Biographie

Rollauer, Jakob Valentin

Herkunft: Galizien u. Bukowina
Beruf: Germanist, Altphilologe
* 26. November 1881 in Lemberg
† 1. September 1963 in Stuttgart

Im österreichischen Lemberg geboren und in der benachbarten deutschen Kolonie Schönthal aufgewachsen, wo sein Großvater Lehrer war, absolvierte Rollauer das Studium an der Lemberger Franzens-Universität und legte 1912 die Lehramtsprüfung für deutsche Sprache und Literatur, Latein, Griechisch und Altertumsgeschichte ab. Er trat in den Schuldienst des Lemberger II. k.k. Obergymnasiums mit deutscher Unterrichtssprache ein, in dessen Verband er auch nach Einführung der polnischen Unterrichtssprache bis 1939 als einzige deutsche Lehrkraft verblieb. Seine künstlerischen Neigungen, vor allem seine Vorliebe für das Theater, brachten ihn mit den Lemberger Künstlerkreisen in enge Berührung. Diesem Verkehr verdanken seine ersten schriftstellerischen Arbeiten ihre Entstehung. In einer Artikelserie behandelte Rollauer die Entstehung, das Wesen und die Verbreitung des Lemberger Vorstadtliedes und gab im Jahre 1911 eine Sammlung dieser Lieder unter dem Titel Singende Vorstadt (Spiewające Przedmieście) in Buchform heraus.

Als die Russen 1915 aus der von ihnen besetzten Stadt vertrieben wurden, verschleppten sie zahlreiche führende deutsche Persönlichkeiten. Um die Normalität des deutschen Lebens wieder herzustellen und die Lahmlegung ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Organisationen zu überwinden, übernahm Rollauer vakant gewordene Positionen, so die der Leitung des Bundes der christlichen Deutschen in Galizien und die Herausgabe der deutschen Wochenzeitung Deutsches Volksblatt für Galizien. Ferner war er Mitarbeiter und schließlich Herausgeber der letzten Zeitweiser 1918 und 1919 der Galiziendeutschen. Fortan beeinflusste er deren Leben und Schaffen nicht nur durch seine organisatorische, sondern noch mehr durch seine erzieherische, wissenschaftliche und literarische Tätigkeit. Mitten im Krieg, 1917, gründete er die Deutsche Liebhaberbühne in Lemberg und führte bereits bis 1918 – gestützt auf deutsche Jugendvereine, in Urlaub befindliche Soldaten und ältere Gymnasiasten – sieben Theaterabende auf. In den folgenden Jahren führte er Regie an 34 solchen Abenden. Die Liebhaberbühne blieb eine Dauereinrichtung und entwickelte sich mit insgesamt 190 Spielabenden und 17 auswärtigen Gastspielen zu einem bedeutenden Faktor des deutschen kulturellen Lebens in Lembergs bis 1939.

Nachdem die Polen im vorgenannten Obergymnasium die deut­sche Unterrichtssprache durch die polnische ersetzt hatten, gründete Rollauer im Verein mit Dr. Ludwig Schneider und Pfarrer Dr. Kesselring ein privates Lemberger evangelisches Gymnasium mit deutscher Unterrichtssprache und übte in diesem die Schulleiterstelle bis 1939 aus, wenngleich ihm zwischendurch mehrere Jahre polnische Direktoren übergeordnet wurden. Über weitere Pressionen der polnischen Behörden gegen deutschsprachige Schulen wird in diesem Buch an anderer Stelle berichtet. Als Deutschlehrer führte er seine Schüler nicht nur in die deutsche Literatur, sondern auch in die Werke der Weltliteratur ein und lehrte sie, den Wert und die Schönheit der Dichtkunst zu erkennen. Er wurde, wie eine seiner Schülerinnen jahrzehnte später schrieb, nicht müde, auf die sittliche Größe von literarischen Gestalten hinzuweisen etwa bei der Lektüre von Lessings Nathan der Weise, um die Schüler mit dem Gedanken der Toleranz und der Gleichwertigkeit aller Religionen vertraut zu machen, oder für den Gedanken der Freiheit eines Egmont, eines Wilhelm Tell oder einer Jean D’Arc.

