Biographie

Richter, Heinrich Wenzel

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Missionar
* 7. September 1653 in Proßnitz (Prostějov)/ Mähren
† 1. Januar 1696 in Amazonasgebiet

2019 hatte Papst Franziskus eine Amazonas-Synode angekündigt, dazu Themen angegeben und die Synode durchgeführt. Dreihundert Jahre früher haben bereits ostdeutsche Missionare in eben diesen Gebieten für die katholische Kirche missioniert und für die Rechte der Indianer gekämpft, darunter P. Heinrich Richter aus Proßnitz, der seit 1683 mit seinem Mitbruder P. Samuel Fritz aus Trautenau am Amazonas seelsorgerlich tätig war. Zahlreiche Briefe sind von ihnen erhalten, darunter auch solche von ihrer langen beschwerlichen Reise. Für Strecken, die heute der Papst in Stunden zurücklegt, brauchten sie Monate. Im November 1683 verließen sie Olmütz. Von Genua segelten sie am 11. Dezember 1683 ab und gelangten nach Sevilla in Spanien, wo sie neun Monate auf ein Schiff nach Südamerika warteten. Im November 1684 erreichten sie schließlich Cartagena. Über die Weiterreise schreibt P. Richter: „Zu Carthagena nahmen wir von unseren Mitbrüdern Urlaub / und begaben uns den 15. Decembris auf unsere so langwierige als mühselige Reise. Wir fuhren in einem großen Weidling oder Kahnen auf einem Meerbusen / giengen demnach zwey Tag zu Land / bis wir bey dem großen Fluss Magdalena den 21. dito angekommen seynd. Allda bestiegen wir abermals eine Canoam oder Weidling und fuhren gegen den Strom / welcher sich gleich einem Meer so weit und breit ausgegossen hatte / dass wir öfters weder Ufer noch Land angetroffen / sondern in Mitten des Wassers auf unserem Schifflein unter einer unzähligen Menge Schnacken übernachtet haben. Den 28. Decembris langten wir in unserem Collegio zu Monposch an / und erneuerten daselbst unsere Gelübd.

Den 4. Jenner 1685 gingen wir wieder zu Schiff / und traffen unter Weegs viel grosse Crocodillen / allerhand Schlangen / grausame Tyger und Löwen an / welche letztere in America ziemlich klein und mild seynd / dass man sich ihrer nicht viel zu förchten hat / wohl aber deren Cariben oder Menschen-Fressern / so noch wilde Heyden seynd / und an den Ufern rechter Hand denen Frembden aufpassen / dass auf ihrer Seiten niemand anländen darff … Am 31. Jenner langten wir zu Honda in unserem Collegio an …“ Hier bleibt die Gruppe zwei Monate, bis der „Provincial schrifftlich geantwortet hatte / wir wären nicht für die Orinoken, sondern für die Marannonen gewiedmet / stellte sich Pater Procurator von Glaubens-Stadt (oder Sanctae Fidei) bey uns ein / machte die Anstalt auf unsere fernere Reise / welche wir auf Maul-Thieren durch ein unendlich-langes aber sehr sumpfiges Thal fortgesetzt und den letzten Mertzen angetreten haben. Neunzehn Maulthier / dern jedes dritthalb Centner durch so beschwerliche Weeg trägt / wurden theils mit unserm Beth-Gewand / Tross und Gezelt (weil man unter Weegs gar selten eine Wohnung antrifft) theils mit dem behörigen Vorrath auch die Reise (inmassen man nirgend was findet) beladen. In dem Thal ist die Luft bey Tag überaus hitzig und so schädlich / dass als P. Samuel Fritz einen Tag ohne Hut ritte / und nur mit einem Sonnenschirm / den einer jeder muß über sich halten / bedeckt wäre / ihme das Angesicht Abends grässlich aufgeschwollen ist / und die Haut sich abgescheelet hat. Welches um desto mehr zu bewundern / weil auf der einen Seiten des Thals das hohe Gebirg ewig mit Schnee überzogen ist. Fast jeglichen Tag mussten wir durch wenigstens zwei Flüsse bald reiten / bald mit denen Maulthieren durchschwimmen / welche in dem Schlamm und Morast / so die Ströme und Regenbäche verursachen / öffters seynd stecken geblieben. Nach sechs Tagen nahmen wir unser Nacht-Lager zu Schipalo, einem Land-Gut / so unserm Collegio zu Glauben-Stadt zuständig ist / allwo wir drey Tage ausgeruhet / unsere Knechten aber einer dernwegen durchgegangen ist / weil wir ihm ein liederliches Weibs-Bild mitzuführen auf keine Weise zustehen wollten.“

Mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung zu Ostern geht die Reise unter gleichen Strapazen weiter. „Unter Tages trancken wir ein wenig Tschocolata, Nachts aber stunden wir bis an die Versen in dem Sumpff gleichsam wie auf der kalten Herberg / weil wir unerachtet der Nässe und des Frostes kein Feuer machen noch uns wärmen konnten. Den 2. Juni hatten wir einen so schlimmen Weeg / desgleichen ich mein Lebtag nicht gesehen hatte. Ich fiele mit meinem Maulthier in einen Morast / und ward also gespritzt / dass ich mehr einem Teuffel als Menschen gleich sah. Gienge demnach zu Fuss / aber ich bin ebenfalls gegen fünfzig mahl bis über die Knie in den Sumpf gesuncken und habe meine Schuhe dergestalt zertretten, dass ich musste baarfuß gehen. Andern / die auf denen Eseln sitzen blieben / ist es noch härter geschehen. Den dritten giengen wir über das Gebürg etwas gemächlicher / den vierdten aber wieder durch Morast, den fünfften liessen wir den Berg zurück. Endlich den sechsten Junii seynd wir zu Popayan, Gott Lob und Danck / in unserem Collegio glücklich gelanget / nachdem wir 200. Stunden weit dergleichen keines getroffen hatten / dass zwar nur in 6. Personen bestehet / bey welchen wir nun verharren müssen / biss unsere Reise-Gefährten werden ankommen. Jetzt haben wir noch 100. Meil biss auf Quito, wo der Pater Provincial unser wartet / indessen aber den 25. Junii der ersten Provintz-Congregation, so allda gehalten soll werden / vorstehen wird.“

Wie wir aus dem Tagebuch von Richters Reisegefährten Samuel Fritz wissen, wurde erst am 27. August Quito erreicht. Hier wurden sie von der königlichen Kammer und ihren Mitbrüdern freundlich aufgenommen und mit Kleidern, Nahrungsmitteln und Geschenken für die indigene Bevölkerung ausgestattet. Die Weiterreise von Quito wird noch anstrengender, wie uns das Tagebuch von Fritz zeigt: „Am 26. Oktober erreichten wir Canolas, das Zimtland, welches das ursprüngliche Ziel Pizarros gewesen war. Hier erwarteten uns neue Schwierigkeiten. Die Indianer, die hier zuhause waren, geben uns für viel Geld nur ein paar Bananen und ein wenig Yucabrot. Außerdem stahlen sie uns die Fahrzeuge, welche die Maultiere bis hierher mitgetragen hatten. Sie wären für uns wichtig gewesen, da wir einen kleinen Fluß entdeckt hatten, der – vielleicht – zum Napo führte. Ein kleiner Weidling war uns geblieben. ‚Setzen wir uns hinein‘, sagte Heinrich Richter. ‚Machen wir aus der Not eine Tugend‘. Am 30. Oktober fuhren wir, in dem kleinen Kahn sitzend, unter höchster Lebensgefahr davon. Wir hatten nämlich erfahren, daß es in dem Fluß mörderiche Fische gab, die aus ihrer Beute in wenigen Sekunden ein Skelett machten. So scharf sollten ihre Zähne sein. Wir entkamen auch dieser Gefahr. Am 4. November, dem zweiten Jahrestag meiner Abreise aus Prag, langten wir im Gebiet der Gayes-Indianer an, die vor unserer Ankunft geflüchtet waren. Am 17. November erreichten wir Laguna. Hier erwartete uns zu unserer Überraschung ein spanischer Jesuitenpater. Wir hatten Guallaga erreicht, einen Fluß, der in den Marañón mündet.“

