Biographie

Reusner, Nikolaus

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Jurist, Poet
* 2. Februar 1545 in Löwenberg/Schlesien
† 12. April 1602 in Jena

Aus Anlaß der 1858 abgehaltenen dritten Säkularfeier von Jenas berühmter Alma mater verkündete ein Spruchband: "Germania kennt keinen großen Namen, den diese Stadt nicht ihren Gast genannt." Das Universitätsjubiläum war zum Anlaß genommen worden, in der Stadt 200 Gedenktafeln anzubringen, mit Namen und Adresse, womit nachdrücklich auf das Wirken hervorragender Geister in dieser Stadt, die Goethe als eine "Stapelstadt des Wissens und der Wissenschaften" bezeichnet hatte, hingewiesen wurde. Zugleich aber wurde auch erkennbar, wie der Mathematiker Hermann Schaeffer 1858 erklärte, daß eine Aufzählung klangvoller Namen "gleichsam zu einem Leitfaden durch die Literaturgeschichte" wurde. Am Beginn sind Namen wie Luther und Melanchthon zu nennen, bedeutende neulateinische Dichter – allen voran Johann Stigel (1515-1562), seit 1548 Professor der Beredsamkeit und der Poesie, ein Jahr später auch Rektor. Weitgehend vergessen ist Kaspar Dornau aus Ziegenrück (1577-1632), der 1592 in Jena studierte und in die deutsche Literaturgeschichte als Lehrer des schlesischen Dichters Martin Opitz am Schönaichianum in Beuthen/ Oder eingegangen ist.

Die Universität Jena stellte im 17. Jahrhundert ein bevorzugter Studienort für viele schlesische Studenten dar: so für Johann Heermann (1585-1647), der 1606 nach Jena kam und als der wohl bedeutendste Liederdichter zwischen Martin Luther und Paul Gerhardt anzusehen ist ("Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen"). Zu nennen ist auch Abraham von Franckenberg (1593-1652) aus Ludwigsdorf bei Öls; er studierte 1613 an Jenas "Hoher Schul". Als sein Hauptwerk gilt eine Böhme-Biographie. "Gott war ihm das Mittel, den Kosmos zu erfassen…" (Will-Erich Peuckert). Auch Christian Gryphius (1649-1706), ein Sohn des berühmten Vaters, Andreas Gryphius, fand den Weg nach Jena wie der mystische Schwärmer Quirinus Kuhlmann (1651-1689), der 1670 in Jena ein Studium der Rechte aufnahm und hier auch zum "poeta laureatus" gekürt wurde. Von ihm stammen die überschwenglichen Verse: "Hier ist der Weisheit Schloß./ Der Wissenschaft Sorbonne./ Des Rechten Paradies./ Der Klugheit Hoffestadt." Kuhlmann endete 1689 auf dem Scheiterhaufen in Moskau. Auch einer der bedeutendsten Breslauer Kircheninspektoren, Caspar Neumann (1648-1715), kam 1667 an Jenas Salana. Und nicht zu vergessen: Das wohl bedeutendste lyrische Talent vor Goethe, der geniale Arztsohn Johann Christian Günther (1695-1723) aus Striegau (über ihn siehe S. 89-94), der hier sein Medizinstudium vergeblich abzuschließen hoffte – und in großem Elend verstarb. Seine Grabstätte auf Jenas historischem Friedhof ist nicht mehr auffindbar.

Nahezu unbekannt ist der Jurist Nikolaus Reusner (1545-1602) geblieben, von dem wir wissen, daß er seit 1589 in Jena weilte und sogar in das Rektoramt berufen wurde. Reusners Vater bekleidete in Löwenberg in Schlesien das Amt eines Ratsherrn. Über Kindheitseindrücke und Jugenderlebnisse hüllen sich die spärlichen Quellen nahezu vollkommen in Schweigen; als gesichert gilt, daß Reusner – zusammen mit seinen Brüdern Elias, Jeremias und Bartholomäus – in Goldberg das Gymnasium besucht hat und auch Schüler des berühmten Breslauer Elisabeth-Gymnasiums war. Danach immatrikulierte er sich, erst fünfzehnjährig, an der Wittenberger Universität und hörte dort Vorlesungen über Philosophie, klassische Sprachen und Anatomie, Pharmazie und Botanik. 1563 setzte er sein Studium an der Universität Leipzig fort, wobei die Rechtswissenschaft stärker in sein Blickfeld rückte. Sie wurde sein eigentliches Arbeitsgebiet, was eine Reihe von Publikationen belegt, die auch literarische, poetologische, philosophische und historisch-politische Texte umfassen. Sie weisen Reusner als einen für seine Zeit universal gebildeten Gelehrten aus. Dabei wurde das methodisch-didaktische Element nicht verleugnet in der klaren Bestimmung für eine juristische Unterweisung. Einige Texte verraten auch Reusners Bemühungen, Karriere machen zu wollen, wie seine Epistolarum Turcicarum et Diversorum Authorum Libri XIV (Leipzig 1595/96) – zu einem Zeitpunkt, in dem der Jurist nach Krakau gereist war, um dort vom polnischen König Sigismund III. Truppen für den Einsatz gegen die Türken zu erwirken. Angesehene Standespersonen und Fürstenhöfe wurden von Reusner mit Hochzeits- und Trauerofferten "beliefert", wohl auch um seine Person stärker in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken.