Rollauer verfasste ferner didaktische Schriften zum Gebrauch an polnischen Schulen, u.a. Die Sage vom Doktor Faust, die Schulausgabe des Wilhelm Tell mit einem Aufsatz über den Einfluss Schillers in Polen, kritische Abhandlungen über einige Literaturübersetzungen und die Schulausgabe Das kalte Herz von Wilhelm Hauff. Er arbeitete auch an Langenscheidts polnisch-deutschem Wörterbuch mit. Aber er war auch der erste, der sich mit dem literarischen Schaffen der Galiziendeutschen mit einem Aufsatz Formelpflege und Dichtung der deutschen Siedler Kleinpolens (1927) und mit einem Galizienbeitrag in der Deutsch-österreichischen Literaturgeschichte von Nagl-Zeidler-Castle (Wien 1929) befasste. Dort hatte er das gesamte deutschsprachige Schrifttum und das deutsche Theaterwesen Galiziens behandelt. Auch in dem 1931 herausgegebenen Gedenkbuch zur Erinnerung an die Einwanderung der Deutschen in Galizien vor 150 Jahren verfasste er ein Kapitel Die Literatur der Josephinischen Ansiedler in Kleinpolen (Galizien) und im Jahre 1933 in der Zeitschrift Schaffen und Schauen einen Aufsatz über Sprichwörter der deutschen Siedler Kleinpolens (Galiziens). Er schrieb auch über die Theaterdarbietungen des Lemberger Geselligkeitsvereins Frohsinn in den Jahren 1869 bis 1897, über die Arbeiten von Dr. Ludwig Schneider zu dessen 60. Geburtstag und des Lemberger Germanisten Dr. Albert Zipper. Daneben verfasste er eine große Anzahl von Gedichten, die in der Heimatliteratur veröffentlicht sind.

Die Umsiedlung 1939/40 führte ihn mit Frau und zwei Kindern nach Wien, aber dort fand die deutsche Schulbehörde für ihn keine angemessene Verwendung und wollte ihm nur den Status eines Studienrats zuerkennen. Vergrämt und enttäuscht darüber entschied er sich damals, ohne Familie ins Generalgouvernement zu gehen und die Leitung der deutschen Oberschule in Lublin zu übernehmen. Nach der Flucht musste er sein Brot zunächst mühsam als Arbeiter in einer Fabrik in Niederbayern verdienen, bis ihm 1947 Prälat Wilhelm Lempp, Schwäbisch Hall, die Stelle des Geschäftsführers des „Hilfskomitees für die Volksdeutschen aus Polen bei Hilfswerk der evangelischen Kirche“ in Stuttgart verschaffte. Er versah dies mit dem Hinweis, dass eine Anstellung im Schuldienst abhängig sei von der Entnazifizierung und diese noch lange dauern dürfte. Die Währungsreform 1948 brachte aber nicht nur die Flüchtlinge ohne geregeltes Einkommen in Geldnot, sondern bedrohte auch die Hilfskomiteearbeit und damit Rollauers dürftige Existenz. Bezeichnend für die damalige Notlage ist eine von Rollauer 1948 an seinen Freund Sepp Müller gerichtete Einladung zu einem Besuch mit dem Hinweis, er könne ihm nur anbieten, mit ihm gemeinsam im Bett zu schlafen.

Rollauer wurde schließlich als Oberstudienrat pensioniert und setzte die Leitung der inzwischen in „Landesstelle der Hilfskomitees der Deutschen aus Polen“ unbenannten Einrichtung im Hilfswerk der evangelischen Kirche fort, zu der auch das Hilfskomitee der Galiziendeutschen gehörte. In diesem verfasste er wieder zahlreiche in der Heimatliteratur veröffentlichte Schriften, so im Zeitweiser 1954 der Galiziendeutschen über das Schrifttum zur Geschichte der evangelischen Kirche in Galizien. In den Jahren 1957 bis 1963 gab er als Schriftleiter selber diesen vorgenannten Zeitweiser heraus, der sich zum wichtigsten heimatkundlich-historischen Nachkriegsdokument der Galiziendeutschen entwickeln sollte und mit 50 Jahrbüchern bis 2012 weitergeführt wurde.

Lit.: Die meisten der vorstehenden Ausführungen basieren auf den von Sepp Müller verfassten Rollauer-Würdigungen in der galiziendeutschen Heimatliteratur.

Bild: Autor.

Weblink: https://www.galizien-deutsche.de/news/25/99/Gymnasialprofessor-Jakob-Valentin-Rollauer.htm

Erich Müller