Im Verlauf der industriellen Revolution nahmen etliche alte, schlesische Adelsgeschlechter eine neue Rolle als industrielle Großunternehmer an. Es entstand eine neue, profitorientierte Schicht, die mit den Begriffen „Industrieadel“ oder „Schlotbarone“ umschrieben wird. Beispielhaft für eine solche Entwicklung steht das gräfliche Ehepaar v. Schaffgotsch.
Hans Ulrich, Graf v. Schaffgotsch, genannt Semperfrei von und zu Kynast und Greiffenstein, Freiherr zu Trachenberg wurde als Sohn des Breslauer Stadtkommandanten in Merseburg geboren, der ehem. Hauptstadt der Preußischen Provinz Sachsen – die Mutter entstammte einem anhaltinischen Landadelsgeschlecht.
Die v. Schaffgotsch kamen im 12. Jahrhundert, der Überlieferung nach, im Gefolge der hl. Hedwig nach Schlesien und haben Wurzeln in Tirol und Franken. Für das Jahr 1242 ist nachweisbar, dass ein Siboto (Siegbot) aus der „edlen Familie der Schafe“ die Burg Kemnitz bei Hirschberg als Lehen erhielt, von der heute noch Ruinenreste stehen. Der Name entwickelte sich aus der Familientradition, erstgeborene Söhne auf den Namen Gotthard (= Gotsche) zu taufen. Der Ritter Gotsche II. Schoff erhielt 1360 die Burg Kynast im Hirschberger Tal als Geschenk der kinderlosen Witwe des letzten Herzogs von Schweidnitz-Jauer, Bolko II. Mit Erwerb der Herrschaft Greiffenberg, sowie 1592 durch Zugewinn der Herrschaft Trachenberg und der damit verbundenen Erhebung in den Freiherrenstand, kamen weitere Ausgangspunkte für den umfangreichen Familienbesitz hinzu.
Hans Ulrich v. Schaffgotsch (1595-1635), ein Protestant, der unter Wallenstein als General diente, wurde 1627 vom Kaiser Ferdinand II. in die Semperfreiheit erhoben. Dieser Titel wurde damals für eine über den Grafen- und Freiherrenstand hinausgehende Reichsfreiheit verstanden. Nach Wallensteins Ermordung fiel der General in Ungnade und wurde wegen angeblichem Hochverrat in Regensburg enthauptet. Die Familie verlor allen Besitz, erhielt ihn jedoch – mit Ausnahme von Schloss Trachenberg – nach Übertritt zum Katholizismus 1641 bzw. 1650 zurück.
Wegen eines Brandes der Kynastburg wurde der Stammsitz 1675 nach Warmbrunn verlegt. Im Jahre 1654 erfolgte eine Erhebung in den Grafen- und 1708 in den Reichsgrafenstand. Nach der preußischen Eroberung Schlesiens kam 1754 der preußische Fürstenstand hinzu und der jeweils Älteste war ab 1854 Mitglied vom Preußischen Herrenhaus (1. Kammer des Preußischen Landtages).
Johanna, geb. Gryczik von Schomberg-Godulla, war die Tochter eines einfachen Bergmannes. Nach dem Tode des Vaters kümmerte sich ihre Mutter, die in Diensten des Unternehmers Karl Godulla (1781-1848) stand, kaum noch um die Tochter. So kam es, das Godulla sich des Kindes annahm.
Godulla entstammte kleinen Verhältnissen, wuchs in Makoschau (heute zu Zabrze) auf und trat nach der Ausbildung für Land-und Forstwirtschaft als Verwalter in die Dienste des Grafen von Ballestrem. Er erkannte die wirtschaftliche Bedeutung der Zinkverhüttung und wurde 1807 Oberamtmann für die gräflichen Hüttenbetriebe. In Anerkennung seiner Leistungen und zur weiteren Verpflichtung beteiligte ihn der Graf mit Freikuxen an der Karls-Hütte in Ruda. Mit dem so gewonnenen Kapital baute er eigene Unternehmen auf und erwarb in wenigen Jahren ein gewaltiges Vermögen. Dazu gehörten Steinkohlen- und Galmeigruben, Hütten sowie Land-, Forst- und Immobilienbesitz. Man nannte ihn schon 1820 im Volksmund den „Zinkkönig“.
Godulla lebte sparsam, bescheiden, oft zurückgezogen, war immer rastlos und forderte strikte Disziplin von seinen Arbeitern und Angestellten. Noch in gräflichen Diensten wurde er durch eine körperliche Auseinandersetzung mit Wilderern verletzt und war dadurch behindert. So wirkte er unnahbar, verschlossen und furchteinflößend. Vermutlich blieb er aus diesen Gründen ehe- und kinderlos.
