Biographie

Roquette, Otto

Herkunft: Posener Land
Beruf: Dichter, Schriftsteller
* 19. April 1824 in Krotoschin/Posen
† 18. März 1896 in Darmstadt

Der Name Otto Roquette ist in der Literaturgeschichte unseres Jahrhunderts nicht mehr weitergegeben worden. Im hessischen Darmstadt liest man ihn noch auf einem Straßenschild und auf seinem dortigen Grabmal. Von 1869 bis zu seinem Tode hat Otto Roquette in Darmstadt als Professor für Geschichte, Literatur und deutsche Sprache am damaligen Polytechnikum (ab 1877 Technische Hochschule) gewirkt.

Otto Roquettes Vorfahren waren Hugenotten, seit 1685 in Brandenburg ansässig. Roquettes Vater, Louis Jean Roquette SYMBOL 150 f "Times New Roman CE" verheiratet mit Marie Antoinette Brand -, war Landgerichtsrat in Krotoschin (Posen). Die Eltern verzogen kurze Zeit nach der Geburt des Knaben nach Gnesen, 1833 wurde der Vater nach Bromberg versetzt. InSiebzig Jahre. Geschichte meines Lebens erzählt Otto Roquette von Bromberg folgendermaßen:

"Als wir am Morgen nach unserer Ankunft an die Fenster traten, waren wir freudig überrascht durch den Anblick, der sich uns bot. Das Treiben des Wochenmarktes mit seinem Grünkram, offenen Verkaufsbuden, Landwagen, und der beginnenden Bewegung, lag vor uns: Der umfangreiche Marktplatz, umschlossen von sauberen Häusern, damals alle noch mit Giebeln versehen, zwischen welchen auf der linken Seite sich eine stattliche Kirche mit zwei Türmen erhob. Beide Türme trugen damals noch ihren aufgestuften Helmschmuck, welchen ein verheerender Sturm ihnen später raubte. Aus unseren Fenstern sahen wir geradeaus in die Brückenstraße, erkannten die Brahebrücke selbst, drüber hinaus alte, einst klösterliche Gebäude und das Stadttheater.

Alles machte auf die Ankömmlinge den günstigsten Eindruck. … Ich stand in meinem neunten Lebensjahre, als wir gegen Ostern 1833 anlangten, und alle Eindrücke blieben dauernder in mir haften. Und wenn ich selbst die Stadt nach einigen Jahren wieder verlassen mußte, so blieb sie doch der Wohnort meiner Eltern und Geschwister, … Bromberg war schon damals eine hübsche, belebte Stadt, und viele architektonische Altertümer gaben mir zum ersten Mal den Anblick von historischem Herkommen. … Umgeben von leichten Hügelreihen, zum Teil bewaldet, zum Teil mit neuen Anlagen bepflanzt, von dem raschen Flusse, die Brahe, durchflossen, bot sie schon dem Anblick manches Ungewohnte und Angenehme. Ein lebhafter Verkehr von Kähnen aller Art, besonders Getreideschiffen, zeigte geschäftliche Tätigkeit, gehoben durch große Mühlwerke, welche innerhalb der Stadt hier und dort sogar einen malerischen Anblick boten. Vor allem luden die parkartigen und baumreichen schönen Anlagen, Stunden weit am Kanal, der die Brahe mit der Netze verbindet, zu Spaziergängen ein. Innerhalb der Stadt aber gab es ein vielbewegtes Leben, und bürgerlichen Reichtum von alten Handelshäusern. Als Sitz der Regierung und einer starken Garnison umfaßte Bromberg eine große Gesellschaft, durcheinandergeweht aus allen Himmelsgegenden, in welcher viel Bildung und geistiges Leben herrschte."

In dieser Zeit empfing Roquette die ersten Eindrücke vom Theater, zu dessen Welt er eine leidenschaftliche Zuneigung faßte, in der er dem Vater nachfolgte. Im Theatergebäude der Stadt gastierten alljährlich einige Monate lang die Gennéesche Truppe aus Danzig oder die Vogtsche aus Posen, seitdem auch manche andere. Hinzu kamen größere Dilettanten-Aufführungen zu öffentlichen Zwecken. Der Vater beteiligte sich zuletzt 1849 an einer Aufführung, als überall Goethes hundertjähriger Geburtstag gefeiert wurde und er die Darbietung einiger kleiner Stücke des großen Weimaraners leitete. Mit fünfzehn Jahren fand Roquette zur Dichtung. Lyrische Gedichte flossen in Menge aus seiner Feder. Sie trugen, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, "meist einen melancholischen Charakter, in Höltyscher Richtung, und von frühem Sterben war viel darin die Rede. Auch spielte eine leidenschaftliche Freundschaft, welche nicht erwidert wurde, darin eine Rolle."