Im Jahre 1583 promovierte dieser vielseitig begabte Schlesier an der Universität Basel zum Doktor der Jurisprudenz und folgte noch im selben Jahr einem Ruf nach Straßburg. Reusners Bedeutung als angesehener Jurist seiner Zeit mag die Jenaer Alma mater veranlaßt haben, ihn 1588 an Thüringens "Hohe Schul" zu rufen – eine Ehrung, die auch die Pflichten eines Beisitzers am Hofgericht einschloß, ferner verbunden war mit der Auszeichnung durch den Titel eines Hofrats zu Weimar und Coburg. Schließlich wurde er als Vertreter der beiden sächsischen Höfe an das Reichskammergericht in Speyer berufen. Während Reusners Tätigkeit an der Jenaer Universität wurde er auch durch die Verleihung der kaiserlichen Pfalzgrafenwürde, mit dem Titel eines poeta laureatus und der Würde des erblichen Adels geehrt. Er ist wahrscheinlich in der früheren Universitätskirche, die nicht mehr besteht, beigesetzt worden. Davon gibt es jedoch keinerlei erhaltene Spuren.

Nikolaus Reusner ist weitgehend unbekannt. Vergeblich sucht man seinen Namen in den einschlägigen Kompendien zur schlesischen Kultur- und Literaturgeschichte. Einer größeren Öffentlichkeit entzieht sich ein Zugang und eine Auseinandersetzung mit seinem Werk schon dadurch, daß die Texte ausnahmslos in Latein verfaßt sind. Selbst einer spezialisierten wissenschaftlichen Öffentlichkeit sind kaum mehr als zwei, drei Bücher des schlesischen Juristen gegenwärtig, die sämtlich von namhaften Formschneidern wie Virgil Solis, Jost Amman und Tobias Stimmer illustriert worden sind. Zu ihnen gehören in erster Linie die Icones sive Imagines Virorum Literis Illustrium, in denen Reusner die berühmtesten Gelehrten seines Jahrhunderts in Holzschnittporträts und lateinischen Versen verschiedener Autoren versammelt hat (Straßburg 1587, Nachdruck hg. v. Manfred Lemmer, Leipzig 1973). Zu ihnen zählen auch die Picta Poesis Ovidiana (Frankfurt a.M. 1580), in der Reusner Verse mehrerer neulateinischer Ovidbearbeiter miteinander verschmolzen und mit Holzschnitten unterschiedlicher Herkunft verbunden hat.

Die jüngste Veröffentlichung der Emblemata Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica & Hieroglyphica (Frankfurt am Main 1581) bringt uns ein Hauptwerk des schlesischen Juristen nahe und darf vielleicht noch am ehesten unser Interesse heute beanspruchen. Es handelt sich bei dieser im Georg Olms Verlag Hildesheim – Zürich – New York veranstalteten Neuausgabe um den Versuch, Texte Reusners unserem heutigen Verständnis nahezubringen.

Die Texte Reusners in diesem Werk sind weitgehend didaktisch-ethischer Provenienz, möchten als eine Art Leitfaden Tugenden und Sitten preisen und als Richtschnur in der Lebensführung verstanden werden (ad virtutis, morumque doctrinam omnia ingeniose traducta). Eine Reihe griechischer und lateinischer Egigramme unterstreichen eine solche Absicht. Ferner wird der Wert von Kunst und Weisheit, die Bedeutung der Historie, der Natur und des Mythos hervorgehoben und, wie im dritten Buch, auf Ovids Metamorphosen Bezug genommen. Eine strenge, klare Systematik fehlt, ist wohl auch nie angestrebt worden. "Zwar eröffnet mit dem Löwen" (im zweiten Buch, wo vorwiegend nur Tiere vorgestellt werden)"die hierarchische Spitze des Tierreichs das Buch, doch in der Folge ist kein Ordnungsprinzip mehr erkennbar…" (M. Schilling). Unsere Aufmerksamkeit verdienen die in vier Büchern enthaltenen 40 Embleme; das erste davon ist Kaiser Rudolf II. gewidmet, weitere gelten den österreichischen Erzherzögen Ernst und Maximilian, dem Pfalzgrafen Friedrich, Adam von Dietrichstein, und dem Reichsprokanzler Sigismund Vieheuser – eine Darstellung, die auf ein an einem sozialen Rangstufenprinzip orientiertes System hinweist. Das vierte Buch enthält keine Holzschnitte; es handelt sich um eine sogenannte "Emblemata nuda": der Leser ist dabei aufgefordert, in seiner eigenen Phantasie gewissermaßen Bilder zu projezieren. Das Werk enthält neben diesen vier Büchern noch einen weiteren Teil: "Emblemata Sacra", der wiederum 40 Sinnbilder enthält und in der Art der Darstellung sich an der christlichen Heils- und Schöpfungsgeschichte orientiert. Den Beschluß dieses Werkes bildet noch ein weiterer Teil: "Stemmatum, Sive Armorum Gentilitiorum Libri Tres". Ein Bruder von Nikolaus Reusner, Jeremias, gab die "Emblemata" von 1581 heraus – versehen auch mit einem Widmungsbrief an die Brüder Johann Friedrich und Johann Heinrich Schertlin.

Lit.: Nikolaus Reusner: Emblemata Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica & Hieroglyhica (Frankfurt am Main 1581). Mit einem Nachwort und Register von Michael Schilling. Georg Olms Verlag Hildesheim – Zürich – New York 1990. Dieses Werk enthält Angaben zur Vita und zur Primär- und Sekundärliteratur von Nikolaus Reusner.

 

  Günter Gerstmann