Heinrich Wenzel Richter wurde am 7. September 1653 in Proßnitz in der mährischen Hanna-Ebene geboren. Sein Vater stand im Dienst des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein, dem damals Proßnitz gehörte. Bald nach der Geburt Heinrich Wenzels wurde der Vater als Schreiber nach Mährisch-Sternberg versetzt, wo er zwölf Jahre blieb, ehe er nach Proßnitz zurückkehrte, um dort Primator und Richter zu werden. Die Eltern waren gegen den Wunsch ihres Sohnes, Jesuit zu werden, doch trat dieser am 15. Oktober 1668 in den Orden ein und legte zwei Jahre später in die Hände von P. Lukas Kolich die ersten Gelübde ab. Mit großem Erfolg studierte Heinrich Richter Philosophie in Jitschin und Prag, wo er den Magistergrad erwarb. Er unterrichtete dann am Kleinseitner Gymnasium, bei St. Klemens und in der Prager Neustadt. 1683 beendete er das Theologiestudium in Prag und wurde von Weihbischof Johann Ignaz Dlouhovessky zum Priester geweiht. Im gleichen Jahr machte er sich mit seinem Mitbruder Samuel Fritz auf den Weg in die Mission.

Seine Briefe und das Tagebuch von Samuel Fritz geben uns Auskunft über diese Jahre, im Missionsgebiet auch die Arbeiten von Zeitgenossen und späteren spanischen Missionshistorikern. Der Ordenshistoriker Astrain würdigt sein Wirken bei den Kopfjäger-Stämmen, die gefürchtet waren; vor allem beim Stamm der Cunibos: „Die größte Schwierigkeit bestand darin, die barbarischen und brutalen Gebräuche abzuschaffen. Unausrottbar schien vor allem das Laster der Trunksucht, dem sich diese Indios in einem unvorstellbaren Ausmaß hingaben. Es war üblich, sich von Zeit zu Zeit zu treffen und eine Feier abzuhalten, d. h. ein richtiges Saufgelage, das drei Tage und Nächte hindurch dauerte. Die Abscheulichkeit des Brauches wurde durch die Anwesenheit von Frauen gesteigert, die an dem Besäufnis teilnahmen. Man kann sich vorstellen, zu welchen Exzessen dies führte. P. Richter versuchte mit Güte, aber auch mit energischem Durchgreifen, diese Laster auszurotten. Er erreichte es bald, daß die Frauen nicht mehr zu solchen Gelagen erschienen. Dann bat er die Indios, die Trinkerei doch bei Nacht zu unterbrechen und sich zum Ausruhen zurückzuziehen. Zu guter Letzt versuchte er verschiedentlich, die Zeitspanne dieser Orgien zu kürzen, und erreichte es schließlich, daß sich alle im Trinken mäßigten, nicht mehr bis zur Bewusstlosigkeit tranken und sich allmählich bekehrten.“

Nachdem er bei den Cunibos Erfolg hatte, wandte er sich anderen Stämmen zu, wobei er in Konflikt mit den Franziskanern kam, die bei ihrer Mission von Lima aus ebenfalls den Marañón erreicht hatten und dem Lauf der Flüsse Huallaga und Ucayale folgten. Ohne größere Schwierigkeiten kam bald eine Einigung unter den Ordensoberen zustande, so dass das Bekehrungswerk ungestört weitergehen konnte: „P. Richter begann, die Indios aufzusuchen, sie zu unterweisen. Missbräuche abzuschaffen und hatte trotz des Widerstandes, auf den er bei diesen Eingeborenen stieß, Erfolge, und zwar nicht nur bei den Kindern, die er nach der Taufe für bekehrt ansah, sondern auch bei den Erwachsenen, von denen sich viele der Wahrheit beugten und die Taufe begehrten. Im Wissen um die Notwendigkeit von Werkzeugen und Geräten bei der Bekehrung dieser wissbegierigen Heiden beschloß er noch vor Abschluß seines ersten Arbeitsjahres nach La Laguna zurückzukehren, dort Äxte, Messer, Macheten und anderes Gerät zu suchen und die neubekehrte Christengemeinde und die Katechumenen am Ucayale inzwischen dem Bruder Francisco zu überlassen (der die von verschiedenen Wilden gefangenen Cunivos um sich sammelte und in der Ingasprache belehrte). Während nun der Missionar auf der großen Reise war, arbeitete der Laien-Bruder in dieser Gegend tatkräftig an der Bekehrung und Befriedung dieser Stämme, die er bei den Campas, Machovos und Comavos erreicht hatte. Daher versuchte er auch durch verschiedene Expeditionen, bei denen er jeweils einzelne Familien mitbrachte, den pueblo von San Nicolas zu vergrößern.“

