Biographie

Rittner, Rudolf

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schauspieler
* 30. Juni 1869 in Weißbach, Kr. Freiwaldau/Österr.-Schlesien
† 4. Februar 1943 in Weißbach, Kr. Freiwaldau/Österr.-Schlesien

Rudolf Rittner dürfte zu den eigenartigsten Künstlern zählen, die je auf deutschen Bühnen Schauspielkunst dargeboten haben. Rittner entdeckte früh in sich, was die große Masse der Schauspieler niemals entdeckt: die eigene Natur. "Seit Josef Kainz ist mir keine stärkere Individualität auf Berliner Bühnen entgegengetreten als er", äußerte Otto Brahm. Seine Verkörperung des Florian Geyer in Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Drama nannte Alfred Polgar einen absoluten Höhepunkt schauspielerischer Möglichkeiten und Julius Bab einen der wirklich großen Momente in der Geschichte der Schauspielkunst.

Rudolf Rittner wurde unweit der Stadt Jauernig in Österreichisch-Schlesien als Sohn eines Bauern geboren. Der intelligente Junge begab sich mit zwölf Jahren nach Wien und begann seine künstlerische Ausbildung am Konservatorium (Violine, später Oboe). 1887 wechselte er zur dramatischen Abteilung über, absolvierte sein Studium innerhalb eines Jahres mit ausgezeichnetem Erfolg und debütierte am 16. September 1888 in der Rolle des Professor Georg Ziegler in Paul von Schönthans und Gustav Kadelburgs Lustspiel Die berühmte Frau am Residenz-Theater in Hannover. Die seines Schauspielerlebens waren Olmütz, Karlsbad, Perßburg und Temesvár. 1891 engagierte ihn Siegmund Lautenburg, der prominente Theaterdirektor, an das Residenz-Theater in Berlin. Es war die Zeit der literarischen Auseinandersetzung zwischen der klassischen Tradition und dem aufstrebenden Naturalismus, den Ibsen, Max Halbe, Hermann Sudermann und Gerhart Hauptmann repräsentierten. Rittner begeisterte sich für die neue Strömung und wurde von Otto Brahm an das Deutsche Theater in Berlin verpflichtet. Dem Mimen gelang der schauspielerische Durchbruch, und damit trug er wesentlich dazu bei, auch die literarhistorische Position Gerhart Hauptmanns und des Naturalismus zu festigen. Er spielte zwischendurch in Wien, Budapest und Pragi und 1904 folgte er seinem einstigen Gönner Otto Brahm an das Berliner Lessing-Theater. Längst erfreute er sich der Gunst Gerhart Hauptmanns sowie anderer Größen aus Literatur und Kunst, unter ihnen Lovis Corinth. Dieser deutsche Impressionist schuf jenes großartige Gemälde, das den Schauspieler Rudolf Rittner in seiner Glanzrolle darstellt, nämlich als Florian Geyer. Inzwischen hatte Rittner damit begonnen, selbst Schauspiele zu schreiben – mit mäßigem Erfolg. 1907, auf der Höhe seiner Schauspielerkarriere, zog er sich völlig überraschend von der Bühne zurück und siedelte, nachdem er 1908 am Wiener Hoftheater noch einmal den Florian Geyer gespielt hatte, auf den – dank seiner Hilfe finanziell sanierten – väterlichen Hof in Weißbach über. Es gab viel Rätselraten um die Gründe für Rittners plötzlichen Entschluß. Heute weiß man, daß ihn vor allem Unzufriedenheit und Enttäuschungen, menschliche wie künstlerische, dazu bewogen haben. In seiner Heimat wollte er geistig genesen, mußte jedoch statt dessen weitere Enttäuschungen hinnehmen. 1912 kehrte er noch einmal für zwei Jahre nach Berlin zurück, um als Regisseur zu wirken, und von 1922 bis 1927 trat er in einer Reihe von Stummfilmen auf, 1930 noch in einem Tonfilm.

In Weißbach ging es ihm in der Hauptsache darum, als Schriftsteller tätig zu sein; er versuchte es mit Dramatik, Lyrik und Epik, ohne das angestrebte Ziel zu erreichen. Zu seinen psychischen Problemen gesellten sich, 1934 beginnend, gesundheitliche Schwierigkeiten, die ihn für den Rest seines Lebens in Anspruch nahmen. Inzwischen lebte er auf einem eigenen Hof in Ober-Weißbach. Dort starb er auch. Auf dem Dorffriedhof wurde er in Anwesenheit zahlreicher Trauergäste beigesetzt, und das Grab hat sich erhalten. Das Leben hatte Rittner den inneren Frieden verwehrt. Erst nachdem er den ewigen Frieden gefunden hatte, fand der lebenslange Zwiespalt zwischen Erfolg und Krise einen Ausgleich in der postumen Anerkennung, Rudolf Rittner habe das Zeitliche überwunden als einer der ganz Großen in der Geschichte des deutschen Theaters.

Rollen: Hans Hartwig, Student – in Max Halbes „Jugend"; Ferdinand – in Schillers „Kabale und Liebe"; Moritz Jäger – in dem Schauspiel „Die Weber" von Gerhart Hauptmann; Schäferhans und Florian Geyer – in Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer"; Christoph Flamm – in Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd" u.v.a.m. Werke: Wiederfinden (Schauspiel, 1901); Lorenzo di Medici (Posse, 1903); Narrenglanz (Spielmannsdrama, 1906).

Lit.: Hans-Adolf Schultze: Der Schauspieler Rudolf Rittner (1869-1943) – Ein Wegbereiter Gerhart Hauptmanns auf dem Theater; Dissertation Berlin 1961. – Franz Kiegler: Rudolf Rittner, in: Heimatjahrbuch Ostsudetenland, Bd. 10, S. 155ff., Inning (Ammersee) 1963. – österreichisches Biographisches Lexikon 1815 -1950, IX. Bd., Wien 1988.