Die kleine Johanna trat ihm unbefangen und fröhlich gegenüber. Davon menschlich berührt, adoptierte er das Kind, zog aus dem einfachen Holzhaus in Ruda in sein Schloss Schomberg-Orzegow bei Beuthen und sorgte für Johannas weitere Erziehung. Seine Hausdame, Emilie Lucas übernahm gewissenhaft die Rolle einer Pflegemutter.
Als Godulla 1848 bei einer Breslau-Reise im Hotel zur Goldenen Gans an der Cholera starb, wurde die 6-jährige Adoptivtochter Alleinerbin eines der größten Anlagevermögen in Schlesien.
Hans Ulrich Graf v. Schaffgotsch legte am berühmten Breslauer Matthias Gymnasium das Abitur ab und verbrachte in Neustadt/OS die Militärzeit als Einjähriger. In Berlin, Breslau und Bonn studierte er Jura und Kameralia. In Bonn wurde er Mitglied des Corps Borussia, eine Verbindung, der ausschließlich Adlige angehörten.
Nach Studium und vorgeschriebenen Auscultator- und Referendarzeiten (zuletzt in Breslau) folgte die Ernennung zum Husarenleutnant, ehe er aus dem Staatsdienst ausschied. Der umfangreiche Landbesitz sicherte ein üppiges Einkommen, ohne dass er einen Beruf ausüben musste. Die Mitgliedschaft in der Freikonservativen Partei im Preußischen Landtag und später im Deutschen Reichstag war nur eine standesgemäße Beschäftigung.
Die 16-jährige Johanna Gryczik lernte er in Breslau bei einem Theaterbesuch über ihren Vormund und Godullas Testamentsvollstrecker, Maximilian Scheffler kennen. Eine Heirat des ungleichen Paares war nur möglich, nachdem der König im Oktober 1858 für eine Nobilitierung Johannas gewonnen wurde. Gleich darauf heiratete das Paar. Johanna führte jetzt den Nachnamen von Gryczik und Schomberg-Godulla und die Trauung, am 15. November 1858 in der Beuthener Marienkirche erregte viel Aufsehen. Ihre Lebensgeschichte assoziierte im Volk Gedanken an das Aschenputtelmärchen: Aus einem einfachen, verstoßenen Mädchen wird eine Prinzessin, die mit einem Prinzen im Märchenschloss wohnt. Von nun an galt sie als das „Schlesisches Aschenputtel“. In der Tat, der Graf ließ das als künftigen Wohnsitz gekaufte Schloss in Koppitz (1936–1945: Schwarzengrund; poln.: Kopice) bei Grottkau zu einem wahren Traumschloss ausbauen. Bis dahin lebte das Paar in Breslau.
Freundschaftlichen, gesellschaftlichen Umgang pflegte das Paar mit der preußisch-schlesischen Linie der Adelsfamilie v. Ballestrem in Plawniowitz (poln.: Pławniowice, nordwestlich v. Gleiwitz). Die 4 Kinder aus ihrer Verbindung heirateten später standesgemäß in Adelskreise ein.
Johannas Erbe wurde nach Eheschluss bei den „Gräfin Schaffgot’sche Verwaltungen“ weiter als Eigentum der Ehefrau geführt. Dazu gehörten etwa 60 Kohle- und Galmeigruben sowie Hüttenbetriebe. Bis zu 5000 Arbeiter waren 1891 in den Unternehmungen beschäftigt. Im Jahre 1904 wurde der Übergang in eine Kapitalgesellschaft als „Gräflich Schaffgot’sche Werke GmbH.“ vollzogen, die zu den größten deutschen Unternehmen gehörte.
Hans Ullrich v. Schaffgotsch widmete sich der Verwaltung des gesamten Besitzes nur soweit, dass noch ein ausreichender Zeitrahmen für andere Tätigkeiten blieb. Die tagtäglichen Aufgaben erledigten tüchtige Verwalter. Die v. Schaffgottsch’s gehörten 1912 mit dem Vermögen von 79 Mio. Goldmark und Jahreseinkommen von 4-5 Mio. Goldmark zu den reichsten Deutschen.
Als standesgemäßes, christlich-soziales Engagement ist die Mitgliedschaft des Grafen als Ehrenritter im Malteserorden und Johannas Aufnahme in den bayrischen Theresienorden als Ehrendame zu bewerten.
Besonders Johanna galt als volksnah und sozial eingestellt. Sie ließ in Beuthen ein Waisenhaus einrichten und war Stifterin von Krankenhäusern, Kirchen, Schulen etc. Im Jahre 1905 wurde die Arbeiterkolonie Godullahütte (heute zu Ruda Śląska) mit großzügigen Wohnungen und Gärten errichtet, um den schlechten Wohn- und Lebensverhältnissen der Arbeiter entgegenzuwirken.
