Biographie

Rusdorf, Paul von

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Hochmeister des Deutschen Ordens
* 1. Januar 1380 in Roisdorf/Rheinland
† 9. Januar 1441 in Marienburg/Westpr.

Paul von Rusdorf stammte aus einem Ministerialengeschlecht des Kölner Erzbistums. Das Geburtsjahr Pauls von Rusdorf dürfte in den achtziger Jahren des 14. Jh. festzulegen sein. Angaben über den biographischen Werdegang enthalten erst die Archivalien des Deutschen Ordens. Nach der Schlacht bei Tannenberg 1410 gelangte Paul von Rusdorf nachweislich in sein erstes Verwaltungsamt. Vom 12. Mai bis 28. Juli 1412 amtierte er als Pfleger zu Rastenburg. Am 21. Mai1413 übernahm er als Komtur die Komturei Tuchel, die er bis zu Anfang des Jahres 1414 innehatte. Gleichzeitig verwaltete er bis zum 17. Januar 1414 die kleineren Ämter eines Komturs zu Papau und eines Vogtes zu Leipe. Am 4. März 1414 übernahm er das erste Großgebietigeramt, nämlich das des Treßlers. In das Großgebietigeramt des obersten Trappiers wurde er am 24. November 1415 berufen. Gleichzeitig verwaltete er die Komturei Mewe. Am 7. Juni 1416 wechselte Paul von Rusdorf in die Residenz des Hochmeisters über, um das Amt des Großkomturs bis zum 27. August 1418 zu übernehmen. Danach hatte er wieder bis zum 10. März 1422 das Amt des Trappiers in Verbindung mit der Komturei Christburg inne. Diese rasch wechselnde Ämterfülle hat ihn mit den Gegebenheiten und Schwierigkeiten der Verwaltung des Deutschordensstaates, vor allem in dessen westlichen Gebieten, vertraut gemacht.

Nach dem Rücktritt Michael Küchmeisters wählte das Generalkapitel in Marienburg Paul von Rusdorf am 10. März 1422 zum Hochmeister. Er übernahm damit ein Amt, das durch die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts an Bedeutung und Glanz verloren hatte. Von einer ungebrochenen, europaweiten Repräsentation des Gesamtordens konnte nur noch bedingt die Rede sein. Die äußere Bedrohung durch Polen-Litauen dauerte nicht nur unentwegt an, sondern steigerte sich sogar. Der Amts Wechsel in Preußen gab Polen-Litauen Anlaß zu Gebietsforderungen im Westen und im Osten des Ordenslandes. Ein durch den päpstlichen Legaten Antonius Zeno betriebener Schlichtungsversuch scheiterte. So sah sich Rusdorf schon im Sommer in kriegerische Aktivitäten mit Polen-Litauen verwickelt, ohne daß beide Seiten eine Entscheidung im Felde erreichten. Der Friede von Melno-See (1422/23) brachte im Sinne der Auspegelung der Machtverhältnisse im europäischen Nordosten territoriale Einbußen für den Orden: Schamaiten, die Landbrücke zwischen Preußen und Livland, und das östliche Sudauen gingen an Litauen verloren, die geschichtsträchtige Burg Nessau, auf dem rechten Weichselufer, fiel an Polen; weitreichender für die politische Entwicklung wurde die Festschreibung einer Ständeklausel, die faktisch ein Mitbestimmungsrecht der Stände in der Außenpolitik beinhaltete.

