage für die „Monographie der königlichen Freistadt Temesvár“ (1858), aber auch für seine späte Stellungnahme zu einem wichtigen Thema: „Der Zustand der Juden im Banate im 18. Jahrhundert“ (1873).

Preyers Ehrgeiz galt der Lyrik, mit der er 1828 begann und die er 1858 in dem Sammelband „Ver sacrum. Gedichte“ zusammenfasste. Es überwiegt die Lyrik politischen und weltanschaulich-bekenntnishaften Charakters, und solche Versuche wurden nach 1848 von den Zeitgenossen nicht beachtet, und auch die in der Pester „Iris“, im Wiener „Sammler“, in Klapakes erwähnter Temeswarer Zeitschrift publizierten Aphorismen, Erzählungen, Rätsel von Preyer wurden schnell vergessen. Preyers Bemühungen um deutsches Regionaltheater fällt eher ins Gewicht. In der Budapester Zeitschrift „Der Spiegel“ veröffentlichte er Theaterkritiken über das deutsche Stadttheater in Temeswar. Als Kommunalpolitiker unterstützte er die Tätigkeit dieses Theaters, dem er – durch eigene Bühnenwerke – auch zu einem eigenständigen Repertoire verhelfen wollte. Seine Künstlerdrama „Canova“ (1853) war das erste Stück Preyers, das den Rückzug des Künstlers ins Privatleben darstellte und weitgehend unbeachtet blieb. Ebenso wenig konnte in einer Zeit, in welcher jeder sozialkritische Äußerung von der Zensur unterbunden wurde, das Drama „Die Sulioten“ (1854) auf öffentliche Zustimmung hoffen: es ging darin um den Unabhängigkeitskampf der Griechen und die Hinweise auf die ungarischen Freiheitsbestrebungen waren zu offensichtlich, als daß sie nach der Niederlage der Revolution hätten übersehen werden können. Das Trauerspiel „Hannibal“ wurde 1860 abgeschlossen, konnte jedoch erst 1882 veröffentlicht werden, weil dort die Gleichsetzung Ungarns mit Karthago und dessen Untergang jedem Zeitgenossen in die Augen fiel. Der Dramatiker hatte sich selbst – anders als bei seinen übrigen Stücken – in Wien und München um eine Aufführung bemüht, aber dort war niemand bereit, für Ungarn und dessen Angelegenheiten eine Lanze zu brechen. Die ungarische Thematik wurde in Preyers letzten beiden Dramen noch deutlicher dargestellt: anstelle symbolischer Verfremdungen wählte er zuletzt Stoffe aus der ungarischen Geschichte: „Hunyady László“ (1882) behandelt die Hofintrigen, die zur Ermordung des ältesten Sohnes von Johannes Corvinus führten, das Versepos „Salamon“ ruft Ereignisse aus dem 11. Jahrhundert in Erinnerung. In Preyers Versepos ging es auch um eine multinationale Verständigung. Zum Ausklang dichtete der Autor: „Ein Völkerbund, von Eintracht schön geschlossen,/ Umfange sie im dauernden Verein,/ Ein heil’ger, ew’ger Friede kehre ein/ Und mache Völker zu Genossen!“ 

Preyers Ziel war es, außerhalb des regionalen Bezugsfeldes beachtet zu werden. Daß er einerseits die historische Komponente ebenso berücksichtigte wie die binnendeutschen Zeitgenossen nach 1848, hätte eine Annäherung ermöglicht. Weil er sich jedoch für die Rechte und Freiheiten Ungarns und der Ungarn engagierte – ein damals in Deutschland unübliches Verhalten –, weil er auch das Erbe der 1848er zu pflegen versuchte, waren seine Wünsche nicht erfüllbar und sein literarisches Werk blieb den Regionalhistorikern und Literaturwissenschaftlern vorbehalten. Die Übereinstimmung der kommunalen Zielsetzungen Preyers mit denen seines literarischen Schaffens sind heute noch beachtenswert.

Werke: Des ungrischen Bauer’s früherer und gegenwärtiger Zustand, nebst einer Darstellung der Folgen und Wirkungen desselben, Pest: Hartleben 1838. – Monographie der königlichen Freistadt Temesvár, Temesvár 1853 (Neuauflage zweisprachig: deutsch und rumänisch 1995. Übersetzung Adam Mager und Eleonora Pascu; Vorwort Eleonora Pascu; Nachwort und Anmerkungen Prof. Dr. Ioan Haţegan.  Timişoara: Amarcord). – Canova. Dramatisches Gedicht, Leipzig: Brockhaus 1853. – Die Sulioten. Trauerspiel in fünf Aufzügen, Leipzig: Brockhaus 1854. – Ver sacrum,  Gmunden am Traunsee: Habacher 1858. – Hannibal. Tragödie in fünf Aufzügen,  Wien: Carl Gerold’s Sohn 1882. – Hunyady László. Tragödie in fünf Aufzügen, Wien: Carl Gerold’s Sohn 1882.

Lit.: Basch, Ferenc Antal, Preyer Nepomuk János. (Pécs/ Fünfkirchen 1927). – Castle, Eduard, in: Deutsch-österreichische Literaturgeschichte,  Wien: Fromme, Bd. 3, 1930, S. 576-583. – C. H. [Hirschfeld, Carl], Die Belagerung von Temesvar im Jahre 1849, Temesvar 1849. – Hollinger, Rudolf, Preyer als Dramatiker, in: Neue Banater Zeitung, 29.12.1968. – Kakucs, Lajos, Preyer und die Temeswarer Historikergesellschaft. Unbekanntes aus dem Leben und Wirken des Schriftstellers und Bürgermeisters, in: Neuer Weg vom 15. und 22.5. 1982. – Kessler, Dieter, Die deutschen Literaturen Siebenbürgens, des Banates und des Buchenlandes. Von der Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1848-1918), Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1997, S. 440-449. – Stănescu, Heinz (Hrsg.), Marksteine. Literaturschaffende des Banats, Temeswar: Facla 1974, S. 33-61, 322, 329. – Stein, Josef, Preyer als Dramatiker, in: Schwäbischer Hausfreund, 7. Jg. (1918), S. 32-35. – Täuber, Radegunde, J. N. Preyer (1805-1888). Einige Daten aus seinem Leben und Wirken, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde, 1975, Bd. 18/2, S. 89-102. – Dies.: Johann Nepomuk Preyer. Sein Leben und Werk in Wort und Bild, Bukarest: Kriterion Verlag, 1977, S. 95 mit Ill. – Dies.: Johann Nepomuk Preyers dramatisches Werk am Beispiel der Tragödie „Hannibal“, in: Temeswarer Beiträge zur Germanistik, hrsg. v. Roxana Nubert, Bd. 3, Temeswar: Mirton 2001, S. 119-187. – Wettel, Franz: Gedenkblätter (= Deutschbanater Volksbücherei Nr. 29), Temesvar 1918, S. 16-25. – Tonta, Walter (Hrsg.), Kulturtagung 2005 Sindelfingen (Themenheft Preyer, Beiträge von R. Täuber, E. Marschang, L. Kakues, I. Seitz, J. Wolf), Stuttgart 2006, 191 S.