Aus dieser und verschiedenen anderen spanischen Chroniken kennen wir einen Teil der Stämme, denen sich Richter zuwandte:

„Nach der Gründung der Reduktion bei den Cunivos unter der Schirmherrschaft der Heiligsten Dreifaltigkeit und der Vertreibung der Medizinmänner, machte sich P. Enrique mit unermüdlichem Eifer daran, das Vertrauen anderer ungläubiger Stämme zu gewinnen und auch ihnen das Licht des Evangeliums zu bringen. Die Cunivos hatten damals durch ihre Kriege in heidnischer Zeit viele Sklaven aus anderen Stämmen. Ihnen widmete der Pater seine besondere Aufmerksamkeit, um etwas von ihrer Muttersprache, ihren Angehörigen und ihren Heimatländern zu erfahren. So bemühte er sich um ihre Freundschaft mit den Mochovos und Comavos oder Univitzas, deren Siedlungsgebiete sich an den Flüssen Unini, Inua und anderen Strömen erstreckten, die oberhalb des Cunivos-Gebietes zum Ucayale fließen. Da der Pater aus verschiedenen Gründen nicht persönlich zu ihnen reisen konnte, schickte er Bruder Francisco Herrera in Begleitung einiger Helfer dorthin. Die Wilden nahmen ihn friedfertig auf und versprachen, ihre Siedlungen am Hauptfluß aufzuschlagen, wo der Pater sie besuchen könne.“

Dabei gab es aber auch immer wieder Rückschläge, ja auch Überfälle feindlicher Stämme und Mordversuche, wie der im Jahre 1690 durch den Stamm der Piros Upatarinavas. In jenem Jahr wurde P. Heinrich Richter Vize-Superior in La Laguna. 1691 und wieder 1695 unternahm er Expeditionen zu den Jivaros, die schon mehrere Missionare getötet hatten. So schreibt Richter nach Hause an einen Mitbruder in Prag, dass die Indianer einige Missionare „an Händen und Füßen gestümmelet, ihnen die Köpff abgeschlagen / u. solche / damit sie aus den Hirnschaalen Trinck-Becher machten / mit sich fortgenommen haben. Ihre Marter hat sich um die Mitten des Octobris um eben die Zeit Anno 1684 zugetragen / als wir zwischen Spanien und America auf dem hohen Welt-Meer unter Segel waren. Gebe Gott / daß nachdem wir viel Seelen in diesen Ländern werden gewunnen haben / wir ebenfalls unsere Arbeit mit dergleichen Lorbeer-Kräntzen crönen.“

Als sich 1696 mehrere Stämme gegen die Spanier erhoben, fand Richter im November auf einer weit entfernten Station den Tod. Es sei nicht leicht, die Gefühle zu schildern, die die gesamte Mission angesichts des Todes von P. Heinrich empfand, den alle wegen seiner Vorzüge und Tugenden liebten und wie einen Heiligen verehrten, schreibt der Ordens-Chronist. Richter war „geistig ein bedeutender Mann, der seine Gaben nicht entfalten konnte, nachdem ihn schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit (nach 10 Jahren Wirken) der Tod ereilte. Seine Briefe verraten lebhaftes Denken, scharfe Beobachtungsgabe und kritischen Geist.“ So schreibt Gickelhorn über ihn. Auch dass er eine Karte seines Missionsgebietes entworfen habe und Wörterbücher, Grammatiken und Katechismen in verschiedenen Indianersprachen verfasst habe.

Lit.: E. de Boye, Vita et obitus Vener. Patris Henrici Wenceslai Richter ex Quadraginta Operarijis Societ: Jesu Ad procurandam infidelium conversionem. Ex Provinciae Bohemiae in Americam missis à Cunibus Sacrae Fidei Rebellibus Post consecratos Apostolicis Laboribus Annos duodecim in progressu ad Reductionem Pirorum Barbaré trucidati Anno 1696 sub inititum Novembris. Pragae 1702. – Sieben Briefe von Richter sind erhalten. Ausführliche Bibliographie in: Rudolf Grulich, Der Beitrag der böhmischen Länder zur Weltmission des 17. und 18. Jahrhunderts, Königstein 1981.

Bild: E. de Boye, Vita et obitus Vener. Patris Henrici Wenceslai Richter.

Rudolf Grulich