Die sich nach 1422 anbahnende Annäherung des Hochmeisters an den östlichen Nachbarn des Ordenslandes Preußen, den Großfürsten von Litauen, bewährte sich insofern, als Witold 1426 die Position des Ordens in Fragen von Grenzregulierungen mit Polen (Kulmer Land; Pommerrellen) stützte. Aber wichtiger war es, daß es der König von Polen angesichts dieser neuen Konstellation nicht wagen konnte, erneut kriegerisch gegen den Orden tätig zu werden. Pauls von Rusdorf Kontakt zum Römischen König Sigismund fand seine Nützlichkeitsgrenzen in dessen reichspolitischen Bindungen. Die über Böhmen hinausgreifende, 1433 auch das westliche Ordensland berührende, hussitische Bewegung war in einen Religionskrieg gemündet. Seit 1427 hatte sich der Deutsche Orden u.a. durch die sogenannte ,,Hussitensteuer“ an dem Reichsaufgebot beteiligt. Ein anderes Krisengebiet zeichnete sich im Balkanraum ab, wo Einfälle der Türken, u.a. mit dem Ziel der Einverleibung Ungarns, abzuwehren waren. Sigismund forderte deshalb 1427 den Deutschen Orden auf, an der Donau im Sinne des Heidenkampfes anzutreten. 1429 sandte Rusdorf eine Ordensexpedition an die Donau, um im gefährdeten Gebiet eine Niederlassung des Ordens mit der Aufgabe des Heidenkampfes zu begründen, aber die Ordensritter konnten sich auf ihren zum Teil neu errichteten Burgen nicht über 1434 hinaus halten. Ein weiterer Berührungspunkt des Hochmeisters mit dem Luxemburger Sigismund ergab sich aus der rechtlich nicht fixierten Zugehörigkeit der Neumark. Den Bemühungen Rusdorfs gelang es, Sigismund dazu bewegen, daß dem Deutschen Orden am 7. September 1429  die Neumark als ewiger freier Besitz übertragen wurde.

Im übrigen stand aber nicht nur die Außenpolitik Rusdorfs im Schatten der Schlacht bei Tannenberg, sondern auch die Wirtschafts- und Steuerpolitik. Verschärft wurde dieser Sachverhalt durch die Konkurrenz zwischen der Wirtschaftstätigkeit des Ordens und vor allem der der Weichselstädte, die der Hanse angehörten. Der hier aufkeimende Konflikt hatte auch weitreichende politische Implikationen, da sich Rusdorf um diplomatische Kontakte zu König Erich von Dänemark und Schweden, der sozusagen der natürliche Gegner der Hanse war, bemühte. Obwohl Engländer und Holländer als Fernhändler mit ihrer zunehmenden Aktivität auch mit dem Eigenhandel des deutschen Ordens konkurrierten, so scheute sich Rusdorf doch nicht, diese als Mittel gegen die in den Ordensstaat hineinwirkende Hanse zu benutzen.

War das erste Regierungsjahrzehnt Rusdorfs durch eine gewisse Konsolidierung geprägt, so gestaltete sich das zweite zu einer nahezu unterbrochenen Krisenfolge.

In der inneren Entwicklung des Ordensstaates hat es nämlich unter Rusdorf mit steigender Intensität ein Generalthema gegeben, die Ständefrage. Diese berührte über die Mitspracheforderung in den Außenbeziehungen (Bündnisverträge, Krieg, Frieden) hinaus sowohl wirtschaftliche als auch administrative Angelegenheiten. Angesichts dieses Sachverhaltes wechselten bei Rusdorf restaurative Bestrebungen mit Reformansätzen. Einen indirekten Beitrag dafür bietet die wohl offiziöse Schrift Ermahnung des Karthäusers.

Die Installierung des seit Heinrich von Plauen üblichen Landesrates als ständische Vertretung neben dem Gebietigerrat mißlang, da die Stände die Delegation von vier Vertretern durchsetzten, die aber ohne Rückbindung an die auf Tagfahrten gefaßten Beschlüsse aller Ständevertreter, so Entscheidungen über Steuern, Krieg und Frieden, nicht bevollmächtigt waren. Die somit nicht institutionalisierte ständische Mitwirkung zeitigte für die Politik Rusdorfs gegenüber dem König von Polen schwerwiegende Folgen, und zwar sowohl bei den Beifrieden von Jesnitz und Lentschütz als auch 1435 beim Abschluß des Brester Friedens, der den Gebietsstatus quo festschrieb. Die Frage, inwiefern der Hochmeister in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch den Gesamtorden repräsentierte, läßt sich am Beispiel Rusdorfs eindeutig dahingehend beantworten, daß die Teile des Deutschen Ordens auseinander drifteten. Wenn sich Livland noch in einer verfassungsmäßigen Zugehörigkeit wußte und damit zur Einflußsphäre des Hochmeisters gehörte, so wich die Interessenlage des Deutschordenszweiges im Reich, dem der Deutschmeister vorstand, von den Problemen im Ostseeraum ganz erheblich ab; die polnische Agitation gegen den Deutschen Orden an der Kurie bzw. vor dem Baseler Konzil, betraf diesen Zweig überhaupt nicht. Eine Gesamtsolidarität war abhanden gekommen. Es zeigte sich dies auch bei der Frage der Oboedienz gegenüber dem Konzilspapst Eugen IV.