Otto Roquette besuchte in Bromberg das Gymnasium, dessen pädagogische Qualität sich damals in einem Zustand des Verfalls befand, weshalb er nach seiner Konfirmation seine Schulbildung in Frankfurt (Oder) fortsetzte, wo sein Großvater Pfarrer war.

Von 1845 an studierte er in Berlin, Heidelberg und Halle Philosophie, Geschichte und neue Sprachen. Er wurde in Halle mit einer auf Latein geschriebenen Arbeit über die Geschichte des Deutschen Dramas promoviert. Er lehrte seit 1862 als Dozent für Literatur und Stilistik an der Kriegsakademie in Berlin, dann an der Berliner Universität und schließlich an der Gewerbe-Akademie in Berlin. Von 1869 an wirkte Otto Roquette in Darmstadt.

Sein bekanntestes Werk ist Waldmeisters Brautfahrt geworden, es erschien 1852 und erlebte 1874 bereits die 42. Auflage (1905 die 77.). Zum Schauplatz seines humoristisch-idyllischen Rhein-, Wein- und Wandermärchens nahm Roquette den Rhein und das Rheinland. In frischer Jugendlichkeit erzählt er darin die Hochzeit des Prinzen Waldmeister SYMBOL 150 f "Times New Roman CE" den ein Botaniker auf seinem Spaziergang in die Botanisierbüchse gesteckt, der sich aber mit Hilfe seiner Diener befreit hat SYMBOL 150 f "Times New Roman CE" mit der Tochter des Königs Feuerwein, der schönen Prinzessin Rebenblüte.

Ernster gehalten ist sein Tag von St. Jacob (1853, 4. neubearbeitete Auflage 1879), der den Schweizer Heldenkampf gegen die Franzosen (Armagnaken) auf dem Friedhof von St. Jakob an der Birs (bei Basel) von 1444 zum Gegenstand hat. Aber weder dieses kleine Epos noch seine weiteren epischen Dichtungen  kommen Waldmeisters Brautfahrt gleich. Fünfundzwanzig Jahre nach dem Erscheinen dieses Werkes folgte einRebenkranz zu Waldmeisters silberner Hochzeit (1876, 6. Auflage 1893) gedichtet, ein anmutiger Nachhall, der viel Anklang fand.

Ein treffliches, liebevoll eingehendes Lebensbild hat Roquette vom schlesischen Dichter Johann Christian Günther (1695-1723) entworfen (1860), das teilweise im Gegensatz zu dem steht, was Goethe über diesen "Hofpoeten" in Dichtung und Wahrheit schrieb.

Sein KünstlerromanHeinrich Falk (3 Bände, 1858) und sein Buchstabierbuch der Leidenschaft (2 Bände, 1878) haben die feine Charakterzeichnung und die liebevoll bis ins Kleinste durchgeführte Behandlung innerer Probleme miteinander gemein. Ein höchst anmutendes Buch ist auch die FamiliengeschichteIm Hause der Väter (1878).

Die dramatischen Versuche des Dichters sollen nicht unerwähnt bleiben. Doch ist nur einer davon (Die Sterner und die Pfitticher, 1856) zur Aufführung gekommen, ein weiterer hat 1853 das Erscheinen im Buchhandel erlebt: Das Reich der Träume. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (3. Auflage 1859).

1877 zog Roquettes jüngste Schwester nach Darmstadt, versorgte den Haushalt ihres Bruders und begleitete den begeisterten Spaziergänger durch die um Darmstadt herum liegenden Wälder. Neben seiner Tätigkeit als ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule war Otto Roquette von 1884 bis 1886 auch Theaterkritiker der Darmstädter Zeitung. 1893 wurde dem 69jährigen der Titel eines Geheimen Hofrats verliehen.

Otto Roquette schließt seine zweibändigeGeschichte meines Lebens aus dem Jahre 1894 mit den Worten: "In dem großen Strome, der von hundert Flüssen und Bächen genährt wird, gehen die Wellen gleichmäßig dahin, und keine erzählt mehr, woher sie gekommen ist. Vielleicht aber ist mancher geneigt, in das Seitental zu blicken, in welchem einer der Bäche seinen Ursprung genommen hat." Ein solches "Seitental" ist im Leben Otto Roquettes die ostdeutsche Stadt Bromberg. Daran soll zu seinem 100. Todestag erinnert sein.

Lit.: Robert Koenig: Deutsche Literaturgeschichte, Bielefeld und Leipzig 1887. –  Robert Prutz: Literatur der Gegenwart, Leipzig 1860. –  L. Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie 53 (1907). –  H. Knispel in: Hessische Biographie 1 (1918).  – Darmstadts Straßennamen, Nachschlagewerk, Darmstadt 1994. –  Otto Roquette. In: Bromberg, ein Lesebuch, Husum-Verlag, Husum 1994. –  Hermann Roquette. In: Zeitschrift Bromberg, Bidegast-Vereinigung Wilhelmshaven, Nr. 106/1994.

 

  Wilfried Samel