Biographie

Pyra, Immanuel Jakob

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Dichter
* 25. Juli 1715 in Cottbus
† 14. Juli 1744 in Berlin

Als Lyriker wie auch als Dichtungstheoretiker nimmt der nur knapp 29 Jahre alt gewordene, heute nur noch Kennern der deutschen Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts geläufige Immanuel Jakob Pyra eine nicht zu übersehende Position innerhalb der heftigen und folgenreichen Literaturfehde zwischen Leipzig (Gottsched) und Zürich (Bodmer/Breitinger) sowie im Vorfeld von Klopstocks Erneuerungsbestrebungen der deutschen Literatur ein. Im konkreten Einzelfall stoßen jedoch die Recherchen zu Leben und Werk Pyras immer noch auf dunkle Stellen und vor allem auf viel Ungedrucktes (im Gleimhaus in Halberstadt). Pyra, Sohn eines preußischen Amtsadvokaten, dem eine Anwaltsreform seine Stellung raubte, hatte zeitlebens gegen Mittellosigkeit und Krankheit anzukämpfen. Von seiner Schulzeit wissen wir nur, daß er im Frühjahr 1730 das Gymnasium in Bautzen bezog. Am 29. Dezember 1734 immatrikulierte er sich an der Universität Halle, dem damaligen Zentrum des Pietismus. Vom Sommer 1735 bis Ende 1738 studierte er hier Theologie. Wie Anton Reiser in Karl Philipp Moritz‘ gleichnamigem Roman lebte der über keinerlei Mittel verfügende Student von Zuwendungen anderer. Unterwürfig war er offenbar trotzdem nicht. Von der Ende 1736 angetretenen Stelle eines Informatoren am Hallischen Waisenhaus wurde er schon ein Dreivierteljahr später wieder entfernt.

In Halle machte Pyra zu Beginn seines Studiums auch die Bekanntschaft des Lyrikers und von Lessing heftig attakkierten Horaz-Übersetzers Samuel Gotthold Lange (1711 – 1781). Diese wohl wichtigste menschliche Beziehung Pyras wirkte nicht nur inspirierend auf sein lyrisches Werk; das Freundespaar Pyra/Lange ist auch von exemplarischer Bedeutung für das Verständnis des Freundschaftskultes in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Gelegentlich der Einführung Langes als Prediger in Laublingen (bei Halle) Anfang 1737 verfaßte Pyra sein Lehrgedicht in reimlosen Versen Der Tempel der wahren Dichtkunst. Das Pfarrhaus in Laublingen wurde rasch zum Mittelpunkt eines literarischen Freundeskreises, zu dem Gleim, Hagedorn und Ewald von Kleist zählten. Der Glanz des Kreises rührte jedoch vom Freundschaftsbund zwischen Pyra und Lange her. Wiederholt wohnte Pyra auch bei Lange in Laublingen. Nach Abschluß des Studiums versuchte er sich mit wenig Glück auf zwei Hofmeisterstellen. Ende 1742 gelangte er an das Cöllnische Gymnasium in Berlin, wo er schnell die freiwerdende Stelle eines Konrektors bekam. Doch starb er bald darauf nach kurzer Krankheit.

Das (bislang veröffentlichte) Werk Pyras ist schmal. Hervorzuheben ist vor allem das dem Freund Lange gewidmete Kleinepos von 1737 Der Tempel der wahren Dichtkunst, dessen Eingangsverse Konzeption und Ziel dieses reimlosen Lehrgedichts offenlegen:

Ihr, die ihr nur allein den Reim zu loben wißt,
Ihr mögt mein Lied und mich nur immerhin verachten.
Solch Tadeln bringt mir Ruhm, wann sonst nur nichts gebricht.
Ja weicht! ihr solt mich auch nicht hören oder loben.
Du aber hörst mir doch, mein Freund! mein Lange! zu?
Ich weiß es, du entziehst dein Ohr den Hochzeitliedern,
Und gönnst es deinem Freund. So komm, ich will mit dir
Durch jenen schweren Weg zur Dichtkunst Tempel steigen.
(Vers 10-l 6)