Nach dem Tode von Johanna im Jahre 1910 und von Hans-Ulrich im Jahre 1915 wurde das Paar auf Schloss Koppitz in einer prächtigen Grabkapelle beigesetzt, die 1945 geplündert werden sollte. Das gräfliche Erbe als Familienoberhaupt trat der einzige Sohn, Hans Ulrich an.
Schon der schlesische Barockdichter Martin Opitz (1597-1639) verherrlichte dieses Adelsgeschlecht in seinem Werk. Die Familie hat über Jahrhunderte Schlesien mit geprägt und ein reiches kulturelles Erbe hinterlassen. Hervorzuheben ist die Schaffgot’sche Majoratsbibliothek Warmbrunn (1936: 75 000 Titel) mit einer umfangreichen Sammlung an Silesiaca. Ihre Reste wurden 1945 auf verschiedene polnische Bibliotheken verteilt. Etwa 20.000 Bände übernahm die Warschauer Nationalbibliothek.
Die industriellen Aktivitäten der v. Schaffgotsch hatten sich schon vor der Jahrhundertwende von der Zinkgewinnung zur Steinkohle verlagert. Später übernahm man schrittweise weitere Geschäftsfelder.
Die Teilung Oberschlesiens 1922 brachte eine Teilung des Industriebesitzes. Der ostoberschlesische, polnische Teilbesitz wurde von der „Godula S.A.“ in Ruda-Chebzie verwaltet. Da kein Gewinn und Kapital nach Deutschland abflossen und sogar investiert wurde, gab es keine Einwände seitens der polnischen Regierung. Der Verwaltungssitz für die westlichen Betriebe wurde nach Gleiwitz verlegt. Neue Geschäftsfelder wurden gesucht – der Konzern dehnte sich immer weiter aus.
Ab 1939 kontrollierten die v. Schaffgotsch wieder den Besitz im gesamten Oberschlesien. Darüber hinaus waren bis zum Kriegsende die größten Unternehmen die „Lignose Sprengstoffwerke GmbH“ (Berlin, Schönebeck, Alt-Berun u. a.), die „Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG“ (kurz: BUBIAG; in Mitteldeutschland und Nordhessen) sowie die „Schaffgotsch Benzin Werke GmbH“ bei Deschowitz (1936 -1945: Odertal OS.; poln.: Zdzieszowice). Der gesamte Industriebesitz wurde uneingeschränkt in die Kriegswirtschaft der Nazis einbezogen. Die Industrieanlagen in Deschowitz setzten auch Arbeitskräfte aus dem Zwangarbeitslager St. Annaberg zur Beseitigung von Bombenschäden ein.
Das Jahr 1945 brachte den Niedergang. Zwar wurde nochmals in München mit dem Restkapital und den Mitteln der Lastenausgleichsregelungen ein Neustart versucht und später die Kommanditgesellschaft „Elikraft“ gegründet. Diese Holding war die Zentrale für ein verzweigtes Firmengeflecht. Die Erben vermochten jedoch nicht an frühere wirtschaftliche Erfolge anzuknüpfen.
Das Ende kam 1974 mit dem Untergang der Schaffgotsch-Bank „Bass & Herz“. Eines der bedeutendsten deutschen Industrievermögen war nur noch Geschichte.
Lit.: Firmenschrift der Schaffsgot’schen Werke G.m.b.H.: Festschrift zur goldenen Hochzeitsfeier auf Schloss Koppitz am 15. November 1908. M. Haenel & Comp., Beuthen/OS.,1908. – Karl Franz Mainka, Das merkwürdige Leben des Zinkkönigs Carl Godulla. Oberschlesien im Bild, Nr. 2, 08. Januar 1932, 8 S., S.4-5 und Fortsetzung: (Schluss), Nr 3, 15. Januar 1932, 8 S., S. 2. – Helmut Neubach, Hans-Ulrich und Johanna von Schaffgotsch. Eichendorff-Hefte 2007, Nr. 2, Januar-März, Oberschlesisches Kultur- und Begegnungszentrum in Lubowitz 2007, 112 S., S. 36-47 (zweisprachig: deutsch/polnisch)
Weblinks: Verschiedene Einträge bei Wikipedia. – „Ende einer Dynastie“. Zeit online, 16. August 1974, URL: https://www.zeit.de/1974/34/ ende-einer-dynastie. – „Die Reste kommen“. Spiegel online, 19. August 1974, URL: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41651513.html
Bild: Firmenschrift von 1908
Helmut Steinhoff