Zu einer Ablehnungshaltung gegen Rusdorf fanden sich aus verschiedenen Motiven einzelne Konvente aus landsmanschaftlichen Ressentiments, der livländische Meister u.a. aus Gründen der Kirchenorganisation (Baseler Konzil, Bischofsbesetzung) und der Deutschmeister aus angemaßten übergeordneten Kompetenzen aufgrund der gefälschten Orselnschen Statuten zusammen. Dieser innere Zwist kulminierte einerseits in der von Eberhard von Saunsheim, dem Meister in deutschen und welschen Landen, erklärten Absetzung Rusdorfs, andererseits in einem Aufstand der mehrheitlich oberdeutsch besetzten Konvente von Königsberg, Brandenburg und Balga gegen Rusdorfs angeblich einseitige niederdeutsche Personalpolitik. In diesem letzten Falle holte Paul von Rusdorf seine rheinische Herkunft – er hatte im übrigen stets Verbindung zum Kölner Erzbischof Dietrich II. von Moers gehalten – ein.

Die Stände wurden in diesen mehrschichtigen inneren Ordenskonflikt des Ordens auch von Rusdorf einbezogen. Unter Reklamierung eines ständischen Widerstandsrechtes schritten sie zur Gründung des „Preußischen Bundes“ zur Rechtswahrung und gegen Gewalt, dem die oppositionellen Fernhandelsstädte des unteren Weichselraumes und große Teile der Ritterschaft angehörten. Vor dem Hintergrund dieser ständischen Emanzipationsbestrebungen rauften sich die im Streit liegenden Ordenszweige und Parteiungen Ende 1440 zu Kompromissen zusammen, die zwar zu einer vorläufigen Beruhigung führten, aber von einer inneren Konsolidierung des Ordens weit entfernt waren. Auch Paul von Rusdorf sah die Brüchigkeit dieser Lösungen ein. Er, der zunehmend auch mit gesundheitlichen Anfälligkeiten zu kämpfen hatte, resignierte zu Anfang 1441 und machte damit den Platz für einen Nachfolger frei. Seinen Rücktritt hat er nur eine Woche überlebt, er verstarb am 9. Januar 1441.

Lit.: Kurt Forstreuter: Die Entwicklung der Grenze zwischen Preußen und Litauen seit 1422, in: Altpreußische Forschungen 18, 1941, S. 50-70. – Rudolf Grieser: Hans von Baysen. Ein Staatsmann aus der Zeit des Niederganges der Ordensherrschaft in Preußen(Deutschland und der Osten, Bd. 4). Leipzig 1936. – Carl August Lückerath: Deutschmeister Eberhard von Saunsheim – Widersacher des Hochmeistertums, in: Zeitschrift für Ostforschung 18,1969, S. 270-287. – Ders.: Paul von Rusdorf. Hochmeister des Deutschen Ordens 1422-1441 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 15) Bad Godesberg 1969. – Ders.: Rusdorfiana, in: Von Akkon bis Wien. Fs. zum 90. von Marian Tumler, hrsg. v. Udo Arnold (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 20). Marburg 1978, S. 106-111. – Klaus Neitmann: Die Staatsverträge desDeutschen Ordens in Preußen 1230-1449, Studien zur Diplomatie eines spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaates (Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, Bd. 6). Köln, Wien 1986. – Wilhelm Nobel: Michael Küchmeister. Hochmeister des Deutschen Ordens 1414-1422 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 5). Bad Godesberg 1969. – Peter Gerrit Thielen: Die Verwaltung des Ordensstaates Preußen vornehmlich im 15. Jahrhundert (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 11). Köln, Graz 1965. – Johannes Voigt: Geschichte Preußens von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des Deutschen Ordens. Bd. 7, 1836,S. 424-786. – Erich Weise: Das Widerstandsrecht im Ordenslande Preußen und das mittelalterliche Europa (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung, Bd.6). Göttingen 1955.

Bild: Wandgemälde im Kapitelsaal des Hochschlosses der Marienburg, Ende 15. Jh.

Carl August Lückerath