Die Beschwerlichkeit des Weges ins Heiligtum der wahren, religiös verstandenen Poesie beleuchtet nicht zum wenigsten das Spannungsfeld, das speziell in Halle zwischen Pietismus und schöner Literatur entstanden war. Pyra, der bei Joachim Lange (dem Wortführer des Hallischen Pietismus und Vater seines Freundes) Theologie hörte, verstand sein Epos denn auch als eine Art ancillatheologiae. Vor der Antike als Vorbild wird gewarnt, desgleichen vor der weltlichen, als falsch deklarierten Poesie, in deren Gefolge sich Wollust, Ehrsucht und Geiz fänden. Als am Schluß die heilige Poesie alle Poeten vor ihren Thron ruft, erscheinen unter anderem Moses, David und Salomo, Luther, Milton, Vida, Sedulius, Prudentius, Opitz, Fleming, Gerhardt und Gryphius. Alle werden zu heiligem Gesang aufgerufen. Freund Lange empfängt die Weihe zum Dichter.

Schon das wiederholt imTempel der wahren Dichtkunst thematisierte ästhetische Phänomen der Reimlosigkeit lenkt den Blick auf Ansätze eines neuen Kunstbegriffs, der in Pyras erster Dichtung keimt. Der solcherart sich abzeichnende Widerstand gegen die Fesseln der zeitbeherrschenden Regelpoetik der Gottsched-Schule scheint zwar im Epos selbst nur vereinzelt auf, gewinnt aber in den folgenden Jahren rasch an Kontur. In seiner aus der Vielzahl von Publikationen zur Literaturfehde zwischen Leipzig und Zürich herausragenden Streitschrift von 1743, Erweis, dass die Gottschedianische Sekte den Geschmack verderbe (1744 erschien eine Fortsetzung), ergriff Pyra unmißverständlich die Partei Bodmers und Breitingers. Indem er hier mit Nachdruck Freiraum für die dichterische Phantasie forderte, setzte Pyra auf ein Poesieverständnis, das im Verlauf des 18. Jahrhunderts zur Autonomie der Kunst führte. Wie weit diese Neuansätze reichen, zeigen Thirsis und Dämons freundschaftliche Lieder, die Bodmer ein Jahr nach Pyras Tod herausgab. In diesem Wechselgesang des Thirsis (Pyra) mit Dämon (Lange) und Doris (Langes Gattin) wird anschaulich – und das macht den Stellenwert dieses Textes innerhalb der deutschen Literatur jener Übergangsjahrzehnte zwischen 1730 und 1750 aus -, in welcher Weise das Zusammenspiel von Kunsttheorie, dichterischer Praxis und persönlichem Erlebnis allmählich die Literatur der Empfindsamkeit, der die Zukunft gehören sollte, entstehen ließ. Nicht unterschätzt werden darf in diesem Zusammenhang die Bedeutung Alexander Gottlieb Baumgartens, dessen Privatvorlesungen über Ästhetik und Metaphysik Pyra in Halle besuchte, was ihm prompt Ärger mit der Theologischen Fakultät eintrug. Letzterer Umstand läßt auch die Schwierigkeiten erahnen, in die Pyra unweigerlich geraten wäre, wenn er den eingeschlagenen Weg hätte weitergehen können.

Lit.: Gustav Waniek: Immanuel Pyra und sein Einfluß auf die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts. Mit Benutzung ungedruckter Quellen. Leipzig 1882. – Garsten Zelle(Hrsg.): Immanuel Pyra: Über das Erhabene. Mit einer Einleitung und einem Anhang mit Briefen Bodmers, Langes und Pyras. Frankfurt/Main, Bern, New York, Paris 1991 (= Trouvaillen. Editionen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 10).

Bild: Ein Bildnis Pyras ist bislang nicht bekannt. Die Abbildung stellt das Titelblatt des „Tempels der wahren Dichtkunst“ dar.